„Ideen hängen stark vom persönlichen Leben ab“: EUDC-Chefjurorin Dessislava Kirova im Gespräch

Datum: 7. August 2013
Redakteur:
Kategorie: International, Menschen, Mittwochs-Feature, Turniere

Dessislava Kirova ist nach Isabelle Fischer und Jens Fischer die dritte deutsche Debattiererin, die Mitglied des Chefjurorenteams einer Europameisterschaft ist. Die Achte Minute hat zwei Wochen vor dem Beginn der Meisterschaft mit ihr gesprochen –  gerade noch rechtzeitig, denn Dessislava fährt fünf Tage früher nach Manchester, um sich noch intensiv mit ihrem Team zu beraten.

Achte Minute: Dessi, wie bist du zu dem begehrten Posten der Chefjurorin bei einer Europameisterschaft gekommen?

Dessislava Kirova: Ich wurde Anfang 2012 von Shengwu Li (Chief Adjudicator EUDC 2013, Anm. d. Red.) gefragt, ob ich Teil des Teams werden möchte. Bis zur letzten Europameisterschaft in Belgrad hat der Ausrichter meist einen Chefjuroren ausgewählt, und der hat dann das Team mit 4-5 Deputy Chief Adjudicators (DCA) zusammengestellt. Das Hauptkriterium ist der Debattiererfolg. Daneben werden Kriterien wie zum Beispiel regionale Repräsentanz und ESL-Status berücksichtigt, damit das Team ausgewogen und repräsentativ ist. In Belgrad wurde das im Council geändert. Nun dürfen Bewerber maximal zwei Chief Adjudicators (CA) benennen und die anderen müssen sich in einem offenen Verfahren bewerben – also wie bei den Weltmeisterschaften.

AM: Wer ist noch mit im Team?

Dessislava: Der CA ist Shengwu Li. Er hat früher in Oxford studiert und promoviert momentan in Stanford. Er hat die Europameisterschaft 2010 in Newcastle gewonnen. Die DCA sind Andrew Tuffin (England), Filip Dobranic (Slovenien), Joe Roussos (Südafrika) und Omer Nevo (Israel). Ursprünglich war auch noch Leyla Orak im Team. Aber sie musste leider zurücktreten, da sie bereits berufstätig ist und in ihrer Anwaltskanzlei mehr Arbeit hatte, als ursprünglich erwartet.

AM: Wie lange bereitet ihr euch schon vor und woher nehmt ihr eure Themenideen?

Dessi: Wir haben im frühen Herbst letztes Jahr angefangen, also ziemlich bald, nachdem Manchester den Zuschlag bekommen hat. Was die Themen betrifft, kann ich nur für mich sprechen. Im Grunde kann bei mir ein Thema von überall her kommen. Ich verfolge natürlich die aktuellen Nachrichten, aber das ist bei mir nicht die Hauptquelle. Ich denke über viele Themen nach und lese dann auch im Detail Dinge nach. Die Themenbereiche sind unterschiedlich: Philosophie, Popkultur, Mode, Literatur, Alltägliches. Im Grunde hängen einige der ersten Ideen stark von persönlichen Leben ab, was einen interessiert und wie man so denkt. Das merkt man, wenn man in unterschiedlichen Chefjurorenteams arbeitet: Leute haben unterschiedliche Denkweisen und Interessen und das bestimmt zum Teil ihre Ideen. Man muss aufpassen, dass man sich nicht unkritisch von den eigenen Vorlieben leiten lässt. Die Themenauswahl muss breit sein.

AM: Wie unterscheidet sich der Posten als CA der Europameisterschaft von den anderen Chefjurorenposten, die du hattest?

Dessislava: Die Verantwortung und der Arbeitsaufwand sind logischerweise viel größer. Es gibt viel mehr zu tun und obwohl ich jedes Turnier, das mich einlädt, Chefjurorin zu sein, absolut ernst nehme, ist das Level hier einfach ein anderes. Der Teilnehmerpool ist viel diverser als beispielsweise auf einem Turnier in Deutschland. Die Prozesse, die alleine vor dem Turnier stattfinden, sind bei anderen Turnieren überhaupt nicht vorhanden, etwa das Verfassen des Jurorentests sowie das Korrekturlesen oder die Bearbeitung der Bewerbungen der Independent Adjudicator.

Dessislava Kirova (Mitte) bei der DDM 2013 (c) Manuel Adams

AM: Wie laufen die Absprachen?

Dessislava: Momentan haben wir vor allem Kontakt via E-Mail, sowohl im CA-Team als auch mit den Organisatoren. Wir nutzen auch eine Organisationsplattform, ähnlich wie google.docs, um alles zu erledigen, was auf unserer To-do-Liste steht.

AM: Wie wird deine Arbeit vor Ort aussehen?

Dessislava: Während des Turniers wird die Hauptaufgabe des CA-Teams sein, die Juroren zu setzen und zu beobachten, indem wir vor allem die Feedbackbögen lesen und uns so viele Juroren wie möglich anschauen. Das Tabprogramm setzt eigentlich in jeder Runde die Juroren selbst und berücksichtigt dabei zum Beispiel, dass ein Juror nicht die Teams aus seinem Club juriert. Für jede Runde werden aber auch einige Juroren noch manuell versetzt: Wenn wir uns etwa einen Juror, der gutes oder sehr gemischtes Feedback bekommt, einmal selbst anschauen möchten, dann lassen wir uns mit ihr oder ihm in eine Debatte setzen. Und am Ende entscheiden wir natürlich auch, welche Juroren breaken.

AM: Habt ihr Vorgaben von den Organisatoren bekommen?

Dessislava: Wir haben nur wenige Vorgaben bekommen. Das sind eigentlich nur ein paar wenige Deadlines. Wir haben aber in allen wichtigen Diskussionen bezüglich organisatorischer Fragen auch Alexander Rabinovich, den Deputy Convener, im E-Mail-Thread. Er ist quasi die Liaison zwischen CA-Team und den Organisatoren.

AM: Was für Aufgaben stehen momentan an?

Dessislava: Wir haben gerade den Juriertest fertiggestellt und veröffentlicht. Den müssen alle Juroren, die nach Manchester kommen, ausfüllen – auch die Independent Judges. Sobald die Deadline vorbei ist, werden wir alle lesen und korrigieren und dementsprechend Juroren einstufen. Ansonsten arbeiten wir seit einer Weile an den Motions.

AM: Liebe Dessi, vielen Dank für das Gespräch.

Dessislava: Gerne. Ich beantworte gerne noch weitere Fragen. Schreibt mir doch einfach eure Fragen unten in die Kommentare. Ich beantworte sie dann gerne.

Das Interview führte Annette Kirste.

Mittwochs-Feature

Das Mittwochs-Feature: jeden Mittwoch ab 9.00 Uhr stellt das Mittwochs-Feature eine Idee, Debatte, Buch oder Person in den Mittelpunkt. Wenn du selbst eine Debatte anstoßen möchtest, melde dich mit deinem Themen-Vorschlag per Mail an team [at] achteminute [dot] de.

Dessislava Kirova ist Vizeweltmeisterin 2012 und Deutsche Vizemeisterin 2010 im Hochschuldebattieren. Sie war Chefjurorin mehrerer nationaler und internationaler Turniere, darunter das Paris Open 2013 sowie die ZEIT DEBATTEN Stuttgart 2010 und Münster 2011. Sie ist Mitglied in der Berlin Debating Union e.V. (BDU), deren Präsidentin sie in der Amtszeit 2011/12 war. Mit der BDU organisierte sie die Weltmeisterschaft im Hochschuldebattieren, die zum Jahreswechsel 2012/13 in Berlin stattfand. An der Universität Potsdam studiert sie Anglistik/Amerikanistik und Italianistik.

ak/kem

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10 Kommentare zu “„Ideen hängen stark vom persönlichen Leben ab“: EUDC-Chefjurorin Dessislava Kirova im Gespräch”

  1. Niels (aus B) sagt:

    wie wird die Finalmotion lauten?

  2. Dessislava Kirova sagt:

    Lieber Niels aus B.,

    diese Frage kann ich dir nicht beantworten, für keines der beiden Finals. Das wäre unfair und unprofessionell und ausserdem wäre ja die ganze Spannung für alle weg. Lass dich einfach überraschen:-)

    Dessi

  3. Jonathan Scholbach sagt:

    Habt Ihr Eure Themen mit Casefiles geprüft?

  4. Dessislava Kirova sagt:

    Lieber Jonathan,,

    wir prüfen die Motions in mehreren Stufen, die jeweils unterschiedlich intensiv und tiefgehend sind. Eine dieser Stufen ist den Casefiles ähnlich: wir prüfen, ob es genügend individuelle Argumente auf beiden Seiten gibt. Wir schreiben das aber nicht auf, dementsprechend wird es auch nicht nach dem Turnier veröffentlicht.

    Dessi

  5. Jonathan Scholbach sagt:

    Kannst Du detailliert beschreiben, wie das Verfahren abgelaufen ist? – also wie die Stufen aussehen, von denen Du sprichst?

  6. Jonathan Scholbach sagt:

    Diese Frage ist für mich immernoch interessant, vor Allem nachdem ich die Vorrundenthemen gesehen habe. Interessieren würde mich nun auch die Argumente, die ihr für die

    * Reg in Runde 2 (Volksabstimmung über Entwicklungshilfe)
    * Reg in Runde 4 (Automatisierte Überwachung ohne richterlichen Beschluss)
    * Opp in Runde 6 (Verherrlichung selbstbewusster weiblicher Sexualität in Popsongs)
    * Opp in Runde 8 (Obama hätte die Folterer nicht nachträglich immunisieren sollen)

    seht. Ich sehe da – ohne die Themen selbst debattiert zu haben – jeweils relativ wenig Material, und es würde mich interessieren, wie die CAs das debattieren würden. Man lernt ja nie aus. 🙂

  7. Johannes (Freiburg) sagt:

    Ich schließe mich Jonathan an. Wir haben uns vergangenen Dienstag im Club zusammen hingesetzt und ernsthaft versucht, gute Argumente für die Opp bei der sechsten Vorrunde zu finden. Die zwei/drei guten Argumente, die wir hatten, sind sicherlich auch der OO eingefallen, sodass wir uns gefragt haben, was einem als CO noch übrig geblieben wäre. wenn denn die OO nicht gerade den Vogel der Kreativität in der Vorbereitungszeit abgeschossen hätte. Mich würde auch stark interessieren, wie denn die Punktevergabe in Bezug auf die Position ausfiel. Ich vermute insbesondere in dieser Runde eine gewisse Tendenz… Ich hoffe jedoch der Fairness halber, dass ich falsch liege, denn sonst würde das auch bedeuten, dass die CAs etwas falsch gemacht haben.

  8. Hauke (Berlin) sagt:

    Als jemand der in all diesen Runden diese Themen mit überwiegend soliden Teams im Raum debattiert hat, darf ich euch hier versichern, dass diese Themen für kreative und gute Teams durchaus genug Raum geben. Ich verstehe, dass es manchmal zunächst schwierig aussieht aber niemand hat gesagt, dass es immer leicht sein muss. Bitte bedenkt, dass wir im deutschen Debattieren oft ein recht enges Korsett bezüglich von Werten, Gesetzen und Normen tragen, weil der Fokus nun einmal auf Deutschland und der deutschen Gesellschaft liegt. Davon sind wir oft stark geprägt und es ist schwer diesen Fokus als Grundlage der eigenen Argumentation aufzuweichen oder abzulegen. Auf EUDC Ebene ist das Framework sehr viel loser und gibt Raum für andere Perspektiven. Daher kann ein Thema, was sich nach die hiesigen sozialen Normen intuitiv als schwer haltbar anfühlt, doch mit anderen Grundannahmen durchaus gut debattierbar sein.
    Für mich ist genau diese Erfahrung, zu sehen was Teams aus anderen Nationen und Kontexten so auf den Tisch legen, eine der am meisten bereichernden auf diesen Turnieren. Ich persönlich bin überzeugt, dass ein paar solche Erfahrungen es jedem Debattierer letztlich erleichtern, aus seinem Korsett auszubrechen um dann neue einzigartige Ansätze für gerade solche Themen zu finden. Daher kann ich nur jedem empfehlen sich das mal bei Gelegenheit anzusehen.
    LG Hauke

  9. Jonathan Scholbach sagt:

    Hauke, da hast Du sicher recht. Interessanter als den abstrakten Verweis auf die Vielfalt der Perspektive fände ich aber natürlich konkrete Argumente, die man in den jeweiligen Debatten machen könnte. Nur so kann ich ja lernen, solche Perspektiven auch selbst einzunehmen.

  10. Andreas Lazar sagt:

    Ohne Anspruch auf irgendeine Vollständigkeit hier ein paar Argumente, die ich ganz gut fand, aus den angesprochenen Runden und den Debatten, an denen ich teilgenommen habe:

    Runde 2 Reg: Steuererhebung ist Zwang und nur legitimierbar, wenn das Geld wieder an die Steuerzahler ausgeschüttet wird. Wenn es wie bei Entwicklungshilfe nicht wieder an die Steuerzahler ausgeschüttet wird, sollen sie dabei mitreden dürfen.
    Runde 4 Reg: Keine faktische Einschränkung der Privatsphäre, weil nur bei den wenigsten Fällen ein Mensch hinschaut, die allermeisten bleiben unbehelligt. Gerechtfertigt als „Supergrundrecht“ zur Bewahrung der staatlichen Struktur, die erst weitere Rechte ermöglicht.
    Runde 6 Opp: Sexualisierung von Teenagern. Verschleierung weiterer Optionen als nur selbstbewußter Sexualität, z.B. Asexualität.
    Runde 8 Opp: Folter gerechtfertigt zur Wahrung der staatlichen Struktur usw. Es ist den Ausführenden gegenüber unfair, was einmal als Recht galt, später als Unrecht zu definieren. Nürnberg-Verteidigung usw.

    Insgesamt fand ich die Themen gut, vor allem in den Vorrunden. In Runde 1 konnte ich endlich mal über 20 Jahre profundeste Videospielerfahrung in einer Debatte zur Anwendung bringen 🙂

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