Rhetorik ist eine Waffe

Datum: 26. Februar 2013
Redakteur:
Kategorie: Debattieren in der Öffentlichkeit, Presseschau
Fire_breathing

(Luc Viatour / www.Lucnix.be)

Jonathan Scholbach hat sich Gedanken gemacht, was sportliches Debattieren mit Waffen zu tun hat. Hier sein Text, der bereits im Programmheft der Jenaer ZEIT Debatte 2011 erschienen ist.

Rhetorik ist nebulös – schwer zu greifen, aber doch irgendwie da. Rhetorik ist gewebte Luft – Schall und Rauch. Rhetorik ist halbseiden – eine Gaze, um die Zuhörer einzuwickeln. Rhetorik fragt nicht nach ihrem Zweck, und lässt sich deshalb besonders zwanglos instrumentalisieren. Je armseliger die Argumente sind, desto reichlicher müssen sie mit rhetorischem Gewebe verschleiert werden.

Debattieren schult die Rhetorik?  Wer behauptet, jede Seite gleich gut vertreten zu können, der kann die Wahrhaftigkeit nur preisgeben. Wer im Umgang mit der Wahrheit den Ernst vermissen lässt, der ist verdächtig – ein Vorwurf, der übrigens auch Schauspielern gegenüber lange Zeit erhoben wurde. Und in der Tat hat das sportliche Debattieren etwas mit dem Theater gemeinsam: Da die Seiten ausgelost werden, ist die Rolle festgelegt. Anders als der Schauspieler muss sich der Debattierer seinen Text aber erst selbst ausdenken. Die Notwendigkeit, sich in seine Rolle hineinzudenken, betrifft also beim Debattieren nicht nur die emotionale sondern vor allem auch die argumentative Glaubwürdigkeit: Welches Weltbild hat jemand, der diese oder jene krasse Abweichung vom „gesunden Menschenverstand“ vertritt? Und warum? Je besser es den Rednern in ihren 15 Minuten Vorbereitungszeit gelingt, sich dies klar zu machen, desto glaubwürdiger sind sie.

Beim sportlichen Debattieren geht es also nicht in erster Linie darum, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, sondern darum, die strittigen Argumente in ihrer inneren Logik gut zu verstehen, um sie verständlich, anschaulich und widerspruchsfrei zu präsentieren. Debattieren ist also ein Denk- und Redespiel. Dem Redespieler sein Reden vorzuwerfen wäre so, wie den Schauspieler für das anzuklagen, was er im Schauspiel getan hat. Die Debatte ist real. Der Vorwurf mangelnder Wahrhaftigkeit trifft auf den Debattierer nicht mehr zu, als auf den Schachspieler, der die schwarzen Steine zum Sieg führen will, obwohl in Wirklichkeit Weiß seine Lieblingsfarbe ist.

Aber auch symbolische Spiele haben reale Folgen. Das Debattieren wirkt sich in erster Linie auf die Redner selbst aus: Debattierer schulen ihren Blick dafür, dass auch Gegenmeinungen vernünftige Argumente haben können. Und sie schulen ihren Blick für Scheinargumente, und auch für die mannigfaltigen Strategien, die Menschen bewusst oder unbewusst anwenden, um ihre zugrundeliegenden Wertungen zu verschleiern.

Bedauerlicherweise dienen reale Debatten in Parlamenten und Talk Shows vor allem dazu, die eigene Meinung und mehr noch das eigene Interesse möglichst lautstark einem möglichst großen Publikum bekannt zu machen. Die sachliche Argumentation bleibt dabei oftmals auf der Strecke. In dieses kulturelle Vakuum stößt das sportliche Debattieren. Debattierer leben in ihrem Sport eine große Sehnsucht aus: Die Sehnsucht nach der Gültigkeit des besseren Arguments. Nicht fremde Interessen für die eigene Sache zu mobilisieren, nicht die Anhänger der eigenen Seite durch die Vorgabe von Redeformeln und Sprachregelungen auf Linie zu bringen, sondern die Gegenargumente geistesgegenwärtig, schlagfertig und überzeugend mit eigenen Argumenten zu überwinden, darum geht es in der sportlichen Debatte. Debattieren heißt also auch: einander zuzuhören, die eigenen Gründe gegen Einwände abzuwägen, ohne dabei die Gegengründe kategorisch zu negieren.

Kaum ein Ort ist dafür besser geeignet als die Debattierbühne. Denn in realen Debatten wird eine Konzession an den Gegner oder eine Abweichung vom offiziellen Standpunkt der eigenen Gruppe leicht als Schwäche ausgelegt. Daher werden solche Debatten von Wiederholungen und Bekenntnissen geprägt, statt vom Austausch kreativer Ideen. Dieser Mechanismus ist es, der den verzweigten, nebenarmreichen Fluss gesellschaftlicher Debatten reguliert und den Strom der Argumente in ein Kanalsystem politischer Reklame zwängt. In der sportlichen Debatte sind die eigenen Aussagen als Züge in einem Strategiespiel entwertet. Das erlaubt den Debattierern nicht nur, ungewöhnliche Argumente auszuprobieren, sondern es eröffnet auch dem Zuschauer – in der Gesamtschau der Debatte – eine differenziertere Sicht auf das Problem.

In einem Gleichnis gesprochen: Eine sportliche Debatte hört sich nach einer realen Debatte an wie eine Bach-Fuge nach einem Techno-Loop: Wo hier die Wiederholung perkussiver Schlagwucht die Tänzer zu synchroner Rhythmik bewegen soll, lässt dort das kontrapunktische Spiel der Stimmen eine Ahnung zu von etwas Tieferem, von etwas Höherem, von etwas Größerem. Schon ein altes Sprichwort sagt es: „Wahrheit entsteht durch Streit.“
Überzeugt? – Rhetorik ist eine Waffe.

Jonathan Scholbach/ak

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2 Kommentare zu “Rhetorik ist eine Waffe”

  1. W, Witthaut sagt:

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