Redeprojekte und Stegreifreden: Anna Mattes zu Gast bei den Spreerednern

Datum: 10. Dezember 2014
Redakteur:
Kategorie: Mittwochs-Feature

Jugend Debattiert, World Schools Debating, Debattieren im Fernsehen, Intelligence Squared, Klartext Europa – und trotzdem hatte ich das Gefühl, dass immer noch allzu oft bei der Suche nach Sponsoren, Ehrengästen oder bei Infoständen zu Semesterbeginn die Frage aufkommt: „Was ist denn dieses Debattieren eigentlich?“ Stehen nur wir vor diesem Problem, oder gibt es verwandte Tätigkeiten und Gruppierungen, die mit den selben Schwierigkeiten zu kämpfen haben? Vielleicht würde sich eine Vernetzung lohnen, um Synergieeffekte zu nutzen und uns gegenseitig zu unterstützen. Mit dieser Idee im Hinterkopf wurde ich bei den sogenannten Toastmastern fündig, von denen es allein in Berlin acht Clubs gibt. An einem Donnerstagabend machte ich mich auf den Weg, um mir einen der Vereinsabende der Spreeredner anzuschauen.

Was und wer sind die Toastmaster?

Das in den USA entwickelte Konzept der Toastmaster bietet den Mitgliedern ein mehrstufiges Trainingsprogramm an, welches sie im Halten von Reden und der Kommunikation schulen soll. Basierend auf Trainingsbüchern arbeiten die Mitglieder an verschiedenen „Redeprojekten“. Sobald eine Person eine bestimmte Anzahl an Redeprojekten abgeschlossen hat, wird ihr ein Titel verliehen. Der erste Titel, der erlangt werden kann, ist der „Competent Communicator“. In den fortgeschrittenen Projekten kann sich das Mitglied auf Lernziele konzentrieren, beispielsweise auf humorvolles Reden oder Moderation, welchen wiederum eigene Trainingsbücher gewidmet sind. Durch Vorstandsarbeit und das Organisieren größerer Events können ebenfalls Abschlüsse erreicht werden, die im Trainingsbuch „Kompetente Führung“ abgebildet und belohnt werden.

In Wettbewerben können sich die Toastmaster miteinander messen, wobei Teilnehmer sich zuerst auf lokaler Ebene qualifizieren müssen, um dann national und schließlich international antreten zu dürfen.

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Die drei Glühbirnen im Bild dienen den Rednern als Angabe, wie weit die Redezeit bereits fortgeschritten ist. © Anna Mattes

Wie sieht ein Abend aus?

Ein Vereinsabend bei den Spreerednern folgt einem festgeschriebenen Ablauf, in welchem möglichst viele der Mitglieder ein bestimmtes Amt innehaben. Aus den circa 17 Teilnehmern des Abends wird neben dem Moderator auch eine„Äh-Zählerin“, ein „Zeitnehmer“, ein „Sprachstilbeobachter“ und ein „Zuhörer“ bestimmt. Im ersten Teil halten drei der Mitglieder ihre vorbereiteten Reden zu ihren Redeprojekten und selbstgewählten Themen. In meinem Fall waren das ein Erfahrungsbericht des Erasmussemesters in Russland (Redeprojekt Geschichten erzählen), ein Aufruf, wählen zu gehen (Redeprojekt Inspirierende Reden) und das Konzept der Angst (Redeprojekt Komplexe Sachverhalte verständlich darstellen). Alle Reden wurden frei – ohne Zettel und Pult – gehalten, da es sich um fortgeschrittene Toastmaster handelte.

Im zweiten Teil des Abends wurden Stegreifreden gehalten. Zum Oberthema „Karneval der Tiere“ hatte ein Mitglied mehrere Fragen vorbereitet, stellte diese und rief dann Anwesende auf, dazu eine maximal zweiminütige Stegreifrede zu halten. So musste der erste Redner sich in die Situation des Königs der Tiere hineinversetzen und eine Rede zur Eröffnung des Karnevals der Tiere halten. Einer der Stegreifredner sollte den Konflikt zwischen des Süß- und Salzwasserfischen schlichten, ein zweiter motivierte den Elefanten, der vorher Chaos im Porzellanladen angerichtet hatte, weiter an seinem Traum, Ballerina zu werden, festzuhalten. Was absurd klingt und auch an dem Abend selbst zu viel Gelächter führte, hat den Hintergrund, sich schnell und spontan in verschiedene Situationen hinein zu versetzen und den Redestil an den Zweck und die Absicht der Rede anzupassen.

Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Mithilfe eines Feedbackzettels können alle Anwesenden dem Redner persönliches Feedback mitgeben. © Anna Mattes

Mithilfe eines Feedbackzettels können alle Anwesenden dem Redner persönliches Feedback mitgeben. © Anna Mattes

Der wohl deutlichste Unterschied zwischen einem Debattier- und einem Toastmastersclub ist der fehlende inhaltliche und argumentative Anspruch des letztgenannten. Während langjähriges Debattieren unter anderem die Fähigkeit schult, sich schnell in ein bestimmtes Thema einzudenken, es argumentativ zu erfassen und dann darzustellen, lernen die Toastmaster vor allem den letzten Aspekt – diesen allerdings deutlich differenzierter und facettenreicher. Obwohl einigen Debattanten der intellektuelle Anspruch und das interaktive Element einer Debatte bei den Toastmastern vermutlich fehlen würde, können die Toastmaster dennoch hilfreich dabei sein, an bestimmten Fähigkeiten für die Darbietung einer Rede zu arbeiten – damit sind nicht nur die klassischen „linken“ Kategorien der Offenen Parlamentarischen Debatte gemeint, sondern auch das Experimentieren mit bestimmten Redestilen und das gezielte Arbeiten an Schwächen.

Einer Debatte sehr ähnlich ist das System der Zeitnahme und des Feedbacks. Auch bei den Toastmasten ist die Redezeit beschränkt. Während die Stegreifreden nicht bewertet werden, wird jeder vorbereiteten Rede ein Bewerter zugeteilt, der am Ende des Abends Stärken und Schwächen seiner Rede vorträgt. Außerdem haben nach jeder vorbereiteten Rede alle Anwesenden die Möglichkeit, ihr persönliches Feedback auf kleine Zettelchen zu schreiben, welche dann den Rednern überreicht werden – ein Vorgehen, das auch im Debattierclub ausprobiert werden könnte, um Feedback nachhaltiger zu gestalten.

Was können wir lernen?

Auffällig war für mich die positive und integrierende Atmosphäre der Toastmaster. Das lag nicht nur daran, dass es kein festgelegtes Thema gab, zu welchem alle Redner sprachen, und man sich darüber im Nachhinein entsprechend nicht streiten konnte, sondern auch an der Tatsache, dass der Abend durch viele kleine gut vorbereitete Elemente gestaltet wurde. So gab es beispielsweise einen „Witz des Abends“ und einen „Gedanken des Abends“, welche jeweils von zwei Mitgliedern vorbereitet und vorgetragen wurden. Die Sprachstilbewerterin setze außerdem ein „Word des Tages“ fest, dessen spontane Verwendung jedes Mal mit Applaus belohnt wurde. Durch diese spielerischen Elemente wurde die Atmosphäre deutlich aufgelockert. Neben einer Vorstellungsrunde am Anfang des Abends wurden außerdem alle Ämter ausführlich allen Anwesenden erklärt, wodurch den Gästen der Einstieg erleichtert wurde. Die wertschätzende Atmosphäre wurde zusätzlich durch häufigen Applaus verstärkt, eine Tatsache, die selbstironisch durch den Moderator kommentiert wurde: „Anfangs kommt einem dieses extensive Klatschen etwas gekünstelt vor, aber irgendwann kommt der Moment, wo man mit der Familie beim Abendessen sitzt, von seinem Tag erzählt und sich wundert, warum niemand applaudiert.“

Sobald Menschen sich mit einer bestimmten Gruppe identifizieren, suchen sie oftmals lieber die Unterschiede zu anderen Gruppierungen, statt Gemeinsamkeiten zu finden. Obwohl vielen das in diesem Artikel Beschriebene fremd vorkommen mag, kann ich abschließend nur dazu aufrufen, sich an den Gemeinsamkeiten zu orientieren und an das gemeinsame Ziel zu erinnern: die Förderung der Kunst des öffentlichen Redens. Ich kann nur empfehlen, sich den Toastmastersclub vor Ort einmal anzuschauen – und wer weiß: vielleicht ergeben sich ja Möglichkeiten der Kooperation, wie beispielsweise bei gemeinsamen Trainings, Erfahrungsaustauschen oder öffentlichen Debatten. Für mich war es auf jeden Fall nicht das letzte Mal bei den Toastmastern – und das nicht nur, weil ich auf Anhieb zur besten Stegreifrednerin des Abends gewählt wurde.

ama/hug

Mittwochs-Feature

Das Mittwochs-Feature: Jeden Mittwoch ab 9.00 Uhr stellt das Mittwochs-Feature eine Idee, Debatte, Buch oder Person in den Mittelpunkt. Wenn du selbst eine Debatte anstoßen möchtest, melde dich mit deinem Themen-Vorschlag per Mail an team [at] achteminute [dot] de.

Anna Mattes ist Chefredakteurin der Achten Minute. Sie war Cheforganisatorin der Deutschsprachigen Debattiermeisterschaft 2014, der ZEIT DEBATTE Tübingen 2010 und der Streitkultur-Cups 2009 und 2010. Sie ist Siegerin der ZEIT DEBATTE Mainz und des Neckarwiesen-Cups 2014. Als Chefjurorin fungierte sie beim Frauenturnier 2014, dem Gutenberg-Cup 2010 und dem Streitkultur-Cup 2011. In der Amtszeit 2012/13 war sie Vizepräsidentin des Verbandes der Debattierclubs an Hochschulen e.V. (VDCH). Derzeit ist sie als Assistentin der Bundesgeschäftsführerin von TERRE DES FEMMES tätig.

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1 Kommentare zu “Redeprojekte und Stegreifreden: Anna Mattes zu Gast bei den Spreerednern”

  1. Andreas Lazar sagt:

    Danke für diese sehr interessanten Einblicke Anna! Nur eine kleine Anmerkung: Es heißt Stegreif und nicht Stehgreif 😛

Kommentare sind geschlossen.

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