„Formatvielfalt als Standortvorteil – Ein Appell“: Nicolas Eberle über die Offene Parlamantarische Debatte

Datum: Apr 15th, 2015
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Category: Mittwochs-Feature

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9 Kommentare zu “„Formatvielfalt als Standortvorteil – Ein Appell“: Nicolas Eberle über die Offene Parlamantarische Debatte”

  1. Jonathan Scholbach says:

    Ich stimme Dir zu, Nicolas, dass die Formatvielfalt begrüßt werden sollte, auch als Mittel einer umfassenderen Ausbildung zu Redepersönlichkeiten.

    Das Problem mancher OPD-Jurierung war (ist?) in meinen Augen, dass mitunter totaler Schrott positiv bewertet wurde, der auch für ein “normales” Publikum (was immer das sein soll) nicht überzeugend war.
    Beispielsweise sind in OPD Bewertungen vorgekommen à la: “Hat die Rednerin die FFR genannt?” -> +3 Punkte in Kontaktfähigkeit. “Der Redner hat gesagt: Diese Debatte ist wie ein Haus mit Fenstern und Türen. Im ersten Fenster sehen wir unser erstes Argument: …” -> +3 Punkte in Sprachkraft.
    Sehr oft werden auch solche sprachlichen Bilder positiv bewertet, die in einer ganz schiefen oder in gar keiner Relation zur Sache stehen. Ein Publikum, das nicht gerade dumm ist, würde so etwas sogar negativ bewerten, weil hier ein Versuch der Manipulation sichtbar wird, was in der Regel Reaktanz auslöst. In OPD aber wird z.T. bereits die bloße Bildhaftigkeit der Rede positiv bewertet.
    Ist das Zufall? Ich glaube, es gibt systemische Gründe dafür: Es hat sich z.T. ein Spektrum eines “OPD-Stils” entwickelt, der weder auf Analysetiefe noch auf tatsächliche Überzeugungskraft bei einem “Durchschnittspublikum” abstellt. Letzteres in einem Jurierbogen modellieren zu wollen, ist nämlich illusorisch, weil das Publikum sehr divers ist und entsprechend andere Dinge wertschätzt. Ehrlicher wäre ein Konzept, das zugibt, dass es bestimmte Wertentscheidungen trifft, und nicht ein fiktives Publikum als Legitimationsbasis zitiert. Das ist nämlich ein Null-Verweis, Angemessenheit und Überzeugungskraft variiert mit Publikum und Redesituation. (Zugespitzt: Wenn ich vor einem blinden Publikum rede, das seinen Screenreader auf doppelte Geschwindigkeit stellt, um im Internet zu surfen, kann BPS genau richtig sein.) Das imaginierte Standardpublikum der OPD wird daher immer wieder neu verhandelt werden. Die große Vagheit der OPD-Kategorien zusammen mit der viel zu großen Skalenbreite und der offenen Willkür, zu der der Bogen an manchen Stellen einlädt, sorgt hier immer wieder für innerszenische Nachjustierungsversuche. Das sind Mängel, über die man diskutieren sollte.

    Der Ruf nach sachlichereren OPDen entspringt wohl auch der Sehnsucht nach den einem etwas festeren, intersubjektiv nachvollziehbarerem Maßstab.

  2. Lennart Lokstein says:

    Lieber Jonathan,
    wenn Leute denken “Bild: Mehr Punkte” sind sie einfach unerfahrene Juroren. Wenn es unerfahrene Juroren gibt muss man diesen Umstand ändern, nicht das Format. Jeder erfahrene Juror – und dazu trägt Nicolas’ Beitrag denke ich auf angenehme Weise bei, vielen Dank! – bewertet eben nach der Maxime “Hat etwas zur Überzeugung beigetragen oder nicht.”
    Wird nun von mehreren (kompetenten) Juroren noch die Punktevergabe gemittelt, so kommen wir dem Eindruck eines Publikums was die Überzeugungsleistung eines Teams angeht meiner Ansicht nach doch sehr nah.

  3. Jonathan Scholbach says:

    Lieber Lennart,

    ich bestreite nicht, dass es einen Unterschied zwischen erfahrenen und unerfahrenen Jurors gibt. Ich wollte nur eine Abstraktionsebene weiter oben darauf hinweisen, dass die Unklarheit des Konstrukts “Überzeugungskraft” ein systemisches Problem ist, das über Erfahrenheit und Unerfahrenheit hinausgeht. Du gehst davon aus, dass die Erfahrenheit der Jurors zumindest zu einem Konsens grosso modo führt. Das glaube ich nicht. (Wer kann schon sagen, was der Unterschied zwischen “nationaler Spitzenleistung” und “internationaler Spitzenleistung” in auch nur einer der 5 Einzelrednerkategorien ist?) Als Indiz für diese These sehe ich eben die Veränderung der OPD-Bewertung über der Zeit, die Nicolas im Artikel ganz richtig diagnostiziert. Diese Veränderung deute ich als Resultat eines Spielraums, über den ständig verhandelt werden muss, weil er vom Format nicht hinreichend klar definiert wird. Dieser Spielraum wird von der Vagheit der formulierten Kriterien aufgespannt. Diese Vagheit zu reduzieren würde zu einer besseren intersubjektiven Nachvollziehbarkeit führen. Das würde ganz nebenbei auch den Lernprozess bei Jurors beschleunigen.

    Viele Grüße!

    Jonathan

  4. Patric Flommersfeld says:

    Das Problem mit oft nicht nachvollziehbaren(evtl. auch als willkürlich emfpundenen) Jurierungen ist eher ein strukturelles Problem der Szene. Ich habe den Eindruck, dass sich die Debattierkompetenzen in einigen wenigen Clubs konzentrieren, welche die deutsche Szene dominieren. In erste Linie sind das in meiner Warhnehmung Berlin, Tübingen, Münster, Mainz und Göttingen. Innerhalb dieser Clubs existieren die Fachkräfte und Persönlichkeiten die es schaffen innerhalb der Clubabende ihre Kenntnisse weiterzugeben. Es scheint sich dort eine Art selbstantreibender Kreislauf des Lernens und Lehrens etabliert zu haben, welcher jedes Jahr aufs neue sicherstellt, dass aus diesen Clubs ein konstanter Strom an Talenten herangezogen wird. Dem gegenüber müssen sich die kleineren und auch oft viel jüngeren Clubs alles selbst erarbeiten, bzw. da sind oft nicht die Persönlichkeiten vorhanden um einen langfristigen auf Nachhaltigkeit bedachten Prozesses zur Wissensschaffung zu etablieren und aufrecht zu erhalten.
    Ich sehe mich auch den “kleineren” zugehörig und muss feststellen, dass ich viele Aspekte des OPD-Rahmens hier in diesem Artikel und auch auf dem Coaching Cup in Wuppertal zum ersten Mal gehört habe, bzw. zum ersten Mal darauf aufmerksam gemacht wurde wie die Schreiber des Regelwerks diese grundsätzlich verstehen und bewerten.
    Daher scheint das Problem doch viel mehr kommunikativer Art zwischen den “Eliten”, welche die Regelwerke definieren und den “Kleinen”, welche versuche diese zu adaptieren.
    Ich glaube auch nicht , dass in der Szene eine relevante Menge an Rednern existiert, welche OPD abschaffen wollen oder es überhaupt als “undurchsichtiges Hexenvoodoo” bezeichnen würden. Also der Diskurs über eine Existenzberechtigung scheint mir nicht gegeben, allerdings verstehe ich den Artikel dann doch eher als (unnötige) Rechtfertigung des Formats.

    Man sollte daher eher schauen, dass klarer kommuniziert was gemeint ist mit “Publikumsbezogen” und “Freie Redner Adressieren”. Gerade die ganzen Rhetoriker und Kommunikationsiwissenschaftler müssen dann hinsichtlich der Weitergabe ihres Wissens beachten, dass der Rest der Szene eben nicht das gleiche Verständnis von Kommunikation hat, bzw. dass das grundlegende Verständnis vom Umgang mit Publikum fehlt, da einfach ein anderer fachlicher und methodischer Horizont gegeben ist. So kommt es dann auch dazu, dass wenn ein Rhetoriker von einem Ingenieur fordert “Adressiere die Freien Redner mehr” der Ingenieur dies dann pragmatisch effektiv umsetzt und die Freien Redner mit “Liebe Freie Redner” grüßt, ein häckchen dahinter macht und sich dann wundert warum die Tübinger noch immer meckern 😉
    Daher muss man da dann auch die verschiedenen denkweisen berücksichtigen und solche abstrakten und weichen Punkte, welche man eben nicht einfach nach Methode X messen kann, auch entsprechend wohldefiniert darlegen.
    Schlussendlich ist die Frage, wie kriegen wir es hin, dass diese fundamentalen Kenntnisse effektiv in der gesamten Szene verbreitet werden können, so dass die Kompetenzkluft zwischen der Spitzengruppe und dem Rest kleiner wird?
    Die Ausbildung von Trainern ist auf jeden Fall ein guter erster Schritt, das Ergebniss davon lebt dann aber auch nur, wenn die richtigen Freaks, die Debattiersuchtis am Ende durch das Programm gezogen werden. Ich liebäugel zusätzlich immerwieder mit dem Ansatz der Toastmaster: Ein durchstrukturiertes, einheitliches, in kleine Häppchen unterteiltes Konzept, welches auf Tracks, bzw. dem erreichen von Leveln/Badges beruht. Zu jedem Happen gibt es eine Art How-To-Heftchen, in welchen man Erläuterungen und Übungen, sowie das Abschlussziel definiert vorfindet. So weiss man als Einsteiger wo man Anfängt, hinwill und was die nächsten Schritte sind. Evtl. kann man dann erreichen von bestimmten Skills in Rahmen von Turnieren sich bestätigen lassen.

  5. Stefan Kegel says:

    OPD bildet den klassischen Dreiklang aristotelischer Rhetorik ab. Ethos – Kontaktfahigkeit. Pathos – auftreten, sprachkraft. Logos – Sachverstand, Urteilskraft. Insofern bleibt, diese 3 Fertigkeiten den Rednern, und deren Bewertung den Juroren zu vermitteln. Literatur hierzu gibt es hinreichend. Angefangen bei den Übersetzungen aristotelischer Schriften, hinzu Lehrbüchern des Tübinger Seminars für Rhetorik: Müller, Clemens: Rhetorik.

  6. Daniel (Heidelberg) says:

    @ Jonathan: Zu vage? Das ist lustig. Ohne hier dem historischen Panel beim kommenden Think Tank vorgreifen zu wollen: früher wurde der OPD vorgeworfen, alles viel zu ausufernd und detailliert regeln zu wollen, man war als BPSler stolz darauf, den rund 300 Seiten des “Handbuchs der OPD” mit einem Bierdeckel-Codex entgegentreten zu können. Heute heißt es, es sei alles noch zu unbestimmt. So ändern sich die Zeiten…
    Grüße
    DS

  7. Jonathan Scholbach says:

    @Daniel: OK, das ist in der Tat lustig. Aber “wortreich” und “vage” sind weder Gegenteile, noch schließen sie einander auch nur aus.

  8. Daniel (Heidelberg) says:

    Haha ,nein, tun sie natürlich nicht 😉 Wobei ich die bestehenden Handreichungen zur OPD durchaus auch inhaltlich für äußerst substanziell halte. Das anders zu sehen, steht natürlich intersubjektiv jedem frei. Schlechte Jurierungen systembedingt einem speziellen Format anzulasten, halte ich hingegen ganz objektiv für falsch. Ebenso wie den Versuch, die “linken Kategorien” zu marginalisieren, wenn Nicolas diese Bestrebungen richtig beschrieben hat. Eine “BPisierung” der OPD würde in meinen Augen übrigens auch BPS missverstehen. So wenig, wie ein guter OPD-Juror für schlechte Sprachbilder hohe Punkte vergibt, so wenig würde ein guter BPS-Juror für gute Sprachbilder niedrige Punkte verteilen. So geht es in meinen Augen eigentlich um die prinzipielle Frage, ob man Stimme, Sprache, Gestik, Mimik etc. überhaupt für relevant hält. Oder ob man einfach aufhört zu reden und sich per e-mail ausformulierte Essays schickt und dann schaut, wer besser googeln kann. Auch was fürs historische Panel…
    Grüße
    DS

  9. Peter G. says:

    Ein sehr gelungener Artikel, der hoffentlich in der Szene zu mehr Verständnis des Formates führt. Was mich ein wenig irritiert, ist dabei aber die Tatsache, dass dies notwendig zu sein scheint: Das kommentierte Regelwerk der OPD gibt eine sehr gute Beschreibung des Formates ab, und lieber Patric, es erklärt auch hinreichend, wer Adressat einer OPD-Rede ist und warum! Es kann also keineswegs davon die Rede sein, dass Nicolas hier “Geheimwissen” veröffentlicht hat. Es steht alles niedergeschrieben und nachlesbar für jeden Club, der sich mit dem Format beschäftigen möchte (für sehr engagierte Leser existiert ja auch noch das Handbuch der OPD…). Im Übrigen möchte ich meinen, dass die Lektüre und Kenntnis des Regelwerks von zumindest den erfahrenen Rednern, die dann auf Turnieren, Jurierseminaren oder der 8M über Formate diskutieren, zu erwarten ist und dass auch die Weitergabe dieses Wissens an die Clubmitglieder vorrausgesetzt werden kann.
    In diesem Regelwerk finden wir auch Antworten auf das von Jonathan Gesagte: Wo immer du diese Jurorenentscheidungen gehört haben magst, was ich an sich schon bezweifle (auch ich kenne aber die Legende des Hauses mit Fenstern und Türen), so stellt man fest, dass eine Punktevergabe sich rein für diese Äusserungen schlicht nicht rechtfertigen lässt. Das ist also tatsächlich einfach eine Schlechtleistung des Jurors, wie Lennart schon richtig bemerkt hat.
    Zuletzt sei noch bemerkt, dass das “blinde Publikum”-Argument, wie von Jonathan beschrieben, wieder am Kern von OPD völlig vorbei geht (Überspitzt: Eine Publikumsdebatte zum NPD-Verbot ist für die Regierung wohl kaum gewinnbar, wenn sie auf dem Parteitag der NPD stattfindet. Das ist zwar ebenso richtig, hat aber mit OPD ebenso wenig zu tun.). Adressat ist hier ein “durchschnittliches Publikum”, welches lediglich im Rahmen von gesamtgesellschaftlichen Veränderungen neu verhandelbar wäre.

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