Der durchschnittliche informierte Wähler: Demokrat oder Utilitarist

Datum: Dec 13th, 2017
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Category: Jurieren, Mittwochs-Feature, Themen

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25 Kommentare zu “Der durchschnittliche informierte Wähler: Demokrat oder Utilitarist”

  1. Julian Stastny says:

    Wie stellst du dir eine analytisch rigorose Diskussion darüber vor, ob in einer Debatte demokratische Wahlfreiheit oder utilitaristischer Impact wichtiger ist?
    Ich stimme dir zu, dass wir uns mit der Fokussierung auf Utilitarismus nur in einem lokalen Optimum befinden, sehe aber nicht die Möglichkeit, bei 8 mal 7 Minuten eine vernünftige Diskussion über ein wahrscheinlich unentscheidbares Problem (siehe https://de.wikipedia.org/wiki/M%C3%BCnchhausen-Trilemma) ansatzweise angemessen zu führen.
    Da ist es mir lieber, man einigt sich auf Utilitarismus. Ein guter Juror sieht den Impact von demokratischer Wahlfreiheit auch von selbst, und wenn den jemand in Frage stellt, kann ein guter Debattierer den auch begründen.

    1. Lennart Lokstein says:

      Nun, natürlich ist es keine absolut beantwortbare Frage, sonst hätten wir ja auch kein Selektionsproblem. Ich bin aber überzeugt davon, dass man mit Beispielen Stärken und Schwächen von Wertesystemen aufzeigen kann, um die Entscheidung der Juroren dahingehend zu lenken, das eine in dieser Debatte intuitiv richtiger zu finden als das andere. Ich glaube aber, dass Juroren an diese Frage ungebiast herangehen sollten, die Überzeugungshürde also für alle Systeme gleich sein sollte, wenn die Frage denn einmal aufkommt (wie gesagt, in den meisten Fällen stellt sie sich ja nicht). Weiterhin glaube ich, dass die Juroren in den konkret angesprochenen Demokratiethemen vermutlich sogar einen Bias zugunsten von Demokratie haben sollten – wie ein durchschnittlicher informierte Wähler eben. Genauso findet der Juror vermutlich intuitiv Leid schlechter als kein Leid und ein durchschnittliches Leben besser als Nichtexistenz, Armut intuitiv schlechter Wohlstand usw. – die Frage ist nur manchmal, wie diese Tendenzen konkret im Einzelfall angelegt werden sollten.

      Aus sportlicher Sicht würde es natürlich manches vereinfachen, einfach eine Metrik festzulegen. Auch Utilitarismus ist allerdings keine einheitliche Strömung womit das an sich schon problematisch würde, zumal dann unter einem festgelegten Relevanzsystem irgendwo Debattieren auch zum Herunterbeten von Mechanismen verkäme. Vor allem aber würden wir noch mehr Anschlussfähigkeit an die reale Welt und tatsächliche Überzeugungsfragen verlieren. Das wäre glaube ich auch im utilitaristischen Sinne nicht gut für die Debattierszene.

    2. Anton Leicht says:

      @Lennart, du redest in deinem Kommentar von Überzeugungshürden, die verschieden hoch sein sollen, und dein Artikel lässt auch anklingen, dass der relativ einfache Vorteil der Utilitarismusmetrik (relativ klare Nützlichkeitsabwägungen) nur ein Zirkelschluss ist, der sich daraus ergibt, dass es eben eine Utilitarismusmetrik ist.

      Meinem Verständnis nach – und bitte, korrigiere mich, wenn ich falsch liege, dann könnte ich nämlich auch viel mehr nicht-utilitaristische Cases machen – ist die Überzeugungshürde/Burden für verschiedene philosophisch-konzeptionelle Metriken ungefähr gleich hoch (Im Sinne von: Die Vorteile, die ich aufzeigen muss, um dem Juror zu verkaufen, dass sie korrekt ist). Es ist nur sehr viel einfacher, zu erklären, wie man vom Wort Utilitarismus zu den Vor- und Nachteilen der Metrik kommt; wenn ich beweisen will, dass Utilitarismus eine gute Metrik ist, dann muss ich dazu nicht viel sagen: Der Vorteil, Nützlichkeiten gegeneinander abzuwägen, ist halt ziemlich intuitiv und braucht keine tiefergehende Analyse.

      Wenn jetzt eine andere Metrik (Demokratiekonzeptionen, Moralismus etc.) aufkommt, ist es dann nicht zu befürworten, dass die nicht einfach so gekauft wird? Der (sportliche, aber auch philosophische) Vorteil davon, die Wichtigkeit von prinzipiellen Dingen in den Mittelpunkt der Debatte stellen zu können, ist ja, dass die Utilitarismusmetrik aufgrund ihrer relativ niedrigen Rechtfertigungsebene (weil sie halt als bekannt vorausgesetzt wird) sehr viel weniger relevant wird. Auf der anderen Seite steht aber dann doch auch, dass Dinge wie Demokratiekonzeptionen ungleich komplizierter (und, meiner Meinung nach, in ihren Vorteilen und Facetten einem informierten Wähler trotzdem sehr viel unklarer) als Utilitarismus sind und deswegen auch viel tiefergehende Analyse brauchen, um sie zu erklären und relevant für eine Debatte zu machen. Es gibt in Nützlichkeit ja einen relativ offensichtlichen Vorteil, in freier Wahl aber nur um ein paar Ecken mehr.

      Vielleicht verstehe ich dich falsch oder verfehle deinen Punkt ein bisschen, aber: Sollte nicht diejenige Metrik, die ihren Vorteil als Metrik (deinem Beitrag nach sogar tautologisch) schon im Namen trägt, nicht aufgrund der Intuitivität ihrer Vorteile einen gewissen Bias gegenüber komplexeren Dingen mit all ihren Vor – und Nachteilen genießen bzw. die Burden im Zweifelsfall auf die Rechtfertigung letzterer legen? Oder allgemeiner, hat von zwei Dingen das weniger intuitive nicht die höhere Burden/Rechtfertigungshürde?

    3. Jan Ehlert says:

      Anton, das Problem ist, dass du Intuition automatisch mit leichterer Plausibilisierung gleichsetzt.

      Intuitiv würden in Deutschland vermutlich etwa 98% der Menschen zustimmen, dass:

      (a) Menschen eine unveräußerliche Würde besitzen
      (b) Es ein Recht auf körperliche Unversehrtheit gibt
      (c) Menschen ein Recht auf Besitz haben
      (d)-(zzzzz) ….

      Viel Spaß dabei, diese Dinge in großer ausfürlicher Sauberkeit mal eben in 7min darzulegen. Ein guter Juror sollte sich fragen, was die Gesellschaftliche Norm ist von dort aus die Beweislasthürden anlegen. Wenn so viele Leute glauben, dass es eine menschliche Würde gibt, dann sollte die Beweislast diese zu widerlegen groß sein und nicht, die, sie zu belegen, weil es halt nicht so einfach ist.

    4. Anton Leicht says:

      Ich bin mir, ehrlich gesagt, gar nicht so sicher, ob Intuition nicht doch mit einfacher Plausibilisierung gleichzusetzen ist. Es gibt eine ziemlich große Korrelation von intuitiven Konzepten mit common sense, aber ich glaube nicht, dass die Überschneidung da tatsächlich 100% ist. Andersrum glaube ich auch nicht, dass populäre Meinungen einfach nur auf Basis ihrer Popularität plausibler sind – Maximal kann ihre Popularität irgendwie als Beispiel für ihre Intuitivität gelten.

      Zweitens bin ich mir gar nicht so sicher, ob Menschen wirklich das Wahlrecht abstrakt so wichtig ist oder auch ob sie glauben, dass sie ein Recht auf körperliche Unversehrtheit haben. Gerade körperliche Unversehrtheit ist ja sehr wohl nicht immer prinzipiell als gegeben betrachtet – Befürwortung für physische Strafen in gewissen Fällen, physische Gewalt in Abwägung gegen andere potentielle Schäden etc. sind ja nicht eindeutig – Viel von dem menschlichen Anspruch auf körperliche Unversehrtheit lässt sich relativ einfach auf eine Utility-Abwägung herunterbrechen, in der Menschen einfach nicht gerne Schmerzen haben.

      Auch zu Wahlrecht bin ich mir nicht so sicher, dass Menschen es prinzipiell wichtig ist, die ganzen Wahlkriterien und alles erfüllt zu haben, zumindest nicht den meisten. Ich glaube, für viele ist es sicher nice-to-have, ziemlich viele wären wütend, wenn sie es nicht mehr hätten, und einigen ist es sicher auch sehr wichtig, aber das ist ja nicht die Frage – Die Frage ist, inwiefern es tatsächlich ein Recht darauf gibt, und diese Metrik kann man, glaube ich, schlecht auf Basis von Empirie aufmachen.

      Ein Recht ergibt sich ja nicht daraus, dass viele Menschen glauben, dass sie es haben, sondern dass es philosophisch sonst irgendwie legitimiert werden kann. In dem Moment, in dem man sagt, 98% der Menschen glauben, sie haben dieses Recht und wenn wir es ihnen wegnehmen, sind sie traurig, ist das ja auch einfach nur eine utilitaristische Abwägung. Um die Metrik wirklich zu verändern und nicht einfach nur über Umwege meine Demokratiepunkte an den Utilitarismus anzuknüpfen, muss ich ja einen Schaden beweisen, der dadurch entsteht, dass ich dieses Recht auch jemandem wegnehme, der es noch nie hatte, oder es gar nicht wichtig findet, oder es gar nicht nutzen will etc..

      Und das ist, finde ich, sehr wenig intuitiv und auch gar nicht so einfach, plausibel zu machen. Sehr viele prinzipielle Probleme haben eine quasiprinzipielle utilitaristische Wirkung (weil 98% der Leute traurig wären, wenn man ihnen x wegnimmt), aber den Schritt zu machen, zu erklären, warum das eben nicht Gegenstand einer Abwägung von Nützlichkeit ist, sondern eine grundsätzliche Verletzung darstellt, schafft man nicht über Zahlen. Wenn ich wirklich Metrik gegen Metrik und nicht nur innerhalb der Utilitarismusmetrik abwägen will, dann darf die Herleitung für meine nicht-utilitaristische Metrik ja nicht den utilitaristischen Herleitungsumweg gehen.

    5. Lennart Lokstein says:

      Als Chefredakteur verbringt man ja irgendwann so viel Zeit mit Schreiben und Redigieren, dass man kaum noch zum Kommentieren kommt. Nun aber doch noch!

      Ich sage nicht, dass die Metrik im oben genannten Beispiel als einzige anwendbar ist. Ich möchte eher sagen, dass sie aus den genannten Gründen als default-Metrik gegenüber anderen den Vorteil haben sollte, dass ein Wechsel zu anderen begründet werden müsste, um die höhere Intuitivität auszugleichen.

  2. Christian (MZ) says:

    Man kann heutzutage Debatten mit der Argumentation gewinnen, dass ein (Bundes-)Land linker wird?

    1. René Geci says:

      Keine Sorge, die Mutter aller Argumente ist immernoch aufzuzeigen, dass wir einer klassen-, rassen- und geschlechtslosen Gesellschaft a.k.a. “marxist utopia” näherkommen.

      Völker, hört die Signale!
      Auf zum letzten Gefecht!
      Die Internationale
      erkämpft das Menschenrecht.

  3. René G. (Rederei Heidelberg) says:

    Angenommen man habe einen durchschnittlichen, informierten Wähler. Dann, denke ich, darf man wohl davon ausgehen, dass dieser (A) Demokratie grundsätzlich befürwortet, aber auch (B) eine rechtskonservative, populistische Randpartei und deren Programm und Ziele für suboptimal/problematisch hält.

    So stellt sich nun also die Frage, welche der folgenden Argumentationen ist überzeugender:
    1. Ein Appell über (A)
    “Die CDU sollte die Fraktionsgemeinschaft auflösen, damit Rechtsnationale/-konservative artikulieren können, ob Sie nur ein wenig (CSU) oder doch ein bisschen mehr rechts (AfD) sind. Das ist wichtig, weil es eine bessere Repräsentation des Wählerwillens ermöglicht und ist wichtig für die Funktionalität unserer Demokratie.”

    Da stellen sich dem durchschnittlichen, informierten Wähler wohl folgende Fragen:
    1.1 Ist denn die Repräsentation gerade so schlecht? Wie funktional/dysfunktional ist die Repräsentation im SQ?

    2. Ein Appell über (B)
    “Die CDU sollte die Fraktionsgemeinschaft auflösen, weil die CSU dann weniger Bedeutung und politischen Einfluss hat und das bedeutet, dass aus der Sicht des durchschnittlichen Wählers weniger suboptimale Politik betrieben wird.”

    Stellt sich wohl die Frage:
    2.1 Wie schlimm ist sie, denn die CSU?

    Ich würde sagen, es ist durchaus verständlich anzunehmen, dass (2.) überzeugender wirkt als (1.). Vor allem eben weil der postive Impact auf die Funktionalität der Demokratie (Antwort zu 2.1) weniger relevant zu sein scheint als der positive Impact den man erreicht wenn die CSU weniger Bedeutung und polistischen Einfluss hat (Antwort zu 2.2).

    Jetzt kannst du natürlich sagen, “aber der durchschnittliche Wähler würde doch Argument (2) als grundsätzlich illegitim zurückweisen, da es inhärent anti-demokratisch ist und er geneigt ist auch andere politische Meinungen anzuerkennen und zu respektieren.” Genau da sind wir also vermutlich bei deinem Punkt. Unglücklicherweise, oder vielleicht auch zum Glück, entspricht das aber nicht der Realität. Schau dir nur an wie schnell in der Realität demokratische Prinzipien ignoriert werden, solange es der Sache hilft, von der man selber glaubt, dass sie die Richtige sei. Mit anderen Worten: der durchschnittliche Wähler ist wohl eher Utilitarist als Demokrat. Es ist also nur realitätsnahe mit demselben Ansatz Debatten zu jurieren.

    1. Christian (MZ) says:

      Vielleicht sind die meisten Leute auch einfach eher Pragmatiker als Idealisten?

  4. Toni (Oxford/München) says:

    So sehr wie ich die AfD persönlich ablehne, halte ich es für dalsch anzunehmen, dass das der durchschnittliche, informierte Wähler auch tut. Zwar ist das keine Partei der Mitte, aber genauso wie wir in einer Debatte nocht annehmen, daas der durchschnittliche Akademiker BWL studiert hat, weik das ja die meisten machen, können wir auch nicht annehmen, dass der durchschnittliche Wähler “Mitte” gewählt hat.

    1. Toni (Oxford/München) says:

      Das war eigentlich als Antwort auf 3 geplant.

    2. René (Rederei Heidelberg) says:

      Doch, denke schon, dass das eine vernünftige Annahme ist und wir das können.

      1. Dein Vergleich hinkt.
      Der Grund, warum das mit Studiengängen und dem “durschnittlichen Akademiker” nicht geht oder zumindest schwer vorstellbar ist, ist, dass sich Studiengänge offensichtlich in vielen Attributen voneinander unterscheiden. Das macht es natürlich schwer den “durchschnittlichen Studiengang” zu bestimmen. Studiengänge sind sozusagen multidimensionale Objekte, wenn man in jeder Dimension ein Attribut abbilden würde, und sich den Mittelwert dieser vorzustellen ist wenig intuitiv.
      Im politischen Spektrum hingegen gibt es ja bereits diese eindimensionale Skala “links-rechts”, entsprechend ist es hier deutlich einfacher vorstellbar wie der durchschnittliche Wähler aussieht. Jetzt kann man natürlich sagen, die Skala taugt zu nichts und ist unzureichend, aber ich denke, für unsere Zwecke, um eine Vorstellung zu bekommen, ist sie mehr als gut genug.

      2. Ich gehe noch einen Schritt weiter. Gewagt, gewagt!
      Ich sage, es geht hier ja nicht nur um den durchschnittlichen, sondern gleichzeitig auch um einen informierten Wähler und ich denke, kaum jemand der einigermaßen “informiert” ist, unterstützt das Programm oder die Weltsicht der AfD.
      (Warum auch immer wir über die AfD reden, eigentlich ging es ja um die CSU…)

    3. Toni (Oxford/München) says:

      Bei der CSU ist es noch gravierender. Die ist in Bayern standardmäßig Mehrheitspartei, wird von allen Schichten gewählt. Zumindest in Bayern wäre es wahrscheinlich anzunehmen, dass der durchschnittliche Wähler CSU wählen würde. Aber das ist garnicht der Punkt. Ob jetzt CSU oder AfD ist eher zweirangig.
      Selbst wenn man annehmen kann, dass man einen quasi nach Wählerzal gewichteten Durchschnitt der Parteien bilden könnte (was zweifelsohne einfacher wäre als bei Studiengängen, aber wahrscheinlich immernoch ein ziemlich hoffnungsloses Unterfangen und dazu ständig im Wechsel). Dazu erlaubt ein Anerkennen dieser Metrik, dass plötzlich Dinge gut wären, die zumindest der durchschnittliche Demokrat schlecht finden würde, wie z.B. die typischen “Eisverkäufer am Strand” in Zweiparteiensystemen (was zwar dem “durchschnittlichen Wähler” gefallen könnte, “im Durchschnitt über alle Wähler” aber netto negative Auswirkungen hat (weil eben die demokratische Abbildung schlechter wird) und damit eigentlich auch aus utilitaristischer Sicht abzulehnen wäre. So ist der “durchschnittliche Wähler” dann wohl eher Egoist statt Utilitarist.
      Und es gibt auch ein ganz prinzipielles Problem: Wenn wir es in Ordnung finden, dass sogar die CSU erstmal als schlecht angenommen werden kann, verlieren Panels und damit das Debattieren an sich ihre politische Neutralität, die ich an sich schon für ein recht hohes Gut halte. Zusätzlich wäre dann quasi jede Debatte eine actor debate und die klassische policy Debatte wäre quasi unmöglich zu gewinnen, wenn die policy nicht direkt aus der politschen Mitte stammt.

    4. René (Rederei Heidelberg) says:

      1. Leider verstehe ich nicht ganz was du meinst, wenn du von Dingen redest die dem ““durchschnittlichen Wähler” gefallen könnte, “im Durchschnitt über alle Wähler” aber netto negative Auswirkungen hat [meinst du negativ ankommen?]”.
      Wie soll das gehen? Könntest du ein Beispiel geben?
      Ich meine wir reden hier ja nicht vom Median, sondern vom Mittelwert, entsprechend sollte genau das nicht möglich sein.

      2. Verstehe ich nicht warum du “durchschnittlicher Wähler” und “durchschnittlicher Demokrat” unterscheidest. Wir appellieren, aus relativ guten Gründen, an den “durchschnittlichen Wähler”, nicht an den “durchschnittlichen Demokaten”, was auch immer das sein soll… Soll das eine Art Idealbild eines umsichtigen, weisen, gebildeten Menschen, dem die Demokratie als höchstes Gut am Herzen liegt, sein?

      3. Natürlich machen policy debates immernoch Sinn.
      Es geht schließlich bei policies nicht einfach nur darum wer diese gerade unterstützt oder wo sie herkommen, sondern um ihre Auswirkungen. Bedeutet, wenn du dem “durschnittlichen Wähler” erklären kannst warum deine policy eine gute ist, kannst du annehmen, dass er diese dann auch unterstützt. Actor debates (TH as XYZ) hingegen sind natürlich etwas vollkommen debattier-theoretisches, außerhalb dieses Konzepts, sind hier also eher irrelevant. Dort appelliert man ja nicht an den durchschnittlichen Wähler, sondern eher an den actor um den es geht.

    5. Toni (Oxford/München) says:

      Zu 1. Wie oben geschrieben: Die durchschnittliche Wählerin (so wir annehmen, sie hat eine festgelegte “durchschnittliche” politsche Meinung) hat erstmal kein Problem damit, wenn sich alle Parteien irgendwo in der Mitte sammeln, die verfolgen dann ja die Politik, die sie für richtig hält. (Konzept: ich nehme den Durchschnitt über alle politschen Meinungen, so das denn möglich ist und gucke was für diese hypothetische Person am besten ist). Wenn ich allerdings gucke, was eine solche Situation (alle Parteien sammeln sich in der Mitte) mit jeder Wählerin und jedem Wähler macht, irgendwie abschätze, wie gut die das finden, und dann den Durchschnitt über alle diese Werte nehme, dann wird dort höchstwahrscheinlich ein negativer Wert rauskommen. Oder mathematischer: Es macht einen Unterschied, ob ich oder f() optimiere. (f sei die Funktion, die einer politischen Meinung x zuordnet, wie glücklich sie mit einer bestimmten Sache ist (hier: Sammlung des Parteienspektrums in der Mitte), X die Zufallsvariable, die einem Wähler seine politische Meinung zuordnet, die Erwartungswertbildung über alle Wähler*innen. Du optimierst f(), wenn du dem “durschnittlichen Wähler” eine politische Meinung gibst, ich denke, es ist sinnvoller zu optimieren.

      Zu 2. Der durschnittliche Demokrat war unglücklich ausgedrückt. Also jemand der ein intrinsisches Interesse hat, dass die Abbildung des Willens der Bevölkerung möglichst gut ist und das über das Prinzip stellt, dass da die (seiner Meinung nach) “richtigen” Entscheidungen bei rauskommen.

      Zu 3.: Wir geben aber damit dem “durchschnittlichen” Wähler eine explizite politische Meinung. Und genau das macht im Endeffekt auch eine actor debate (in diesem Fall: Dieses Haus, als ein die Politik der “politischen Mitte” (was auch immer das sein soll) gut findender Wähler, würde….) Indem du die politsche Meinung- und damit die politschen Ziele- des zu überzeugenden definierst, machst du ihn eben gerade zu dem actor, um den es geht, der eben nicht mehr neutral abwägt, sondern von seiner jetzt konkret gewordenen politschen Meinung geleitet wird.

    6. Toni (Oxford/München) says:

      OK, irgendwie werden hier Inhalte von spitzen Klammern automatisch gelöscht, deswegen andere Notation: Oder mathematischer: Es macht einen Unterschied, ob ich E(f(X)) oder f(E(X)) optimiere. (f sei die Funktion, die einer politischen Meinung x zuordnet, wie glücklich sie mit einer bestimmten Sache ist (hier: Sammlung des Parteienspektrums in der Mitte), X die Zufallsvariable, die einem Wähler seine politische Meinung zuordnet, die E Erwartungswertbildung über alle Wähler*innen. Du optimierst f(E(X)), wenn du dem “durschnittlichen Wähler” eine politische Meinung gibst, ich denke, es ist sinnvoller E(f(X)) zu optimieren.

    7. René (Rederei Heidelberg) says:

      “Die durchschnittliche Wählerin (so wir annehmen, sie hat eine festgelegte “durchschnittliche” politsche Meinung) hat erstmal kein Problem damit, wenn sich alle Parteien irgendwo in der Mitte sammeln, die verfolgen dann ja die Politik, die sie für richtig hält.”

      Doch, natürlich hätte die durschnittliche Wählerin vermutlich schon ein Problem damit, wenn alle Parteien nur noch eine Position vertreten. Denn es ist nur rational anzunehmen, dass dem durschnittlichen Wähler auch die Demokratie am Herzen liegt. Das habe ich ja auch bereits im ersten Satz meines ersten Kommentars zugestanden:
      “Angenommen man habe einen durchschnittlichen, informierten Wähler. Dann, denke ich, darf man wohl davon ausgehen, dass dieser (A) Demokratie grundsätzlich befürwortet”

      Ich sage nur, dass dem durchschnittlichen Wähler beides (bessere Demokratie und weniger CSU-Einfluss) als relevantes Argument erscheinen wird, und glaube weiter, dass Zweiteres vermutlich zu Recht als mehr überzeugend angesehen werden darf als Erstes.
      Ich denke ist es weder vernünftig anzunehmen, dass der “durschnittliche, informierte Wähler” fundamentalistischer Demokrat, noch “neutral” ist. Sowohl das demokratische Prinzip, aber auch der Effekt von Entscheidungen wird ihm wichtig erscheinen.

      Zu guter Letzt/Zu 3.: Willkommen im SQ.
      Es gibt sowieso keine neutralen Juroren. Wenn du es so definierst, dann ist jetzt schon jede Debatte eine actor debate. Denn jedes mal, wenn ein Argument versucht Schäden und Nutzen aufzuzeigen, appeliert der Redner daran dass der Zuhörer/Juror irgendetwas gut oder schlecht findet; ganz egal ob Glück, Tierleid, Faschismus, Xenophobie, Umweltzerstörung oder eben die AfD.

      Die einzige Auswahl ist jetzt, ob der Juror sein eigenes Weltbild heranzieht, was offenkundig aus vielen Gründen schlecht ist, oder ob wir versuchen ein Weltbild zu definieren. Genau das ist die Idee hinter dem “durchschittlichen, informierten Wähler”. Und von mir aus ja, somit wird jede “DHW”-Debatte zu einer “DH als durchschnittlicher, informierter Wähler würde”-Debatte. Da ist aber relativ alternativlos…

    8. Christian (MZ) says:

      Also wenn das Debattieren mal auf dem Niveau ankommt, dass eine Argumentation deswegen schon für gut befunden wird, weil sie beweist, dass etwas der CSU schadet und nicht weiter ausgeführt wird, warum die Schädigung der CSU für irgendwas gut ist, dann sollten wir das Ganze entweder sein lassen oder den VDCH unter einer Partei links der politischen Mitte verankern. Sorry, aber das ist lächerlich.

    9. René (Rederei Heidelberg) says:

      Natürlich muss man dazu schon noch ein paar Worte verlieren. Das dachte ich, sei selbstverständlich.
      Ich denke nur, dass das relativ gut erklärbar ist, z.B. indem man Dinge sagt wie (A) die CSU setzt Partikularinteressen Bayerns im Bund durch, das geht auf Kosten anderer Länder und des gesellschaftlichen Zusammenhalts, (B) die CSU macht mit ihrer Rhetorik Fremdenfeindlichkeit salonfähig, (C) die CSU braucht immer wieder schwachsinnige Prestigeprojekte (Maut, Mütterrente…) und bestimmt gibt es viele weitere, bessere Argumente.
      Ich kann mir aber auch kaum vorstellen, dass das in der Debatte ohne weitere Erklärung einfach so hingestellt worden ist. Entsprechend denke ich, darfst du beruhigt sein.

    10. Toni (Oxford/München) says:

      Naja, nach deinem Ausgangspost wäre es ihr aber nicht so wichtig wie eine Politik, die sie für richtig hält. “Unglücklicherweise, oder vielleicht auch zum Glück, entspricht das aber nicht der Realität. Schau dir nur an wie schnell in der Realität demokratische Prinzipien ignoriert werden, solange es der Sache hilft, von der man selber glaubt, dass sie die Richtige sei. Mit anderen Worten: der durchschnittliche Wähler ist wohl eher Utilitarist als Demokrat. Es ist also nur realitätsnahe mit demselben Ansatz Debatten zu jurieren.” Und wenn sich alle Parteien an ihrer Position sammeln, wird dann auch Politik gemacht, die ihr am nächsten steht. Selbst wenn der angenommene Schaden, weil sie Demokratie auch nicht so schlecht findet, irgendwann bei einer Bewegung aller Parteien zur Mitte hin irgendwann überwiegt, wäre diese Grenze dann doch relativ spät oder zumindest nicht bei der optimalen Abbildung der politischen Verhältnisse in der Bevölkerung. Diese würden wir dann bekommen, wenn wir den Mittelwert eben erst am Ende nehmen (s.o.)
      Das ist das gleiche Prinzip wie beim letzten Punkt. Im Status Quo gehen wir davon aus, dass der Juror hoffentlich keine politische Meinung hat. Deswegen versuchen wir durch tiefe Erklärungen die policy auf Prinzipien zurückzuführen, die möglichst viele Leute/Betroffene annehmen würden um am Ende zu zeigen, dass unsere Seite besser ist. Mathematisch: Wir versuchen als Regierung zu zeigen, dass eine Maßnahme M mit “Wertungsfunktion” (die jedem Bürger x einen Wert zuordnet, wie sehr er*sie das mag/nicht mag) f_M den Erwartungswert E(f(X)) optimiert (also E(f_M(X))>=E(g(X)) für alle durch irgendwelche Maßnahmen generierten Wertungsfunktionen g. Wenn ich dem durchschnittlichen Wähler aber eine politische Meinung gebe, ist mein Kriterium für das Optimum f_M(E(X))>=g(E(X)), ich muss also nicht mehr ein möglichst breites Wertefundament ansprechen, sondern meine Maßnahme auf ein spezielles ausrichten. Das passiert im SQ, Gott sei Dank, eben noch nicht flächendeckend. Es passiert aber natürlich bei Actor debates, wenn wir E(X) durch die politsche Ausrichtung y unseres actors ersetzen.

      Was die konkrete Debatte angeht, über die ja jetzt hier auch diskutiert wird: Wie kommt man eigentlich darauf, dass das die CSU schwächen würde? Die CSU würde dann bundesweit antreten und deutlich mehr als ihre knapp 5% erreichen. Es würde wahrscheinlich mehr “linke” Politik geben, weil sich das “rechte” Lager spaltet. Wenn ich allerdings noch begründe, warum denn jetzt die CSU doof sei (mit allen Punkten, die du genannt hast), dann würde es mir als Joror zumindest in den Fingern jucken zu fragen, ob hier das Strittigkeitsgefällte noch beachtet worden wäre, weil jeder einzelne der Punkte, warum die CSU angeblich schlecht sei, wieder eine eigene Debatte füllen könnte.

    11. Christian (MZ) says:

      Kann mir auch nicht vorstellen, dass das ohne Erklärung lief ^^ Aber auch wenn man diese Erklärungen kauft, unterstellt man damit ja implizit, dass das Alleinstellungsmerkmale der CSU sind. Und das ist in der Deutschen Parteienlandschaft sicherlich nicht der Fall.

      Klientelpolitik machen eigentlich alle Parteien, sowohl regional als auch auf Bundesebene (man erinnere sich an Möwenpicksteuersenkungen, Steinkohlesubventionen, Kirchenprivilegien, Rente mit 63).

      Fremdenfeindliche Sprüche sind in der Tat abzulehnen, die hat man aber ebenfalls auch in anderen Parteien (sogar bei der Linke). Und die CSU auf Fremdenfeindlichkeit zu reduzieren, ist dann doch arg simpel gedacht und wohl auch einem eher linken Weltbild geschuldet.

      Im Allgemeinen: Ich finde das Debattenthema großartig. Ich hätte auf Regierungsseite aber keine Debatte a la wie kann man die demokratische Repräsentativität verbessern geführt und finde auch nicht, dass das hier der offensichtliche Kern der Debatte ist, wenn das aber natürlich auch eine legitime und gute Strategier ist. Das Thema erlaubt aber sehr viele Zugänge und Strategien (u.a. deshalb ist es so gut!). Ich hätte hier z.B. sehr parteitaktisch argumentiert, warum die Trennung für die CDU gut ist und danach weiter ausgeführt, warum das für eine stabile Regierung gut ist und das dann natürlich auch noch erklärt, warum das gut ist (für Deutschland und auch die EU). Zugegeben, im tendenziell linksgeprägten Debattierspektrum vielleicht für manche nicht so intuitiv, aber bei einem neutralen Juror sicherlich keine schlechte Strategie. Man kann da aber auch ganz anders heran gehen und daher finde ich, dass es bei diesem Thema keine wie auch immer geartete richtige Metrik gibt. Jeder muss erklären, warum die eigene Strategie gut, richtig und wichtig ist.

  5. Jonathan Scholbach says:

    Aus Informationen folgt keinerlei Wertung. Der Begriff de*r ‘durchschnittlich informierten Zeitungsleser*in’ ist daher nicht geeignet, Grundwertungen abzuleiten, an denen die Jury sich zu orientieren hätte.

  6. René (Rederei Heidelberg) says:

    Lieber Jonathan,
    wie Lennart bereits schrieb: Über den Juror heißt es im Regelwerk, dass er im Wesentlichen ein ‘durchschnittlicher [und] informierter Wähler’ ist (übrigens kein ‘durchschnittlich informierter’ Wähler, wie es oft fälschlicherweise fehlzitiert wird!).
    Und du hast natürlich Recht, aus dem “informiert” leitet sich keine Weltanschauung ab, aus dem “durchschnittlich” aber schon. Aus den oben genannten Gründen denke ich, dass das auch sinnvoll ist. Die Frage ist nicht ob wir eine gewisse “normale/durchschnittliche Weltanschauung” annehmen müssen, sondern nur inwieweit sich das auf das politische Spektrum übertragen lassen sollte.
    Ich denke, es ist eine gute Sache und macht das Debattieren realitätsnaher, wenn wir auch Argumente wie -“Wir sollten einer Maßnahme die zu mehr Einfluss der Linken/Grünen/CSU/AfD/NPD führt nicht zustimmen, denn die Linken/Grünen/CSU/AfD/NPD ist aus den den Gründen XYZ gefährlich.”- zulassen. Denn solange die Begründung gut, plausibel und zwingend ist, denke ich, werden diese Argumente auch vom durchschnittlichen, informierten Wähler anerkannt. Einfach anzunehmen dieser sei fundamentalistischer Demokrat, nur weil er in einer Demokratie lebt, halte ich für unplausibel und realitätsfern.

    Nebenbei ganz interessant welche Begriffe es international gibt: “ordinary intelligent voter”, “average reasonable person” oder “informed global citizen”. Zumindest Erstere implizieren mit “ordinary” und “average” quasi dasselbe wie das “durschnittlich”.

  7. Lennart Lokstein says:

    Um hier noch auf Jonathan (5.) und René (6.) zu antworten: Es geht um einen Wähler, keinen Zeitungsleser. Beim Zeitungsleser kann man aus der Information, dass er Zeitungsleser ist, ableiten, dass er wohl ein gewisses Interesse an Zeitungen hat. Das dürfte auf nahezu alle zutreffen. Beim Wähler kann man in einer westlichen Demokratie ebenso davon ausgehen, dass er Wahlen und Demokratie wohl ganz gut findet. Ja, einzelne Wählen vielleicht das aus ihrer Sicht “kleinste demokratische Übel” und wünschen sich ein Kaiserreich oder wasauchimmer, aber der durchschnittliche Wähler in überwältigender Mehrheit tendenziell eben nicht. Wie René korrekt anmerkt, ist das “durchschnittlich” der Knackpunkt. Als offene Person, wie er ebenfalls definiert ist, lässt sich dieser Wähler natürlich auch von anderem überzeugen, auch von anderen Metriken. Das muss dann aber in der Rede geschehen. Deshalb hat René auch recht, wenn er sagt, wir können nicht von einem fundamentalistischen Demokrat ausgehen – aber von einem, der eine gewisse argumentative Hürde mitbringt, wenn man ihm Argumente vorträgt, die implizit auf der Prämisse beruhen, dass z.B. Konservatismus schlecht sei.

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