Berühmtheiten à la Carte: Michael Saliba über das Debattieren bei der Oxford Union

Datum: 17. September 2014
Redakteur:
Kategorie: International, Mittwochs-Feature

Das Debattieren in Oxford unterscheidet sich deutlich von anderen Debattierclubs auf der Welt.

Gegründet 1823, ist die Oxford Debating Union die zweitälteste universitäre Debattiergesellschaft Englands. (Die älteste Union befindet sich in einer Kleinstadt nördlich von London.) Jedes Mitglied der University of Oxford kann der Union für knapp £250 lebenslänglich beitreten. Dafür wird auch einiges geboten: Zum Beipiel eine Bar mitsamt Angestellten, eine normale Bibliothek, eine wunderschöne alte Bibliothek, Snooker-Tische, diverse Räumlichkeiten und als Herzstück die Debating Chamber.

Oxford Union (c) Michael Saliba

(c) Michael Saliba

Ein unfassbar hohes Jahresbudget (im höheren sechsstelligen Bereich), gepaart mit altehrwürdigem Glanz führt dazu, dass kaum eine Rednereinladung der Oxford Union ausgeschlagen wird. Entsprechend können sich Mitglieder während der Semesterzeit jede Woche Berühmtheiten à la carte aus Politik, Wirtschaft, Mode, Sport und allen möglichen Bereichen anhören. Darunter befanden sich in der Vergangenheit Malcolm X, General Stanley McChrystal, Stephen Hawking, David Hasselhoff, OJ Simpson, Pamela Anderson, Boris Becker, Henry Kissinger, Mutter Teresa, Johnny Depp, Winston Churchill, Albert Einstein, Shakira, Psy, Ronald Reagan, Daniel Domscheit-Berg und viele mehr. Solche Prominenz darf natürlich nicht undokumentiert bleiben, weshalb die Wände voller Bilder sind, die den Vorstand mitsamt eingeladenen Rednern zeigen.

Es gibt wöchentlich eine Chamber Debate, in der ein Thema zwischen einer formellen Regierung und Opposition, bestehend aus je vier Mitgliedern, ausargumentiert (oder polemisiert) wird. Das klingt jetzt für die meisten Leser etwas bekannter, aber das täuscht. Die Debatte wird vom aktuellen Union-Präsidenten geleitet, der oft bereits landesweit bekannt ist oder es einmal sein wird. Der Gewinner der Chamber Debate wird zu Fuß bestimmt, indem die Zuschauer die Haupttür, geteilt durch eine Stange, entweder zur Linken (Noes) oder zur Rechten (Ayes) verlassen. Nur wenige Redner sind wirklich noch Studenten. Die meisten sind von außen eingeladen, etwa Experten oder Parlamentsmitglieder, die gerne wieder ihre Alma Mater besuchen.

Oxford Union Bibliothek (c) Michael Saliba

Eine der Bibliotheken (c) Michael Saliba

Die Debatte lehnt sich grob an die Gepflogenheiten des Parlaments in Westminster an (formell, sehr höflich, teilweise etwas rüpelhaft, Unterbrechungen für Zwischenpunkte aus Publikum und Gegenseite sind erlaubt). Fast jedem deutschen Debattierer wird ein Element wiederum sehr bekannt vorkommen. Nach sechs Rednern dürfen zwei bis vier Zuschauer aus dem Publikum eine kurze Rede halten, in der sie sich auf die Seite der Regierung oder Opposition schlagen dürfen. Die beste „fraktionsfreie“ Rede, ad hoc bestimmt durch den Vorstand, erhält einen kleinen Preis. Viele dieser Redner schlagen später eine politische Karriere ein. Es kann also gut sein, dass man einem zukünftigen Premierminister bei der Rhetorikübung zugeschaut hat.

Wo nun findet man nun das „echte“ Debattieren? Wettbewerbsdebattieren wie wir es als British Parliamentary Style (BPS) kennen, findet jeden Sonntag statt. Am Anfang des Michaelmas Terms, dem achtwöchigen Starttrimester beginnend im Oktober, finden bis zu 20 Debatten parallel statt, was sich aber später spürbar reduziert. Juriert wird von den vielen erfahreneren Rednern der Union, die mehr oder weniger konsistent auf fast allen relevanten Wettbewerben in den vergangenen Jahrzehnten exzellente Ergebnisse erzielt haben. Es ist also gut möglich, vom Feedback eines Europa- oder Weltmeisters aus dem Main Break zu profitieren. Bei den Sonntagsveranstaltungen gibt es außerdem kurze Einführungsveranstaltungen und thematisches Training für unerfahrene, erfahrenere und sehr erfahrene Redner.

Den Höhepunkt des ersten Trimesters bildet der Freshers‘ Cup. Diesen gewinnt, wer sich in der Finaldebatte aus den acht besten neueingeschriebenen Studenten durchsetzen kann. Debattierer, die sich stärker auf Wettbewerbe außerhalb der Union konzentrieren wollen, können sich auf die Squad bewerben. In speziellen Auswahldebatten und unter Berücksichtigung des „Debattierlebenslaufs“ werden etwa 16 Debattierer ausgewählt, die anschließend intensiv von erfahrenen Trainern für den Rest des Jahres gefördert werden. Es sind meistens diese Redner, die in Wettbewerben die Union vertreten, die alle Reisekosten und Startgebühren trägt.

Oxford Union Baum (c) Michael Saliba

(c) Michael Saliba

Wer aber letztlich an welchem Wettbewerb teilnehmen darf, unterliegt vielen Kriterien. Dazu zählen der Erfahrungsgrad, vergangener Einsatz für die Union, auf wievielen Wettbewerben bereits geredet wurde, ob man als erfahrener Redner mit einem unerfahrenen Redner geredet hat (als Pro-Am-Team), und vieles mehr. Ein heilloses Durcheinander? Wie soll man denn bitte feststellen, wer erfahren ist oder wer was für die Union geleistet hat? Mitnichten! Alles ist genau im Regelwerk der Union festgehalten, die sich hervorragend als Nachtlektüre für VDCH-Beschlusssammlungsenthusiasten oder angehende Juristen eignet.

Der Wettbewerbsteil der Union muss sich selber finanzieren. Dies geschieht vor allem über das Oxford IV. Es ist das wohl drittgrößte Turnier weltweit nach der Europa- und der Weltmeisterschaft. Zudem wird der Oxford Schools-Wettbewerb ausgerichtet. In einer ersten Phase werden regional zwei aus etwa 14 Teams verschiedener Schulen ausgewählt. Es gibt sogar eine Auswahlrunde in den Niederlanden und Deutschland. Die qualifizierten Teams treten in der zweiten Runde in Oxford gegeneinander an. Den Siegern winken Ehre und Ruhm. Oftmals findet man sie später in der Union Squad wieder.

Bereits während der Schulzeit ist das Debattieren in England ein weit verbreitetes Hobby. Es gibt eine funktionierende Infrastruktur vorhanden, die Schülern systematisch Grundlagen vermittelt. Die Schulwettbewerbe führen zu einem hohen Einstiegsniveau der vermeintlichen Debattieranfänger, von denen manche bereits genug Debattierjahre gesammelt haben, um sich für den Methusalem Cup zu qualifizieren.

Es ist schwer, der Oxford Union in Worten gerecht zu werden, gerade aus deutschsprachiger Sicht, da hier noch nicht eine so lange Debattiertradition existiert. Manches wirkt übertrieben oder überwältigend. Eine gute Möglichkeit, die Oxford Union und auch die Stadt selbst zu sehen, ist das Oxford IV im November. Das Turnier gibt einen guten Vorgeschmack auf die Weltmeisterschaft und ist eine Erfahrung, die man einmal im Debattierleben gemacht haben sollte.

Michael Saliba/hug

Mittwochs-Feature

Das Mittwochs-Feature: Jeden Mittwoch ab 10.00 Uhr stellt das Mittwochs-Feature eine Idee, Debatte, Buch oder Person in den Mittelpunkt. Wenn du selbst eine Debatte anstoßen möchtest, melde dich mit deinem Themen-Vorschlag per Mail an team [at] achteminute [dot] de.

Dr. Michael Saliba ist Sieger der ZEIT DEBATTEN Münster, Tübingen und Frankfurt. Er war Halbfinalist und unter den Top 5 der Redner bei der Weltmeisterschaft 2011 und gewann 2013 im Debattierclub Stuttgart die europäische Debattierliga (beides in der Kategorie English as a Second Language). 2010/2011 gewann er den Oxford Freshers‘ Cup und war Mitglied der Oxford Union Debating Squad. Michael war unter anderem Chefjuror der ZEIT DEBATTEN Greifswald, Aachen, Wien und der Deutschsprachigen Debattiermeisterschaft 2014. 2009/2010 war er Präsident des Debattierclub Stuttgart. Seine Physik-Promotion schloss er im Bereich Perowskit-Solarzellen an der University of Oxford ab.

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