Kommentare kommentiert: Der DDM-Leitfaden 2016

Datum: Apr 6th, 2016
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Category: Jurieren, Mittwochs-Feature, Turniere, ZEIT DEBATTE

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9 Kommentare zu “Kommentare kommentiert: Der DDM-Leitfaden 2016”

  1. Lennart Lokstein says:

    Hallo zusammen! Mir ist leider nach der Lektüre noch folgendes unklar:
    1. Stichwort “Opp-Consistency”: Wenn ich nun erklären muss, warum mein Argument legitim ist, kann das häufig gleichbedeutend sein mit “ich muss das andere Team erstmal rebuttaln”, nämlich immer dann, wenn die Oppositionsteams verschiedene Ziele proklamieren (was oft vorkommt). Das kann dazu führen, dass eine mögliche (und auch potenziell sinnvolle) Opp-Linie von 3 Teams rebuttalt wird, da die SO eine andere (ebenfalls potenziell sinnvolle) Linie fahren möchte. Ich finde das – und habe es in Berlin aus dieser Position erlebt – ziemlich unfair gegenüber dem EO-Team. Da wäre es zumindest noch etwas besser, das SO-Team würde einfach etwas anderes tun, ohne vorher nun auch noch explizit rebuttaln zu müssen.

    2. Stichwort Regierung: Das Problem hier scheint ja das Einführen neuer Anträge/Modelle zu sein. Was ist nun aber, wenn der Antrag der ER etwas anderes bewirken würde, als das, was sie glauben. Ist es ein Dolch, hier als SR klarzustellen, wie der Mechanismus des gestellten Antrags wirklich funktioniert, auch wenn das zu einem anderen Ziel führt als dem von der ER gewünschtem und darf man als SR dann dieses Ziel neu proklamieren? Da auch das häufig vorkommt wäre hier die Regelsicherheit aus meiner Sicht noch ausbaubar.

    3. Wenn ein Team eine recht gute und eine im Grunde überflüssige Rede hält, z.B. ein schließendes Team eine geniale Extension hat aber eine schlechte Schlussrede, die Extension aber die Debatte knapp gewinnt vor einem gleichmäßigerem Team – wie sollen dann Einzelrednerpunkte vergeben werden? Angenommen, das zweite Team wäre von der Leistung her gefühlt etwa eine 76-76, das erste mehr eine 78-70. Nun hat man drei Optionen: Den guten Redner von Team A übermäßig hoch bepunkten, den schlechten Redner von Team A übermäßig hoch bepunkten oder aber Team B übermäßig schlecht bepunkten. Welches vorgehen sollen Juroren in diesem Fall anwenden? Das ist deshalb relevant, weil Speaks nicht relativ im Raum, sondern absolut auf dem Turnier vergeben werden, also im Prinzip wie bei OPD im Bezug auf Speaks mit sämtlichen Räumen konkurriert wird und es daher unfair für entweder alle Teams in anderen Räumen wäre, hochzugehen, oder unfair gegenüber Team B im vergleich zu allen anderen Teams, wenn diese niedriger kämen.

    4. Gibt es einen argumentativen Unterschied zwischen “DHW X” und “DHG, Y sollte X” oder ist im letzteren Fall lediglich ein Teil des Antrags, nämlich der ausführende Akteur vorgegeben?

    5. Sehr schöner Absatz zu Zwischenrufen. 😉

  2. Barbara (HH) says:

    Lieber Lennart,

    gerne versuche ich – in Absprache mit Willy und Tobi – noch etwas mehr Klarheit zu schaffen:

    zu 1.: Wir glauben nicht, dass das Plausibel-Machen einer eigenen Linie in der SO häufig mit einem zwingenden Rebuttal auf die EO verbunden ist. Oft dürfte es auch genügen, diese „einfach so stehen zu lassen“ und zu begründen, warum auch die eigene Linie legitim ist bzw. eine Selbst-Wenn Betrachtung oder eine Unterteilung in eine kurz- und langfristige Perspektive anzustellen. Eben deshalb lässt sich dem Leitfaden auch keine „Pflicht zu einem expliziten Rebuttal“ entnehmen.
    Selbst wenn es im Einzelfall zu einem direkten Rebuttal der SO auf die EO kommen sollte (ohne dass die Debatte dadurch vollkommen konfus wird und die SO sich dadurch selbst schadet), glauben wir nicht, dass das unfair gegenüber dem EO-Team wäre. Immerhin kann sich dieses damit auch als sehr relevant und bestimmend in der Debatte erweisen. Ein gutes und gut gemachtes Argument wird nicht dadurch schlechter, dass sich mehr Personen mit ihm auseinander setzen.

    Zu 2.: Ein Dolch liegt insbesondere dann vor, wenn sich die SR in expliziten Widerspruch zu den Prämissen, Werte und Mechanismen der ER setzt. Insofern kommt es in dem von dir geschilderten Fall vor allem darauf an, wie die SR konkret mit der Situation umgeht. Wenn sie alles, was in der ersten Hälfte gesagt wurde, komplett verwirft und für irrelevant erklärt, wird dies wahrscheinlich ein Dolch sein. Wenn sie dagegen vorsichtiger formuliert, dass es auch alternative Auswirkungen des Antrags geben könnte, die sie aus den nachfolgenden Gründen unterstützt, kann dies auch völlig ok sein. Wahrscheinlich ist das nicht die endgültige, definitive Antwort, die du dir erhoffst. Wie wir im Vorwort geschrieben haben, kann ein Leitfaden aber eben leider nur Leitlinien aufstellen und nicht jeden Einzelfall regeln. Daher können wir hier leider nur diese abstrakte Regel anbieten und anwenden.

    Zu 3. Die Einzelrednerpunkte sollen entsprechend der einzelrednerischen Leistung vergeben werden, so wie dies ausführlich im Leitfaden beschrieben ist.  In deinem Beispiel solltest du also überprüfen, ob 78 wirklich eine angemesse Punktzahl für eine „geniale Extension“ und 70 eine angemessene Punktzahl für eine „im Grund überflüssige Rede“ ist. Auch müsstest du prüfen, ob das andere Team tatsächlich eine Leistung erbracht hat, die jeweils 76 Punkten entspricht. Hieraus könnte sich eine andere Verteilung der Punkte ergeben, die das Ranking der Teams (A vor B) dann auch widerspiegelt.
    Solltest du alle Einzelrednerpunkte für so angemessen erachten, spricht einiges dafür, dass das Ranking der Teams nicht korrekt vorgenommen wurde, indem sich Team B eigentlich knapp vor Team A hätte befinden müssen und in der Abwägung der Teams miteinander z.B. die Schwäche der Schlussrede nicht angemessen berücksichtigt wurde.
    Natürlich ist es bei einem so abstrakten Beispiel aber sehr schwierig, das an dieser Stelle genau festzustellen.

    Zu 4.: Zu dieser Frage lassen sich sicherlich tiefgehende philosophische und wissenschaftliche Überlegungen anstellen. Für die Jurierpraxis relevant ist sicherlich zunächst der Unterschied, dass in „DHG, Y sollte X“ ein Akteur angegeben ist, in „DHW X“ indes nicht, was natürlich einen gewissen argumentativen Unterschied macht (wie auch im Leitfaden gesagt).
    Wie konkret die Maßnahme und der Mechanismus in der Debatte dann jeweils beschrieben werden und ob die Maßnahme in „DHG, Y sollte X“ auch als Antrag bezeichnet wird, ist vor allem eine Entscheidung der ER. Es bleibt die Aufgabe der Teams, in der Debatte überzeugend für oder gegen die Maßnahme zu argumentieren. Von daher sollte es praktisch keinen großen, verallgemeinerbaren Unterschied machen, auch wenn es sich um eine theoretisch durchaus spannende Frage handeln kann. Letztendlich hängt es vom jeweiligen konkreten Thema ab und wie überzeugend die Teams mit ihm umgehen.

    Beste Grüße,
    das CJ-Team

  3. Lennart Lokstein says:

    Hallo liebe CJ,
    danke für die Antworten. Gewisse Dinge sind mir allerdings immer noch unklar, zu 1. und zu 3.:

    1. Bezogen auf den Fall, den ich angesprochen habe (explizites Rebuttal ist notwendig, da z.B. exklusiv anderes Ziel): Ich halte es schon für problematisch, wenn 3 Teams ein anderes rebuttaln, das mit einem davon nicht einmal interagieren kann. In einem ausgewogenem Thema – und solche zu stellen unterstelle ich euch hier mal 😉 – ist jedes Argument zumindest zu einem gewissen Grad widerlegbar bzw. reduzierbar. Wenn drei Teams das eigene Argument kleiner machen, ist das bei ähnlich guten Argumenten im Zweifelsfall ein Nachteil. Gutes Rebuttal nimmt einem rebuttalten Team nunmal schlicht mehr, als es ihm an “Interaktion” oder “Aufmerksamkeit” wieder einbringt, da sein Beitrag für die Debatte insgesamt doch eher relativiert wird (ansonsten hätte man systemisch auch keinerlei Anreiz, ein stärkeres Team zu rebuttaln). Ich denke, auch über diesen Fall sollte man reden und nicht aufgrund der “Seltenheit” ausklammern. Wenn sich keine Lösung innerhalb des Systems finden lässt und man dennoch Opp-Backstabbing erlauben möchte, würde ich vorschlagen, zumindest auf diesen hinzuweisen und das Bewusstsein der Juroren dafür zu schärfen, dass ein Team besonders sorgfältig zu bewerten ist, wenn es dreifach rebuttalt wurde.

    3. Das liest sich alles in der Theorie schön, aber der Reality-Check sagt, dass diese Situation vorkommt. Grund dafür dürfte insbesondere sein, dass wir in BPS nunmal relative Leistung als primäres Bewertungskriterium haben und keine absoluten Kriterien, wie sie der Katalog vorgibt (d.h. Katalog und relative Bewertung kommen zwar tendenziell zu gleichen Ergebnissen, jedoch nicht zwingend). Wenn also im seltenen Fall (der doch pro Turnier auf dem man juriert gefühlt einmal auftritt) die relative Leistung nicht im Verhältnis steht zu den absoluten Vorgaben, müssen wir uns schon an die primäre Bewertung halten und diese nicht, wie vorgeschlagen, anhand der sekundären Bewertung korrigieren. Dann könnten wir nämlich gleich absolut bepunkten.. Die Frage ist nun, wer unter der Asymmetrie leiden soll: Soll das 1. Team etwas besser bepunktet werden, als es war, oder das 2. Team schlechter, als es war? Ich würde mich hier über eine klare Ansage für den genau beschriebenen Fall freuen. Dass ich alles sorgfältig prüfen sollte, war mir tatsächlich schon vorher klar. 😉

  4. Manuel J. A. says:

    Ist das jetzt wieder das Missverständnis, dass Rebuttal die Leistung des angegriffenen Teams schmälert?
    https://www.achteminute.de/20130731/sandburgen-und-relativitatstheorie-im-british-parliamentary-debating/

  5. Lennart Lokstein says:

    Mitnichten. Aber möglicherweise wird der Juror ein Argument einfach nachträglich weniger hoch kreditieren, wenn z.B. dessen Relevanz rebuttalt wurde und der Juror diese vorher etwas höher eingestuft hatte. Je mehr Leute dir sagen, dass etwas unplausibel ist – selbst wenn sie es überhaupt nicht begründen – desto stärker wird auch dein eigener Glaube daran mit abgetragen. Rebuttal schmälert daher nicht die tatsächliche, sondern die empfundene Leistung.

  6. Konrad (Tübingen) says:

    Ich glaube der Sandburgenartikel hat einen wichtigen, richtigen Grundgedanken, vereinfacht aber zu stark. Rebuttal funktioniert allgemein auf zwei verschiedene Arten. Argumente können entweder zerstört/abgeschwächt (Logikfehler aufdecken) oder negiert werden (Mechanismus dagegensetzen).

    Ein Beispiel wäre:
    Zerstören:
    Argument: Viele Leute nehmen auf Techno Partys Drogen. Techno fördert Drogen und sollte verboten werden.
    Rebuttal: Korrelation ist nicht gleich Kausalität. Logikfehler

    Negieren:
    Argument: Wenn Drogen für Erwachsene legal sind, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass auch jüngere Kinder es einmal bei ihren älteren Geschwistern probieren dürfen, und dann auch abhängig werden. –> Mehr Kinder nehmen Drogen.
    Rebuttal: Wenn Drogen legal sind, eignen sie sich nicht mehr so gut zur Rebellion und als Abgrenzung zu den Eltern. Der Reiz des Verbotenen entfällt. –> weniger Kinder nehmen Drogen.

    In diesem Fall wird ein Argument, welches die gleiche Frage (Clash) (führt eine Drogenlegalisierung zu mehr Kinderkonsumenten) entgegengesetzt beantwortet, benutzt, um das erste Argument zu entkräften. Dadurch steht das Argument der Gegenseite zwar immer noch, die Streitfrage geht allerdings an keine der Seiten.

    Zwischen guten Teams sollte es primär zum 2. Fall kommen. Grundlegende Thesen werden in der plausibilität nur abgeschwächt und eigene Argumentation zum Clash wird dagegengesetzt.
    Beim 1. Fall sollten die Juroren das Argument von Anfang an nicht werten, denn es ist fehlerhaft. Wenn ich einem Team allerdings zunächst glaube, mir dann ein anderes Team aber aufzeigen kann, dass das Argument falsch ist, kann ich es aus der Wertung nehmen. Denn eigentlich hat es niemals existiert. Dies kann öfter vorkommen und hat daher einen Einfluss auf die empfundene Leistung des rebuttalten Teams.
    Kombiniert mit der präzisierung in Lennarts späteren Kommentar sehe ich durchaus eine mögliche Problematik, wenn ein Team mehr rebuttalt wird.

  7. Konrad (Tübingen) says:

    Ich freue mich übrigens über jegliche Kommentare zu meinem Kommentar eben. Das sollte man wahrscheinlich noch viel klarer ausdifferenzieren und vor allem klarer benennen.
    Die Begriffe Mechanismus, Argument, Streitfrage und Clash werden mMn etwas zu beliebig benutzt.
    Eine Klärung der Begriffe würde vielen Leuten beim Verständnis von Debatten helfen. Worte strukturieren das Denken 🙂

  8. Jonathan Scholbach says:

    @Konrad: Über einen ausführlichen Artikel von Dir mit Beispielen, der eine saubere Differenzierung dieser Begriffe leistet, würde ich mich sehr freuen.

  9. Lennart Lokstein says:

    Die Chefredaktion würde das begrüßen. 😉

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