„Weil es ihn gibt“: Andreas C. Lazar über den Weltrekord im Dauerdebattieren

Datum: 7. Oktober 2013
Redakteur:
Kategorie: Debattieren in der Öffentlichkeit, Presseschau, Veranstaltungen

Am Ende wird es nochmal schön. Michael Saliba hält eine sehr gute Rede darüber, warum erst, frei nach Hamlet, „das unentdeckte Land“ uns zu Menschen macht und wir deshalb nicht die Unsterblichkeit anstreben sollten. Zum Verbot alternativer Medizin fallen uns viele prägnante und witzige Beispiele ein, die die nun zahlreich anwesenden Zuschauer mit Lachen und Applaus quittieren. Und nach 48 Stunden und 15 Minuten, von Freitag, den 27. September 20:00 Uhr bis Sonntag, den 29. September 20:15 Uhr, haben wir es endlich geschafft und für den Debattierclub Stuttgart den Weltrekord im Dauerdebattieren gebrochen, den zuletzt die Streitkultur Tübingen im Sommer 2011 auf 44 Stunden und 18 Minuten erhöht hatte. Wir fallen uns erschöpft und glücklich in die Arme (und kurz danach in unsere Betten).

„Die dunkelste Stunde“: Stuttgarter Debattierer gegen drei Uhr nachts am Sonntag  (c)

„Die dunkelste Stunde“: Stuttgarter Debattierer gegen drei Uhr nachts am Sonntag
(c) N. Haneklaus

Doch die dunkelste Stunde ist kurz vor Sonnenaufgang, und das ist durchaus wörtlich zu nehmen: Am Samstag- und vor allem am Sonntagmorgen fallen das Reden und das Denken bisweilen fast übermenschlich schwer. Nils Haneklaus weiß kaum, worüber er redet, als er als Eröffner der Regierung das Schächten verbieten lassen soll. Während meiner Rede zur Legalisierung der Mehrfachehe kommt kein Mucks von der Opposition, weil Michael, Igor Gilitschenski und Eva-Maria Risse in einer komatösen Halbwelt zu schweben scheinen. Und am Sonntagmorgen um vier hoffen wir vergebens auf wachrüttelnde Impulse aus dem Chat unseres Livestreams oder von Freien Rednern, auch wenn Konrad Gütschow aus Tübingen das ganze Wochenende mit uns verbringt und viele hervorragende Beiträge liefert. Aber ab und zu schläft auch er, und dann kämpfen wir darum, aufmerksam und motiviert zu bleiben. Eva drückt die Gefühle von uns sechs (außer den bereits genannten Rednern ist auch Khang On dabei, der für den kurzfristig verhinderten Karsten Beismann eingesprungen ist) gut aus, als sie in einer Rede sagt, dass wir wohl alle zwischendurch gedacht haben, was wir hier für einen Blödsinn machen und wieso wir nicht einfach heimgehen, um endlich zu schlafen. Word!

Auch was das Debattieren an sich betrifft, sieht es nach zwei Tagen ununterbrochenen Gebrauchs schon etwas abgewetzt aus. Einige in der Realität hoch gehandelte Konzepte wie Würde oder Gesinnungsethik generell bleiben auch nach fast 300 Fraktionsreden frustrierend ungreifbar oder wenigstens in sieben Minuten kaum adäquat begründbar, und einige mutmaßliche Wahrheiten über die Wirklichkeit verweigern sich hartnäckig einer annehmbaren rhetorischen Darstellung. Ob nun aufgrund gesellschaftlich notwendiger Fiktionen wie der Annahme der Mündigkeit aller Menschen oder rednerischen Unvermögens sei dahingestellt. Ich stelle zudem in meinen eigenen Reden, vor allem den späteren, eine unerfreulich große Zahl argumentativer Versatzstücke oder gar „fixer Ideen“ fest, die vielleicht nach langen Debattierjahren unvermeidlich und oft auch nützlich sind, aber einen frischen und neuen Zugang zu Themen manchmal eher zu behindern scheinen. Dafür kann ich auch am Sonntag Nachmittag noch überraschend kohärent und leidenschaftlich sieben Minuten am Pult durchhalten (die anderen auch, da öffentliches Reden verborgene Kräfte zu wecken scheint) und Debatten sinnvoll zusammenfassen, bei denen ich in der komatösen Halbwelt geschwebt habe, weil ich weiß, worum es bei meinen Mitrednern höchstwahrscheinlich gegangen ist. Wie gut das wiederum ist, sei ebenfalls dahingestellt und Thema eines anderen Artikels …

Erschöpft, aber glücklich: Haneklaus, Saliba, Risse, Lazar, On, Gilitschenski (v.l.n.r) (c)

Erschöpft, aber glücklich: Haneklaus, Saliba, Risse, Lazar, On, Gilitschenski (v.l.n.r)
(c) N. Haneklaus

Aber am Ende, und vor allem wieder ausgeschlafen, überwiegt die Freude, den Rekord gebrochen zu haben, „weil es ihn gibt“ (frei nach George Mallory, einem der Pioniere der Besteigung des Everest), einiges Medienecho erzeugt zu haben, unter anderem mit Artikeln in der Stuttgarter Zeitung und bei Spiegel Online sowie einer in vielen Zeitungen reproduzierten dpa-Meldung, und das Debattieren als Arena der sachlichen Streitkultur damit in der Öffentlichkeit hoffentlich wieder etwas bekannter gemacht zu haben. Die große Beteiligung und Unterstützung durch die Mitglieder unseres Clubs, immer wieder vorbeischauende Freie Redner und treue Zuschauer und Chatter im Livestream hat uns außerdem eindrücklich gezeigt, wie sehr das Debattieren in jeder Facette ein Teamsport ist. Man steht vielleicht alleine am Pult, aber ohne Freunde, die hinter einem stehen, wäre das nicht auf Dauer möglich. Vielen Dank dafür!

Andreas C. Lazar/kem

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3 Kommentare zu “„Weil es ihn gibt“: Andreas C. Lazar über den Weltrekord im Dauerdebattieren”

  1. Michael (Boston) sagt:

    Herzlichen Glückwunsch! 48 Stunden sind eine beeindruckende Marke und ich freue mich schon auf den Moment, wenn die Streitkultur den Pokal wieder nach Hause holt!

  2. Manuel A. (HB) sagt:

    Werden diese Rekorde eigentlich von irgendeiner Autorität offiziell anerkannt, z.B. von jener Brauerei und ihrem Rekorde-Buch?

  3. Daniel (Heidelberg) sagt:

    Von mir.

Kommentare sind geschlossen.

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