„Am meisten profitieren die Schüler in der zweiten Reihe“ – Interview mit Petra Lockner von Jugend debattiert

Datum: 27. Juli 2012
Redakteur:
Kategorie: Debattieren in der Öffentlichkeit, Presseschau, VDCH

Petra Lockner ist Lehrerin an der Primo-Levi-Schule in Berlin und dort Landesbeauftragte für Jugend debattiert in Berlin. In dieser Funktion organisiert sie den Landesausscheid im Debattierwettbewerb für Schüler und koordiniert die teilnehmenden Programmschulen. Sie bezieht seit 2003 die Debatte in ihren Unterricht ein und bietet Oberstufenkurse in praktischer Rhetorik an. Für den VDCH-Newsletter „Debatte im Klassenraum“ sprach Philipp Stiel mit ihr über ihre Erfahrungen mit der Debatte als Methode im Unterricht.

Achte Minute: Frau Lockner, wann haben Sie Ihre erste Debatte erlebt?
Petra Lockner: Im Jahr 2003, da war ich noch ganz frisch an meiner damaligen Schule, haben mich meine Kollegen zum ersten Mal zu einer Debatte ihrer Schüler mitgenommen. Damals war ich ganz beeindruckt und dachte: Das kannst du niemals.

Wie so das denn?
Weil ich beeindruckt war, beeindruckt von der geschickten Argumentation und den spontanen Erwiderungen. Vor allem aber war ich beeindruckt von meinen Kolleginnen, die das Debattieren damals angeboten haben. Die waren richtig fit in der Debatte.

Wo hatten Ihre Kolleginnen das gelernt?
Die Schule, an der ich damals war, gehörte zu den Schulen der ersten Stunde von Jugend debattiert und meine Kolleginnen haben selbst mehrere Lehrertrainings in Rhetorik und Debatte durchlaufen. „Jugend debattiert“ hat damals professionelle freie Trainer an die Projekt-Schulen geschickt. Das Training ist so aufgebaut, dass du jede Übung selbst erprobst, bevor du sie mit den Schülern machst. Dabei musst du dich genauso überwinden, wie sich die Schüler überwinden, du exponierst dich dabei vor den Kollegen und hast genauso wie die Schüler ständig Angst dich zu blamieren. Deshalb hatte ich erst etwas gezögert, ob ich diese Ausbildung überhaupt mache, aber dann hat das richtig Spaß gemacht. Ich habe dabei unheimlich viel gelernt.

Was hat Sie an der Debatte damals begeistert?
Das Debattieren ist aus meiner Sicht am wichtigsten für die Schüler in der zweiten Reihe. Das sind die, die immer gut informiert sind, die aber den Vielschwätzern das Reden überlassen. Wenn diese ruhigeren Schüler bei Jugend debattiert mitmachen, dann profitieren sie davon enorm – und räumen am Ende in den Wettbewerben ab.

Und was sagen die Eltern dazu?
Oh – das ist gar nicht so einfach, den Eltern zu erklären, warum das Debattieren für ihre Kinder so wichtig ist. Manchmal steigen die mir sogar aufs Dach, weil sie gegen ihre Kinder in der Argumentation nicht mehr ankommen. Denn wenn die Kinder plötzlich diejenigen sind, die auf Gesprächsregeln pochen und die Eltern darauf hinweisen, dass sie ihre Behauptungen begründen müssen, dann kommen sie als Eltern schon mal ins Schwitzen. Aber am Ende sind sie doch stolz auf ihre Kinder: die meistern der Schüler werden zu den Debattierwettbewerben von ihren Eltern und Freunden begleitet. Aber trotz dieser tollen Wettbewerbe hier – das Training in der Klasse ist für mich viel wichtiger.

Was lernen Ihre Schüler dort im Debattierunterricht?
Wir fangen ja in der Mittelstufe schon mit dem Debattieren an. Zunächst einmal lernt man, seinen eigenen Redebeitrag an Andere anzuknüpfen: „Du sagst“ ist eines der Zauberworte, dass das „Ja, aber“ ersetzt. Dahinter steckt eine wertschätzende Haltung für das, was der Andere sagt. Besonders schnell wirkt sich aber auch die Rückmeldekultur aus, die zum Debattieren dazugehört. Egal ob bei einem Vortrag oder einer Präsentation, das Loben steht dann beim Feedback an erster Stelle, und Kritik wird als Tipp formuliert. Und der Diskussionsteil im Format von Jugend debattiert hilft, Themen inhaltlich aufzudröseln.

Wie kann man sich diese Diskussion in der Debatte vorstellen?
Wir sagen immer, die vier Redner sind Anwälte ihrer Position, sie führen die Debatte fürs Publikum und deshalb ist eine Debatte am Ende eine Teamleistung. Und diese Teamleistung wird für den Zuschauer umso gewinnbringender, je ausführlicher von allen Seiten auf die Argumente eingegangen wird und je besser die Redebeiträge verzahnt sind. Für uns Lehrer steckt dahinter auch eine Verantwortung, welche Rhetorik und welche Fähigkeiten wir den Schülern beibringen – und die freie Aussprache macht die Debatte fairer und wertschätzender.

Die Schüler müssen sich bei Jugend debattiert für jede Debatte auf einen neuen Teampartner einstellen – ist das nicht ganz schön anspruchsvoll?
Ziel für uns ist es, dass sich die Schüler gegenseitig helfen und ergänzen. Der Teambuilding-Prozess auf einem Wettbewerb ist ganz wichtig, da die Schüler dabei ihr Vorwissen miteinander abgleichen und eine Strategie entwickeln – dafür nutzen sie die Zeit zwischen der Veröffentlichung des Turnierplans und dem Beginn der Debatte. So lernen sie aber auch Schüler anderer Schulen kennen und die Veranstaltung wird weniger anonym – und manchmal sprechen sich sogar Pro- und Contra-Seite vorher ab, damit es keinen Überraschungseffekt bei der Maßnahme gibt, die vorgeschlagen wird.

Kommen wir mal zu Jugend debattiert in Berlin – wie viele Schulen machen hier mit?
In Berlin gibt es 20 Projektschulen, die in diesem Jahr am Wettbewerb teilnehmen und einige weitere Schulen, die zwar debattieren, aber nicht teilnehmen. Die meisten Schulen beginnen mit einer Unterrichtsreihe und bieten darauf aufbauend AGs an. Ich selbst mache im nächsten Jahr einen ganzen Kurs zur praktischen Rhetorik in der Oberstufe.

Wie geht das denn – steht das Debattieren schon im Lehrplan?
So richtig steht es nur für die Mittelstufe als Methode im Deutschunterricht im Lehrplan. Aber in Berlin können wir für die Oberstufe eine Art rechtsfreien Raum nutzen, da hier zusätzliche Kurse angeboten werden müssen, die die Schüler auch ohne Prüfungsleistung belegen können.

Und das können Sie anbieten, ohne Fachausbildung?
Wir sind durchaus ausgebildet – aber nicht durch die Universitäten. Jeder Lehrer muss vorher Trainings machen, bevor er Debattieren anbieten kann und man bekommt hier Unterstützung durch Materialien und Anregungen für den Unterricht.

Was  sagen Ihre Kollegen eigentlich zum Debattieren?
(lacht) Im letzten Schulwettbewerb habe ich meine Schüler zu brisanten Fragen, die unsere Schule betreffen, debattieren lassen. Und danach kamen einige Kollegen auf mich zu und meinten, ich würde die Schüler gegen die Lehrer aufhetzen. Aber eine Debatte hat ja immer Pro  und Contra, und am Ende werden alle Argumente gehört – und in diesem Fall hat die Contra-Seite (die der Sicht der meisten Lehrer entsprach) sogar den besseren Job gemacht. Das haben diese Kollegen aber gar nicht wahrgenommen, für sie war es schon Provokation, dass diese Themen überhaupt so öffentlich debattiert wurden.

Manche Lehrer haben Angst, dass sie nicht mehr gegen die Schüler argumentativ ankommen – aber ich finde das gut, wenn wir die Schüler und Schülerinnen stärken. Und am Ende bin ich auch ein bisschen stolz auf das, was sie durch das Debattieren gelernt haben.

Frau Lockner, vielen Dank für das Gespräch!


Dieser Artikel erschien in der Juli-Ausgabe des Newsletters „Debattenkultur“ des Verbands der Debattierclubs an Hochschulen. Dieser widmet sich dieses Mal dem Thema „Debatte im Klassenraum“. Anlässlich der neu geschlossenen Kooperation des Verbands mit Jugend debattiert, dem Debattenwettbewerb an Schulen, beleuchten Schüler, Lehrer und Jugend-debattiert-Alumni das Schülerdebattieren. Die Autoren des Newsletters vermitteln dabei einen Eindruck von den besonderen Herausforderungen der Methode Debatte im Unterricht und analysieren die Unterschiede der Debattenformate an Schulen und Hochschulen.

Print Friendly, PDF & Email
Schlagworte: ,

Folge der Achten Minute





RSS Feed Artikel, RSS Feed Kommentare
Hilfe zur Mobilversion

Credits

Powered by WordPress.

Unsere Sponsoren

Hauptsponsor
Medienpartner