Andere Debattierclubs haben auch schöne Formate: Der American Parliamentary Style

Datum: 21. Januar 2015
Redakteur:
Kategorie: International, Mittwochs-Feature

Genug von langer Diagonale und linken Kategorien? Es gibt außer dem British Parliamentary Style (BPS) und der Offenen Parlamentarischen Debatte (OPD) noch viele andere Formate, in denen irgendwo auf der Welt debattiert wird oder wurde. Zeit, einen Blick über den Tellerrand zu werfen!

Debattieren in der American Parliamentary Debate Association

„Unser Thema ist ganz einfach“, sagt der Premierminister. „Wir glauben, dass die Welt besser wäre, hätte die landwirtschaftliche Revolution nie stattgefunden.“ Er lehnt sich auf das Rednerpult und schaut erwartungsvoll zur Opposition, die fieberhaft nach Fragen sucht. „Meint ihr die Grüne Revolution?“ – „Nein, wir glauben, die Menschen hätten niemals sesshaft werden sollen.“apda

So beginnt die erste Vorrunde des „Django Unlinked“- Pro/Am-Turniers an der American University in Washington, D.C. In den USA debattiert kaum jemand in BPS und das Format OPD ist gänzlich unbekannt. Beliebt ist das Policy-Debattieren, bei welchem akribische Vorbereitung und detaillierte Statistiken eine große Rolle spielen. Auf diesem Turnier wird allerdings parlamentarisch debattiert – im American Parliamentary Style.

Das Format weist viele Ähnlichkeiten zu BPS auf. Rhetorische Feinheiten spielen keine Rolle, es kommt nur auf die Stärke der Argumente an. Der größte Unterschied ist jedoch, dass es keine Chefjury gibt. Die Regierung einer jeden Debatte bestimmt das Thema. Die Opposition hat keinerlei Vorbereitungszeit. Wenn sie das Thema erfährt, ist es ihr lediglich gestattet, klärende Fragen zu stellen. Unmittelbar danach beginnt die Zeit der ersten Rede.

Das Format ist also für diejenigen genau richtig, die schon immer mal darüber reden wollten, was ihnen persönlich wichtig ist. Im Laufe einer Debattierkarriere entwickeln Teams ein eigenes Portfolio an gut vorbereiteten Themen. Die Opposition kann sich zumindest sicher sein, dass die Pro-Seite wirklich am Thema interessiert ist. Dafür muss man sich aber auch auf eine Vielzahl abstruser oder nicht ernsthafter Debatten gefasst machen.

Jeder kann jurieren

Wie beispielsweise die Debatte über die Agrarrevolution. Nur eine Gesellschaft, in der alle tagtäglich um das Überleben kämpften, arbeite ausreichend zusammen, um marxistische Utopien verwirklichen zu können, sagt die Regierung. Die Debatte dreht sich dann aber doch darum, ob in Jäger-und-Sammler-Kulturen die Schwächeren das Alphatier in der Gruppe umbringen würden. Steigt oder sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass die Menschheit ausstirbt? Die Opposition merkt an, dass die USA ohne die grüne Revolution nicht ihren landwirtschaftlichen Überschuss nach Afrika senden könnte.

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Josh Zoffer ist nicht nur World Champion der Weltmeisterschaften 2014 in Chennai, sondern auch Speaker of the Year 2014 der American Parliamentary Debate Association. © Henrik Maedler // Chennai WUDC 2014

Ich höre mir das alles als alleiniger Juror an. In den USA scheint man bei den Juroren nicht sehr wählerisch zu sein. Noch wenige Tage vor dem Turnier hatte der Debattierclub seine Mitglieder aufgerufen, möglichst viele Freunde und Bekannte zu überreden, einige Runden des Turniers zu jurieren – ganz egal, ob sie jemals selber debattiert haben. Das Niveau der Jurierung scheint niemanden sonderlich zu beschäftigen.

Vor meinem Einsatz wurden einer Gruppe Neulingen und mir noch die Details des Formats erklärt. Zwei Teams mit je zwei Rednern treten gegeneinander an, die Redezeiten sind nicht gleichmäßig verteilt. Die Eröffnungsrede des Premierministers ist sieben Minuten, die Erwiderung des Oppositionsführers acht Minuten lang. Jeweils acht Minuten lang reden auch die zweiten Redner der beiden Teams. Zum Abschluss kommen aber die ersten Redner ein zweites Mal zu Wort: Zuerst hält der Oppositionsführer eine vierminütige Schlussrede; der Premierminister beendet die Debatte mit einer Zusammenfassung von fünf Minuten Länge. Hinzu kommen stets 30 Sekunden tolerierte Zeitüberschreitung.

Eine Debatte zu jurieren behandelt man hier wie eine rein technische Aufgabe, vergleichbar mit der Rolle des Präsidenten in der Offenen Parlamentarischen Debatte oder dem Linienrichter im Fußball. Um von der Debatte Notizen zu machen, verwenden alle dieselbe Methode: ein Flussdiagramm mit vier Spalten pro Seite. Dabei wird streng zwischen On-Case und Off-Case getrennt. Das schlägt sich auch in den Reden nieder: Als erstes werden stets die Argumente der Regierung vorgebracht oder kritisiert, dann beschäftigt man sich mit denen der Opposition. Auch wenn es keine Regel gibt, halten sich alle daran.

Der Counter-case und Tight Motions

Ich habe das Glück, im Laufe des Turniers fast die ganze Bandbreite an prozeduralen Taktiken und Strategien zu erleben. Die Opposition kann sich das Thema zwar nicht aussuchen (auch wenn sie manchmal entscheiden darf, ob sie die Pro- oder Kontra-Seite vertreten möchte), sollte ihr das Thema jedoch nicht passen, hat sie zwei Möglichkeiten, einer normalen Debatte auszuweichen.

Die erste Strategie kommt in der dritten Vorrunde zum Einsatz. Es geht um Barbie-Puppen. Die Regierung schlägt vor, dass Barbie-Produzent Mattel neben der traditionellen Puppe eine Alternative produzieren sollte, die natürlichere Körperproportionen zeigt. Nachdem die Premierministerin ihre vorbereiteten Argumente vorgetragen hat, eilt der Oppositionsführer breit grinsend zum Pult. „Wir machen einen Counter-case“, sagt er stolz. „Wir sagen, dass Mattel ausschließlich die alternative Barbie produzieren sollte!“ Die Strategie geht nicht auf, auch wenn sich die Opposition redliche Mühe gibt.

In der vierten Vorrunde möchte die Regierung Schulen in allen Staaten der USA zu umfassender sexueller Aufklärung verpflichten. Nachdem sie sieben Minuten lang die Vorteile einer aufgeklärten Jugend dargelegt hat, erklärt ein mürrischer Oppositionsführer, dass er das Thema tight, also nicht ausgewogen findet. Von nun an ist es Gegenstand der Debatte, ob das Thema debattierbar ist. Das ist schwieriger, als es zunächst klingt. Die Opposition lobt das Vorhaben der Regierung fortan über den Klee, scheitert allerdings daran, zu zeigen, dass sie sich keine gute Gegenargumentation hätte überlegen können.

Im American Parliamentary Style gibt es Points of Information wie in BPS; die erste und letzte Minute sind geschützt. Während der Schlussreden sind keine Zwischenfragen gestattet, das gegnerische Team darf sich aber beschweren, wenn es glaubt, dass der Redner ein neues Argument vorbringt. Dazu wird sogar die Zeit angehalten. Der Juror kann der Beschwerde direkt stattgeben, sie zurückweisen oder einfach „Point under consideration“ sagen.

Nach der Debatte wird jeder Redner mit Punkten bewertet, wobei wie in jedem guten Debattierformat das verfügbare Spektrum nie ausgenutzt wird. Im American Parliamentary Style ist die Mittelmaß-Nuancierung so weit vorangeschritten, dass Punkte in Viertelschritten vergeben werden. 25 Punkte ist der „gute Durchschnitt“, 25,75 Punkte sind schon richtig gut. Wenn die Juroren 27 oder mehr bzw. 23 oder weniger Punkte vergeben, müssen sie ihre Entscheidung vor dem Tab-Team rechtfertigen. Dazu lasse ich es nicht kommen.

Nach fünf Vorrunden, Halbfinale und Finale reisen die College-Studenten bereits am Samstag wieder ab, eine offizielle Party gibt es nicht. Hinsichtlich der Regeln unterscheidet sich das amerikanische parlamentarische Debattieren gar nicht stark von BPS. Das Turnier hat mir jedoch verdeutlicht, wie groß der Einfluss der Debattierkultur innerhalb einer Szene ist. In Deutschland mag es eine Plattitüde sein, eine tiefere Analyse zu fordern. In den USA zählt dagegen häufig eher die Anzahl der Argumente als ihre Veranschaulichung.

hug/ama

Mittwochs-FeatureDas Mittwochs-Feature: Jeden Mittwoch ab 10.00 Uhr stellt das Mittwochs-Feature eine Idee, Debatte, Buch oder Person in den Mittelpunkt. Wenn du selbst eine Debatte anstoßen möchtest, melde dich mit deinem Themen-Vorschlag per Mail an team [at] achteminute [dot] de.

Jonas Huggins studiert seit dem Wintersemester 2012/13 Politikwissenschaft an der Freien Universität in Berlin. Derzeit absolviert er ein Auslandsjahr an der American University in Washington, D.C. Seit Beginn des Studiums debattiert er bei der Berlin Debating Union e.V. (BDU). In Berlin gestaltet er die OSI-Zeitung mit, ein studentisches Magazin am politikwissenschaftlichen Institut. Dort ist er in der Redaktion sowie an Layout und Redigat beteiligt. Seit Anfang 2014 ist er Chefredakteur der Achten Minute.

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