Über die Freiheit sich ausdrücken zu können / Willy Witthaut schildert seine EUDC-Erfahrungen

Datum: 8. Oktober 2012
Redakteur:
Kategorie: Turniere

Um im Stabhochsprung die Sechs-Meter-Grenze zu überwinden bedarf es der richtigen Umstände. Der Wind, die Anlauflänge, der richtige Stab – alle Faktoren müssen beachtet werden, denn sie können am Ende zwischen Triumph und Niederlage entscheiden. Dabei sind es doch „nur“ ein paar Zentimeter mehr als die Höhe, die der durchschnittliche Olympia Stabhochspringer sonst auch schafft. Zwischen 5,80 und 6,00 Meter liegt doch nur die Distanz zwischen einem ausgestreckten Daumen und dem gespreizten kleinen Finger. Das kann doch eigentlich nicht so schwer sein! Oder vielleicht doch? Sind es manchmal nicht die kleinen und unscheinbar wirkenden Elemente, die am Ende die höchsten Hürden sind? Im Debattieren ist es nicht anders. Diese schmerzliche, aber dennoch so aufschlussreiche Erfahrung durfte auch ich als Teilnehmer der European Universities Debating Championship (EUDC oder Euros) in Belgrad machen.

Ich trete bei den Euros an

In der eigenen Vorstellung davon, ein ganz guter Debattierer zu sein, entschloss ich mich die Herausforderung in Belgrad anzunehmen und bei der Europameisterschaft anzutreten. Interessant war der Termin, denn die EUDC fand parallel zu den Londoner Olympischen Spielen statt, die den sportlichen Charakter des Belgrader Wettstreits noch betonten. Getrieben von der olympischen Idee war es ein grandioser Gedanke, sich mit Menschen aus dem erweiterten Europa messen zu dürfen. Ein internationales Turnier (Dutch Open) hatte ich auch schon hinter mir und so schlecht ist es damals gar nicht gelaufen. „Irgendwie wird das auch auf den Euros machbar sein“, dachte ich mir. Außerdem konnte ich mich ja auch auf einen hervorragenden Freund und Turnierpartner freuen, Thore Wojke, der immer als wandelndes Lexikon, Ideenbereiter und Kritiker zur Stelle war. Naiv wie ich manchmal bin, kam sogar der Gedanke im Vorfeld auf: „Was wäre, wenn …? Was wäre, wenn wir es schaffen würden?“ Mich selbst ertappend bei der Vorstellung den Break rein theoretisch schaffen zu können, stellte sich eine ungewohnte Anspannung ein. Eine Anspannung, die wahrscheinlich am Ende weitaus hinderlicher als von Nutzen war. Marcus Ewald und Marietta Gädeke – beide reisten mit mir gemeinsam nach Belgrad – habe ich ständig über ihre Erfahrungen im internationalen Debattieren ausgefragt und in den sommerlichen Nachmittagsstunden in Belgrad kurz vor Turnierbeginn setzte ich mich noch schnell mal mit der politischen Lage des ehemaligen Jugoslawiens auseinander. Inhaltliche Vorbereitung für ein Turnier war mir bis zu diesem Zeitpunkt schlicht fremd. Das Ergebnis der erwähnten Anspannung war ein unglaublich zerrender Erwartungsdruck an mich selbst, der ganz nach dem Sprichwort „Hochmut kommt vor dem Fall“ den bevorstehenden Aufprall umso schmerzhafter ausfallen ließ. Von „freier“ Rede konnte kaum gesprochen werden.

Direkt am ersten Tag wurden mir meine Schranken aufgezeigt. Auch noch gegen Redner aus Cambridge und London stotterte ich mich in einer mir doch weitaus fremderen Sprache als ursprünglich angenommen durch die erste Runde. Beeindruckt von der Eloquenz und Präzision, trotz 45 Grad und direkter Sonneneinstrahlung, erhielt ich zumindest den Schein in meinem Kopf aufrecht, ich könne mich selbst erst dann beurteilen, nachdem ich gegen Menschen mit gleicher Sprachbarriere geredet hatte – großer Fehler.

Auch in den darauf folgenden Runden war der Erfolg kaum zu spüren. Die einzige Runde, die wir gewannen, basierte nur auf der (Zitat!) „noch schlimmeren Argumentation der Gegner“ und in der Runde, in der wir wirklich mal dachten gut gewesen zu sein und ordentlich gesprochen zu haben, erhielten wir die mit Abstand miserabelsten Punkte (und natürlich auch den letzten Platz), die ich in meiner Debattierzeit je erreicht habe. Wahrscheinlich weil wir nicht verstanden haben, was unsere Vorredner genau wollten. Es war laut, es war heiß und es war Englisch.

Ungewohnte Hürde

Gerade die ungewohnte Hürde „Sprache“ war für mich persönlich der Genickbruch auf dem Turnier. Eigentlich eine Kleinigkeit – gerade wenn man aus einem Land mit Schulpflicht und Englischunterricht kommt. Verbissen dachte ich mir: „Ich weiß doch, wie man debattiert. Ich weiß doch, wie man Argumente herleitet. Ich weiß doch, warum das Argument des Gegners Blödsinn ist. Ich weiß doch, was man sagen will“.  Ich kann es aber nicht. Die Folge ist, dass auf einmal die sechs Meter ziemlich weit weg sind. Aber es sind doch „nur“ 20 Zentimeter! Es ist doch nur das eine Wort, das mir gerade nicht einfällt. Die Hürde ist zu hoch – der Maulkorb ist angelegt. Ich glaube, dass dies die wahrlich spannendste und interessanteste Erfahrung für mich auf dem Turnier war. Drei Jahre lang habe ich gelernt und mir erarbeitet, mit Sprache zu spielen, Menschen zu überzeugen, von mir zu überzeugen und mich dabei frei zu fühlen. Dann auf einmal erfahre ich, wie wichtig das Medium Sprache eigentlich wirklich ist. Die unglaubliche Distanz zu erleben zwischen dem, was unbedingt gesagt werden muss, und dem, was gesagt werden kann, ist beängstigend und beeindruckend zugleich. Eine Erfahrung, die mir aufzeigt, was passiert, wenn Menschen über relevante Themen diskutieren, ich selbst aber nicht mitreden kann. Ich weiß zwar, worüber sie reden (und das ist der Unterschied zu einer völlig fremden Sprache), fühle mich aber nicht dazu in der Lage zu interagieren. Es fehlte mir eine Dimension der Freiheit, die mir nie zuvor in dem Maße klar war – bis zu diesem Moment. Eine Erfahrung die zumindest mich unglaublich berührt und bewegt hat.

Und jetzt? Jetzt stellen sich nur noch zwei Fragen: Was bleibt? Und was kommt?

Die erste ist die wahrscheinlich einfacher zu beantwortende Frage, die Frage nach dem, was bleibt. Die Erfahrung mit Menschen aus verschiedensten Teilen Europas über Prinzipienfragen zu debattieren und Ideen auszutauschen, ist – so glaube ich – ein unglaublich bedeutendes Element der demokratischen Idee. Abseits von Ressentiments mit Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien über die Zukunft des Balkan zu reden, mit Türken über Rechtsprinzipien zu debattieren und mit  Israelis über die Zwei-Staaten-Lösung zu streiten, ist eines der schönsten Erlebnisse die man als Freund des Debattierens machen darf. Mitzuerleben, wie die Organisation Open Communication mitten in Serbien seit Jahren für Meinungsfreiheit und -austausch einsteht und nicht aufgibt, obwohl sie während des Krieges zwischenzeitlich verboten war, ist einmalig. Was bleibt, ist die Erfahrung, die Erinnerung und die fröhliche Gemeinschaft der Menschen Europas.

Nun zu der Frage, was kommt. (Natürlich muss dieser Text auf den Leser wie völlig arroganter Frustabbau wirken. Ein bisschen Wahrheit steckt bestimmt dahinter.) Was kommt, ist die Tatsache, dass jeder Sturz, so weh er auch getan haben mag, einen dazu bewegen sollte, aufzustehen und es erneut zu versuchen. Nur das nächste mal eben besser. Vielleicht mit etwas mehr Vorbereitung. Vielleicht mit englischen Debatten im Vorfeld. Oder vielleicht einfach nur aus Spaß an der Sache Das nächste Mal werde ich eben die Latte erst mal nur auf 5,85 Meter setzen, dann auf 5,90 Meter. Und wer weiß, vielleicht sind irgendwann die Umstände so günstig, dass ich auch die Sechs-Meter-Marke knacke. Wichtig ist, nicht aufzugeben, sondern an sich zu arbeiten. Für mich persönlich heißt das: Englisch lernen. Und warum? Weil das Debattieren in einer Hinsicht einzigartig ist: Unabhängig von Sprache, Herkunft, Geschlecht und Religion haben wir alle Ideen. In jedem von uns steckt ein interessanter, aber vielleicht unausgesprochener Gedanke, der Gehör finden sollte. Gerade deshalb sollte man den Streit um Ideen niemals aufgeben – gerade deshalb sollten wir das Debattieren nicht aufgeben. Was kommt, ist eine neue Herausforderung, ein neues Turnier, eine neue Idee.

Text: Willy Witthaut / apf

Und hier noch das Video, das die Belgrader Debattierer von Open Communications zusammengestellt haben:

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1 Kommentare zu “Über die Freiheit sich ausdrücken zu können / Willy Witthaut schildert seine EUDC-Erfahrungen”

  1. Teresa W sagt:

    Wenn ich könnte würde ich jetzt „like“ klicken. Ich glaube jeder von uns, der schon einmal englisch debattiert hat, rückt danach das, was man glaubte übers Debattieren zu wissen, erstmal wieder in Perspektive.

Kommentare sind geschlossen.

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