Das subjektive Element in der Jurierung

Datum: 18. Januar 2017
Redakteur:
Kategorie: Jurieren, Mittwochs-Feature

Nach Stefan Torges‚ Beiträgen zum Jurieren in den letzten Wochen stellt Barbara Schunicht heute ihre Gedanken zum Thema vor.

Gutes Jurieren bedeutet, ein nachvollziehbares und faires Ergebnis einer Debatte zu finden, dieses Ergebnis zu begründen und diese Begründung zu kommunizieren. Was dies allerdings im Detail bedeutet – insbesondere der Aspekt der Fairness –, ist Gegenstand zahlreicher Diskussionen, die gerade in letzter Zeit auf immer breiterer Basis in unserer Szene geführt werden.

Ich möchte in diesem Beitrag die These aufstellen, dass sich die Frage nicht endgültig beantworten lässt, ohne nicht zuvor Einigkeit darüber hergestellt zu haben, was das studentische Debattieren an Hochschulen überhaupt sein will: Ein rein intellektueller Sport oder zumindest auch eine Form politischer Bildung und „Schule demokratischer Auseinandersetzung“. Da ich denke, dass beide Zielrichtungen und Interpretationen ihre Berechtigung haben, sich ab einem gewissen Punkt aber (zumindest teilweise) gegenseitig ausschließen, halte ich die Formulierung eines absoluten Maßstabs in Leitfadenform weder für erstrebenswert, noch überhaupt für möglich.

  1. Werte enthalten fast immer einen Beurteilungsspielraum

Stefan Torges hat in seinem Beitrag letzte Woche völlig zu Recht die Frage problematisiert, wie ein Juror die Glaubwürdigkeit und Plausibilität einer Aussage objektiv bewerten soll. Ich stimme seiner Analyse und seinem Ergebnis zu deskriptiven bzw. empirischen Aussagen zu und möchte mich hier daher auf die Bewertung normativer Aussagen konzentrieren.

Wild gestikulierende Juroren (v.l.n.r.): Simeon Reusch und die Chefjurorinnen Dessislava Kirova und Andrea Gau beim Berlin Punk. (Foto: Manuel Adams)

JurorInnen in der Diskussion – © Manuel Adams

In der „echten Welt“ ist es kaum möglich, Werte mit der gleichen objektiven Sicherheit vorauszusetzen wie Fakten, weil sie weder objektiv messbar sind, noch gleich einem Naturgesetz oder einem Fakt unabhängig von einem Menschen existieren, der diese Werte denkt und interpretiert: Selbst die als absolut und unantastbar vorausgesetzte Menschenwürde beantwortet nicht aus sich selbst heraus, ob beispielsweise ein (einvernehmlicher) Zwergen-Weitwurf nun eine Verletzung der Subjektstellung darstellt oder nicht; dies ist vielmehr eine Wertungsfrage, die nur aus dem Kontext ihrer Zeit getroffen werden kann. Soweit die Abwägung unterschiedlicher Werte betroffen ist, also z.B. die Frage der Beschränkung von Freiheitsrechten von Gefährdern, noch bevor diese tatsächlich eine Straftat begangen haben, zum Schutz aller anderen Bürger, sind die Grenzen und damit nicht verhandelbaren Inhalte der betroffenen Werte noch unklarer.

Diese Unsicherheit wirkt naturgemäß in das Debattieren zurück und erschwert es erheblich, „moralische Grundwerte“ zu definieren, auf welchen sodann „informierte Einschätzungen“ – wie von Stefan thematisiert – getroffen werden können. Dies erzeugt die problematisierte Unsicherheit für Redner und Juroren, welcher Begründungsaufwand konkret zu leisten ist, um einen bestimmten Wert zu begründen und eine normative Aussage glaubwürdig zu machen.

  1. Der Umgang mit normativer Unsicherheit: Debattieren als reiner Sport vs. auch als Form politischer Bildung

Objektive Maßstabsbildung
Stefan hat vorgeschlagen, das Problem dieser Unsicherheit dadurch zu lösen, dass 1.) eine Einigung stattfindet, welche Werte als Grundwerte vorausgesetzt werden und/oder 2.) eine Einigung auf einen gemeinsamen „höchsten“ Wert stattfindet bzw. eine Festlegung, in welchem Verhältnis unterschiedliche Werte zueinander stehen sollen.

Ich glaube, dass dieser Ansatz dann einen Gewinn darstellen kann, wenn man das Debattieren als reinen Sport betrachtet, in dem es zu den Grundsätzen der Fairness gehört, dass Ergebnisse eindeutig bestimmbar und vorhersehbar sind. Diese Eindeutigkeit ist tatsächlich kennzeichnend für Sportarten: In der Leichtathletik können Zeiten, Weiten und Höhen exakt vermessen werden, im Eiskunstlauf oder Tanz Figuren und Elemente bewertet werden, im Schach sind Züge gültig oder ungültig. Wenn es uns gelänge, im Kontext des Debattierens einen einheitlichen „Status Quo“ der Werte zu definieren und einzelnen Werten und Abwägungen ganz klare „Einheiten“ zuzuordnen, dann dürfte ein Großteil der zuvor beschriebenen Unsicherheit verschwinden. Wir würden eine Echokammer konstruieren, in der die Glaubwürdigkeit normativer Aussagen ebenso objektiv bestimmt werden könnte wie die Glaubwürdigkeit deskriptiver bzw. empirischer Aussagen. Für die „Objektivität“ von Jurierergebnissen im sportlichen Sinne könnte dies einen erheblichen Gewinn darstellen.

Ich habe allerdings starke Zweifel daran, dass sich ein solcher „Werte-Status-Quo“ überhaupt definieren lassen wird (in einer Konkretheit, in der er nützlich wäre), ohne dass es hiergegen erheblichen Protest und Widerspruch geben wird. Selbst wenn wir nur versuchen würden, utilitaristische Metriken als Standard zu etablieren (zulasten insbesondere deontologischer Konzeptionen), blieben doch immer Fragen offen, welche Gruppen im jeweils konkreten Fall überhaupt die betrachtete Mehrheit wären und was ihr größter Nutzen wäre.

Der Bezug zur Realität und zum kritischen Denken
Die abstrakte Festlegung solcher Werteabwägungen würde aber auch – unabhängig von der Umsetzbarkeit – eine Abkehr von der Realität bzw. der „echten Welt“ bedeuten, in der diese Abwägungen – jedenfalls in einer Demokratie – nicht in Stein gemeißelt sind, sondern stets Gegenstand gesellschaftlicher Auseinandersetzungen sind.

Jurierung auf der ZEIT DEBATTE Frankfurt © Florian Umscheid

Entscheidet über Sieg oder Niederlage: Der Juror – © Florian Umscheid

Man kann sich selbstverständlich auf den Standpunkt stellen, dass diese Abkehr vollkommen unproblematisch ist, da das Debattieren eine besondere Form der sportlichen Auseinandersetzung darstellt, die in einen besonderen Kontext eingebettet ist. Ich könnte mir zudem vorstellen, dass diese Abkehr im Kontext internationalen Debattierens sogar eine notwendige Voraussetzung ist, um überhaupt sinnvolle und konfliktfreie Debatten zu führen, da es durch die extrem diversen nationalen Hintergründe und Prägungen der Teilnehmer sonst vielleicht kaum möglich wäre, Werte objektiv gegeneinander abzuwägen.

Ich denke allerdings, dass eine solche Abkehr von der Realität und der Rückzug in eine Echokammer des Debattierens – jedenfalls in einem überschaubaren Debate-Circuit wie dem Deutschsprachigen – einen ganz erheblichen gesellschaftlichen Verlust und Schaden darstellen würde, der aus meiner Sicht den möglichen Gewinn an „Objektivität“ nicht aufwiegt:

  1. Die Einsamkeit in der Echokammer

Erstens würde es eine Stromlinienförmigkeit in unserem Denken als Debattierer bewirken, die Andersdenkende von vornherein ausschließt oder zumindest als fehlgeleitete normativ-Irrende diskreditiert. Bereits heutzutage wird die Kritik geäußert, die Debattierszene sei überwiegend links-liberal und würde links-liberale Werte und Argumentationsmuster leichter und intuitiver akzeptieren als beispielsweise konservative oder neo-liberale Ansichten. Unabhängig davon, ob diese Kritik tatsächlich zutrifft, würde ein schriftliches Festhalten von bestimmten Werten und Ansichten als „Werte-Status-Quo“ sicherlich eine Ansicht höher gewichten als andere und diese anderen damit abwerten. Dieser Effekt wäre unvermeidlich, da es gerade Sinn und Zweck einer solchen Festlegung wäre, die Unsicherheiten und Unbestimmtheiten in der Werteabwägung zu beseitigen. Ich könnte es niemandem verdenken, der die derart getroffenen Festlegungen nicht teilt, wenn er oder sie sich dann aus der Debattierszene verabschieden würde und diese damit einer endlosen, nicht länger hinterfragten Selbstbestätigung in ihrer Echokammer überlässt.

  1. Demokraten statt Rechthaber

Zweitens würden wir eine Chance vergeben, unsere Argumentationsfähigkeiten zu schulen, um auch in der „echten Welt“ für unsere Überzeugungen und unsere Werte zu streiten. So intuitiv und normativ richtig wie die Beibehaltung von beispielsweise Demokratie und Freiheit uns auch erscheinen vermag, zeigen sowohl die Geschichte als auch die aktuellen politischen Entwicklungen weltweit, dass diese Beibehaltung mitnichten selbstverständlich ist.

Im Wahlkampf der USA konnte man sehr gut eine Lagerbildung zwischen links-liberalen und rechts-konservativen Wählern beobachten, zwischen denen kaum noch ein Austausch stattfand. Es gab keine breite Debatte über die jeweiligen Grundprämissen, sondern verhärtete Fronten, bei denen keine Bereitschaft mehr bestand, sich mit den eigenen Werten und jenen der anderen auseinanderzusetzen und vielleicht auch Kompromisse zu schließen. Eine Demokratie lebt indes von Kompromissen: Sie braucht Demokraten, nicht nur Rechthaber.

Sommerfeld, Dresden

Debattieren als Schule fürs Leben – © Georg Sommerfeld

Ich persönlich finde, dass das Debattieren prädestiniert ist, uns für derartige Auseinandersetzungen zu schulen, indem wir nicht nur die Kunst der präzisen Argumentation erlernen, sondern auch die Flexibilität im Geist trainieren, uns in andere Positionen hinein zu denken und diese zu vertreten. Dieser Möglichkeit würden wir uns weitgehend berauben, wenn wir für unsere Debatten grundlegende Wertemaßstäbe abstrakt festlegen würden. Wir könnten zwar anhand solcher normativen Maßstäbe vielleicht besser begründen, warum eine Seite eine Debatte gewonnen hat. Wir würden aber die Fähigkeit verlernen, die Geltung dieses Maßstabs selbst in Frage zu stellen bzw. zu begründen. Anstatt einen Beitrag dazu zu leisten, die Sprachlosigkeit und Grabenbildung in der Gesellschaft in Bezug auf Wertefragen zu vermindern, könnten wir diese vielmehr sogar vertiefen, indem wir uns immer tiefer in unserer eigenen Echokammer verlieren und damit wahrscheinlich auch unsere zukünftigen Denkmuster beeinflussen würden.

  1. Die Beurteilung der Plausibilität in einer Debatte: Was sollen Juroren nun tun?

Der „regionale Status Quo“
Der „Luxus“ eines regional und kulturell begrenzten Debate-Circuits wie dem Deutschsprachigen ist, dass es – jedenfalls für den ganz überwiegenden Teil von Debatten – einen gesellschaftlichen Status Quo gibt, auf den sich die Teilnehmer beziehen können. Normative Werteabwägungen bleiben zwar spekulativ und bedürfen der Begründung; trotzdem gibt es – ähnlich zu empirischen oder deskriptiven Aussagen – doch Anhaltspunkte, anhand derer empirisch und deskriptiv über Werte argumentiert werden kann, indem man auf die regionalen gesellschaftlichen Anschauungen zurückgreift.

Diese Tatsache eröffnet meines Erachtens ein Kompromisspotential, den sportlichen Charakter des Debattierens und „Objektivität“ in einer Jurierung weitgehend zu bewahren, dennoch aber auf eine Abkehr von den normativen Unsicherheiten der Realität durch debattierinterne normative Maßstabsbildungen zu verzichten.

Insbesondere verleiht diese Tatsache auch normativen Aussagen einen gewissen deskriptiven bzw. empirischen Charakter, indem beispielsweise die Behauptung, das allgemeine Persönlichkeitsrecht könne stets über das Leben anderer gestellt werden, legitim bereits mit der Tatsache in Frage gestellt werden kann, dass Schwangerschaftsabbrüche nicht uneingeschränkt zulässig sind und es nicht zulässig ist, einen anderen zur Wiederherstellung der eigenen Ehre zu töten. Dies eröffnet Spielräume, die von Stefan bereits ausführlich dargelegten Maßstäbe zur „informierten Einschätzung“ anzuwenden, um eine angemessene Begründungslast zu ermitteln. Normative Aussagen können damit zwar noch nicht objektiv bestätigt, wohl aber falsifiziert werden.

Objektivität und Transparenz durch selbstkritisches Hinterfragen und Begründung des Jurierergebnisses
Ich glaube nicht, dass wir abstrakt festlegen können, wann eine normative Aussage endgültig (positiv) begründet ist, sofern wir nicht – wie oben beschrieben – debattierintern eine abstrakte, absolute Gewichtung von Werten vornehmen. Ich halte es vielmehr für unvermeidlich, zunächst zu akzeptieren, dass, wie Stefan es formuliert hat, „Juroren mit ihren eigenen Werten und Intuitionen am Ende Debatten entscheiden“.

Jurorenpanel im Finale der ZEIT DEBATTE Hamburg 2016 - © Felix Schledding

Barbara Schunicht (Mitte) juriert das Finale der ZEIT DEBATTE Hamburg 2016 – © Felix Schledding

Ich denke aber, dass sich dieses subjektive Element dadurch verobjektivieren lässt, dass wir ganz klare Maßstäbe an das handwerkliche Finden und an die Begründung einer Jurierentscheidung stellen. Juroren müssen selbstkritisch an sich herangehen und sich fragen, warum sie einer normativen Aussage Glauben schenken: Liegt es an ihrem eigenen persönlichen Bias (schlecht) oder hat der Redner sie davon überzeugt (gut)? Gab die Debatte Anlass dafür, die normative Aussage zu begründen oder waren sich alle Teams in ihrer Geltung einig? Sofern in der Debatte Uneinigkeit herrschte: Welches Team hat die Geltung seiner normativen Aussagen plausibel begründet und die der Gegenseite widerlegt? An welchen konkreten Aussagen der Teams macht man dies fest? Ist es plausibel, dass ein durchschnittlich intelligenter, gebildeter Weltbürger (ggf. aus der Region des Debattier-Circuits) von diesen Argumenten und normativen Aussagen überzeugt worden wäre?

Natürlich bleiben auch bei dieser Herangehensweise subjektive Spielräume für den Juror. Diese sind aber meines Erachtens nicht größer als bei empirischen Schaden-Nutzen-Abwägungen, wie wir sie laufend in Debatten anstellen und bewerten und sollten daher in Kauf genommen werden können.

Fazit
Das Debattieren nur als intellektuellen Sport zu betrachten, bei dem wie in anderen Sportarten ein Ergebnis völlig objektiv und eindeutig ermittelbar sein soll, ist eine vollkommen legitime Ansicht. Sie opfert allerdings ein erhebliches Potential, zur öffentlichen Meinungsbildung beizutragen und entzieht spannende normative Debatten über Grundsatzfragen dem sportlichen Wettbewerb. Sie entspricht damit auch nicht dem, was wir unseren Sponsoren verkaufen, da sich eine solche Eindeutigkeit nur um den Preis erreichen lässt, sich von den normativen Unsicherheiten der Realität abzukoppeln.

Bevor wir festlegen können, was ein „idealer“ Juror ist und welche Maßstäbe wir an die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von normativen Aussagen anlegen, müssen wir uns darüber klar werden, welchem Bild des Debattierens wir folgen wollen. In Abwesenheit eines klaren Konsenses in dieser Frage scheint es aus meiner Sicht am besten, dem hier vorgeschlagenen Kompromiss zu folgen und eine gewisse Subjektivität in der Jurierung hinzunehmen, diese aber durch eindeutige Begründungserfordernisse und ein möglichst klares Verständnis guter Juriermethodik weitgehend zu verobjektivieren.

Barbara Schunicht/lok.

Mittwochs-Feature

Barbara Schunicht war Vorstandsbeirätin des Verbandes der Debattierclubs an Hochschulen e.V. für Jurierqualität in der Saison 2015/2016. Sie war Chefjurorin der deutschsprachigen Debattiermeisterschaft 2016, sowie zahlreicher anderer Turniere der ZEIT DEBATTEN Serie und der Deutschen Debattierliga. Sie war Deutsche Vizemeisterin im Debattieren 2012 und Finalistin weiterer Turniere, u.a. der ZEIT DEBATTEN Heidelberg 2014 und Göttingen 2015. 2014 gewann sie das Ironmanturnier.

Das Mittwochs-Feature: Jeden Mittwoch ab 10.00 Uhr stellt das Mittwochs-Feature eine Idee, Debatte, Buch oder Person in den Mittelpunkt. Wenn du selbst eine Debatte anstoßen möchtest, melde dich mit deinem Themen-Vorschlag per Mail an team [at] achteminute [dot] de.

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28 Kommentare zu “Das subjektive Element in der Jurierung”

  1. Thomas W. (Halle) sagt:

    Finally a position that would not starve to death in Platon’s cave.

    I still cannot think of an average informed world citizen concerning his/her normative world view just because I cannot conceptualize (in its specifics) the commonly shared ideas in theories and concepts different as neoliberalism, socialism, hindu-nationalism, neo-confucianism, the different strains of Islamisms and so on. Just to point out as senseless and unsubstantiated these kinds of pseudo-objectivations are.
    But this article is surely progress.

  2. Nicolas F.(Göttingen) sagt:

    Vielen Dank Barbara, ein schöner und gut durchdachter Artikel. Volle Zustimmung!

  3. Julian Stastny sagt:

    Vielen Dank für diesen Artikel, der einen guten Beitrag zur Ordnung der ganzen Diskussion darstellt!

    Mir fallen bei deinem Lösungsvorschlag mit dem regionalen SQ allerdings verschiedene Probleme ein:
    1. Was, wenn es verschiedene normative SQ gibt? (Beispiel: Bundesverfasssungsgericht würde aktives Handeln bei Trolley-Problemen verbieten (siehe Flugzeugabschuss bei Terroranschlag), während es unter Debattierern hohe Akzeptanz für utilitaristisches Handeln gibt.)
    2. Was, wenn der SQ widersprüchlich ist? (Beispiel: Regelungen zur humaneren Schlachtung implizieren, dass das Leiden von Tieren nicht egal ist. DIe Tatsache, dass Massentierhaltung (leider) weiterhin erlaubt ist, impliziert das Gegenteil)
    3. Du sagst, Juroren sollen nicht durch Bias überzeugt werden. Ist eine Tendenz zum SQ nicht bereits ein Bias?
    4. Das Kalkül hinter dem SQ ist oft nicht klar. (Beispiel: Ist die Menschenwürde aus intrinsischen oder instrumentellen Gründen in Art. 1 GG nicht antastbar?) Das Kalkül ist aber der wichtigste Faktor dafür, wie stark wir in einer Debatte eine Verletzung der implizierten Normen des SQ, z.B. die Verletzung der Menschenwürde, gewichten.

    Mein Fazit hier wäre, dass, da der SQ normativ immer sowohl für als auch gegen den Antrag sprechen wird (Sonst wäre der Antrag ja schon SQ) man in seiner Argumentation aktiv Beispiele für Fälle, die der Argumentation widersprechen, unterschlagen muss, womit man Bias fördert.

    Hier wäre mir eine Einigung auf Präferenzutilitarismus schon deutlich sympathischer, da er Abwägungen zulässt (keine Silver Bullets aka Menschenwürde), inklusiv ist bei möglichen Stakeholdern, und anders als klassischer hedonistischer Utilitarismus, auch Präferenzen für komplexe Werte, wie Freiheit oder Identität, zulässt.

    Ich glaube, unsere Fähigkeit, Werte zu verteidigen, steigt dadurch sogar im Vergleich:
    Anstatt sagen zu können, Antrag X sei undemokratisch, und man könne anhand des SQ sehen, dass Demokratie wichtig sei, müsste man sich auf einer präferenzutilitaristischen Basis viel mehr mit dem Zweck und den Konsequenzen von Demokratie auseinandersetzen.
    Anstatt sagen zu können, Antrag X verletze die Menschenwürde und sei kategorisch abzulehnen, werden wir geschult, Menschenwürde in ihrer vollen Komplexität, beispielsweise als Absicherung gegen Faschismus, zu begreifen.

    Letzten Endes glaube ich, dass wir beides haben können: Bessere Jurierungen und bessere normative Argumente. Wir brauchen aber eine Basis, und eine konsistente, inklusive und konsequentialistische Grundethik scheint mir dabei besser als der regionale Status Quo.

    1. Nicolas F.(Göttingen) sagt:

      Ich glaube du verkennst Julian, dass auch ein regionaler Status Quo begründet werden muss. Und das ist der Unterschied zu einer Grundethik. Meines Erachtens nach gehört auch das Argumentieren eines ethischen Fundaments in die Debatte. Zugegebenermaßen wird man sich in den meisten Debatte auf Werte einigen können, z.B. Menschenwürde, allerdings kann sich eine Debatte auch dahingehen entwickeln, dass diese z.B. angezweifelt wird. Und dann liegt es auch am Juror diese Argumentation einzuordnen, dies aber vorwegzunehmen durch strenge Regeln führt am Ende nur zu schlechteren Debatten. Natürlich muss jemand der exzellent gegen das Konzept Menschenwürde argumentiert eine realistische Chance haben, die Debatte zu gewinnen. Gerade das Ausreizen des Unbekannten, oder des Umstrittenen ist es doch, was Debattieren ausmacht. Wenn wir einfach nur Argumente in einer vorher festgelegten Metrik austauschen wollen, dann gibt es keine Erkenntnis mehr sondern nur noch bräsige Selbstbeweihräucherung!

    2. Barbara S. (HH) sagt:

      Hey Julian,

      ich fürchte du erweist meinem Artikel zu viel der Ehre, wenn du ihn als einen umfassenden Lösungsvorschlag verstehst. 🙂 Dieser „regionale Status Quo“ in Wertefragen ist etwas, von dem ich zwar glaube, dass es ihn für viele Wertefragen gibt (z.B. jedenfalls im Grundsatz Rechte von Frauen, Minderheiten, Religionsfreiheit, etc.), aber deine Fragen zu 1., 2. und 4. zeigen bereits auf, warum er keinesfalls die Lösung für das Problem sein kann, normative Aussagen nachvollziehbar zu jurieren.

      Wie ich auch geschrieben habe, kann ein Bezug auf das mehrheitliche Werteverständnis z.B. in Deutschland allenfalls dazu dienen, normative Behauptungen mit Beispielen zu illustrieren oder manche Behauptungen zu falsifizieren. Ein solcher Bezug kann aber nicht die positive normative Argumentation ersetzen, *warum* dieser Wert gelten sollte. Insweit spreche ich mich auch ausdrücklich dagegen aus, dass es eine überzeugende Begründung wäre, die Wichtigkeit von Demokratie im Streitfall damit zu begründen, dass diese SQ auch so gesehen werde. Dasselbe gilt für die Menschenwürde. Beides wäre schlicht ein naturalistischer Fehlschluss und damit eine handwerklich fehlerhafte Argumentation.

      Sofern ich überhaupt eine Lösung vorschlagen kann, liegt diese, wie im letzten Absatz dargelegt, darin, handwerklich sauberes Arbeiten von Juroren und Rednern zu verlangen. D.h., Argumente und normative Aussagen darauf zu überprüfen, ob sie handwerklich sauber begründet wurden (also z.B. ohne naturalistische Fehlschlüsse oder Autoritätsargumente). Der Bezug auf den regionalen Status Quo (soweit es in dieser Frage überhaupt einen gibt) kann dabei allenfalls unterstützen. Dabei muss selbstverständlich hergeleitet werden, warum dieser Bezug das eigene Argument stützt. Z.B. könnte in der von dir genannten Flugzeug-Abschuss-Debatte ein Bezug auf das Bundesverfassungsgericht durchaus ein gewisses Gewicht haben, steht dabei aber immer in der Nähe eines logisch sehr fehlerhaften Autoritätsarguments. Deutlich stärker wäre daher vermutlich, die Werteabwägung nachzuzeichnen, die das Bundesverfassungsgericht seinerzeit inhaltlich angestellt hat, insb. die postulierte Verleugnung der Subjektstellung der Flugzeuginsassen, solange noch eine theoretische Rettungsmöglichkeit besteht. Die Gegenseite wäre aufgerufen, z.B. eine utilitaristische Position dagegen zu setzen und zu versuchen, handwerklich saubere, logische Argumente zu formen, warum diese Position besser ist als die letztlich absolute Geltung der Menschenwürde, unabhängig von den Konsequenzen.

      Hieraus folgt vielleicht auch die Antwort auf deine Nr. 3: Ich bin überzeugt davon, dass wir im Ausgangspunkt alle gebiased sind in unseren Entscheidungen, weil wir selbstständige Individuen mit eigenen Erfahrungen, Prägungen und Werteerfahrungen sind. Das heißt, der erste Schritt zu besseren, objektiveren Entscheidungen ist, sich dieses Biases möglichst bewusst zu sein. Hierfür halte ich es für sehr förderlich, sich bei Entscheidungen immer zu fragen, warum man sie trifft, insbesondere als Juror also sich zu fragen, warum man eine Aussage glaubt. Ein als Status Quo bzw. gesellschaftlich als mehrheitsfähig befundener Wert kann hierbei ein wichtiger Faktor sein. Hierbei darf ein guter Juror aber m.E. natürlich nicht stehen bleiben. Er oder sie muss sich anschließend eben all diese Fragen und vielleicht noch mehr stellen, die ich im letzten Absatz des Textes angedeutet habe. Insofern ist eine Tendenz zum Status Quo selbstverständlich ein Bias, der entsprechend kritisch hinterfragt gehört für ein möglichst verobjektiviertes Ergebnis.

      Zu deiner konsequentialistischen Grundethik kann ich wenig über den Artikel hinaus gehendes erwidern, außer vlt diesem: Es kann Debatten geben, insbesondere beispielsweise die Flugzeugdebatte, in denen es gerade um die Geltung eines utilitaristischen Prinzips geht. Diese würdest du dem sportlichen Wettbewerb entziehen. Zudem bin ich nicht sicher, inwiefern der von dir vorgeschlagene „Grundwert“ wirklich ein spezifischer Wert und nicht vielmehr nur eine Methode der Wertermittlung ist. Soweit es aber nur eine Methode ist, liegen wir in unseren Positionen glaube ich gar nicht so weit auseinander, wie man vielleicht denken könnte. Denn dann geht es doch nur darum, zu zeigen, dass die Geltung eines Wertes X in einer konkreten Situation wichtiger ist als die des Wertes Y. Das kann dann aber sogar die Menschenwürde in Form eines Silver-Bullet Arguments sein, wenn man es ergänzt um die Begründung, warum die Menschenwürde unantastbar sein sollte, nämlich als absolute Begrenzung staatlicher Gewalt und unantastbarer Subjektstellung des Individuums gegenüber dem Staat.

      Deshalb glaube ich im Fazit, dass wir diese Basis, die du möchtest, nicht zwingend brauchen, um gute Debatten zu haben (ohne sie allerdings – wie zugegeben – auch nicht absolute sportliche Fairness erreichen werden). Wir brauchen lediglich eine gute Juriermethodik mit klarer, transparenter Begründung und selbstkritischer Hinterfragung des Jurierergebnisses. 🙂

  4. Julian Stastny sagt:

    Wie stellst du Dir das vor, dieses „Begründen des regionalen SQ“? Mir scheint es da nur folgende Möglichkeiten zu geben:

    1) Behaupten, dass der SQ im Mittel wohl gut ist. Ist aber eben eine Behauptung.
    2) Rhetorische Rauchbomben werfen: Es ist wohl eine vertretbare Ansicht, dass man dies im Debattieren haben möchte, für mich wäre es absurd und #notmydebateland
    3) Sagen, dass der Teil des regionalen SQ, den man gut findet, gut ist weil er dem regionalen SQ entspricht, was offensichtlich zirkulär ist.
    4) Werte im SQ instrumentell betrachten, womit man sich letztendlich doch am (Präferenz-)utilitaristischen Grundwert orientiert.

    1. Julian Stastny sagt:

      @Redaktion: Das ist die Antwort auf Kommentar 3a. Wenn ihr das so editieren könntet, wäre das toll 🙂

    2. Nicolas F.(Göttingen) sagt:

      Am Ende ist jede Argumentation immer an ein Wahrheitsverständnis gebunden, daher: Mach deine Wahrheit plausibel.

    3. Barbara S. (HH) sagt:

      @ Redaktion: Ist hier vlt als eigener Thread ganz gut und spannend aufgehoben, da es hier ja eher um konkrete handwerkliche Aspekte des Argumentierens geht.

      @ Julian: Dass 1-3 schlechte und unsinnige Begründungen sind, würde ich sofort zustimmen. Ich würde aber anmerken, dass 4) nicht zwingend utilitaristisch sein muss (bzw. so allgemein wäre, dass es wirklich nur noch um eine Methode der Wertermittlung geht, nicht aber einen (Grund-)Wert an sich

      und ergänzen: 5) z.B. deontologische Argumentationsmuster oder meinetwegen auch solche der Tugendethik anwenden, im Gegensatz zu den konsequentialistischen Argumentationsformen, zu denen ja auch der Utilitarismus gehört

  5. Thomas W. (Halle) sagt:

    Wir kriegen allein deshalb schon keine intersubjektiv geteilte Grundethik zustande, da wir schlicht nicht einmal in denselben Theoriesprachen sprechen!

    Und was wäre eine im konkreten geteilte Grundethik anderes als eine Gleischaltung qua hegemonialer Ideologie?
    Dass da auch zig Annahmen sind, die man bei Julian angreifen kann (sollte), kommt mit dazu.
    Aber das liegt sicher auch an unterschiedlichen Vorverständnissen und Denkhorizonten.
    Und gerade deren Konfrontation macht doch das Debattieren so great!

    1. Florian Umscheid sagt:

      „Mehr Systemtheorie wagen!“

    2. Thomas W. (Halle) sagt:

      Mit „echter“ Systemtheorie habe ich noch gar nicht erst angefangen.

      Ich versuche hier nur gegen eine Wand philosophischer Dekontextualisierung darauf zu verweisen, dass gesellschaftliche Debatten simuliert werden und dementsprechend die relativen/standpunktspezifischen Geltungs-Ansprüche auch ruhig als solche so verstanden und beobachtet werden können, wenn, ja wenn man es denn mit dem kritischen und interdisziplinären Ansatz im Debattieren auch ernst meint.
      Ansonsten kann man natürlich auch einfach gern im angelsächsischen, liberalen Ethik-Diskurs weiter selbstreferentiell schmoren…

  6. Stefan Torges sagt:

    Danke Barbara für deinen Beitrag! Ich glaube, dass du recht hast damit, dass wir hier auch den Anspruch des Debattierens zu einem gewissen Teil entscheiden. Ich halte Intersubjektivität für sehr wichtig, da mir der sportliche Aspekt besonders am Herzen liegt. Andere sehen das sicherlich anders, was ich verstehen kann.

    1. Was ich nicht verstehen kann, ist, wie Leute hier allen Ernstes intellektuelle Diversität hochhalten. Debattieren funktioniert nur ernsthaft, wenn es einen geteilten normativen Rahmen gibt. Es gibt Menschen aus anderen Kulturkreisen, die Begründungen für aus unserer Sicht abscheuliche Dinge für plausibel halten und dementsprechend jurieren würden. Daher ist das Festlegen eines normativen Rahmens A) graduell und B) aus Transparenzgründen sinnvoll. In meinem Artikel habe ich den wenigen restriktiven Vorschlag von Shengwu Li gepostet, der immerhin einschränkt, welche Grundwerte zulässig sind. Andernfalls sind den Intuitionen und Grundwerten von Jurorinnen und Juroren keine Schranken gesetzt. Das halte ich für problematisch – sportlich und auch intellektuell.

    2. Weiterhin sprechen hier viele von nicht-konsequentialistischen Grundwerten und Überzeugungen. Ich habe noch nie in einer Debatte eine überzeugende *nicht konsequentialistische Begründung* eines solchen Werts gehört. Welche Begründungen habe ich bereits gehört:
    A) Achtung der Menschenwürde ist wichtig, da es ein Prinzip ist, was vor Willkür des Staates schützt. (konsequentialistisch)
    B) Freie Meinungsäußerung ist wichtig für gesellschaftlichen Fortschritt und die Verhinderung diktatorischer Tendenzen. (konsequentialistisch)
    C) Freiheit ist wichtig für die Selbstverwirklichung von Individuen. (konsequentialistisch)

    Nun gibt es verschiedene Möglichkeiten:
    – Ich bin sowieso konsequentialistisch und deswegen überhöre ich solche Begründungen oder finde sie wenig überzeugend.
    – Rednerinnen und Redner haben gemerkt, dass nicht-konsequentialistische Begründungen in den allermeisten Fällen wenig überzeugend sind und nutzen sie daher nicht mehr.
    – Konsequentialistische Argumente sind gerade in Mode und ich bin noch nicht lange genug dabei.
    – Das deutsche Debattieren hat sich hier vom internationalen beeinflussen lassen.

    Ich glaube, dass zumindest grundsätzlich die zweite Erklärung die zutreffende ist, auch wenn sicherlich alle Faktoren dazu beitragen. Aber vielleicht irre ich mich. Wenn jemand eine gute nicht-konsequentialistische Begründung für ein ethisches Grundprinzip hat, würde ich mich darüber freuen. 🙂

    3. Auch glaube ich, dass die Qualität des Debattierens oder Diskurses nicht abnehmen würde durch einen einheitlichen normativen Maßstab. Er zwingt uns gerade im Zweifelsfall weitreichende Begründungen anzuführen: Wieso ist die Meinungsfreiheit ein wichtiges Prinzip? Wieso sollten wir die Menschenwürde achten? Wieso ist Selbstentfaltung wichtig? Allein die Tatsache, dass lediglich konsequentialistische Begründungen zulässig wären, scheint mir kaum eine Einschränkung zu sein. Eher fordert sie Jurorinnen und Juroren auf kritisch zu sein: Wieso sollte ich dem Redner/der Rednerin diesen Wert abkaufen? Andernfalls kommt man leicht mit Nebelkerzen durch.

    4. Machen wir dann nur noch bräsige Selbstbeweihräucherung? Vielleicht habe ich einen anderen Eindruck als die meisten hierzu, aber ich glaube, dass bereits im SQ 95-99% der Argumente konsequentialistisch sind. Wenn das der Fall ist: Wie viele empfinden den SQ als bräsige Selbstbeweihräucherung oder Echokammer? Es wird immer noch Streit darum geben, ob Freiheit oder Sicherheit wichtiger ist, ob wir das Flugzeug abschießen sollten oder nicht. Was sich ändert ist, dass im Zweifelsfall eher bessere als schlechtere konsequentialistische Argumente gemacht werden. Denn dann wissen alle, was die Erwartungshaltung ist.

    1. Nicolas F.(Göttingen) sagt:

      Zu deiner Frage in 4: Ich empfinde den jetzigen SQ im Debattieren genau so. Mittlerweile hat sich zumindest die deutsche Debattierszene (für die internationale kann ich nicht sprechen, ich vermute sie aber noch krasser in die gleiche Richtung) zu einer in großen Teilen linksliberalen Echokammer entwickelt, was sie vor ca. 10 Jahren in dieser Weise noch nicht war. Kann sein, dass du damals noch nicht dabei warst, aber für jeden, der sich an die gute alte Zeit zurück erinnert, ist eines klar: Es gibt viele Verbesserungen in Debattierdeutschland, die Verengung des Diskurses was debattabel erscheint, gehört meines Erachtens nicht dazu. Schönes Beispiel hierfür: Es gab Zeiten, da ließen CAs die Homoadoption debattieren. Ich will jetzt gar nicht auf die Vor- und Nachteile dieses speziellen Themas hinaus, aber ich nehme an, dass heute diese Thema nicht mehr gestellt würde weil „es ja gar keine Gegenargumente“ gäbe. Ein wie ich finde, sehr schönes Beispiel, wie stark sich das deutsche Debattieren eben in genau diese Echokammer begeben hat. Und ein Konsens auch (vermutlich linksliberale) Grundwerte würde diese Echokammer noch viel stärker zementieren, eine grausige Vorstellung, zumindest für einen richtigen Debattierer wie mich!

    2. Andreas Lazar sagt:

      Es ist echt verkürzt und tut deontologischer Ethik unrecht, sie auf Konsequentialismus zu reduzieren. Sie mag im Debattierkontext schwerer zu vermitteln sein als utilitaristische Ethik, aber wir sollten uns darum bemühen. Allein schon, um nicht selbst intellektuell zu verkümmern, und um die Bandbreite der in der Realität vorfindbaren ethischen und moralischen Überzeugungen besser abzubilden und interessant aufeinanderprallen zu lassen. Das heißt nicht, dass wir uns nicht mehr rational-logisch (und damit intersubjektiv überprüfbar, was für die Fairness unseres Sports wichtig ist) ausdrücken sollten, aber ein größerer Variantenreichtum der üblicherweise verwendeten ethischen Positionen erscheint mir durchaus möglich und sinnvoll. Deontologie kann auch inspirierender sein als der letztlich sehr physische, sich an den Affen im Menschen wendende Utilitarismus. Wir liegen eben nicht nur in der Gosse unserer Körperlichkeit, sondern schauen auch zu den Sternen.

    3. Stefan Torges sagt:

      Lieber Nicolas, hier stimme ich dir sogar zu. Lediglich glaube ich nicht, dass diese Art der Echokammer durch eine konsequentialistische Grundmetrik entstanden ist oder befördert wird. Zumindest die Argumente, die in der Adoptionsdebatte auf der Opposition gemacht wurden, die ich gesehen habe, waren dediziert konsequentialistisch (z.B. Kindeswohl). Der Trend, den du beschreibst, verhindert in der Tat spannende Debatten oder treibt seltsame Blüten wie im Finale des Nikolausturniers.

      Lieber Andreas, ich wollte mit den Beispielen nur ausdrücken, dass die Debatten über Wertemaßstäbe, die sich alle wünschen, in der Realität nicht wirklich stattfinden. Wir haben bereits jetzt vor allem konsequentialistische Debatten. Insofern wäre ein positives Annehmen eines konsequentialistischen Maßstabs nicht der Untergang der Debattierszene. Das wäre dann nämlich schon passiert.

      Darüber hinaus sehe ich einige Probleme mit deontologischen und tugendethischen Aspekten im Debattieren. Nur eine davon ist die schwierige Vergleichbarkeit. Weitere sind: A) Beide Konzepte beziehen sich in ihrer ursprünglichen Auslegung nicht auf staatliches Handeln. B) Beide lassen keine Bewertung von Zuständen der Welt außerhalb des Handlungskontextes zu. Also sind sie sprachlos bezüglich Themen wie „DH begrüßt…“, „DH bereut…“.

      Viel schlimmer: Eine Pluralität im Bewertungsmaßstab reduziert die Debatte auf eine einzige Frage, nämlich welcher Bewertungsmaßstab angemessen ist. Wer diese Frage für sich entscheidet, gewinnt die Debatte. Ich finde das unbefriedigend – zumal Debatten darüber selten besonders fruchtbar sind.

    4. Thomas W. (Halle) sagt:

      Nein, wieder falsch.
      Mögliche Streit- und Konfliktlinien werden pluralisiert, ganz entsprechend den diversen Bewertungsmaßstäben in gesellschaftlicher/weltgesellschaftlicher Realität….

    5. Deniz L. (Halle) sagt:

      Lieber Nicolas,

      was die Echokammer angeht, bin ich absolut bei dir – es ist nur keine „links“liberale. Grünkohlsmoothies, fair gehandelte Mondscheintomaten aus regionalem Anbau und der Veggie Day sind keine linken Projekte und auch bei der Ehe für alle etc. würde ich die „Trennlinien“ nicht zwischen „links“ und „rechts“ einziehen. Das hat den gesellschaftlichen Diskurs in meinen Augen schon weit genug an einen Punkt verschoben, an dem die Leute glauben, man wäre in einem Land, in dem gut 1/5 der Leute im Niedriglohnsektor arbeiten, schon „links“ wenn man sich Frühstückseier aus Freilandhaltung kredenzt. Marx war schließlich Ökonom und kein Biobauer. Das Label „liberal“ reicht also vollkommen aus.

    6. Teresa W. sagt:

      Deniz L., dem würde ich deutlich widersprechen. Ich halte es sogar für schädlich wie inflationär der Beriff „liberal“ in der Debattierszene verwendet und für sich beansprucht wird. Ob links-„liberal“, neo-„liberal“ (welches im Übrigen als eine Art Schimpfwort verwendet wird, ohne die Bedeutung des Wortes zu kennen) oder einfach „nur“ liberal. Ich befinde mich seit einiger Zeit bedingt durch mein gesellschaftspolitisches Engagement in einer liberalen Echokammer. Dort sieht es anders aus!

    7. Christian (MZ) sagt:

      Gemeint ist wahrscheinlich das us-amerikanische Verständnis von „liberal“. Das wird dort ja meist im linksliberalen Sinne bzw. oftmals als Synonym für „links“ verwendet.

  7. Barbara S. (HH) sagt:

    Lieber Stefan,

    auch nach längerem Nachdenken über deine Antworten glaube ich, dass sie nicht wirklich konstruktiv zu der Debatte beitragen, welche Richtung das Debattieren einschlagen sollte. Dir liegt der sportliche Charakter des Debattierens offensichtlich sehr am Herzen und wie ich oben geschrieben habe, kann ich das gut nachvollziehen. Dass du aber scheinbar meinst, die mit dieser Richtung verbundenen Kosten einfach „wegbehaupten“ zu können, finde ich schon ein bisschen ärgerlich, weil es nicht deinem üblichen hohen Standard an Argumentation entspricht.

    Sowohl die Diskussion hier als auch jene unter deinem Artikel zeigen empirisch, dass es durchaus nicht wenige Debattierer gibt, die insbesondere deontologischen Argumentationsformen viel abgewinnen können und eine philosophische Reduktion auf konsequentialistische Ethiken als echte Einschränkung und Verlust empfinden würden. Und wie du ernsthaft behaupten kannst, große Teile der Ethik dem Spektrum legitimierter Argumentationsformen zu entziehen würde dem intellektuellen Aspekt des Debattierens allenfalls nützen, keinesfalls aber schaden, ist mir wirklich schon rein logisch unbegreiflich. Du persönlich magst keinen Spaß daran haben, deine eigene Ethik als Maßstab gegenüber Andersdenkenden zu rechtfertigen; ich dagegen halte dies für eine der wichtigsten Sachen überhaupt, wenn Diskurs ernsthaft möglich bleiben soll.

    Ich habe auch ein weiteres logisches Problem mit deinen Ausführungen: Einerseits gehst du davon aus, dass „95-99% der Argumente konsequentialistisch sind“ und es daher keinerlei signifikante Änderung des SQ bedeuten würde, wenn wir konsequentialistische Ethik zum Maßstab allen Jurierens machen würden. Andererseits scheinst du ein großes Problem in der gegenwärtigen Jurier- und Debattierpraxis zu sehen, welches die Etabilierung dieses einheitlichen Maßstabs notwendig macht, um den SQ zu verbessern. Diese Einschätzungen sind aber offensichtlich widersprüchlich, was dafür spricht, dass die Wahrheit vermutlich doch eher etwas mehr in der Mitte liegt, wo ich sie auch versucht habe zu verorten.

    Dass wir grundsätzlich einen geteilten Werterahmen brauchen, könnte durchaus wahr sein – auch dies habe ich bereits im Artikel zugestanden. Eben deshalb habe ich auch die Überlegung aufgestellt, ob hier der in letzter Zeit oft thematisierte Unterschied zwischen „internationalem“ und „deutschem“ BPS liegen könnte: Anders als im internationalen Kontext *haben* wir einen gewissen gesellschaftlichen SQ, auf den wir uns beziehen können. Wie ich schon auf Julian geantwortet habe, hilft dies natürlich nicht immer. Es ermöglicht aber durchaus, dem deontologische Problem der Letztbegründung von Werten zu begegnen, indem man beispielsweise Argumente formen kann in die Richtung von „Wir sind uns einig, dass Werte A, B, C gelten (vgl. Beispiel XY), deshalb sollte auch Wert D gelten, weil … (Vergleichbarkeit, ähnliches Gewicht, etc.).“
    Anwendungsbeispiele hierfür wären z.B. die Aufnahme von Flüchtlingen im Spätsommer 2015 als Gebot der Menschlichkeit (unabhängig z.B. von ihrer „Nützlichkeit“ auf dem Arbeitsmarkt) oder das absolute Folterverbot (selbst wenn sich mir der Folter 100.000de Leben retten ließen) oder die Abschaffung der Todesstrafe. All diese Fragen kann man selbstverständlich auch rein konsequentialistisch angehen. Ich persönlich finde dies nur immer wenig befriedigend, weil ich die größere Frage, welche Form von Gesellschaft wir eigentlich sein wollen und welche Erwartungen wir an uns selbst stellen, durchaus auch sehr spannend finde. Und in eben solchen Kontexten werden solche Argumente auch in Debatten geführt, auch durchaus erfolgreich (ich erinnere mich, die Anekdote sei gestattet, z.B. an mindestens eine Debatte auf der ZD Göttingen, wo ich mit eben solchen Argumenten gegen dich angetreten bin und gewonnen habe 🙂 ). Deine Behauptung der 95-99% möchte ich daher ganz klar als eben reine Behauptung zurückweisen. Nicht-konsequentialistische Argumenten mögen schwerer zu führen sein als utilitaristische, aber ich würde Andreas völlig zustimmen, dass das noch lange kein Grund ist, sie zu „verbieten“ (und das täten wir faktisch, würden wir deinem Vorschlag folgen).

    Gerade die von dir (aus sportlicher Perspektive nachvollziehbar abgelehnte) „Pluralität im Bewertungsmaßstab“ ist letztlich doch der Ort, an dem gesellschaftliche Debatten (in der Realität) entschieden werden: der ewige Streit um die Deutungshoheit und persönliche Ethik. Mein Punkt ist, dass dieser Streit seine Berechtigung hat, spannend sein und weitgehend intersubjektiv nachvollziehbar (und damit sportlich) geführt werden kann. Und dass wir uns daher wirklich überlegen müssen, ob wir den wirklich aufgeben wollen. Und für diese Frage finde ich es nicht hilfreich, diesen Preis einfach zu verleugnen und damit diese Kosten-Nutzen-Rechnung einseitig zu verzerren.

    1. Barbara S. (HH) sagt:

      Das hier sollte eigentlich 6e) sein 😀

    2. Stefan Torges sagt:

      Hm. Der Ton war wohl nicht angemessen. Tut mir leid. Das Thema treibt mich wirklich um und deshalb bin ich dann manchmal aggressiver als nötig.

      Ich versuche noch einige konstruktive Klarstellungen von meiner Seite:

      A. Das Problem, was ich aktuell sehe, ist nicht, dass zu wenig konsequentialistische Argumente gemacht werden oder diese falsch bewertet werden. Eher, dass wenig explizit über diese fundamentalen Fragen gesprochen wird. Das scheint mir nötig und generell positiv. Insofern freue ich mich wirklich über deinen Beitrag und die Diskussion. 🙂
      B. Nachdem ich lange über das Thema (und drumherum) nachgedacht habe, scheint mir die angemessenste Einstellung, das Grundwerte ähnlich wie Geschmack sind: Man hat sie irgendwie, kann auch drüber nachdenken – wirklich streiten kann man aber nicht über sie. (Die Analogie ist nicht perfekt, hilft aber der Diskussion hier vielleicht.) Deswegen glaube ich auch, dass man keine Begründungen für sie anführen kann, weswegen Debatten über Grundwerte, Maßstäbe usw. sich vielleicht auf den ersten Blick interessant anhören, aber eigentlich nur vom Panel mit „Ich mag Schokolade lieber“ entschieden werden. (sehr verkürzt) Außerhalb von Debatten unterhalte ich mich gerne über die Werte und Einstellungen von Menschen. Schließlich sind sie es, die uns zu großen Teilen als Personen ausmachen.
      C. Daraus ergibt sich auch, dass ich die Debatten über eben solche Grundwerte wenig bereichernd finde – sportlich und intellektuell. Wenn jemand wirklich nach Kant glaubt, dass Lügen in jeder Situation falsch ist, werde ich *keinen einzigen Grund* liefern können, wieso er falsch liegt. Ich kann Situationen aufzeigen, in denen es aus meiner – und der Perspektive der meisten – eine absurde Regel ist. Aber für ihn wäre die Situationen nicht absurd oder gute Gründe, seinen Grundwert aufzugeben. (Außer er hat andere widerstreitende Grundwerte.) Das empfinde ich als keine gute Debatte.

    3. Julian Stastny sagt:

      Auch ich verstehe nicht, wie eine Debatte besser wird, wenn wir nicht-konsequentialistische Maßstäbe erst einmal akzeptieren.

      Um auf dein Beispiel mit der Folter einzugehen, sehe ich hier drei mögliche Debatten:

      1) Alle sind sich einig, dass es um Konsequenzen geht, und daher wird auch die Tatsache thematisiert, dass dies Missbrauchspotenzial wie in Guantanamo birgt, es langfristig unsere Werte erodiert, gute Slippery Slopes etc.
      2) Ein Team behauptet, dass dies aufgrund der Menschenwürde nicht ginge, und wird die Menschenwürde zirkulär begründen, was, wie du mir zugestanden hast, eine schlechte Begründung wäre.
      3) Ein Team behauptet, dass dies aufgrund der Menschenwürde nicht ginge, und dass wir universelle deontologische Prinzipien brauchen, aus den gleichen Gründen wir in (1).

      Selbiges gilt auch für dein Flüchtlingsbeispiel, welches eigentlich für Konsequentismus spricht, siehe Peter Singer in Praktische Ethik, der eine viel höhere Aufnahmebereitschaft für Flüchtlinge fordert als Status Quo. Doof wird die Debatte leider nur dann, wenn ein Team behauptet, ein Staat habe aufgrund des Gesellschaftsvertrags oder whatever nur eine Verpflichtung gegenüber ihren eigenen Bürgern.
      Wie kann man darüber denn inhaltlich argumentieren?

      In Stefans und meiner Welt wären (1) und (3) gute Cases und (2) ein schlechter Case.

      Nun glauben manche, dass man auch nicht-zirkuläre Begründungen für (2) anführen könnte. Dies würde aber, wie du auch zugestanden hast, auf naturalistischen Fehlschlüssen oder Autoritätsargumenten oder rhetorischen Nebelkerzen/Intuitionspumpen beruhen.

      Ich glaube, dass Debatten daher nicht nur sportlich besser sind, sondern auch in ihrer Qualität nach außen hin steigen, wenn Prinzipien gleich mit sinnvollen Argumenten begründet werden.

      Und ja, vielleicht glauben eben viele Leute, dass die Menschenwürde, Handlungsfreiheit, Demokratie oder Schokolade intrinsische Werte sind. Vielleicht haben sie sogar Recht. Dies wäre aber unbegründbar.

      Debatten funktionieren nicht, wenn eine Seite claimen kann, dass sie die Silver Bullet in dieser Debatte hat, weil eine Person als Mittel zum Zweck benutzt wird und dies die Menschenwürde verletze.
      Im Best Case haben wir nur eine schlechtere Debatte mit einem Team, das verdient auf die vier gesetzt wird, sollte dies ihr einziges Argument sein.
      Im Worst Case werden Juroren davon überzeugt, nicht aufgrund der Qualität der Brgründung, sondern weil sie selbst schon diese Intuitionen haben. (So passiert auf der ZD Wien)

      Da wäre mir eine hochqualitative Debatte mit guten Analysen über die Konsequenzen der in der Debatte vorgebrachten Prinzipien, welche an diesen Konsequenzen gemessen werden, viel lieber.

    4. Samuel Scheuer (Bayreuth) sagt:

      Lieber Julian,

      Ich stimme dir in deiner Kritik von nicht-konsequentialistischer Argumentation zu, allerdings glaube ich dass du Konsequentialistische Argumentation hier ein bisschen zu stark einengst. Gerade im Rahmen dieser Diskussion sollten wir im Hinterkopf behalten dass Konsequentialismus nicht automatisch Utilitarismus bedeutet.
      Konsequentialismus bedeutet erst einmal nur dass wir den moralischen Wert einer Handlung anhand ihrer Konsequenzen bewerten und nicht anhand von anderen Charakteristiken. Damit ist allerdings noch nicht geklärt welche Konsequenzen denn eigentlich gut oder schlecht sind.
      Wenn wir jetzt einen Schritt weitergehen und uns einen normativen Rahmen nehmen der diese Abwägung schon trifft, (Präferenzutilitarismus in deinem Fall) gibt es zwei Probleme:
      1. Jede philosophische Theorie bringt auch konterintuitive Aspekte mit sich, die wir akzeptieren müssten. Im Falle von Präferenzutilitarismus wären das die Beförderung von „asozialen Präferenzen (Folter, Sadismus etc.)“ und das Maximierungsgebot.
      1.a) Es wird Debatten geben in denen ein Team dadurch gewinnt dass es Argumente benutzt die (fast)allen Debattanten im Raum intuitiv widersprechen (Einen Obdachlosen töten um 4 anderen Menschen Organe spenden zu können). Es scheint problematisch dass Debatten mit Argumenten gewonnen werden können die der Großteil der DebattantInnen intuitiv ablehnt.
      1.b) Wie alle utilitaristischen Theorien leidet auch Präferenzutilitarismus an der Pflicht zur Maximierung. Letztendlich wird es extrem schwer bis unmöglich sein in einer Debatte für Freizeit, Kunst, Hobbys oder Ähnliches zu argumentieren. Dies führt auch zu sportlichen Problemen im Debattieren. Auf der einen Seite wäre Debattieren in einem normativen Kontext platziert in dem es sich selbst als Aktivität eigentlich Ablehnen müsste damit DebattantInnen anstatt dessen Geld verdienen um es an effektive Charities zu spenden. Auf der anderen Seite würde fast jede Policy-Debatte mit einem Effektiv-Altruistischen Counterprop gewonnen werden. Egal wie viel Geld die Regierung für Maßnahme X benutzt, man könnte immer mehr und wichtigere Präferenzen damit im globalen Süden befriedigen.

      2. Durch das Annehmen eines solchen Rahmens verkleinern wir die mögliche Themenanzahl und Argumentationsvielfalt. Das letzte Vorrundenthema der DDM 2016 wäre in diesem Rahmen beispielsweise nicht denkbar. Og gewinnt automatisch dadurch das sie „Utilitarismus“ sagen.

      Ich glaube außerdem nicht dass ein Gesellschaftsvertrag konsequentialistisch nicht verteidigbar ist. Eine normative Pflicht trifft nicht auf alle vorstellbaren Akteure gleichermaßen zu. Eine Firma hätte wahrscheinlich auch keine moralische Verpflichtung zu Präferenzutilitaristischem Handeln, sondern wäre immer noch eine egoistische, Gewinnmaximierende Entität. Im gleichen Maße kann ein Staat einfach ein Organ zur Durchsetzung gebündelter Interessen seiner BürgerInnen sein und deshalb keine moralische Verpflichtung gegenüber Geflüchteten haben.

      Zusammenfassend halte ich es für wichtig eine klare Trennung zwischen „Debatten sollten konsequentialistisch juriert werden“ und „Debatten sollten nach konsequentialistischer Ethik X juriert werden“. Sobald wir uns für die letztere Option entscheiden, sollten wir uns jeweils auch der Probleme der Ethik X bewusst sein, die für das Debattieren gleichermaßen problematisch sein könnten wie Deontologische Argumente.

    5. Andreas Lazar sagt:

      Konsequentialismus/Utilitarismus ist letztlich genauso unbegründbar bzw. begründbar wie andere Ethiken. Wenn wir das Glück oder den Nutzen für die meisten Lebewesen maximieren wollen, ist damit noch nicht begründet, warum wir das tun sollten, jenseits eines zirkulären „Lebewesen wollen leben“, d.h. eines naturalistischen Fehlschlusses (Lebewesen wollen leben, weil die Evolution, ein natürlicher Prozess, das von ihnen verlangt). Vielleicht wäre aber auch die gegenteilige Antwort auf Camus‘ Frage besser, d.h. sich umzubringen. Das können wir nicht wissen, wenn wir nicht widerstreitende Philosophien und Ethiken aufeinanderprallen lassen. Daher sollten wir das in Debatten tun, statt uns nur ins Korsett einer einzigen, zumal so schmucklosen Ethik zu begeben.

  8. Thomas W. (Halle) sagt:

    Ganz spontan ein paar kurze Gedanken:

    Der Strittigkeitsschwerpunkt in einer Debatte ist stets eine Selektionsentscheidung. Je nach theoretischem und disziplinärem Rahmen ist allein schon die Konzipierung deskriptiver Zuschreibungen, das Problem und den Maßnahme-Mechanismus betreffend, ein möglicher Streitgegenstand.

    Und ebenso kann man philosophisch, historisch und „dekonstruierend“ bzw. ideologiekritisch über Wertsetzungen streiten.
    Aber: Natürlich gehört es dabei zu fast allen Debatten, die Handlungsfolgen, sei es bei Erhalt des Status quo oder aber bei Änderung des Status quo „konsequentalistisch“ zu konkretisieren. Und dann?
    Braucht es immernoch einen Bewertungsmaßstab. Aber welchen? Utilitarismus hat dummerweise ein riesengroßes Semantik-Problem. Nehmen wir nun völlig blind und ahistorisch wie die meisten Ökonomen einen Präferenzutilitarismus an, bauen wir einen riesigen Status quo-Bias ein. Denn das, was uns heute als unsere angenommene Präferenz realweltlich „nutzt“, ist schlicht Ergebnis unseres gesellschaftlichen Status quo, unserer vermachteten, sozio-ökonomischen Strukturen und Systeme. Aber wieso soll ich denn die Legitimität herrschender, hegemonialer (etwas Neo- und Postmarxismus bitte, neben Systemtheorie natürlich) Präferenzen anerkennen, wenn ich vielleicht sogar mit meiner Maßnahme darauf abziele, die „Maschinerie“ zu ändern, die diese Präferenzen produziert. Wie soll ich denn bitte schön da Präferenzen als konkretisierte Nutzenbeinhaltung als Maßstab anwenden, wenn ich diesen partikularen, weil auch anders möglichen Maßstab als Metrik anerkennen?
    Nein, die Beinhaltung, die Konkretion von Nutzen kann unter anderen Bedingungen eben auch anders ausfallen. Und schwups, wir streiten uns über die positional-standpunktspezifische Konkretion von Nutzen.
    Oder aber wir streiten uns, in Weber’scher Termonologie über die Balance zwischen Gesinnungsethik (normative Zwecksetzung) und Verantwortungsethik.

    Natürlich kann man das in 7 Minuten nicht zufriedenstellend beenden, aber man kann halt wählen, ob man in der eigenen Glaubenssoße szientistischer und modellplatonischer Objektivierung schwimmen will oder aber die Ambivalenz und Komplexität der realen Welt ausloten will.
    You choose.

  9. Christian (MZ) sagt:

    Eigentlich wurde das alles schon gesagt: widerspricht es denn nicht dem Debattieren an sich, wenn man sagt, alle Debattenfragen sind an einer ganz bestimmten Philosophie zu messen? Dann geht es nicht mehr darum, die Frage als solche zu beantworten, sondern nur in Hinblick auf eine bestimmte Denkschule und wie man ihr am besten entspricht. Das kann man machen. Aber ist halt dann öde.

    Allgemein: das sportliche Problem ist sicherlich da und gerade in BPS macht es einen großen Unterschied, da man sich am Ende immer auf eine Sichtweise der Debatte einigen muss. Und je nachdem hat ein Team dann danach mal 0 Punkte oder 3 bzw. fliegt aus der KO-Runde raus oder gewinnt das Turnier. In OPD sind glücklicherweise mehrere Sichtweisen gleichzeitig möglich, aber auch da gibt es natürlich das Problem, das ist klar.
    Ich finde: das muss man hin nehmen! Man sollte Juroren besser schulen und Debattanten sollten wirklich versuchen, durchschnittlich informierte Zeitungleser zu werden (statt durchschnittlich informierte Facebooknutzer zu sein). Dann fällt das allen Debattanten im Raum leichter und man bekommt auch fairere Ergebnisse, weil alle einen ähnlicheren Horizont haben. Gleichzeitig sollte aber jeder in der Begründungspflicht für die von ihm bevorzugte Philosophie bleiben.
    Dass manche Argumente unintuitiver sind oder bei manchen Juroren trotzdem immer schwerer durch kommen werden als andere, wird sich nie ganz vermeiden lassen. Dann muss man als Redner eben versuchen, sich darauf einzustellen und als Juror genauso. Das ist immer noch besser als wenn man behauptet, man hätte die Lösung für alle Fragen eigentlich schon gefunden (42!) und jetzt ginge es nur noch darum, wie man dort am besten hin kommt…

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