Debattiersport und die Wahrheit

Datum: Feb 22nd, 2017
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Category: Jurieren, Mittwochs-Feature

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3 Kommentare zu “Debattiersport und die Wahrheit”

  1. René G. (Heidelberg) says:

    Wer sich in Debatten für die Wahrheit interessiert ist doch verloren…

    Schon Sokrates und Platon erkannten, dass die Rhetorik ein Feind der Wahrheit und des echten Erkenntnisgewinns ist. Sie verstanden, dass es nur um Persuasion statt Wissen, um Wahrscheinlichkeiten statt Wahrheit geht.
    Doch wo es keine Wahrheit gibt, da kann auch keine Lüge existieren.

    Sokrates: Muss nun nicht, wo gut und schön geredet werden soll, des Redenden Verstand die wahre Beschaffenheit dessen erkennen, worüber er reden will?
    Phaidros: So vielmehr habe ich immer gehört, lieber Sokrates, wer ein Redner werden wolle, habe nicht nötig, was wahrhaft gerecht sei zu lernen, sondern nur, was der Volksmenge, die zu entscheiden hat [Debattierdeutsch: “die JurorInnen”], so scheint, ebenso auch nicht, was wahrhaft gut sei oder schön, sondern nur, was so scheinen werde; denn hierauf gründe sich das Überreden, nicht auf der Sache wahre Beschaffenheit. […]

    Sokrates: Wenn also der Redekünstler, unwissend über das Gute und Böse, einen ebenso beschaffenen Staat sich vornimmt und ihn zu überreden sucht, nicht etwa einen Esel als ein Pferd anpreisend, sondern ein Übel als ein Gut, und, nachdem er die Meinungen des Volkes kennengelernt, ihn nun überredet, Übles zu tun statt des Guten, was für eine Frucht, glaubst du, werde die Redekunst dann ernten von dem, was sie gesät?
    Phaidros: Eben keine sonderliche.

    1. Simon V. says:

      Sokrates ist ein ästhetisches Argument, hängt aber von der Glaubwürdigkeit seiner Person, seiner Überlieferung sowie vom Kontext ab.

      Sokrates selbst, benutzt eine deminuitive Rhetorik. Rhetorik, die nicht vorgibt Rhetorik zu sein, und deshalb überzeugen kann. Natürlich hat er sich nicht von der Gunst des Publikums, des Volkes leiten lassen. Es ist aber vollkommen unbegründet davon auszugehen, dass andere Redner oder Redekünstler dies automatisch auch tun. Also hat nicht die Redekunst einen Hang, ein Auditorum zu täuschen, sondern diejenigen, die Wahrheit nicht für einen Selbstwert halten.

      Sokrates selbst wurde nicht von einer Diktatur, sondern einer Demokratie zum Tode verurteilt. Und da findet sich die perfide Wahrheitsdefinition von Sokrates. Für ihn hängt sie (die demokratische Entscheidung) nie von der Wahrheit ab, selbst intersubjektiv gefundene Wahrheiten nicht. Daher könnte man Sokrates als Rednerischer Kritiker getrost vergessen, da er weder einen guten Grund noch genügend Autorität vorweist um gegen Redekunst etwas zu vorzubringen.

  2. Jannis Limperg says:

    Eine tangentiale Anmerkung zu diesem sehr lesenswerten Artikel: BP und OPD sanktionieren erkennbar wahrheitswidrige Ausführungen unterschiedlich, was zu entsprechend unterschiedlichen Anreizstrukturen führt.

    In BP beschädigt eine Unwahrheit nur den Teil der Rede, der explizit von ihr abhängt; andere Argumente — oder sogar das gleiche Argument, soweit es unabhängig von der falschen Behauptung bestehen kann — werden nicht tangiert. Außerdem verbietet der “average intelligent citizen”-Standard je nach Lesart die Sanktionierung von als falsch erkannten Aussagen, soweit ein ‘Durchschnittspublikum’ diese für wahr halten würde. OPD erlaubt JurorInnen hingegen, den durch eine erkennbare Unwahrheit entstandenen Schaden für die Glaubwürdigkeit des/der RednerIn insgesamt mitzubewerten, sodass bereits relativ kurze Passagen Anlass zu einer berechtigten Vermutung von Inkompetenz oder gar Böswilligkeit — und damit signifikantem Punktabzug — geben können, wenn sie nur offensichtlich genug falsch sind. Deshalb ist die Versuchung, Unwahrheiten (oder deren kleinen Bruder: mit großer Überzeugung vorgetragenes Halbwissen) einzustreuen und zu hoffen, dass das Panel sie einem abnimmt, in BP größer.

    Marion hielt übrigens auf dem letzten Jurier-Think-Tank einen ebenfalls interessanten Vortrag zu ungefähr diesem Thema. Das Video existiert, ist aber, soweit ich weiß, noch nicht öffentlich. Ich muss mal schauen, wo die Nachbereitung gerade hängt.

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