Debating in Yale – Philipp Stiel zwischen Publikumsdebatte und Wettkampfsport

Datum: 12. Mai 2011
Redakteur:
Kategorie: Turniere

Als ich vor neun Monaten mein Auslandsjahr an der Ostküste der Vereinigten Staaten begann, war ich begeistert von der Aussicht, dass Yale, meine neue Alma Mater, einen der besten Debattierclubs der Welt haben sollte. Schnell träumte ich, beflügelt vom Sieg bei der Deutschen Debattiermeisterschaft in Münster, von Debatten mit spannenden Gastrednern in großen Hallen und Mitgliedern diverser “secret societies“ in düsteren Gewölben.

Zu meiner Enttäuschung musste ich aber schnell feststellen, dass es gar nicht so einfach war, einen Eindruck von der Debattierkultur auf dem Campus zu bekommen. Das lag nicht nur daran, dass man mir den Zutritt zum Debattierclub verwehrte, sondern auch an der geteilten Welt, in der an der Yale University debattiert wird. Jetzt, wo sich meine Zeit hier in Yale dem Ende nähert, möchte ich euch einen kleinen Eindruck von diesem Bild geben, das sich mir im Laufe der letzten beiden Semester eröffnet hat.

Philipp Stiel hat seine neue Alma Mater ins Herz geschlossen und erklärt amerikanische Debattierkultur. (Foto: Privat)

Die Yale Debate Association (YDA) spiegelt dabei die kompetitive Kultur wieder, die in den USA auch viele andere außeruniversitäre Aktivitäten durchdringt: Egal ob in Hochschulsport, Musik oder Technik, überall steht der Wettbewerb im Zentrum. Die Debattierkultur ähnelt dabei viel eher einem Sport – und dementsprechend wird auch trainiert und ausgewählt.

Pro Jahr nimmt die YDA etwa 20 Debattanten neu auf – größtenteils Erstsemester (“freshmen“), “graduate students“ wie ich sind dabei unerwünscht – was aber insgesamt an der amerikanischen Collegekultur liegt, die häufig eine starke Trennung zwischen College und Graduate School verhängt. Diese Trennung ist in Yale fast sakrosankt, in Einführungsveranstaltungen wird sogar davor gewarnt, als Graduierter “undergrads“, also Bachelorstudenten, zu daten – und implizit heißt das wohl fast schon “bitte nicht anschauen“. Einzig die Frage, wer hier wen in Gefahr bringt, bleibt dabei offen…  Für alle Debattanten bedeutet das aber auch, dass hier mit spätestens 22 Schluss ist mit der Debattierkarriere – kaum eine Grad School hat einen eigenen Debattierclub. Ich hätte ja die Streitkultur Yale aufgemacht, aber neun Monate sind dann doch zu kurz.

Viele Debattierclubs in den USA haben ihre eigenen professionellen Trainer, die häufig mit den Public Speaking Departments verknüpft sind, die selbst wiederum hier eine viel praktischere Ausrichtung haben als das (einzige) deutsche Rhetorikseminar in Tübingen. Das Trainingsprogramm spielt sich zum größten Teil nicht an Clubabenden, sondern tagsüber und unter der Woche ab und die Kurswahl hat sich nach dem Trainingsplan zu richten – was in den Varsity-Sportprogrammen nicht anders ist. Zur großen Enttäuschung aller Debattier-Aspiranten an deutschen Gymnasien sei aber hinzugefügt, dass man fürs Wettkampfdebattieren leider kein Stipendium bekommt.

Debattierclubs, die einen ähnlichen Anspruch wie der in Yale haben, schicken ihre Debattanten dann im Semester durchaus auch jedes Wochenende auf ein Turnier – und verfügen, aber das wundert in den USA nun niemanden, über ein entsprechend großes gesponsertes Budget. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Die YDA ist in den USA derzeit der beste und weltweit unter den Topclubs, und hat diese Position nach meiner Einschätzung zumindest nach BP-Jurierkriterien auch verdient.

Nach meiner anfänglichen Enttäuschung über die Ausrichtung und Abschottung des Debattierens wurde ich aber doch noch mit den USA versöhnt: Mit der Yale Political Union (YPU) hat der Campus einen spannenden und offenen Ort für wöchentliche Debatten aktueller politischer Fragestellungen.

Die YPU ist dabei in Parteien organisiert, die sich an verschiedenen Stellen des politischen Spektrums ansiedeln (zum Beispiel Liberal Party, Party of the Left) – und zusammen auf rund 200 Mitglieder (bei 5.000 Studierenden insgesamt!) kommen, sodass die wöchentliche Debatte regelmäßig gut gefüllt ist. Diese ist in drei Statements auf der Pro- und drei auf der Contraseite aufgeteilt, die jeweils fünf Minuten Redezeit und etwa zehn Minuten Zeit für Fragen aus dem Publikum haben – prominente Gastredner bekommen etwas mehr.

Mit diesem Format ist die YPU, die der berühmten Oxford Union nachempfunden ist, der Tübinger Debatte sehr ähnlich, mit der vor 20 Jahren das Debattieren an deutschen Hochschulen erstmals in Erscheinung getreten ist. Als Publikumsdebatte ist es ihr Ziel, die politische Debatte zu kultivieren und zur individuellen Meinungsbildung in die Gesellschaft zu tragen. Die YPU ist dabei überaus erfolgreich und zieht ähnlich wie die Oxford Union regelmäßig Gastredner aus dem ganzen Land und hunderte von studentischen Zuschauern (und Fragestellern) an.

Welche Seite des amerikanischen Debating ist mir nun lieber? Um das zu beantworten, muss ich mich wohl entscheiden, warum ich überhaupt debattiere – und da wohnen, vor allem als in Tübingen aufgewachsener Debattant, zwei Seelen, ach! in meiner Brust: Auf der einen Seite hängt mein Herz an Turnieren und dem rhetorischen Vergleichskampf – auf der anderen Seite bin ich überzeugt davon, dass das Debattieren kein reiner Selbstzweck sein kann. Vielmehr ist es für mich der ideale Rahmen, um die Sinne zu schärfen für kohärente und relevante Argumentation, den eigenen Standpunkt zu gesellschaftlichen Fragestellungen zu finden – und nicht zuletzt zu lernen, seinen Standpunkt auch dem politischen Gegenüber und dem Publikum verkaufen zu können.

Dementsprechend fände ich es zwar toll, einem richtig guten Debatingteam wie der YDA zugehörig zu sein – aber so richtig begeistert mich vielmehr eine spannende Debatte der YPU, die mitten aus der Gesellschaft kommt und mit ihr stattfindet. Zwar leiden manche der Union-Debatten daran, dass es keine konkrete Antragsstellung gibt und die Redner ihre Standpunkte nach politischer Richtung auswählen können, worunter die Argumentationsschärfe leidet. Trotzdem ist es aber an diesem Ort, an dem eine Debattierkultur ihren Weg hinein in die Gesellschaft findet und an dem sich die Debatten ganz automatisch am Publikum (und nicht den Juroren) orientieren.

Mit Blick auf die politische Entwicklung der letzten Monate in Deutschland, vor allem in Baden-Württemberg, scheint für mich gerade hier die große Chance des Hochschuldebattierens in Deutschland zu liegen: Was wir haben, ist eine inzwischen großartige Kultur von Turnieren und Trainings. Was wir auch haben, dank der Koexistenz von BP und OPD, ist eine Debattierszene, die vielseitiger, offener und publikumsgewandter als die amerikanische ist, ohne aber die inhaltliche Tiefe aufzugeben, die die BP-Jurierkriterien ins Zentrum rücken.

Was aber noch vor uns liegt ist der Weg der Debatte in die Gesellschaft – und zwar nicht der Debatte, die nur im Bundestag, in den Medien oder in langweiligen Podiumsdiskussionen für die Gesellschaft stattfindet, sondern als Bürgerversammlungen, Townhallmeetings oder Schlichtungsgespräche mit der Gesellschaft. Und genau das traue ich der integrierten deutschen Debattierszene an Hochschulen mehr zu als der in Debattierkultur und Debattiersport getrennten Welt hier in Yale.

Philipp Stiel / apf

Philipp Stiel studiert seit Herbst 2010 für zwei Semester an der renommierten Yale University im US-amerikanischen New Haven. Die Universität gehört zur sogenannten “ivy league“, den Tophochschulen des Landes. Der Volkswirtschaftler muss sich hinter dem Ruhm seiner amerikanischen Alma Mater nicht verstecken – er legte eine steile Debattierkarriere hin: 2008 zeichnete ihn bei der Deutschen Debattiermeisterschaft (DDM) die Deutsche Debattiergesellschaft (DDG) mit dem Nachwuchspreis aus, 2009 wurde er bester Redner des Finales der DDM in Mainz, gewann schließlich 2010 die DDM in Münster gemeinsam mit seinem Teampartner Peter Croonenbroeck und überzeugte gleich noch einmal die Ehrenjury als bester Redner des Finales. In einem Interview kurz nach der DDM 2010 mit der Achten Minute fand er, der politische Diskurs sei häufig recht konsensorientiert, sodass die Grundpositionen, die für die verschiedenen Seiten sprechen, nicht herausgearbeitet würden. “Genau das ist aber die Aufgabe der Debatte: Pro und Contra herausfiltern, sie dem Publikum erklären und es so in die Lage zu versetzen, sich eine eigene Meinung zu bilden.“

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3 Kommentare zu “Debating in Yale – Philipp Stiel zwischen Publikumsdebatte und Wettkampfsport”

  1. Gudrun Lux sagt:

    Großartiger Text, danke Philipp!!!

  2. Daniel (Heidelberg) sagt:

    Du wolltest Dich also an undergrads heranmachen… ts, ts, ts 😉

  3. Bastian Laubner sagt:

    Good report! Just one remark: grad students aren’t shut out of competitive debating everywhere in the US. I was able to join the Cornell Debate Association as a grad student during my year in the US, and they let me go to quite a lot of tournaments on the APDA circuit. Training consisted of one weekly debate night, much like most German debating clubs do it. Cornell is an Ivy League school and fairly successful at debating… but I guess that US debating clubs that don’t consider themselves the best of the best are generally more open.

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