Damit Juroren wiederkommen: Barbara Schunicht und Sarah Kempf über die soziale Verantwortung von Chefjuroren für den Jurorenpool

Datum: 30. September 2015
Redakteur:
Kategorie: Jurier-Think Tank, Jurieren, Mittwochs-Feature

Am Ende sitzt immer jemand in der Ecke und schmollt. Bei jedem größeren Turnier sieht man nach dem Break enttäuschte Gesichter, und das nicht nur bei den Rednern, sondern auch bei den Juroren. Unsterblich ist der Mythos, die Turniere des Verbands der Debattierclubs an Hochschulen e.V. (VDCH) würden an einem grundsätzlichen Mangel an qualifizierten Juroren leiden. Dabei gibt es zahlreiche kompetente und erfahrene Juroren, das Problem ist bloß, dass sich das nicht in Turnierteilnahmen niederschlägt. Der Grund für die kollektive Unlust liegt darin, dass das Jurieren bei Turnieren oft frustrierend ist. In diesem Zusammenhang wird gerne von „fehlender Anerkennung“ gesprochen, wobei bislang niemand genau weiß, wie diese Anerkennung aussehen müsste. Sollte man Juroren den roten Teppich ausrollen und sie unter Lobgesängen und Laola-Wellen in den Versammlungsraum einlaufen lassen? Wohl kaum. Vielmehr sollte man versuchen, Turniere für Juroren angenehmer zu gestalten und die Teilnahme reizvoller zu machen. Dies klingt offensichtlich, wird aber trotzdem nicht umgesetzt. Einige der von uns hier diskutierten Probleme und teilweise auch der Lösungsansätze sind schon an anderer Stelle besprochen worden, das wirkliche Problem scheint also zu sein, das Wissen dazu effizient in die Breite zu tragen und auf Turnieren umzusetzen. „Jurorenmanagement“ und „Nachwuchsförderung“ sind Schlagworte, die zwar mit der Tätigkeit von Chefjuroren assoziiert, in der Praxis aber zu selten gelebt werden.

Dieser Beitrag greift zentrale Aspekte der bekannten Probleme und Lösungsansätze auf und fügt sie zu einem Gesamtbild sozialer Verantwortung von Chefjuroren für ihren Jurorenpool zusammen. Im Vordergrund steht dabei, dass Chefjuroren sich als Interessenvertreter ihres Jurorenpools verstehen müssen. Dargestellt wird zudem die Notwendigkeit von einheitlichen Richtlinien für Jurorenbreak und –setzung sowie konkrete Möglichkeiten der Förderung von Nachwuchsjuroren auf Turnieren. Der Beitrag soll zudem als Diskussionsanstoß für das Chefjuroren-Forum des Saison-Kick-Offs, den zweiten Jurier-Think-Tank, der sich explizit mit dem Chefjurieren beschäftigt, und ein geplantes Chefjurier-Seminar dienen.

1. Verantwortung für die Juroren: Nur wer ein schönes Turnier erlebt, juriert auch wieder!

Juroren sind auf Turnieren großem Stress ausgesetzt. Anders als die Redner erleben sie zwar nicht den Stress der Vorbereitungszeit und des Wartens auf das Feedback. Dafür müssen sie aber die gesamte Runde aufmerksam zuhören, sie hinterher besprechen und gerade als Hauptjuroren für umfangreiches Feedback zur Verfügung stehen. Dies ist für sich genommen natürlich kein Problem – dafür fahren sie schließlich auf das Turnier!

  • Vermeidbare Stressquellen auf Turnieren

Leider gibt es aber weit darüber hinausgehende Stressquellen, die vermeidbar wären. So lassen sehr eng bemessene Zeitpläne den Juroren häufig kaum eine Pause zwischen Feedback und dem Beginn der nächsten Runde. Mittags müssen sie sich allzu oft nur mit Resten begnügen, weil andere Räume schneller fertig waren oder Redner sich bereits während des Wartens auf das Feedback mit Essen eingedeckt haben. Der aktuelle Trend, mehr Runden auf einem Turnier zu veranstalten (vgl. etwa die ZEIT DEBATTEN in Tübingen und Göttingen in diesem Jahr), mag für Redner vorteilhaft sein, verstärkt aber diese Probleme für Juroren. Manche, gerade auch erfahrene Juroren, entscheiden sich dementsprechend ganz gegen eine Teilnahme, wodurch die Belastung derjenigen Erfahrenen, die regelmäßig als Hauptjuroren gesetzt werden, weiter steigt.

Jurorenpanel des DaF-Finales der DDM 2015 (c) M. Carcasona

Jurorenpanel des DaF-Finales der DDM 2015. (c) M. Carcasona

Juroren müssen immer wieder einmal den Frust von Rednern aushalten, die sich fehljuriert fühlen. Während eine abstrakte Wertschätzung für die Tätigkeit des Jurors vorhanden sein mag, gerät diese mitunter in Vergessenheit, wenn plötzlich ein Break in Gefahr erscheint oder man sich in seiner Leistung verkannt fühlt. Symptomatisch hierfür ist die Auswertung des Jurorenfeedbacks von der DDM 2015, wonach sich die überwiegende Zahl der Redner in vielen Fällen „zu niedrig bepunktet“ fand. Sachliche Kritik an einer Jurierung muss sicherlich möglich sein; indes erfüllt längst nicht jede Diskussion nach einer Runde oder abends auf der Party das Kriterium der Sachlichkeit. Gerade Juroren, die Feedback geben, müssen daher schon ein etwas dickeres Fell zum Turnier mitbringen.

Vor allem für junge, noch nicht so gut vernetzte Juroren stellt zudem die fehlende, generelle Gemeinschaft unter Juroren ein Problem dar. Anders als Redner sind sie nicht direkt mit einem Team vor Ort, mit dem sie über gemeinsam erlebte Situationen in Runden reden können. Die mitgereisten Clubmitglieder haben eigene Sorgen, die Erfahrungen des Jurors nehmen in Gesprächen meist weniger Raum ein als die Erfahrungen der Teams und die Feindseligkeiten einzelner Teams tragen nicht zur Stimmung bei. Junge Juroren stehen daher häufig etwas verloren herum, da klare Ansprechpartner fehlen.

Zu einem Problem werden solche Erfahrungen dann, wenn sie dazu führen, dass Juroren sich zweimal überlegen, ob sie wieder auf ein Turnier fahren.

  • Handlungsmöglichkeiten für Chefjuroren

Chefjuroren können hier in mehrfacher Hinsicht aktiv werden und dazu beitragen, auch langfristig eine gute Jurorensituation auf Turnieren sicherzustellen. Zunächst können (und sollten) sie sich natürlich im Vorhinein des Turniers bemühen, so viele erfahrene (Haupt-)Juroren wie möglich zu einer Teilnahme zu motivieren, um eine hohe Jurierqualität sicherzustellen und diese Verantwortung nicht auf nur wenige Schultern zu verteilen.

Darüber hinaus sollten sie aber darauf achten, dass sie ihre Juroren so weit wie möglich von unnötigem Stress entlasten. Hierfür können sie beispielsweise die Turnier-Orga für Probleme sensibilisieren, etwa um hinreichende Pausenzeiten zwischen den Runden bitten und daran erinnern, Essen für die Juroren zurückzuhalten. Darüber hinaus sollten sie beim Setzen der Panels aber auch darauf achten, dass nicht dieselben Juroren immer wieder die gleiche Position einnehmen, also immer Haupt- oder Nebenjuror oder Präsident sind. Vielmehr sollte bewusst auch jüngeren, noch nicht so bekannten, aber talentierten Juroren eine Chance gegeben werden, Erfahrungen im Feedbackgeben zu sammeln. Dies dient sowohl der Entlastung der erfahrenen Juroren auf dem Turnier als auch der Nachwuchsförderung; hierzu gleich noch einige Worte in den folgenden beiden Punkten.

Jurorenpanel eines Halbfinales der DDM 2015 (c) K. Koerth

Jurorenpanel eines Halbfinales der DDM 2015. (c) K. Koerth

Chefjuroren sind darüber hinaus in der Position, ihre Juroren vor den schlimmsten Auswüchsen von Rednerfrust in Schutz zu nehmen, indem sie beispielsweise mit Punktabzügen im Falle von krassen, persönlichen Angriffen als Reaktion auf eine subjektiv wahrgenommene Fehljurierung drohen. Solche Möglichkeiten bestehen aktuell bereits bei drastischen Ausfälle von Rednern gegenüber anderen Rednern in der Debatte selbst (vgl. z.B. Punkt 1.3.8 unter D im kommentierten Regelwerk der Offenen Parlamentarischen Debatte). Es ist nur konsequent, entsprechende Regelungen für Juroren, die ebenfalls Teilnehmer der Debatte sind, zu finden und anzuwenden – optimalerweise natürlich mit einem klar bestimmten Kriterienkatalog und selbstverständlich nur nach Anhörung aller Beteiligten und jedenfalls einem Mehrheitsvotum innerhalb der Chefjury.

Ein gelungenes Beispiel dafür, wie ergänzend dazu negative Erlebnisse insbesondere junger Juroren durch konkrete räumliche Maßnahmen  abgemindert werden können, war die Deutschsprachige Meisterschaft 2014 (DDM) in Berlin. Eigentlich schlicht aus Platzgründen hatten die Juroren dort einen eigenen Versammlungsraum, in dem Setzungen und Themen bekannt gegeben wurden. Anders als bei den meisten Turnieren üblich, bei denen Juroren „Einzelkämpfer“ sind, plauderten sie vor den Runden in „ihrem“ Raum entspannt miteinander bei Kaffee und Keksen über die Themen und ihre Erfahrungen. Ob die Aufteilung von Rednern und Juroren in zwei verschiedene Räume bei Turnieren mit kleinerem Teilnehmerfeld sinnvoll und praktikabel ist, ist allerdings fraglich. In der Zukunft sollten daher weitere Möglichkeiten diskutiert werden, wie ein Gemeinschaftsgefühl innerhalb des Jurorenpools gefördert werden kann und Austauschmöglichkeiten geschaffen werden können (mehr dazu s. Punkt 3).

2. Einheitliche Richtlinien für Jurorenbreak und –setzung

Während der Frust junger Juroren meist aus Angriffen enttäuschter Redner nach dem Feedback und dem oben beschriebenen Gefühl der „Verlorenheit“ resultiert, setzt der Frust etablierter Juroren in der Regel nach dem Break in die vor allem höheren Ausscheidungsrunden bzw. nach deren Setzung ein. Erfolg bemisst sich für sie an der Entscheidungsverantwortung, die ihnen von den Chefjuroren übertragen wird, und der damit einhergehenden erhöhten Sichtbarkeit während des Turniers. Kompetente und erfahrene Juroren fahren also in der Hoffnung zu Turnieren, entweder das Finale mitjurieren oder eine hohe Ausscheidungsrunde hauptjurieren zu dürfen, deren Entscheidung sie später öffentlich bekanntgeben. Frust entsteht dann, wenn die Juroren bei Break und Setzung das Gefühl haben, der Willkür der Chefjuroren ausgesetzt und einer nicht durchdachten Entscheidung zum Opfer gefallen zu sein. Das geschieht in der Praxis bedauerlicherweise häufig, da es keine turnierübergreifende Richtlinie für Streitfälle bei Jurorenbreak und –setzung gibt. Im Folgenden sind daher exemplarisch die häufigsten Streitfälle genannt, ein Anspruch auf Vollständigkeit wird nicht erhoben.

  • Persönliche Verbindungen vs. Neutralität

Bei einigen Turnieren sperren Chefjuroren Juroren für hohe Ausscheidungsrunden mit der Begründung, dass daran Redner teilnähmen, die im selben Club Mitglied sind wie sie. Gleichzeitig gab es in der Vergangenheit immer wieder Turniere, in denen Juroren im Finale über Sieg und Niederlage langjähriger Teampartner entscheiden durften. Ähnlich inkonsistent ist die Entscheidung der Chefjurorenpanels über Fälle, in denen Juroren mit Rednern aktuell oder in der Vergangenheit ein sexuelles Verhältnis unterhalten oder  unterhielten. Während das in der Mehrheit der Fälle zur Sperrung des Jurors führt, gab es in Einzelfällen Juroren, die im Finale einer ZEIT DEBATTE ihre aktuelle oder ehemalige Affäre jurieren durften, und das sogar, obwohl genügend andere erfahrene und qualifizierte Juroren am Turnier teilnahmen.

Gelegentlich werden solche Ausnahmen damit begründet, dass es sich bei dem betroffenen Juror um einen Chefjuror gehandelt habe. In einigen Köpfen hält sich seit Jahren die offen kommunizierte Vorstellung: Ein Chefjuror kann jeden jurieren. Schließlich, so heißt es, sei er offensichtlich unter Erfüllung dieser Voraussetzung in die leitende Position berufen worden. Einmal abgesehen davon, dass in der Praxis keineswegs immer Chefjuroren wegen ihrer Neutralität, sondern im Gegenteil wegen ihrer freundschaftlichen Verbindungen berufen werden, zeugt dieser offen ausgesprochene Gedanke nicht von Fingerspitzengefühl gegenüber den angereisten Juroren. Darin schwingt eine Einstellung mit, die von feudalistischen Herrschern überliefert ist: Hätte Gott gewollt, dass du König bist, hätte er dich nicht zum Bauern gemacht.

  • Recht der Älteren vs. Aktivität

Mitunter ist schlichtweg fehlende Souveränität der Chefjuroren die Ursache für Entscheidungen, die bei Juroren zu Frust führen. Dabei wird folgender im Jahr 2013 vom damaligen DDM-Chefjuror Lukas Haffert geäußerte Satz aus dem Zusammenhang gerissen: „Ich persönlich halte es bei einer Finaljury der Deutschen Meisterschaft für das Wichtigste, dass ihre Kompetenz innerhalb der Debattierszene weithin anerkannt ist. Die Finalteams müssen sicher sein können, dass die Juroren ihr Handwerk verstanden haben, um das Ergebnis akzeptieren zu können.“ Ursprünglich erklärte der Satz, weshalb keine Nachwuchsjuroren im DDM-Finalpanel saßen. Mittlerweile dient der Satz bei Turnieren als Begründung, wenn beim Break in Ausscheidungsrunden und bei der Jurorensetzung eine Art „Recht der Älteren“ angewandt wird. Regelmäßig werden aktive Juroren, die über mindestens eine Saison hinweg immer wieder zu Turnieren fahren, bei renommierten Turnieren hinter dienstältere und weniger aktive Juroren zurückgesetzt, da die Chefjuroren das „Standing“  der alten Hasen als höher einschätzen und sich selbst weniger angreifbar zu machen hoffen.

Viertelfinaljury der DDM 2015 (c) Henrik Maedler

Viertelfinaljury der DDM 2015 (c) Henrik Maedler

Nicht immer entspricht diese Einschätzung der Realität. Es ist verständlich, dass kein Chefjuror Lust hat, sich von Rednern nach einer Niederlage vorwerfen zu lassen, das Panel sei nicht erfahren oder kompetent genug gewesen. Das bemessen Redner jedoch nicht ausschließlich an Dienstjahren der Juroren, sondern daran, ob sie regelmäßig bei Turnieren präsent sind und gut begründetes Feedback geben. Chefjuroren, die selbst noch in der Szene aktiv sind und sich dort mit den Teilnehmern austauschen, können sich schnell einen realistischen Eindruck davon verschaffen, welche Juroren engagiert, kompetent und akzeptiert sind. Ignorieren oder verkennen Chefjuroren jedoch regelmäßiges Engagement und „Standing“ bei Jurorenbreak und –setzung, muss man sich nicht wundern, dass kaum jemand Lust hat, sich regelmäßig als Juror zu engagieren. Es sollte daher beim Jurorenbreak und der –setzung berücksichtigt werden.

Ein weiterer Aspekt des Problems ist die „Verteilung“ der Juroren in Ausscheidungsrunden, wenn ausreichend qualifizierte Juroren vorhanden sind: Während die Chefjuroren bei einigen Turnieren darauf achten, dass etwa Hauptjuroren der Viertel- und Halbfinals nicht auch das Finale jurieren, setzen andere Chefjuroren auf eine Handvoll Personen, die die gesamte Entscheidungsverantwortung für die K.O.-Runden tragen. Ebenso uneinheitlich ist die Auswahl von Finalpanels: Während manche Chefjuroren entscheiden, etwa in das Finale einer ZEIT DEBATTE einen Nachwuchsjuror breaken zu lassen, besetzen andere das Finalpanel betont konservativ.

  • Wünsch-dir-was vs. Es-wird-gegessen-was-auf-den-Tisch-kommt

Bei nahezu jedem Turnier versuchen Teams, aus dem sportlichen Wettkampf ein Wunschkonzert zu machen und sich für Juroren sperren zu lassen, die sie für „Niedrigpunkter“ oder für inkompetent halten oder denen sie gar unterstellen, sie aus persönlicher Abneigung aus dem Turnier „herausjurieren“ zu wollen. Nicht alle Chefjuroren trauen sich, solche Wünsche zu ignorieren, obwohl dies schon aus Fairness gegenüber genügsameren Teams geboten wäre. Abgesehen davon hat der Chefjuror nicht die Aufgabe, Rednerwünsche zu erfüllen, sondern seinen Jurorenpool zu leiten, und sollte die Fähigkeiten der angereisten Juroren stärker berücksichtigen als Nörgeleien der Teams. Wer glaubt, die Kompetenz der Juroren nicht treffend einschätzen zu können, oder sich nicht traut, seine Einschätzung zu vertreten, wird seiner Aufgabe als Chefjuror nicht gerecht.

Einheitliche Richtlinien, die die hier aufgezählten Streitfälle klären, machen Jurorenbreak und -setzung „berechenbarer“ als im Status Quo und minimieren Frustration, die aus dem Gefühl heraus entsteht, Willkür ausgesetzt zu sein. Idealerweise sollten sich daher zumindest Chefjuroren einer Saison auf eine turnierübergreifende Handlungsempfehlung verständigen, wobei die je nach Turnier sehr unterschiedliche Zusammensetzung des Jurorenpanels solche Richtlinien erschwert. Abhilfe schafft es schon, wenn Chefjuroren zu Turnierbeginn klar kommunizieren, welche Richtlinien sie bei Break und Setzung anwenden, um Transparenz für die Juroren zu gewährleisten und Enttäuschung zu verhindern.

3. Potential von Nachwuchsjuroren fördern und ausschöpfen

Versammlungsraum der DDM 2015 in Münster (c) M. Carcasona

Versammlungsraum der DDM 2015 in Münster. (c) M. Carcasona

Turniere bieten bislang noch unausgeschöpftes Potential zur Förderung von Nachwuchsjuroren. Es gibt die von VDCH und der Deutschen Debattiergesellschaft (DDG) geförderten Jurierseminare, die Wissen in die Breite tragen und wichtige Grundlagen legen. Nachhaltige Jurierpraxis indes lässt sich letztlich nur durch häufiges Jurieren von Debatten und Feedback hierzu erlangen, was die Seminare nicht leisten können. „Jurorenausbildung“ heißt daher aktuell oft genug, bei Turnieren erfahrenen Juroren aufzufallen und durch Gespräche mit ihnen an Erfahrung zu gewinnen. Da Wissen unter Chefjuroren über talentierte Nachwuchsjuroren leider nur sehr eingeschränkt weitergegeben wird, finden sich viele talentierte, ambitionierte Nachwuchsjuroren, die zuvor noch nicht als Redner sichtbar oder anderweitig gut vernetzt waren, in einer Sackgasse wieder und ihr „großer Durchbruch“ versandet in einer Abfolge von Präsidentenposten und Nebenjurierungen in schlechten Räumen. Hiermit geht der Jurorenszene ein ungeahntes Potential verloren.

In Ermangelung eines unmittelbaren Feedbacksystems ist es zudem gerade für Nachwuchsjuroren schwer, auf Turnieren Fortschritte und Erfolgserlebnisse zu verzeichnen. Die Feedbackbögen auf Turnieren sind zwar ein guter Ansatz; sie werden aber oft mangels Zeit nur sehr flüchtig ausgefüllt und auch erst lange nach der Runde anonymisiert  an die Juroren zurückgegeben. Zusammen mit dem geringen Respekt, der Nachwuchsjuroren des Öfteren gerade von erfahrenen, älteren Rednern entgegengebracht wird, wenn diese ihnen ihre Unerfahrenheit als „Inkompetenz“ vorhalten (Stichwort: „Ich wurde von XY und halt 2 Nulpen juriert“), wirkt dies wenig motivierend.

Chefjuroren können hier auf mehreren Wegen Abhilfe schaffen und für eine bessere Nachwuchsförderung sorgen. Zunächst sollten sie sich um eine effektive Weitergabe des Wissens von talentierten Nachwuchsjuroren bemühen, damit diese nicht immer wieder bei Null anfangen müssen. Hierfür existiert seit 2013 eine Positiv-Liste. Diese wird aber bisher nur sehr sporadisch geführt. Weiterhin gewinnt gerade bei jüngeren Juroren die Möglichkeit eines Punktabzugs im Falle von Beleidigungen aufgrund der Jurierung ein besonderes Gewicht, sendet diese doch ein Signal der Wertschätzung an die Juroren und gibt gleichzeitig ein gewisses Sicherheitsgefühl teilweise deutlich älteren, frustrierten Rednern gegenüber. Eine transparentere Kommunikation eröffnen ebenso wie Richtlinien für die Breakerstellung eine klare Perspektive, diesen selbst einmal zu erreichen. Die Intransparenz vieler Breakerstellungen verfestigt eine Außenwirkung, wonach sowieso „immer die Gleichen“ breaken, „weil sie lange dabei sind“. Dies wirkt demotivierend auf ambitionierte Nachwuchsjuroren und drückt auch generell wenig Wertschätzung gegenüber der erbrachten Leistung der gebreakten Juroren aus.

Vor allem sollten Chefjuroren aber erfahrene Juroren auf dem Turnier dafür sensibilisieren, bewusst Erfahrung an jüngere Juroren weiterzugeben und sich für Feedback zum Feedback zur Verfügung zu stellen. Auch dies ist praktisch schwierig umsetzbar in den aktuellen Zeitplanstrukturen, wo kaum Zeit bleibt, auch nur den Feedbackbogen auszufüllen. Klassische „Mentorenprogramme“ wurden bereits mehrfach ausprobiert und sind gescheitert. Erfolgsversprechender könnte daher sein, wenn sich die Mitglieder eines Panels als eine Art „Team“ ansehen und gemeinsam über die jurierte Runde reden. Optimalerweise sollte man hierfür nach so vielen Runden wie möglich nach dem Rednerfeedback jeweils etwa 15 Minuten einplanen, in denen die Juroren nur unter sich sind und sich gegenseitig feedbacken. Hierdurch können Besonderheiten einer Jurierung direkt „am Fall“ besprochen und ein Austausch zwischen unterschiedlichen Juriergenerationen gefördert werden. Anders als bei einem Mentorenprogramm gibt es einen konkreten Anlass für das Gespräch und für Fragen, während zugleich eine stärkere Gleichberechtigung vorhanden ist statt dem Mentor-Mentee Verhältnis. Zugleich könnte diese Maßnahme auch eine Förderung der zuvor schon angesprochenen allgemeinen Jurorengemeinschaft auf dem Turnier darstellen.

Fazit

Chefjuroren kommt auf Turnieren eine besondere Verantwortung im Umgang mit ihren Juroren zu. Dies betrifft teilweise je nach Erfahrungsgrad der Juroren unterschiedliche Aspekte. Für fortgeschrittene Juroren muss frühzeitig absehbar und nachvollziehbar sein, nach welchen Kriterien der Break erstellt wird, um Frust durch willkürliche Handhabungen zu vermeiden. Für Nachwuchsjuroren muss eine klare Perspektive existieren, die ihnen Erfolgserlebnisse durch direktes Feedback und damit auch Chancen zur Verbesserung der eigenen Jurierleistung bieten. Das Wissen über sie muss transparent weitergegeben und talentierten Nachwuchsjuroren sollte eine Gelegenheit gegeben werden, relevante Entscheidungsverantwortung auf Turnieren zu übernehmen.

Vor allem sollten für Juroren aller Erfahrungsgrade Rahmenbedingungen geschaffen werden, die vermeidbare Stressquellen reduzieren, besser noch ganz ausschalten und das Turnier zu einem möglichst positiven Erlebnis machen. Chefjuroren müssen sich hierfür eng mit den Cheforganisatoren absprechen und sich im Vorfeld als „Lobby“ für die Juroren auf dem Turnier verstehen. Sie sollten die Redner dafür sensibilisieren, ihren Frust nicht über Gebühr an den Juroren auszulassen, und Missachtungen im Zweifel sanktionieren. Zudem sollten sie bei der Setzung auf eine regelmäßige „Postenrotation“ achten: Weder sollten Nachwuchsjuroren nur als Präsidenten gesetzt werden, noch sollte man erfahrene Juroren in jeder einzelnen Runde als Hauptjuror mit Feedbackverpflichtung setzen. Nach Möglichkeit sollte das Entstehen einer Jurorengemeinschaft und einer größeren Solidarität unter Juroren, die schließlich ohne direkte Teampartner anreisen, gefördert werden.

Während die hier diskutierten Maßnahmen zum Teil seit Jahren durch den „theoretischen CJ-Diskurs“ geistern, insbesondere die Weitergabe von Wissen und die Verbesserung des Jurorenfeedbacks, finden sie auf Turnieren dennoch kaum praktische Anwendung. Dies muss sich ändern, um auch zukünftig eine hohe Jurierqualität sicherzustellen und unser vorhandenes Potential an erfahrenen, guten Juroren tatsächlich auf Turnieren auszuschöpfen. Chefjuroren sind insoweit sehr relevante Multiplikatoren, um Standards im Umgang mit Juroren und ihrer Ausbildung zu etablieren. Sie sollten sich dieser Verantwortung bewusst sein und ihr nachkommen. Denn es gilt: Nur wer Spaß am Jurieren hat, juriert auch wieder!

Barbara Schunicht/Sarah Kempf/ama

Einige Vorschläge des vorliegenden Beitrag wurden beim Jurier-Think-Tank im Juli 2015 in Form zweier Einzelbeiträge präsentiert. Eine ausführliche schriftliche Version von Barbaras Vortrag steht online. Die Videos von Barbaras und Sarahs Vorträgen wurden auf dem Youtube-Kanal des Jurier-Think-Tanks veröffentlicht.

Mittwochs-Feature

Das Mittwochs-Feature: Jeden Mittwoch ab 10.00 Uhr stellt das Mittwochs-Feature eine Idee, Debatte, Buch oder Person in den Mittelpunkt. Wenn du selbst eine Debatte anstoßen möchtest, melde dich mit deinem Themen-Vorschlag per Mail an team [at] achteminute [dot] de.

Barbara Schunicht ist Vorstandsbeirätin des Verbandes der Debattierclubs an Hochschulen e.V. für Jurierqualität. Sie war u.a. Chefjurorin der ZEIT DEBATTE Hannover 2015, der Nordostdeutschen Meisterschaft 2015 und des Boddencups 2014. Sie war Deutsche Vizemeisterin im Debattieren 2012 und Finalistin weiterer Turniere, u.a. der ZEIT DEBATTE Heidelberg 2014. 2014 gewann sie das Ironmanturnier.

Sarah Kempf ist Vorstandsbeirätin des Verbandes der Debattierclubs an Hochschulen e.V. für Jurierseminare. Sie war u.a. Chefjurorin des Methusalem-Cups 2014, des Gutenberg-Cups 2011 und des Streitkultur-Cups 2009. 2009 war sie Cheforganisatorin der Deutschen Debattiermeisterschaft. Sie war Siegerin der ZEIT DEBATTE Mainz 2014 und zahlreicher FDL-Turniere.

 

 

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7 Kommentare zu “Damit Juroren wiederkommen: Barbara Schunicht und Sarah Kempf über die soziale Verantwortung von Chefjuroren für den Jurorenpool”

  1. Vielleicht ein kleiner Kommentar zu den Befürchtungen, dass Juroren aufgrund des anspruchsvollen Zeitplans in Göttingen es schwer haben könnten, an ausreichend Essen zu kommen: Unser Team kann garantieren, dass sich Juroren bei uns nicht mit Resten begnügen müssen, sondern wir werden von uns aus Essen für Juroren aus langsamen Räumen zurückhalten. Bei uns geht also niemand hungrig zu Bett. Ansonsten haben wir auch schon einige namhafte Juroren zu bieten, ich kann diese Befürchtung also nicht wirklich bestätigen.

    Solltet Ihr in diesem oder einem anderen Zusammenhang weitere Fragen zur „ZEIT DEBATTE Göttingen. Meinung wagen.“ haben, steht Euch unser Team unter zd(äth)dcga.de zur Verfügung.

  2. Christian L. (MD) sagt:

    Ein sehr gelungener und konstruktiver Beitrag. Ich bin begeistert und hoffe, dass so viele dieser Vorschläge wie möglich in die Praxis umgesetzt werden.
    Noch ein kleiner Hinweis bezüglich der Stressquelle Zeitplan:
    Mehrmals habe ich schon erlebt wie der Zeitplan eines Turnier am Samstagmorgen zerschossen wurde, weil ein oder mehrere Teams noch nicht angereist waren, wodurch die zeitlichen Spielräume für Juroren ziemlich eingeengt wurden. Deshalb ein Vorschlag: Wenn bei mehrtägigen Turnieren, wo die Möglichkeit besteht, dass am Vortag bereits genügend Schlafplätze vorhanden waren, Teams zu spät kommen, dann sollten die Chefjuroren nach einer Erkundigung und einer kurzen Wartezeit das Turnier zu Lasten zu spät erscheinender Teams starten.

  3. Lennart Lokstein sagt:

    Das große Problem für die allermeisten Maßnahmen ist leider der Zeitfaktor – da ist man bei einem Turnier schlicht limitiert. Diesem Problem muss durch ein neues Ausrichterbewusstsein begegnet werden, das notfalls auch durch die Chefjuroren mitvermittelt werden sollte. Ein Umstand übrigens, dem auf der ZEIT DEBATTE Tübingen 2015 Rechnung getragen wurde – ich glaube nicht, dass „große Rundenzahlen“ so wie oben simplifiziert genannt ein Problem sind (im Gegenteil: an sich möchte man ja auch viele Debatten jurieren und so kann auch jeder mal verschiedene Jurorenrollen erfüllen), sondern ein zu hohes Runden-pro-Zeiteinheit-Verhältnis. Angenommen, man hat pro Runde mehr Zeit auch zum Jurieren oder zum Jurierungs-Feedback oder zur Jurierungs-Reflexion, dann müsste man solange natürlich auch die Redner beschäftigen. Das könnte in der Form von Raum zu mehr sozialer Interaktion geschehen, will sagen: Bequemen Aufenthaltsräumen mit Platz für Gespräche, Kaffee und Kuchen.

  4. Christian (MZ) sagt:

    @Sebastian: Umso besser, wenn bei euch dieses Problem nicht auftritt und ihr alles schon langfristig geplant hattet. Ich denke, dass es aber grundsätzlich, wenn auch vielleicht nicht konkret in Göttingen oder Tübingen, zu der angesprochenen Problematik der hungrigen Juroren kommen kann. Ich habe das auch schon auf einem Turnier erleben müssen. Umso besser, dass der Artikel auf das Problem als solches hinweist und je mehr Clubs es durch gute Organisation beheben, desto besser.
    Auch die übrigen Hinweise klingen wirklich gut! Vielleicht sollte man darüber nachdenken, entweder einen der Chefjuroren (falls organisatorisch möglich, aber wohl schwierig) oder eine gesonderte Person zum Jurorenbetreuer zu ernennen. Dieser Jurorenbetreuer könnte (falls selbst kein Chefjuror) dann auch je nach Situation den Kontakt zu den Chefjuroren herstellen. Die Juroren hätten dann immer einen konkreten Ansprechpartner für ihre Anliegen und schaden kann das ja eigentlich nicht. Ob es viel nutzt muss man sehen, aber einen Versuch wäre es wert. Und allein durch die Benennung eines Ansprechpartners für die Juroren auf einem Turnier würde man ja schon ein Signal setzen, dass man sich um die Anliegen der Juroren (besser) kümmern möchte.

  5. Allison J. (MZ) sagt:

    Ich stimme dem Artikel voll zu und möchte gerne noch einmal unterstreichen: Ausrichter, unterschätzt nicht das Zeitproblem! Wirklich: die Pausen für Juroren können gar nicht lang genug angelegt sein, denn idR müssen sie durch Verzögerungen ohnehin wieder verkürzt werden.

    Das gilt nicht nur für Essenspausen, sondern auch für die Zeit zwischen letzter Runde und Social am Abend. Das war z.B. in Tübingen letzte Saison für Juroren eher unschön und SEHR stressig. Dieser Stress und die damit unterschwellig vermittelte Abschätzigkeit meiner Position als Jurorin gegenüber haben bei mir tatsächlich bereits dazu geführt, dass ich nicht als Jurorin auf eine ZD gefahren bin. Bei DDL-Turnieren sind die Zeitpläne meist entspannter und auch die Socials bedürfen nur bedingt einem vollständigen Kostümwechsel. Aber bei ZDen (und vor allem auch bei den Regios!) fängt morgens das Rennen an und endet für Juroren erst bei Ankunft auf der Party.

    Klar, viele finden gute Debatten sind das wichtigste auf einem Turnier. Je mehr, desto besser. Ich fahre auf die großen Turniere aber gerade auch, um Leute wiederzutreffen, mich zu unterhalten und Spaß zu haben. Als Jurorin wird mir das ungleich schwerer gemacht. Mein Appell geht daher an die Ausrichter, Juroren und ihre Bedürfnisse ernsthaft einzuplanen und – getreu der aktuellen Mainzer Clubphilosophie – die Wertschätzung nicht zu vergessen 😉

  6. Jan (Tü) sagt:

    Ich finde wir sollten diesen Artikel nutzen um darüber zu reden, wie wir Juroren setzten wollen. Sollen die gleichen Juroren Halbfinale und Finale jurieren, ist im Zweifelsfall langjährige Erfahrung wichtiger als Präsenz in der Szene? Was man schon an den bisherigen Kommentaren sieht, ist, dass es zu dem Konzept von „mehr Zeit für Juroren“ keinen [kaum] prinzipiellen Widerspruch gibt. Es ist natürlich eine Frage, wie Organisatoren das auch in ihren Zeitplan integrieren und es ist wichtig, wie von Barbara hier getan, auf diese Probleme aufmerksam zu machen. Die richtungsweisende Frage darüber, wie CJs ihre K.o.-Runden Panels besetzten sollten ist glaube ich viel umstrittener, sollte aber deswegen auch öffentlich erörtert werden. Es reicht nicht, wenn Chefjurorenpanels das in ihrem Tabraum besprechen und die Entscheidungen je nach Turnier auch noch unterschiedlich ausfallen

  7. Jonathan Scholbach sagt:

    Ich glaube nicht, dass es in erster Linie der Mangel des Wissens ist, dass ein etwas lockererer Zeitplan gut für die Juror*innen wäre, der die Turnierausrichter davon abhält, entspanntere Zeitpläne zu machen. Ich glaube, hier wird eine Wertungsentscheidung getroffen, und die fällt zugunsten der Redner*innen aus, denen unterstellt wird, dass sie mehr reden wollen. Das Ganze steht unter dem Konzept „mehr = besser“. Und da Turnierausrichter gern gute Turniere ausrichten wollen, machen sie mehr Runden. Wenn man das ändern will, ist es diese Abwägung, über die man sprechen muss, denke ich.

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