Welches Thema debattieren wir? – Turniere und Cluballtag

Datum: Jun 22nd, 2016
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Category: Jurieren, Mittwochs-Feature

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8 Kommentare zu “Welches Thema debattieren wir? – Turniere und Cluballtag”

  1. Simon Villa Ramirez says:

    Für mich hört sich das so an, als hätten wir die Wahl zwischen ausgeglichenen Themen und aktuellen, realitätsnahen Themen. Und jetzt sagt Lennart, entweder wir treten als politische Lehrer auf oder als wettbewerbsbewusste Debattierer.

    Ich frage mich, ob man da einem Debattierthema nicht zu viel auflasten will. Natürlich können wir Aufklärer sein, natürlich können wir Menschen vorgaukeln, sie bekommen bei uns sowas wie MUN-Light und gleichzeitig tolle Debatten. Aber die Frage die sich mir stellt ist: Wieso muss das alles in einem Guss passieren?

    Meine Position sieht so aus, als dass das Thema zwar die Debatte bestimmt, aber nicht die Debatte danach. Gerade so kreativ-kompetitive Debattierer können schnell eine Verbindung zwischen dem Abstrakten und dem Aktuellen stiften.
    Vielleicht profitieren gerade auch Neulinge, wenn sie gefordert werden, das Kontroverse im Unkontroversen, das Konkrete im Abstraktem zu suchen.

    Wenn man allerdings unterstellt, es gebe eine Hegemonie abstrakter, wettbewerbsbasierter Themen im Debattieren als Sport, könnte man den schließenden Appell Lennarts als Korrektur interpretieren.
    Aber gerade ist es wohl mit einem simplen Gegensteuern nicht getan. Ich selbst habe auf einem Turnier nie ein Thema gehabt wo ich 100% Zustimmung bekommen. Irgendjemand wird immer leer ausgehen und jetzt ist die Frage, gerade im Hinblick auf Mitgliederzuwachs, welche Gruppe von “Themenverlierern” wir haben wollen.

    Cherish me and mine – das sollte die Botschaft des Debattierens sein. Was heißt, dass es letztlich gemeinsame Werte sein müssen. die einen positiven Bezug zum Debattieren und der Debattierergemeinschaft herstellen. Wie erreichen wir es, dass Anfänger interessiert und engagiert werden?

    M.E. kann dazu die Gefälligkeit, sich unter die Zügel politischer Aktualität zu begeben, keinen sinnvollen Beitrag leisten. Jene, die der politischen Kontroverse statt dem fairen Wettbewerb den Vorzug geben, werden auf kurz oder lang nicht zu halten sein. Sie wollen statt einem Argumente- eher einen Meinungsaustausch und werden es eher nicht nachvollziehen können, wenn eine politische Debatte (Brexit, TTIP, Ukraine, ISIS) statt unter der Hegemonie einer gewissen Meinung unter der Abwägung sachlicher Argumentation abgewogen wird.

    Was ich sagen will ist, dass wir keine MUN sind, dass wir solche Leute, die diesem Interesse gewogen sind eh verlieren werden weil wir keine Gewichtung von Meinungen sondern von Inhalt und Argumenten vornehmen.

    Deshalb ist der Leitsatz, der m.E. wirklich nachhaltige Debattierzuwächse garantiert, der, dass Wettbewerb und Fairness unmittelbar zu erlernen sind, damit auf Grundlage dieser Tugenden im Anschluss einer Debatte über Dinge geredet werden können, die einen auch politisch interessieren.

    Ich denke die Ausbildung von Rednern, die sich konzise mitteilen können und sehr aufmerksam zuhören, ist die Basis allen weiteren politischen Bildens, die individuelle Nachfrage viel besser wird abdecken können, als eine Agenda, die Clubvorstände und Themenwähler jemals fahren können.

    1. Lennart Lokstein says:

      ” Jene, die der politischen Kontroverse statt dem fairen Wettbewerb den Vorzug geben, werden auf kurz oder lang nicht zu halten sein.”
      Historisch betrachtet ist das falsch. Debattierclubs wurden partiell deshalb gegründet, weil sich Studenten auf einer argumentativen Ebene mit den Themen ihrer Zeit auseinandersetzen wollten und viele Debattierclubs werben mit politischer Auseinandersetzung und aktuellen Themen, ebenso wie öffentliche Finales. Es ist jene Schizophrenie, die adressiert werden sollte. Ist ein politischer Anspruch noch Teil des Debattierens und unabhängig davon: Sollte er es sein?

      Ich finde, er sollte und ich bin ein wenig besorgt ob des (notwendigen) Rückgangs und der daraus resultierenden Selbstisolation der Szene von der Gesellschaft.

    2. Christian (MZ) says:

      Ich sehe das genau so wie du, Lennart: aktuelle politische Themen abzubilden und darüber zu streiten sollte der Anspruch des Debattierens sein und ja, du hast vollkommen recht in deiner Analyse, dass wir uns zumindest auf Turnieren davon immer mehr weg bewegen.
      Ich finde übrigens, dass man über die von dir genannten Themen, Simon, also Brexit, TTIP, Ukraine und IS sehr gut debattieren kann. Ich glaube, wer politisch interessiert ist, wird gerade durch das Debattieren tolle Aha-Momente haben, dass diese Themen eben gerade nicht so einseitig sind, wie mancher denkt. Es geht eben um die Herangehensweise an solche Themen, aber genau das wollen wir ja eigentlich vermitteln und lernen.
      Für mich ging es am Anfang beim Debattieren eigentlich genau darum, was Lennart über die “Gründerväter” sagt: der Auseinandersetzung mit aktuellen politischen Fragestellungen in Form einer Rede vor Publikum innerhalb eines Teams. Das fand ich toll und spannend. Wenn es beim Debattieren aber damals schon vor allem darum gegangen wäre, einfach nur logische Argumentation zu lernen und diese dann vorzutragen (und das ohne den Anspruch, dabei ein Publikum auch rhetorisch zu überzeugen sondern Argumente eben nur runter zu rattern), hätte ich mit dem Debattieren schnell wieder aufgehört, denn das hätte mich extrem gelangweilt.

      Wir sollten uns da schon fragen, welchen Anspruch wir an das Debattieren haben: wollen wir den Leuten “nur” beibringen, zu argumentieren und Argumente zu widerlegen? Oder ist das ein Teilelement bei der Auseinandersetzung mit aktuellen und relevanten politischen Fragen in Form einer Rede? Klar, in der Praxis gibts natürlich immer Mittelpositionen, aber ich finde es gut und wichtig, dass Lennart diese prinzipielle Frage gestellt hat!

  2. Toni (München/Osna) says:

    Ich muss jetzt mal eine Lanze für fiktive Themen brechen. Diese bieten nämlich einen großen Vorteil vor den “aktuellen, relevanten” in der “echten” Realität angesiedelten Themen: Es ist gerade für Anfänger einfacher, sich von der in den Medien und der Umgebung stattfindenden häufig unterirdisch schlechten Debatte zu lösen. Ein Problem zum Beispiel, warum es (anekdotische Referenz, ich kenne die genaue Statistik nicht) in vielen Räumen beim Bologna-Thema der DDM schlechte Debatten gab, war, dass dort vielfach im Stile der Debatten geredet wurde, die man aus der alltäglichen Umgebung gewöhnt war. Gut wurden die Reden dann, wenn man sich davon gelöst hat und frei über das Thema und die Ziele von Bologna auf einer höheren Ebene nachgedacht hat. Dieser Schritt fällt aber gerade Anfängern häufig schwer.
    Ein Thema über die Zombieapokalypse oder Aliens schafft diese Distanz ganz zwangsläufig, weil die Debatte so in den Medien und in der Mensa nicht stattfindet. Und trotzdem geht es um die (immer relevanten) Grundfragen unserer Existenz: Was macht den Menschen zum Menschen? Wie geht man mit Wesen mit einem anderen Grad an “Menschlichkeit” um?
    Außerdem zwingen viele fiktive Szenarien zur Polarisierung. Eines der besten Themen, das ich je debattiert habe (Danke, Melda!): Gegeben, wie haben den Beweis der Nicht-Existenz Gottes: DHW ihn vernichten. Durch den Kniff des fiktiven Szenarios wird die abstrakte Frage nach dem Wert von Wahrheit und dem Wert von Religion und Sicherheit plötzlich konkret. Da bieten fiktive Szenarien sogar einen Ausweg aus dem von vielen Seiten bedauerten “Bedauern und Begrüßen” statt “Verbieten und Einführen”.
    Und noch ein Nachtrag zu neuen Themensorten: Ich fand die Idee einer “Interpetationsdebatte” auf der ZDBer total super, auch wenn ich leider nicht da war. Auch das ist Bildung (wenn auch eher kulturelle als politische)

  3. Christian (MZ) says:

    Sehr gute Analyse, Lennart! Dieser Trend ist auch aus meiner Sicht deutlich sichtbar, als weg von der tagesaktuellen Politik und hin zu eher abstraken, realitätsfernen, aber dafür ausgeglichenen Themen.
    Und es ist wirklich schwer zu sagen, wie man darauf reagieren kann, sofern man darin ein Problem sieht (ich gehöre zu denen, die das tun).

    Bei uns in Mainz werden die Themen bei Clubabenden durch Vorschläge und Abstimmungen aus dem Plenum bestimmt. Da kommt es dann immer mal wieder zu einseitigen Themen, die vielleicht aber gerade tagesaktuell sind. Früher hat mich das gestört, heute denke ich oft: auch daran können die Leute sehr viel lernen, wenn sie merken, dass Themen sehr unausgeglichen sind und gerade auch manche politischen Fragen und Kontroversen in der Debattierlogik oft nur eine richtige Antwort bieten. Ich glaube, dass das einen sehr positiven Effekt für Einsteiger haben kann. EInerseits kann das ihr Verständnis über das Debattieren und die Ausgeglichenheit von Themen stärken und andererseits hilft es auch bei der angesprochenen politischen Bildung. Denn dann gibt es wirklich einen deutlichen Aha-Effekt, der durch die fast zwangsläufig auf dei Debatte folgende Diskussion zusätzlich verstärkt wird. Von daher können auch unausgeglichene Themen helfen.

    Bleiben die Turniere. Auch da hast du völlig recht Lennart, dass es der Anspruch der CJ sein sollte, ausgeglichene Themen zu stellen, die möglichst viel hergeben hinsichtlich Strategie und Analyse. Und natürlich fallen solche Themen auch nicht ständig vom Himmel. Wenn man sieht, dass wir pro Jahr um die 30 Turniere in VDCH-Land haben (eher mehr), dann ist es klar, dass sich Themen (oder zumindest Themenkomplexe) entweder wiederholen müssen oder das man eben auch mal wenig offensichtliche Fragen debattieren muss. Da stellt sich natürlich dann die Frage, wie man damit umgeht und du hast mehrere Beispiele genannt. Ich würde noch eine weitere Variante ins Spiel bringen, die aber natürlich auch Schwächen hat: schauen wir bei den Themen mal mehr über unseren Tellerrand hinaus, also nicht nur auf Seite 1 und 2 der Zeitung, sondern auch mal auf die hinteren Seiten. Denn da gibt es wirklich viele Fragen, denen wir uns noch nicht gestellt haben. Das gilt insbesondere für Themen zur Politik außerhalb von Deutschland oder der EU aber auch beispielsweise Fragen aus dem Wirtschaftsbereich (die übrigens oft seeeehr relevant sind). Auch da lassen sich wunderbare Themen basteln. Das Problem ist nur: da fehlt es oft, wie bei den Geschichtsthemen, am Hintergrundwissen. Das finde ich persönlich sehr schade, verstehe aber jeden CJ, der solche Debatten eher vermeiden will. Denn welchen Nutzen haben wir, wenn von 20 Teams 18 keine Ahnung vom Thema haben und bestenfalls oberflächliche Debatten abliefern?
    Das könnte die Leute zusätzlich sogar auch noch frustrieren und von Turnieren sogar abschrecken, wenn sie von der Mehrheit der Themen keine Ahnung haben und dann nur Misserfolge erleben (auch in BP ist es nicht so toll, einen Raum gewonnen zu haben, nur weil man am wenigsten schlecht war) . Man kommt also wohl um die eher unspannenden, aber zumindest logisch für jeden gut zu debattierenden (Alltags-)Themen auf Turnieren nicht herum. Auch weil der typische Debattierer eben (nach meiner Erfahrung) leider nicht der durchschnittlich informierte Zeitungsleser ist. Eine Lösung habe ich für diese Problematik leider nicht zu bieten, außer ebenfalls einen Apell: Informiert euch, bildet euch, lest Zeitung (und nicht nur ab und an irgendeinen Artikel im Netz)! Denkt nicht nur darüber nach, wie man ein Argument strukturiert vorträgt, wie man eine Stakeholderanalyse macht und wie die perfekte Schlussrede struktuiert ist. Das alles ist Handwerkszeug und sicherlich notwendig, um Debatten zu gewinnen. Aber wenn Debattieren mehr sein soll als das, wenn es wirklich darum gehen soll, Denkanstöße oder Antworten auf wirkliche politische/gesellschaftliche Fragestellungen zu liefern, dann reicht das nicht. Beschäftigt euch mit Politik, mit Gesellschaft, mit Wirtschaft, mit Zusammenhängen. Nicht nur mit Prinzipien und Idealen sondern mit der Realität da draußen, wie sie funktioniert und warum (bzw warum nicht). Wenn das mehr Leute tun, hat man auch wieder die Möglichkeit, mehr politische und relevante Themen zu debattieren und sich von der reinen Argumentation zu Alltagsfragen oder Absurditäten zu lösen.

  4. Nicolas (MZ) says:

    Schreibt außer Lennart eigentlich noch irgendwer MiFi’s? 😛

    1. Christian (MZ) says:

      Das ist sicher als Bewerbung für nächste Woche zu verstehen 😉

    2. Lennart Lokstein says:

      Lennart schreibt nicht nur Mittwochsfeature, sondern auch regelmäßig Mails über den VDCH-Verteiler, dass die Achte Minute sich immer über Vorschläge und neue Ideen von externen Autoren freut.

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