Welches Thema debattieren wir? – Turniere und Cluballtag

Datum: 22. Juni 2016
Redakteur:
Kategorie: Jurieren, Mittwochs-Feature

Mehr Turniere in der Szene bedeuten größere Anstrengungen für Chefjuroren, gute und innovative Themen zu stellen. Über Chancen und insbesondere Risiken möchte Lennart Lokstein in diesem Mittwochsfeature diskutieren

Vor einer Weile schrieb ich in einen Artikel über die Rahmenbedingungen zukünftiger Turniere bei einer stetig wachsenden Szene. Heute möchte ich mich mit einer anderen Folge derselben Entwicklung auseinandersetzen, einer Herausforderung, die sich vor allem Chefjuroren stellt. Eine der wichtigsten Aufgaben für Chefjuroren ist die Auswahl guter Themen für die Debatten eines Turniers. Das optimale Thema ist aus sportlicher Sicht ausgeglichen und aus Teilnehmer- und Publikumssicht spannend, interessant und aktuell. Aus beiden Perspektiven sollte das Thema neu, also noch nirgends gestellt worden sein. „Wo ist das Problem?“, könnte man fragen. „Jeden Tag erscheinen doch dutzende Tageszeitungen voller Themen.“ Und man hätte recht.

Debatte im Deutschen Bundestag - hier kommen bisweilen andere Ergebnisse zustande als in studentischen Debatten. © Deutscher Bundestag / Marc-Steffen Unger

Debatte im Deutschen Bundestag – hier kommen bisweilen andere Ergebnisse zustande als in studentischen Debatten. © Deutscher Bundestag / Marc-Steffen Unger

Doch nicht alle Themen der Zeitungen taugen als Thema für ein Debattierturnier. Ein klassisches Beispiel wäre die standesamtliche Ehe für Homosexuelle. Es gibt nicht besonders viele oder starke Argumente dagegen. Dennoch kommt die Debatte in den Medien immer wieder auf, da ein nicht zu vernachlässigender Teil der Bevölkerung dagegen eingestellt ist.

Das Debattieren fragt aber im Gegensatz zum realen Parlament nicht nach der Meinung der Wähler, sondern blendet diesen Bestandteil einer parlamentarischen Entscheidung weitestgehend aus. Dadurch werden einerseits sportliche Debatten möglich (sonst gewänne schlicht die Seite, die laut Umfragen die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich hat), andererseits fallen aber sehr viele aktuelle politische Themen aus dem Raster der brauchbaren Themen.

(Für den Clubabend, der politisch informieren möchte, sind sie natürlich nach wie vor geeignet – hier gilt nicht zwingend das Gebot des ausgeglichenen Themas. Es ist auch eine Form politischer Bildung, wenn man veranschaulicht, dass sich nur eine der Positionen begründen lässt. Ebenso kann manchmal auch ein vermeintlicher advocatus diaboli angeblich unhaltbare Positionen als eigentlich recht plausibel ent-denunzieren.)

Die Anzahl an tagesaktuellen, relevanten Themen, die für Turnierdebatten geeignet sind, ist also leider merklich limitiert. Wenn nun mehr Turniere stattfinden, können diese leicht erschöpft werden, wenn sie sich nicht inhaltlich stark wiederholen sollen. Was aber dann? Den Chefjuroren heute bieten sich leider nicht unendliche Optionen. Diejenigen Möglichkeiten, die man bislang bereits beobachten konnte, möchte ich hier kurz vorstellen. Sie sind sicher nicht die einzigen Möglichkeiten, neue Themen zu finden. Neue Vorschläge sind immer eine Diskussion wert, hier wie auf dem Jurier-Think-Tank!

1. Recyceln:

Früher bereits gestellte Themen, vielleicht aus der eigenen Anfangszeit, werden ausgekramt und erneut gestellt.

Vorteile: Bei sinnvoller Auswahl tendenziell ausgeglichen. Weniger Abeit für die Chefjuroren

Nachteile: Ziemlich sicher einigen Turnierteilnehmern bekannt, da ältere Themen oft bereits im Club recycelt werden. Meist nicht sehr aktuell

2. Fiktion:

Den Teilnehmern wird mittels Factsheet eine alternative Welt gezeichnet, innerhalb derer sie argumentieren sollen. Von der Meteoriten- über die Zombieapokalypse bis hin zur Besiedlung neuer Planeten: Alles ist möglich.

Vorteile: Endlose Möglichkeiten, neue Themen zu generieren

Nachteile: Unklarer Status Quo (oft themenrelevante Wissens-Leerstellen in der Welt) bei Juroren wie Rednern; realitätsfern

3. Geschichte:

Das Thema ist eine Streitfrage, die sich historisch irgendwann einmal stellte, und soll auf dem damaligen Wissens- und Argumentationsstand debattiert werden.

Vorteil: Oft lehrreiche Retrospektive für Betrachtung aktueller Themen

Nachteile: Unterschiedlich klarer Status Quo (Factsheets können nicht alle themenrelevanten Motivationen und Zusammenhänge abdecken und historisches Wissen unterscheidet sich stark bei Teilnehmern); Juroren haben Probleme, damaligen Wertevorstellungen gemäß zu bewerten

4. Alltag:

Der Themenbereich sind „kleinere“ Streitfragen aus dem täglichen Leben. Ein funktionierendes Thema in diese Richtung wäre z.B., wie Restaurantbetreiber Trinkgeld unter Bedienungen aufteilen sollen.

Vorteil: Sehr ähnlicher Wissensstand bei allen Teilnehmern

Nachteil: Unspektakulär

 

 

Beim Marburger Geschichtsturnier stören sich die Teilnehmer tendenziell wenig am Mangel aktueller Themen. © Sarah Jawaid

Beim Marburger Geschichtsturnier stören sich die Teilnehmer wenig am Mangel aktueller Themen. © Sarah Jawaid

Keine der Möglichkeiten ist vollkommen zufriedenstellend – genauso gibt es für jede Option sicherlich besser und weniger geeignete Beispielthemen. Allen gemeinsam ist, dass sie bei einem nicht debattierenden Publikum wohl eher Stirnrunzeln auslösen dürften, da nicht unbedingt aktuelle Relevanz erkennbar ist. Für öffentliche Finals sind diese Themen also nicht die beste Wahl. Es handelt sich bei den Optionen 2-4, wenn man nicht gerade Philosoph oder Historiker ist, um Themen um der Themen willen. Option 1 unterscheidet sich von ihnen dahingehend, dass jede Art von Thema dadurch zustande kommt.

Ich persönlich bin ein Gegner des Recycelns von Themen. Meist wird dafür eine öffentliche Datenbank zurate gezogen. Genau so dürften 90% aller Trainingsthemen ausgewählt werden. Halbwegs fähige Trainer würden zu ähnlichen Ergebnissen wie Chefjuroren kommen. Durch das Training erhalten manche Teilnehmer einen unfairen Vorteil. Fairness gegenüber allen Teilnehmers sollte meines Erachten nach jedoch oberste Priorität haben.

Bleiben also die Optionen 2-4. Alltagsbezogene Themen scheinen mir die meiste Sicherheit beim Setzen eines ausgeglichenen Themas zu bieten, da der Wissensstand der Teilnehmer recht ähnlich ist. Geschichtsthemen sind bedeutender, benötigen aber umfassende Informationen zusätzlich zum Thema. Diese innerhalb von 15 Minuten Vorbereitungszeit zusätzlich zu verarbeiten, kann schwierig sein. Wird das Thema jedoch simplifiziert dargeboten, geht sowohl der historische Lerneffekt für die Gegenwart verloren als auch die sinnvolle Bewertung von Fachwissen und damals zeitgemäßer, heute unhaltbarer Argumentationslinien. Fiktive Szenarien hingegen haben oft die Probleme der beiden anderen Optionen: Unklarheit und keine erkennbare Relevanz. Diese Probleme gilt es im Hinterkopf zu behalten und sorgfältig abzuwägen, wenn man neue Themen erstellen möchte. Im Grunde ist man mit nichts davon zu einhundert Prozent glücklich, doch der Mangel erzwingt, aus neuen Quellen zu schöpfen.

Sarah Kempf beim Jurier-Think-Tank (c) D. Pakhomenko

Der Jurier-Think-Tank könnte ein Forum sein, um neue Arten von Themen zu diskutieren. © Daniil Pakhomenko

Das Spannungsfeld birgt jedoch eine weitaus größere Problematik als lediglich Kopfschmerzen für die Chefjuroren aktueller und künftiger Turniere:

Das Debattieren wird durch den proportionalen Verlust an aktuellen, politischen Themen abstrakter. Während früher auf einem Turnier vielleicht 75% der Themen „optimal“ (relevant, aktuell und ausgeglichen) waren, sind es heute vielleicht 20%. Somit nehmen Menschen, die sich vor allem für den politischen Bildungsaspekt des Debattierens interessieren, vermutlich weniger an Turnieren teil. Nicht unwahrscheinlich ist jedoch, dass sich dieser Trend von den Turnieren in den Cluballtag überträgt. Das heißt, auch in den Debattierclubs könnten mehr abstrakte, ausgeglichene Themen gestellt werden. Dann bleiben einerseits jene Menschen, die das Politische stärker schätzen, nicht bloß den Turnieren, sondern auch den Clubs fern, andererseits wird es für den Club schwieriger, seine Relevanz gegenüber Sponsoren zu begründen, denn: Der Aspekt politischer Bildung wird dann nur noch durch das Lehren von Argumentation und deren Analyse, nicht mehr jedoch inhaltlich wahrgenommen.

Diese Entwicklung ist nicht wünschenswert. Ich glaube jedoch, dass sie für die Entscheidungsträger nicht offensichtlich ist. Denn wer trotz dieser (bereits stattfindenden) Entwicklung auf Turniere fährt, den stören abstraktere Themen nicht so sehr. Wer auf diese Turniere fährt, schätzt besonders das sportliche Debattieren. Wer das Sportliche besonders schätzt, will Ausgeglichenheit und nimmt dafür Abstraktheit in Kauf, hat vielleicht auch viel Spaß daran. Diese Menschen aber, die auf Turniere fahren, sind meist diejenigen, die die Vorstände stellen und Arbeit ins Debattieren stecken. Sie sind diejenigen, die Trainings halten und Themen festlegen. Vielleicht verstimmt das noch Einzelne, die es ungehört äußern und dann langsam weniger aktiv werden. Und wer danach noch im Club zu debattieren beginnt, wird es nicht anders kennen oder kein Interesse daran finden und lieber zur Model United Nations-Hochschulgruppe gehen. Eine selbsterfüllende Prophezeiung – eine Szene, unbemerkt gefangen im gläsernen Turm.

Darum abschließend noch eine Bitte an alle Clubvorstände und Themenwähler:

Lasst die abstrakten, weltfremden Themen auf den Turnieren. Nehmt auch unausgeglichene, aktuelle Themen für den Clubabend! Seid nicht bloß Redner und Denker, seid auch Aufklärer!

lok./hug.

Mittwochs-Feature

Lennart Lokstein ist Deutschsprachiger Debattiermeister 2016 und Chefredakteur der Achten Minute. Er war von 2013 bis 2015 Vorsitzender der Streitkultur e.V. in Tübingen und ist seit 2014 Mitglied der OPD-Regelkommission. Er gewann zahlreiche Turniere, erhielt auf den Deutschsprachigen Debattiermeisterschaften 2015 und 2016 den Preis für die beste Finalrede und war Chefjuror mehrerer Turniere. Er ist Beirat des VDCH für Jurierseminare und arbeitet an einer Masterarbeit in Allgemeiner Rhetorik zum Hochschuldebattieren in Europa.

Das Mittwochs-Feature: Jeden Mittwoch ab 10.00 Uhr stellt das Mittwochs-Feature eine Idee, Debatte, Buch oder Person in den Mittelpunkt. Wenn du selbst eine Debatte anstoßen möchtest, melde dich mit deinem Themen-Vorschlag per Mail an team [at] achteminute [dot] de.

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8 Kommentare zu “Welches Thema debattieren wir? – Turniere und Cluballtag”

  1. Simon Villa Ramirez sagt:

    Für mich hört sich das so an, als hätten wir die Wahl zwischen ausgeglichenen Themen und aktuellen, realitätsnahen Themen. Und jetzt sagt Lennart, entweder wir treten als politische Lehrer auf oder als wettbewerbsbewusste Debattierer.

    Ich frage mich, ob man da einem Debattierthema nicht zu viel auflasten will. Natürlich können wir Aufklärer sein, natürlich können wir Menschen vorgaukeln, sie bekommen bei uns sowas wie MUN-Light und gleichzeitig tolle Debatten. Aber die Frage die sich mir stellt ist: Wieso muss das alles in einem Guss passieren?

    Meine Position sieht so aus, als dass das Thema zwar die Debatte bestimmt, aber nicht die Debatte danach. Gerade so kreativ-kompetitive Debattierer können schnell eine Verbindung zwischen dem Abstrakten und dem Aktuellen stiften.
    Vielleicht profitieren gerade auch Neulinge, wenn sie gefordert werden, das Kontroverse im Unkontroversen, das Konkrete im Abstraktem zu suchen.

    Wenn man allerdings unterstellt, es gebe eine Hegemonie abstrakter, wettbewerbsbasierter Themen im Debattieren als Sport, könnte man den schließenden Appell Lennarts als Korrektur interpretieren.
    Aber gerade ist es wohl mit einem simplen Gegensteuern nicht getan. Ich selbst habe auf einem Turnier nie ein Thema gehabt wo ich 100% Zustimmung bekommen. Irgendjemand wird immer leer ausgehen und jetzt ist die Frage, gerade im Hinblick auf Mitgliederzuwachs, welche Gruppe von „Themenverlierern“ wir haben wollen.

    Cherish me and mine – das sollte die Botschaft des Debattierens sein. Was heißt, dass es letztlich gemeinsame Werte sein müssen. die einen positiven Bezug zum Debattieren und der Debattierergemeinschaft herstellen. Wie erreichen wir es, dass Anfänger interessiert und engagiert werden?

    M.E. kann dazu die Gefälligkeit, sich unter die Zügel politischer Aktualität zu begeben, keinen sinnvollen Beitrag leisten. Jene, die der politischen Kontroverse statt dem fairen Wettbewerb den Vorzug geben, werden auf kurz oder lang nicht zu halten sein. Sie wollen statt einem Argumente- eher einen Meinungsaustausch und werden es eher nicht nachvollziehen können, wenn eine politische Debatte (Brexit, TTIP, Ukraine, ISIS) statt unter der Hegemonie einer gewissen Meinung unter der Abwägung sachlicher Argumentation abgewogen wird.

    Was ich sagen will ist, dass wir keine MUN sind, dass wir solche Leute, die diesem Interesse gewogen sind eh verlieren werden weil wir keine Gewichtung von Meinungen sondern von Inhalt und Argumenten vornehmen.

    Deshalb ist der Leitsatz, der m.E. wirklich nachhaltige Debattierzuwächse garantiert, der, dass Wettbewerb und Fairness unmittelbar zu erlernen sind, damit auf Grundlage dieser Tugenden im Anschluss einer Debatte über Dinge geredet werden können, die einen auch politisch interessieren.

    Ich denke die Ausbildung von Rednern, die sich konzise mitteilen können und sehr aufmerksam zuhören, ist die Basis allen weiteren politischen Bildens, die individuelle Nachfrage viel besser wird abdecken können, als eine Agenda, die Clubvorstände und Themenwähler jemals fahren können.

    1. Lennart Lokstein sagt:

      “ Jene, die der politischen Kontroverse statt dem fairen Wettbewerb den Vorzug geben, werden auf kurz oder lang nicht zu halten sein.“
      Historisch betrachtet ist das falsch. Debattierclubs wurden partiell deshalb gegründet, weil sich Studenten auf einer argumentativen Ebene mit den Themen ihrer Zeit auseinandersetzen wollten und viele Debattierclubs werben mit politischer Auseinandersetzung und aktuellen Themen, ebenso wie öffentliche Finales. Es ist jene Schizophrenie, die adressiert werden sollte. Ist ein politischer Anspruch noch Teil des Debattierens und unabhängig davon: Sollte er es sein?

      Ich finde, er sollte und ich bin ein wenig besorgt ob des (notwendigen) Rückgangs und der daraus resultierenden Selbstisolation der Szene von der Gesellschaft.

    2. Christian (MZ) sagt:

      Ich sehe das genau so wie du, Lennart: aktuelle politische Themen abzubilden und darüber zu streiten sollte der Anspruch des Debattierens sein und ja, du hast vollkommen recht in deiner Analyse, dass wir uns zumindest auf Turnieren davon immer mehr weg bewegen.
      Ich finde übrigens, dass man über die von dir genannten Themen, Simon, also Brexit, TTIP, Ukraine und IS sehr gut debattieren kann. Ich glaube, wer politisch interessiert ist, wird gerade durch das Debattieren tolle Aha-Momente haben, dass diese Themen eben gerade nicht so einseitig sind, wie mancher denkt. Es geht eben um die Herangehensweise an solche Themen, aber genau das wollen wir ja eigentlich vermitteln und lernen.
      Für mich ging es am Anfang beim Debattieren eigentlich genau darum, was Lennart über die „Gründerväter“ sagt: der Auseinandersetzung mit aktuellen politischen Fragestellungen in Form einer Rede vor Publikum innerhalb eines Teams. Das fand ich toll und spannend. Wenn es beim Debattieren aber damals schon vor allem darum gegangen wäre, einfach nur logische Argumentation zu lernen und diese dann vorzutragen (und das ohne den Anspruch, dabei ein Publikum auch rhetorisch zu überzeugen sondern Argumente eben nur runter zu rattern), hätte ich mit dem Debattieren schnell wieder aufgehört, denn das hätte mich extrem gelangweilt.

      Wir sollten uns da schon fragen, welchen Anspruch wir an das Debattieren haben: wollen wir den Leuten „nur“ beibringen, zu argumentieren und Argumente zu widerlegen? Oder ist das ein Teilelement bei der Auseinandersetzung mit aktuellen und relevanten politischen Fragen in Form einer Rede? Klar, in der Praxis gibts natürlich immer Mittelpositionen, aber ich finde es gut und wichtig, dass Lennart diese prinzipielle Frage gestellt hat!

  2. Toni (München/Osna) sagt:

    Ich muss jetzt mal eine Lanze für fiktive Themen brechen. Diese bieten nämlich einen großen Vorteil vor den „aktuellen, relevanten“ in der „echten“ Realität angesiedelten Themen: Es ist gerade für Anfänger einfacher, sich von der in den Medien und der Umgebung stattfindenden häufig unterirdisch schlechten Debatte zu lösen. Ein Problem zum Beispiel, warum es (anekdotische Referenz, ich kenne die genaue Statistik nicht) in vielen Räumen beim Bologna-Thema der DDM schlechte Debatten gab, war, dass dort vielfach im Stile der Debatten geredet wurde, die man aus der alltäglichen Umgebung gewöhnt war. Gut wurden die Reden dann, wenn man sich davon gelöst hat und frei über das Thema und die Ziele von Bologna auf einer höheren Ebene nachgedacht hat. Dieser Schritt fällt aber gerade Anfängern häufig schwer.
    Ein Thema über die Zombieapokalypse oder Aliens schafft diese Distanz ganz zwangsläufig, weil die Debatte so in den Medien und in der Mensa nicht stattfindet. Und trotzdem geht es um die (immer relevanten) Grundfragen unserer Existenz: Was macht den Menschen zum Menschen? Wie geht man mit Wesen mit einem anderen Grad an „Menschlichkeit“ um?
    Außerdem zwingen viele fiktive Szenarien zur Polarisierung. Eines der besten Themen, das ich je debattiert habe (Danke, Melda!): Gegeben, wie haben den Beweis der Nicht-Existenz Gottes: DHW ihn vernichten. Durch den Kniff des fiktiven Szenarios wird die abstrakte Frage nach dem Wert von Wahrheit und dem Wert von Religion und Sicherheit plötzlich konkret. Da bieten fiktive Szenarien sogar einen Ausweg aus dem von vielen Seiten bedauerten „Bedauern und Begrüßen“ statt „Verbieten und Einführen“.
    Und noch ein Nachtrag zu neuen Themensorten: Ich fand die Idee einer „Interpetationsdebatte“ auf der ZDBer total super, auch wenn ich leider nicht da war. Auch das ist Bildung (wenn auch eher kulturelle als politische)

  3. Christian (MZ) sagt:

    Sehr gute Analyse, Lennart! Dieser Trend ist auch aus meiner Sicht deutlich sichtbar, als weg von der tagesaktuellen Politik und hin zu eher abstraken, realitätsfernen, aber dafür ausgeglichenen Themen.
    Und es ist wirklich schwer zu sagen, wie man darauf reagieren kann, sofern man darin ein Problem sieht (ich gehöre zu denen, die das tun).

    Bei uns in Mainz werden die Themen bei Clubabenden durch Vorschläge und Abstimmungen aus dem Plenum bestimmt. Da kommt es dann immer mal wieder zu einseitigen Themen, die vielleicht aber gerade tagesaktuell sind. Früher hat mich das gestört, heute denke ich oft: auch daran können die Leute sehr viel lernen, wenn sie merken, dass Themen sehr unausgeglichen sind und gerade auch manche politischen Fragen und Kontroversen in der Debattierlogik oft nur eine richtige Antwort bieten. Ich glaube, dass das einen sehr positiven Effekt für Einsteiger haben kann. EInerseits kann das ihr Verständnis über das Debattieren und die Ausgeglichenheit von Themen stärken und andererseits hilft es auch bei der angesprochenen politischen Bildung. Denn dann gibt es wirklich einen deutlichen Aha-Effekt, der durch die fast zwangsläufig auf dei Debatte folgende Diskussion zusätzlich verstärkt wird. Von daher können auch unausgeglichene Themen helfen.

    Bleiben die Turniere. Auch da hast du völlig recht Lennart, dass es der Anspruch der CJ sein sollte, ausgeglichene Themen zu stellen, die möglichst viel hergeben hinsichtlich Strategie und Analyse. Und natürlich fallen solche Themen auch nicht ständig vom Himmel. Wenn man sieht, dass wir pro Jahr um die 30 Turniere in VDCH-Land haben (eher mehr), dann ist es klar, dass sich Themen (oder zumindest Themenkomplexe) entweder wiederholen müssen oder das man eben auch mal wenig offensichtliche Fragen debattieren muss. Da stellt sich natürlich dann die Frage, wie man damit umgeht und du hast mehrere Beispiele genannt. Ich würde noch eine weitere Variante ins Spiel bringen, die aber natürlich auch Schwächen hat: schauen wir bei den Themen mal mehr über unseren Tellerrand hinaus, also nicht nur auf Seite 1 und 2 der Zeitung, sondern auch mal auf die hinteren Seiten. Denn da gibt es wirklich viele Fragen, denen wir uns noch nicht gestellt haben. Das gilt insbesondere für Themen zur Politik außerhalb von Deutschland oder der EU aber auch beispielsweise Fragen aus dem Wirtschaftsbereich (die übrigens oft seeeehr relevant sind). Auch da lassen sich wunderbare Themen basteln. Das Problem ist nur: da fehlt es oft, wie bei den Geschichtsthemen, am Hintergrundwissen. Das finde ich persönlich sehr schade, verstehe aber jeden CJ, der solche Debatten eher vermeiden will. Denn welchen Nutzen haben wir, wenn von 20 Teams 18 keine Ahnung vom Thema haben und bestenfalls oberflächliche Debatten abliefern?
    Das könnte die Leute zusätzlich sogar auch noch frustrieren und von Turnieren sogar abschrecken, wenn sie von der Mehrheit der Themen keine Ahnung haben und dann nur Misserfolge erleben (auch in BP ist es nicht so toll, einen Raum gewonnen zu haben, nur weil man am wenigsten schlecht war) . Man kommt also wohl um die eher unspannenden, aber zumindest logisch für jeden gut zu debattierenden (Alltags-)Themen auf Turnieren nicht herum. Auch weil der typische Debattierer eben (nach meiner Erfahrung) leider nicht der durchschnittlich informierte Zeitungsleser ist. Eine Lösung habe ich für diese Problematik leider nicht zu bieten, außer ebenfalls einen Apell: Informiert euch, bildet euch, lest Zeitung (und nicht nur ab und an irgendeinen Artikel im Netz)! Denkt nicht nur darüber nach, wie man ein Argument strukturiert vorträgt, wie man eine Stakeholderanalyse macht und wie die perfekte Schlussrede struktuiert ist. Das alles ist Handwerkszeug und sicherlich notwendig, um Debatten zu gewinnen. Aber wenn Debattieren mehr sein soll als das, wenn es wirklich darum gehen soll, Denkanstöße oder Antworten auf wirkliche politische/gesellschaftliche Fragestellungen zu liefern, dann reicht das nicht. Beschäftigt euch mit Politik, mit Gesellschaft, mit Wirtschaft, mit Zusammenhängen. Nicht nur mit Prinzipien und Idealen sondern mit der Realität da draußen, wie sie funktioniert und warum (bzw warum nicht). Wenn das mehr Leute tun, hat man auch wieder die Möglichkeit, mehr politische und relevante Themen zu debattieren und sich von der reinen Argumentation zu Alltagsfragen oder Absurditäten zu lösen.

  4. Nicolas (MZ) sagt:

    Schreibt außer Lennart eigentlich noch irgendwer MiFi’s? 😛

    1. Christian (MZ) sagt:

      Das ist sicher als Bewerbung für nächste Woche zu verstehen 😉

    2. Lennart Lokstein sagt:

      Lennart schreibt nicht nur Mittwochsfeature, sondern auch regelmäßig Mails über den VDCH-Verteiler, dass die Achte Minute sich immer über Vorschläge und neue Ideen von externen Autoren freut.

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