Casefiles veröffentlichen: Was sind sie, was sind sie nicht

Datum: 8. November 2017
Redakteur:
Kategorie: Mittwochs-Feature, Themen

Unlängst gab es eine größere Diskussion darüber, dass die Debattiergesellschaft Jena e.V. als Ausrichterin der Deutschsprachigen Debattiermeisterschaft 2018 das Veröffentlichen von Casefiles – Argumentationsabbildern von Debattenthemen – zur Bedingung für eine Berufung als Chefjuror auf ihrem Turnier machte. Während diese Bedingung mittlerweile zurückgenommen wurde, möchten nun die Chefjuroren des HeidelBÄM ihre Casefiles versuchsweise veröffentlichen. Über die Hintergründe erzählen Marion Seiche, Marius Hobbhahn und Samuel Gall im Folgenden.

Die Chefjury (v.l.n.r.): Marion Seiche, Marius Hobbhahn, Samuel Gall - © Die Rederei e.V.

Die Chefjury (v.l.n.r.): Marion Seiche, Marius Hobbhahn, Samuel Gall – © Die Rederei e.V.

In den letzten Wochen entfachte sich (zum wiederholten Male) eine große Diskussion darüber, ob man Chefjuries verpflichten sollte, ihre Casefiles nach einem Turnier zu veröffentlichen. Die  vielen theoretischen Argumente auf beiden Seiten möchten wir hiermit durch einen empirischen Versuch ergänzen und unsere Casefiles für das HeidelBÄM 2017 veröffentlichen. Zuvor aber einige Worte über unsere Intention und was wir denken, wozu Casefiles gemacht und veröffentlicht werden:

 

  1. Casefiles helfen uns als Chefjury herauszufinden, ob ein Thema ausgeglichen und interessant genug ist, sowie ausreichend analytische Tiefe auf beiden Seiten der Debatte aufweist. Auch wenn es häufig auf den ersten Blick so scheint, als erfülle ein Thema all diese Voraussetzungen, gibt es immer wieder Argumente, die bei näherer Betrachtung ein Thema unausgewogen für eine der beiden Seiten machen. Außerdem bieten sich, je nach (Un)Klarheit der Themenformulierung, manchmal Möglichkeiten für die Teams, die Debatte entweder sehr schmal oder sehr einseitig aufzusetzen, wenn sie diese Schwachstellen ausnutzen – was zu einer langweiligen oder unfairen Debatte führen kann. Wir denken, dass die Casefiles dabei helfen können, solche Schwierigkeiten aufzudecken, vor allem, weil sie CAs zur Präzision zwingen. Es ist in einer mündlichen Besprechung leicht gesagt, dass ein Argument ein anderes schlägt – manchmal fällt erst beim schriftlichen Ausformulieren auf, dass bestimmte Behauptungen einander gar nicht so offensichtlich stützen wie anfangs gedacht.

 

  1. Casefiles skizzieren die größten und relevantesten Argumentationsstränge für beide Teams – sie sind aber nie als Musterlösung für eine Debatte zu verstehen. Auch ist ein Casefiles keine erschöpfende Liste aller prinzipiell möglichen Argumente zu einem Thema. In diesem Sinne sind Casefiles wahrscheinlich immer unvollständig, im Normalfall aber auf eine unproblematische Weise. Denn: sie stellen bei korrekter Arbeit des Panels trotzdem sicher, dass die in 1. erklärten Kriterien (Ausgewogenheit, analytische Tiefe, Präzision der Formulierung) gesichert sind. Wurden jedoch wichtige Argumente vergessen und Probleme nicht erkannt, die auf dem Turnier durch die Bänke hinweg auftraten, so ist dies durchaus als Fehler der Chefjury zu sehen. Auch wir vergessen in unseren Files vielleicht mal eine relevante Betroffenengruppe. Vielleicht täuschen wir uns über die Zugänglichkeit mancher Argumente. Falls das passieren sollte, sind wir offen für Feedback und andere Perspektiven bezüglich unserer Ideen.

 

  1. Ein Casefile hat nicht mehr Autorität als euer/eure JurorIn. Insbesondere hat ein/e JurorIn nicht automatisch Unrecht, wenn er/sie ein im Casefile aufgeführtes Argument als in der Debatte nicht sehr überzeugend bewertet. Debatten sind nicht statisch; aufgrund von spezifischen Anträgen oder der Art, wie die Regierung die Debatte aufsetzt (Framing), sind manche Argumente nicht mehr so zutreffend. Außerdem kann es sein, dass ein Team zwar die im Casefile angeführten Argumente trifft, diese aber schlecht ausführt und die Argumente deshalb nicht in der Lage sind, die der Gegenseite zu schlagen.
Casefiles anzulegen ist oftmals eine langwierige Angelegenheit, bei der auch viele Ideen verworfen werden. Interfaces wie Kialo helfen bei der Erstellung - © Lennart Lokstein

Casefiles anzulegen ist oftmals eine langwierige Angelegenheit, bei der auch viele Ideen verworfen werden. Interfaces wie Kialo helfen bei der Erstellung – © Lennart Lokstein

Soviel zu der Frage, was Casefiles unserer Meinung nach sind und was sie leisten können. Wir hoffen außerdem, euch mit dem Veröffentlichen unserer Casefiles einen Einblick in den Themenauswahl- und Bearbeitungsprozess eines Debattierturniers geben zu können. Aus diesem Grund haben wir uns auch dazu entschieden, nicht nur die Casefiles zu den Themen zu veröffentlichen, die wir auf dem Turnier gestellt haben, sondern auch Casefiles zu aussortierten Themen im Dokument zu belassen. Aus solchen Casefiles geht beispielsweise hervor, wie wir Schwachstellen und Unausgewogenheit bei einigen Themen identifiziert haben.

Abschließend möchten wir noch zwei Bedenken adressieren, die in der Debatte um die Erstellung von Casefiles angeführt wurden. Erstens gab es den Einwand, dass das Erstellen von Casefiles CAs weniger offen für die konkreten Debatten machen würde, die sich auf dem Turnier entwickeln. Dieser Einwand hat sich so für keine/n von uns dreien bestätigt. Wir haben uns weder durch das Erstellen der Casefiles beeinflusst gefühlt, noch sind wir in den Jurierdiskussionen mit unseren NebenjurorInnen über nicht gemachte Argumente aneinandergeraten. Wir schließen zwar nicht aus, dass es manchen CAs schwerer fallen kann, sich von den eigenen Casefiles zu lösen – wir glauben aber nicht, dass dieses Phänomen notwendig mit dem Erstellen von Casefiles verbunden ist.

Zweitens gab es den Einwand, dass das Erstellen von Casefiles zu weniger kreativen Themen führen könnte, weil CA-Panels ihre Themen dann risikoavers stellen würden – insbesondere, wenn die Casefiles im Anschluss veröffentlicht würden. Wir glauben, dass auch das nicht der Fall ist. Zum einen ist der Themenfindungsprozess (auch der für kreative Themen) unabhängig von der anschließenden Themenprüfung, zu welcher die Casefiles gehören. So oder so, sollten auch kreative Themen einer Prüfung durch Casefiles standhalten. Denn wenn ein Thema unausgewogen oder analytisch nicht tief genug ist, oder sonstige Schwachstellen enthält, wie bspw. eine Konsenstendenz in der Debatte oder eine unklare Formulierung, ist es einfach kein gutes Thema – selbst wenn eine kreative Idee dahinter steht.

Wir hoffen, dass wir durch das Veröffentlichen unserer Casefiles zum HeidelBÄM 2017 und durch diesen Artikel zur Debatte um die Erstellung und Veröffentlichung von Casefiles in Form eines konkreten Beispiels beitragen konnten. Unsere Umsetzung der Casefiles ist eine mögliche Herangehensweise – wir wollen unsere Casefiles aber nicht als Musterlösung für das Erstellen von Casefiles verstanden wissen.

Hier ist nun der Link: Zu den Casefiles

Viele Grüße,

Marius, Marion, Samuel

lok.

Mittwochs-Feature

Marion Seiche war Chefjurorin zahlreicher Turniere, darunter der DDM 2015 in Münster, der ZEIT DEBATTE Frankfurt 2013, der ZEIT DEBATTE Mainz 2014 und der Regionalmeisterschaften 2013 (WDM), 2015 (SDM) und 2016 (SDM). Im Debattierclub Goethes Faust e.V., dem Debattierclub der Goethe-Universität Frankfurt am Main, war sie außerdem als Präsidentin und Vizepräsidentin aktiv. Als Rednerin gewann Marion mehrere Turniere, darunter die ZEIT DEBATTE Bayreuth 2015 sowie den OWL-Cup 2017. Bei diesen Turnieren, wie auch beim Alstercup 2017 und der WDM 2017, erhielt sie auch den Preis für die beste Finalrede. Außerdem ist sie Deutsche Vizemeisterin 2016.
Marius Hobbhahn ist Vorsitzender der Streitkultur e.V. in Tübingen. Als Redner breakte er auf einigen Turnieren, beispielsweise dem Munich Open 2016, dem Tilbury House IV 2016 und dem Belgrade Open 2017. Als Juror saß er beispielsweise im Finale der ZEIT DEBATTE Wien 2017 und breakte auf zahlreichen anderen Turnieren. Marius war Chefjuror des Hohenheimer Einsteigerturniers 2017, des HeidelBÄMs 2017 und des Schwarzwaldcups 2017. Im Studium an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen befindet er sich gerade im fünften Semester des B.Sc. in Kognitionswissenschaften und im vierten Semester des B.Sc. in Informatik als Parallelstudium.
Samuel Gall ist Vizepräsident des Debating Club Heidelberg e.V. Als Redner breakte er auf einigen Turnieren, wie beispielsweise den Adventsdebatten in Jena 2016, dem Streitkultur-Cup in Tübingen 2017 oder der Süddeutschen Meisterschaft 2017. Als Juror war er unter anderem in den Finales der Mannheimer Schlossdebatten 2017 und des Redhoven-Cups in Bonn 2017. Chefjuriert hat er bislang das HeidelBÄM 2017. Im Studium beschäftigt er sich primär mit organischer Chemie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und absolviert momentan den Master im ersten Semester.

Das Mittwochs-Feature: Jeden Mittwoch ab 10.00 Uhr stellt das Mittwochs-Feature eine Idee, Debatte, Buch oder Person in den Mittelpunkt. Wenn du selbst eine Debatte anstoßen möchtest, melde dich mit deinem Themen-Vorschlag per Mail an team [at] achteminute [dot] de.

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20 Kommentare zu “Casefiles veröffentlichen: Was sind sie, was sind sie nicht”

  1. Patrizia aus Jena sagt:

    Danke für euren Mut- nur so können wir als Szene erfahren ob die vielen Bedenken gerechtfertigt sind!

  2. Lennart Lokstein sagt:

    Ich finde die Beschreibungen zu Sinn und Zweck von Casefiles auch sehr gut gelungen!

  3. Jonathan Scholbach sagt:

    Sprech ihr euch als Chefjury damit nicht selbst ein Misstrauensvotum aus?

  4. Jonathan Scholbach sagt:

    Jetzt mal ernsthaft: Die Casefiles sind unglaublich gut. Und das liegt in erster Linie daran, dass sie deutlich machen, wie sauber und gut die Chefjury sich Gedanken gemacht hat. Ich würde mir wünschen, dass die Chefjuries langsam aber sicher erkennen, dass Casefiles keine sinnlose Gängelung sind, sondern einen Qualitätsstandard definieren. Ihr habt mit eurem hervorragenden Beispiel einen großen Beitrag dazu geleistet!

    1. Sabrina (Rederei) sagt:

      Ja, die Casefiles sind gut. Aber auch wenn ich mich damit möglichweise als eine Chefjurorin oute, die sich keine „Gedanken gemacht hat“: meine sehen nie so aus. Und ich kenne auch niemanden, der so krasse Casefiles schreibt. Also Chapeau an euch, dass ihr das gemacht habt. Aber ich hoffe wirklich, dass das nicht zum Durchschnittsstandard wird.
      Eigentlich sehe ich genau darin das Problem an der Veröffentlichung von Casefiles. Wenn es bei ein paar Turnieren gemacht wird, dann muss man mitziehen. Ansonsten hat man sich ja nicht genügend Gedanken gemacht, ist sich unsicher ob seiner eigenen Themen, etc. Tatsächlich sind meine Casefiles aber einfach nicht passend für eine Veröffentlichung. Ich schreibe da in Stichpunkten Argumente auf und erkläre die kurz. Mit den anderen geh ich das dann durch, sodass mich jeder versteht. Aber auf der 8.Min veröffentlichen? Ein Casefile, dass vielleicht nur ein Drittel so lang ist, wie das von Marion? Wäre ja peinlich.

      Und ich mache sehr bewusst keine längeren Casefiles, weil die zeitlich einfach nicht machbar sind. Sind wir mal ehrlich: wir sind alle keine Vollzeit-Chefjuroren, sondern machen nebenbei noch andere Dinge. SO ein Casefile braucht aber sicher einige Stunden, was anderes kann mir niemand erzählen. Wenn ich für eine ZEIT DEBATTE 10 Themen pro Person casefile, dann sind das mal sicher drei volle Arbeitstage (neben den Skypeterminen, dem Orgaaufwand, etc). Tut mir Leid, aber das kann ich schlicht nicht leisten. Casefiles sind toll, aber ich hätte wirklich Angst, dass ich ab jetzt sowas abliefern muss.

    2. Sabrina (Rederei) sagt:

      Versteht mich bitte alle nicht falsch: Wenn jemand solche Casefiles macht, dann ist das definitiv ehrungswürdig. Es ist nur einfach zu viel, als dass man es als Notwendigkeit ansehen sollte. Ein normales Casefile – ja. Aber sowas ist einfach wirklich viel.

    3. René (Rederei Heidelberg) sagt:

      Findest du wirklich, lieber Jonathan?
      Ich bin mir da ehrlich gesagt gar nicht mehr so sicher.

      1. Das Casefile ist 52 Seiten lang.
      Ich weiß nicht wie lange Marius und Marion dafür gebraucht haben, aber ich schätze mal, dass das netto durchaus einige Tage reiner Arbeitszeit in Anspruch genommen haben muss. Und das wohlgemerkt für ein verhältnismäßig kleineres Turnier.

      2. Was hat es gebracht?
      [Disclaimer: Folgendes soll keine Kritik an den CAs darstellen, welche liebenswürdige Menschen und maximal kompetente Juroren/DebaTiere sind.]

      Ich muss leider ehrlich sagen, obwohl ich natürlich nicht anwesend war, dass ich nicht glaube, dass die letzten 3 Themen des Turniers sonderlich gute Motions sind. Interessant mögen sie durchaus sein, aber geeignet für eine spannende, lebensnahe, relevante Debatte? Ich glaube nicht.

      Von hinten begonnen, die Finalmotion: Schaut euch bitte mal das Casefile an. Auf Reg-Seite finden wir 1x Kernargument (Funktionalität der Regierung), 1x Rebuttal (Verweise auf Geschichte ist kein zwingendes Argument), 1x Beispiel (dass Jamaika vielleicht nicht funktioniert) . Auf Opp-Seite finden wir 2x Kernargumente (Historische Begründung und Repräsentationsprinzip) und 1x Beispiel (jamaika muss sich dann halt einfach zusammenreißen oder es muss GroKo geben).
      Ist das genug für eine vielseitige, spannende Debatte? Glaube ich kaum, auch das Casefile sieht mir nicht so aus und trotz der Tatsache, dass das Casefile gemacht wurde, wurde die Motion gesetzt und zwar im Finale.

      die Halbfinal-Motion: Diese ist immerhin etwas vielseitiger und auch das Casefile sieht gut aus. Aber mal ehrlich, ein überlanges Infoslide, das man mind. 3 mal lesen muss und das ein Geschehnis beschreibt in das man sich erstmal 5 Minuten lang reindenken muss um dann hypothetische Alternativszenarien, deren Legitimation und Outputs zu debattieren? Hat zwar die nötige Tiefe, halte ich aber auch nicht für eine sonderlich ansprechende Motion. Hier sehe ich sogar eher die Gefahr, dass man sich als CA viel zu lange über die Motion und die Situation Gedanken macht und deshalb dann gar kein realistisches Bild mehr davon hat, wie schwierig es für die Teams ist, die keine Zeit haben sich unendlich lange an die Motion zu gewöhnen, in das Thema reinzukommen.

      die letzte Vorrunde: eine Geschichtsdebatte eben. Das Casefile liest sich super und ist sehr interessant, unglücklicherweise sind der Großteil der benutzten historischen Fakten nichts, was ich als abrufbereit für eine Debatte voraussetzen wollen würde. Ich kann mir kaum vorstellen, dass das auch nur annährend so toll gelaufen ist wie das im Casefile aussieht. Hat das Casefile davor bewahrt? Nein, im casefile sieht die Motion super aus.

      Insgesamt würde ich sagen, ist dies für mich eher ein Beispiel gegen Casefiles(-Zwang). Das Ding zu schreiben muss ein riesiger Aufwand gewesen sein und meiner Meinung nach schlechte(re) Motions hat es trotzdem nicht verhindert. Auf der anderen Seite glaube ich zusätzlich sogar , dass andere Motions, die verworfen wurden (z.B. Unternehmen retten), möglicherweise besser gewesen wären.

    4. Jonathan Scholbach sagt:

      @ Sabrina: Das sehe ich anders. Chefjuryposten sind begehrt. Chefjuries sind das Führungspersonal eines Debattierturniers. Sie haben eine Verantwortung für die Qualität der Themen. Auf einem Turnier mit 7 Räumen bedeutet ein schlechtes Thema rund 100 Personenstunden Frust. Da sollte eine verantwortungsbewusste Chefjury sich die Zeit nehmen, die Themen so zu prüfen, wie es beispielsweise aus dem ersten Casefile von Marion beispielhaft deutlich wird.

      Und: Warum sollte man 10 Themen pro Person casefilen? Man wählt einige heiße Themen-Kandidaten aus, und schreibt das Casefile. Erst wenn nichts gutes dabei rauskommt, merkt man, dass man sich in den Gesprächen vertan hat und das Thema doch nicht so gut war, wie man dachte. Der Mehraufwand entsteht also vor Allem dann, wenn man ohne Casefile ein schlechtes Thema gesetzt hätte. Der Mehraufwand korreliert also eng mit der Verbesserung durch die Casefiles.

    5. Andrea G. (Mainz) sagt:

      Ohne jetzt tiefer in die Diskussion einsteigen zu wollen: Jonathan, das mit der Begehrtheit von CJ-Posten ist heute wesentlich anders als noch vor zwei, drei Jahren. Schau auf den VDCH-Terminkalender: Statt einem Turnier maximal alle drei Wochen haben wir seit Anfang Oktober bis Ende Dezember fast jedes Wochenende ein Turnier (und auch keine unbekannten, sondern relativ etablierte wie das Heidelbäm, das Nikolaus-Turnier, den Schwarzwald-Cup, das BDU-Anfängerturnier, die Adventsdebatten etc.). Alle diese Turniere müssen chefjuriert werden – und alle diese Turniere brauchen zumindest einen halbwegs erfahrenen Chefjuror im Team – oder zumindest jemand, der schon Erfahrung im Themenstellen hat.

      Meine Erfahrung insbesondere während des letzten Jahres war, dass viele Turniere verzweifelt Chefjuroren suchen, denen sie ihr Turnier mit gutem Gewissen anvertrauen können. Es gibt mittlerweile Juroren, die, wenn sie wollten, jedes Wochenende ein Turnier chefjurieren könnten. Verbinde das mit den gestiegenen Anforderungen, der Tatsache, dass mit unerfahrenen Co-CA’s zu arbeiten nochmal mehr Zeit in Anspruch nimmt und einem Casefile-Zwang – und Chefjuroren finden wird immer schwieriger werden. Ich finde Sabrinas Anmerkungen sind da wesentlich näher an der Realität als die früher vielleicht zutreffende Ansicht, Chefjuroren seien die Herrscher des Turniers.

    6. Jule (Halle/ BDS) sagt:

      Ha, da muss ich doch mal laut auflachen! Sehr laut! CA sein ist nicht so gefragt. Die romantische Vorstellung davon ist vielleicht toll und es war auch vielleicht mal so. Aber von mehreren Turnieren habe ich selber Anfragen ablehnen müssen, weil es auch ein anderes Leben gibt. Aber auch auch verzweifelte Anrufe von Orga Teams, weil sie keinen finden konnten, sind nicht selten.
      Vielleicht auch einer der Gründe warum Anmeldungen von Turnieren oft ohne CA Namen verschickt werden in letzter Zeit.

    7. Christian (MZ) sagt:

      In der letzten Saison sind mehrere (!) Turniere abgesagt worden, weil keine Chefjury gefunden wurde…

    8. Sabrina (Rederei) sagt:

      @Jonathan: Ich verstehe nicht so ganz, wie der Mehraufwand eines schlechten Themas entstehen soll. Ein schlechtes Thema macht doch nicht mehr oder weniger Aufwand als ein gutes.

      Ansonsten muss ich mich meinen Vor’Rednern‘ voll und ganz anschließen. Auf weniger (oder gleich viele) CAs kommen heute deutlich mehr Turniere. Wir hätten ein wirkliches Problem in der Szene, wenn man von jedem CA verlangen würde, dass er mehrere fünfstündige Casefiles schreibt.

    9. René (Rederei Heidelberg) sagt:

      @ Sabrina: Jonathan meint, dass wenn man ein schlechtes Thema verwirft, weil man es mit dem Casefile als schlecht identifizieren konnte, man einen Mehraufwand hat, weil man ein weiteres Casefile für ein anderes Alternativthema machen muss; und sagt dann, dass aber dann dieser Mehraufwand des Casefilings offensichtlich gerechtfertigt ist, weil man dadurch ja gerade verhindern konnte, dass man ein schlechtes Thema gesetzt hat.

      Er verkennt nur das korrekte Referenzszenario. Denn was du kritisiert ist ja, dass es schlecht ist, dass man allgemein und immer einen enormen Mehraufwand hat, also im Vergleich zu „wenn man keine Casefiles macht“, ganz unabhängig davon ob man dann Motions verwirft oder nicht.
      Insofern ist sein Argument den Mehraufwand allgemein zu rechtfertigen nicht passend.

  5. Peter MZ sagt:

    Hiermit entschuldige ich mich bei allen Teams, denen ich am Wochenende das Feedback gegeben habe, dass ihr Punkt nicht gut an das Thema angebunden war oder nicht wirklich relevant war. Ihr habt die Ideen der CAs getroffen. Ihr hättet alle mindestens 260 Punkte verdient gehabt. Ihr dürft euch jetzt aufregen.

    1. Es gibt einen Unterschied zwischen den richtigen Ideen und es richtig zu machen. Das ist für die Teams nicht wirklich ersichtlich
    2. Je nach Antrag sind Punkte relevanter oder weniger relevant
    3. Jeder hat sicher mal auf einem Turnier gemerkt, dass in einem Raum ein Argument großartig funktioniert, während Leute die in anderen Räumen waren und das Gleiche versucht haben, damit grandios gescheitert sind.
    4. Ich als Juror interpretiere das Thema/ die Debatte evtl. anders als die CAs

    Auf einem Turnier, auf dem die meisten Teilnehmer alles locker sehen, ist das alles kein Problem. Auf einer ZD oder DDM will ich niemandem erklären, dass sie auf der 4 gelandet sind, obwohl sie den Case gemacht haben, der im Casefile steht.

    1. Jonathan Scholbach sagt:

      @“ will ich niemandem erklären, dass sie auf der 4 gelandet sind, obwohl sie den Case gemacht haben, der im Casefile steht.“ Dann hast du nicht verstanden, wie juriert werden soll. In der Jurierung ist immer der Maßstab des in der Debatte gehörten anzulegen. Das kann natürlich von keinem Casefile völlig antizipiert werden.

    2. Christian (MZ) sagt:

      Zustimmung! Nur weil etwas im casefile steht oder nicht steht (egal wie gut oder schlecht es ist), ist es deshalb für die konkrete Debatte das entscheidend gute oder schlechte argument. Ob das die Redner so akzeptieren ist eine andere Frage, aber dieses Problem hat man bei jeder Jurierung.

  6. Christian (MZ) sagt:

    Ich persönlich bin ebenfalls ein großer Anhänger von casediles, bin aber kein Freund von einer Pflicht zur Veröffentlichung. Wer das aber tun will, kann dies natürlich tun.

    Mein größtes Problem bei der Veröffentlichung ist, dass Fehler der Vorbereitung der Chefjury, die sonst zwar durchaus auffallen, aber schnell wieder vergessen werden, in den Fokus gerückt werden können (wenn es Fehler gibt). So aus meiner Sicht leider in diesem fall: ich habe mich den ganzen Sonntag gefragt, was das Finalthema eigentlich will (ich war nicht vor Ort) und dachte mir aber, die werden sich schon was gedacht haben und habe es abgehakt. Und jetzt Klee ich interessiert das casefile des finalthemas und muss hier leider sagen: da wurde der SQ offenbar nicht sauber recherchiert. Es gab in Deutschland bereits mehrfach Neuwahlen. Die Regierung bzw der Kanzler kann jederzeit die vertrauensfrage stellen und wenn er nicht die Mehrheit der Stimmen bekommt, kann er den Bundespräsidenten „bitten“ den Bundestag aufzulösen und dann gibt es Neuwahlen. Das ist auch schon zwei mal vorgekommen, Anfang der 80er (Kohl) und 2005 (Schröder). Beide hatten eigentlich solide Mehrheiten im Bundestag, haben keine einzige Abstimmung verloren und wollten schlicht eine Neulegitimierung ihrer Politik durch den Wähler. Die Opposition wird in so einem Fall immer gegen den Kanzler stimmen oder sich enthalten (was aufs gleiche raus kommt) und die paar Enthaltungen aus der eigenen Koalition kriegt jeder Kanzler zusammen. Und dann wird der Bundestag aufgelöst und es gibt Neuwahlen. Aber das ist doch Missbrauch der Verfassung? Das Bundesverfassungsgericht hat zu beiden fallen entschieden, dass der Kanzler einen weiten ermessungsspielraum hat, ob er noch das Vertrauen im Bundestag sieht. Kohl war sogar übrigens erst ganz frisch gewählt (durch ein konstruktives Misstrauensvotum) und trotzdem war das zulässig und trotzdem hat er danach mehr Stimmen als vorher bekommen.
    Und bei Hitler hat nicht das Parlament sich selbst aufgelöst, sondern das hat der Reichspräaident getan. Der dürfte das nach Gutdünken, was der Bundespräsident nicht darf. Trotzdem kann eine Regierung (der der Präsident ja nicht angehört) de facto und de jure immer die Auflösung des Bundestages erreichen. Deshalb ist das Thema so wie es jetzt gestellt war und vor allem wie es in den casefiles vorbereitet worden ist… Nun ja, in anbetracht des SQ zumindest problematisch. Sowas kann man öffentlich machen und diskutieren. Aber ich bin nicht sicher, wer etwas davon hat. Außer dass sich evtl das Bewusstsein durchsetzt, dass man im Zweifel vielleicht bei manchen Themen einen Juristen (oder Politologen etc) kontaktieren sollte, um sich abzusichern.

    1. Christian (MZ) sagt:

      Und ja, mir ist klar, dass der Bundestag im SQ kein Selbstauflöshngsrecht hat. Der Weg über die vertrauensfrage ist eine Krücke und niemand kann den Kanzler zwingen, den Weg zu gehen. Wenn aber eine Partei seine Regierung verlässt und er keine Mehrheit mehr hat, sollte das der naheliegende Schritt sein. Und wenn die Regierung selbst (und darum geht es zu einem großen Teil im casefile) den Bundestag auflösen will, ist das für sie im Zweifel nie ein Problem.

  7. Barbara (HH) sagt:

    Chapeau an die Mühe, die ihr drei euch gemacht habt, und für den Mut und den Willen, diese Casefiles öffentlich zu stellen!

    Was ich nicht verstehe, ist, inwiefern dies ein „Experiment“ ist, denn was ist euer Versuchsaufbau? Was wollt ihr mit diesen veröffentlichten Casefiles zeigen? Denn so lobenswert es ist, dass ihr euch diese Arbeit gemacht habt, so seid ihr ja nicht die Ersten, die Casefiles nach einem Turnier veröffentlicht haben.

    Sicher, man sieht: Casefiles *können* eine feine Sache und Methode sein, um ein Turnier als Chefjuroren vorzubereiten und sich Argumente in diesen gut strukturiert gegenüber zu stellen. Das bestreitet aber auch keiner ernsthaft. Die Diskussion geht einzig und allein um eine „offizielle“ oder „soziale“ Pflicht zur Veröffentlichung derselben, weil es eben auch viele Chefjuroren gibt, für die diese Methode – aus ihrer eigenen Erfahrung heraus! – nicht die optimale Arbeitsweise ist.

    Ihr schreibt so leichthin in diesem Artikel: „Wir schließen zwar nicht aus, dass es manchen CAs schwerer fallen kann, sich von den eigenen Casefiles zu lösen – wir glauben aber nicht, dass dieses Phänomen notwendig mit dem Erstellen von Casefiles verbunden ist.“ Das verstehe ich nicht. Warum ist das Phänomen, sich von dem selbst Geschriebenen nicht so leicht lösen zu können – anders als von dem, was man nur, in gleicher Ausführlichkeit, mündlich diskutiert hat – nicht „notwendig mit dem Erstellen“ dieses Geschrieben verbunden? Ich oute mich hier sehr gerne, dass ich zu dieser Gruppe gehöre: Mir fällt es tatsächlich schwerer, die Diskussion im CJ-Panel von der Debatte, die ich sehe, zu trennen, wenn ich die Argumente bereits geschrieben gesehen habe oder sogar selbst geschrieben habe, da ich ein sehr visueller Lerntyp bin. Ich sage auch sehr gerne, dass ich schon große Turniere, inklusive ZEIT Debatten, chefjuriert habe, ohne irgendein schriftliches Casefile zu erstellen. Trotzdem wurde natürlich stundenlang über die Themen gesprochen, teilweise gegeneinander mit 15 Minuten Vorbereitungszeit debattiert, etc. Die Gründlichkeit, mit der ein Thema durchdacht und geprüft wird, hat meines Erachtens abstrakt nichts damit zu tun, ob ich den Gedanken aufschreibe oder ausspreche. Dies hängt vielmehr einzig davon ab, wie viel Willen und Konzentration die Beteiligten dabei verwenden und welche Arbeitsmethode ihnen besser liegt.

    Ich finde es super, dass ihr diese (sehr sinnvollen!) Regeln über den Umgang mit Casefiles im Verhältnis zur tatsächlich Jurierung beschrieben habt. Aber wie wollt ihr im Rahmen eures Experiments empirische nachvollziehen, ob die erhobenen Bedenken, dass es zu Backlashes gegen die Juroren kommt, sich bewahrheiten oder ausbleiben? Es glaubt ja keiner ernsthaft, dass es regelmäßig zu öffentlichen, riesigen Shitstorms wegen veröffentlichter Casefiiles kommen würde. Es geht eher um das, was sich die Leute denken und was sie hinter vorgehaltener Hand sagen. Und vielleicht ist mein Menschenbild zu negativ, aber ich glaube sehr wohl, dass es Leute geben wird, die im Frust über eine verlorene Runde nicht die von euch richtigerweise geforderte Differenzierung erbringen werden. Ich denke vielmehr, dass sie doch – hinter vorgehaltener Hand oder auch direkt gegenüber dem Juror – ihren Frust äußern werden, dass „im Casefile aber doch genau das von ihnen Gesagte stand“. Und @Jonathan (nach deiner Antwort 5a): Doch, ich glaube verstanden zu haben, wie juriert werden soll, und ich glaube trotzdem, dass das in nicht wenigen Fällen passieren wird, genau wie Peter.

    Zum positiven Nutzen der Casefiles kann und möchte ich hier nichts schreiben. Ich war weder auf dem Turnier (habe die Themen also nicht selbst erlebt) noch halte ich generell viel von öffentlicher Themenkritik auf der AM, insbesondere wenn das Chefjurorenpanel überwiegend mit jungen (Nachwuchs-)Chefjuroren besetzt war. Ich kann nur wiederholen, was bereits in allen anderen Debatten über Casefiles gesagt wurde: Ja, Casefiles können helfen, manche Fehler zu vermeiden. Dafür laden sie dazu ein, andere zu machen. Kein Casefile kann für sich genommen garantieren, dass ein Thema gut wird und Betriebsblindheit vermieden wird. Und schriftliche Casefile können nicht abstrakt garantieren, dass Themen besser werden als sie ohne es gewesen wären, sofern man nicht der Prämisse folgt, dass Chefjuroren ohne schriftliche Casefiles nicht gründlich arbeiten würden. Diese Unterstellung lehne ich ab und halte ich vielmehr für hochproblematisch.

    —–

    Kurz gesagt: Ich sehe nicht ganz, wie ihr mit diesem Experiment die möglichen negativen Auswirkungen sowohl der Veröffentlichung an sich als noch viel weitergehend einer Pflicht zur Veröffentlichung empirisch überprüfen und gleichzeitig den positiven Nutzen von Casefiles belegen wollt.
    Insofern kann ich euch nur meine uneingeschränkte Anerkennung für die Mühe aussprechen, die ihr euch mit diesen Casefiles gemacht habt. Ich bin aber eben sehr skeptisch, welchen empirischen Nutzen dieser Beitrag für die abstraktere Debatte über die Pflicht zur Veröffentlichung haben wird.

  8. Titian, Streitkultur sagt:

    Ich fasse mal kurz zusammen: In einer konstruktiv agierenden, an Argumenten und dem Debattensport an sich interessierte Szene sind casefiles super, da sie uns die Gedankengänge der CJ´s aufzeigen.

    Casefiles sind immer dann schlecht, wenn andere CJ´s eine „Casefilepflicht“ fühlen oder wenn (über?)ehrgeizige Debattierer das Casefile zum Maßstab der Jurorenbewertung im eigenen Raum machen.

    Es wäre also wünschenswert, wenn wir, als Szene, uns über jedes veröffentlichte Casefile freuen, ohne sozialen Druck auf gestresste ZukunftsCJ´s aufzubauen.

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