„Ein guter Jurist muss deutsch sprechen, nicht juristendeutsch“ – Prof. Wulf im Gespräch

Datum: 14. April 2012
Redakteur:
Kategorie: Presseschau, VDCH

Prof. Dr. Rüdiger Wulf ist Referatsleiter im Justizministerium Baden-Württemberg und Honorarprofessor für Kriminologie an der Universität Tübingen. Dort etablierte er vor einigen Semestern den Schlüsselqualifikationskurs „Juristische Debatte“. Unterstützt von Mitgliedern des Debattierclubs Streitkultur erhalten dort angehende Juristen eine Einführung in das Debattieren. Damit ist er Pionier auf weiter Flur: Nur ganz wenige Universitäten, darunter die Bucerius Law School, bieten ähnliche Angebote für ihre Studierenden. Für den Newsletter „Debattenkultur in Deutschland“ des VDCH stand er Rede und Antwort.

Prof. Dr. Rüdiger Wulf

Achte Minute: Herr Wulf, wie kam es zu Ihrer „Debatte für Juristen“?
Wulf: Nun, Sie wissen vielleicht, dass das Jurastudium sehr schriftlastig ist, mit all seinen Fällen, Hausarbeiten und Klausuren. Gleichzeitig gibt es im Examen aber auch eine mündliche Prüfung, die den Examenskandidaten eher schwer fällt. Deshalb biete ich seit Jahren Kurse für die Vorbereitung zur mündlichen Prüfung an.

Achte Minute: Die ja aber keine Debatte ist.
Wulf: Nein, aber dann kam vor zwei Jahren der Debattierclub Streitkultur und lud mich zu einem Professoren-Studenten-Duell ein. Das Format der Debatte hat mir so gut gefallen, dass ich dann vor drei Semestern einen neuen Kurs für unsere Studierenden zusammen mit Peter Croonenbroeck, Pauline Leopold und Iris Reuter konzipiert habe, in dem das Format Debatte auf juristische Themen trifft.

Achte Minute: Was genau debattieren Sie denn in Ihrem Kurs?
Wulf: Zum Beispiel, ob der Bundespräsident vom Volk gewählt werden soll. Aber auch generell alle Themen, die in das öffentliche Recht, das zivile Recht und das Strafrecht fallen. Dabei geht es immer auch darum, wie die jeweilige Seite juristisch begründet werden kann. Die Studierenden analysieren dann in ihren Reden durch Begriffsklärung, systematische, teleologische und historische Analyse. Nehmen Sie die Frage, ob die Mehrehe erlaubt werden soll. Hier kann man natürlich auch soziologisch argumentieren – aber eben auch schauen, was das Grundgesetz oder das EU-Recht dazu sagt. Und warum das Recht, das wir haben, heute so ist, wie es ist. Am Ende sollen die Studierenden aber auch tiefer sehen und erkennen, was abstrakt debattiert wird: Freiheit versus Sicherheit, Konservativ versus Liberal. Wo sind die widerstrebenden Interessen?

Achte Minute: Und das hilft für spätere Tätigkeiten als Richter oder Anwalt? Eigentlich gibt es doch nur eine Seite, die Recht haben kann.
Wulf: Auf jeden Fall hilft das, denn es prägt zunächst wichtige Denkstrukturen für später: das Abwägen zwischen verschiedenen Argumenten, die sinnvolle Begründung, aber auch die verständliche Darstellung eines Sachverhaltes. Schließlich geht es später im Berufsleben eines Anwalts oder Richters nicht nur darum, Recht zu haben, sondern auch Recht zu bekommen, sich dieses gegebenenfalls auch zu erstreiten.

Achte Minute: Nun sind aber die Deutschen Gerichte nicht für ihre leidenschaftlichen Plädoyers bekannt …
Wulf: Das stimmt – leider. Die rhetorische Kultur vor Gericht ist in Deutschland wenig ausgeprägt; es wird vor allem über die Schriftform gearbeitet. Das ist schon ganz anders, wenn Sie nach Amerika schauen: In der Law School spielt die Debatte oder auch die juristische Praxis eine viel größere Rolle. Bestes Beispiel dafür sind die Moot Courts, die inzwischen auch in Deutschland immer weiter Verbreitung finden.

Achte Minute: Aber das reicht Ihnen nicht für die rhetorische Praxis?
Wulf: Ich habe einmal als Richter an einem Moot Court teilgenommen – in dem Fall ging es an einem Rosenmontag um die Frage, ob es ein Grundrecht auf Rausch gibt. Damals haben wir die Parteien ganz schön in die Mangel genommen – und hierauf bereitet eine Debatte besser vor, denn sie enthält auch Unterbrechungen, schnippische Bemerkungen, eben deutlich mehr Interaktion, an der man sich reiben und üben kann.

Achte Minute: Welches Format wenden Sie in Ihren Kursen an?
Wulf: Wir verwenden die Tübinger Debatte (Anm. d. Red.: eine Publikumsdebatte im Oxford-Stil) für den Rechtsrhetorik-Cup, da sie weniger Podiumsredner und eine geringe Schwelle für die Publikumsbeteiligung enthält. Für unsere Schlüsselqualifikationskurse (SQ) führen wir die Teilnehmer stufenweise an die Offene Parlamentarische Debatte heran.

Achte Minute: Und was sagen Ihre Kollegen zu Ihrem Kurs?
Wulf: Die waren am Anfang des SQ-Kurses recht skeptisch – inzwischen haben wir in Tübingen aber sogar einen Gerichts- und Verhandlungssaal, einen Rechtsrhetorikcup, und der Dekan erwähnte kürzlich in einer Examensfeier die juristische Rhetorik sogar als ein Alleinstellungsmerkmal der Fakultät. Als nächster Schritt käme dann die Integration in den Lehrplan, obwohl uns weiterhin wichtig ist, dass nur die wirklich Motivierten auch teilnehmen.

Achte Minute: Glauben Sie, dass es eine Änderung in der Denkweise der Juristen gibt?
Wulf: Ja, in jedem Fall – denn heute kann Recht nicht mehr einfach nur durchgesetzt oder durchgedrückt werden – Stuttgart 21 war das beste Beispiel dafür. Es muss mehr kommuniziert werden, es gibt mehr Mediation, zum Beispiel Täter-Opfer-Ausgleich,  Familienmediation und Mediation im Verwaltungsverfahren. Das mündliche Recht gewinnt also an Bedeutung, und deshalb müssen wir es trainieren.

Achte Minute: Haben Sie ein Idealbild für Ihre juristische Rhetorik?
Wulf: In meinen Kursen achte ich darauf, dass die Redner zurückhaltend sind, keine Argumente ad personam führen und nicht gepöbelt wird.

Achte Minute: Also kreieren Sie ihre eigene juristische Debattenkultur?
Wulf: Natürlich sind die Teilnehmer des Kurses schon in gewisser Weise vorsozialisiert. Ich arbeite aber gern mit Erstsemestern zusammen, die noch unbefangen sind. Ein guter Jurist ist am Ende nur, wer sich so ausdrücken kann, dass auch Nichtjuristen ihn verstehen. Er muss deutsch sprechen, nicht juristendeutsch. Da soll die juristische Debatte helfen.

Achte Minute: Herr Wulf, vielen Dank für dieses Interview.

Dieser Artikel erschien im Newsletter „Debattenkultur in Deutschland“ des Verbands der Debattierclubs an Hochschulen (VDCH). Die Märzausgabe des Newsletters dreht sich um das Thema „Debatte vor Gericht“ – Sie finden sie hier.

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2 Kommentare zu “„Ein guter Jurist muss deutsch sprechen, nicht juristendeutsch“ – Prof. Wulf im Gespräch”

  1. In der Tat vielversprechend und leider viel zu selten: Denn obwohl Sprache (gesprochen und geschrieben) und Denken doch die unverzichtbaren Werkzeuge juristischen Handwerks sind, werden genau sie in aller Regel weder gelehrt noch trainiert…

  2. Leonhard sagt:

    Auch als nicht-Jurist ist es toll zu sehen wie die Debatte als Format nach fast zwei Jahrhunderten wieder in die akademische Welt einzieht. Auch in Wien waren wir vor eineinhalb Jahren sehr erfreut mit Baker & McKenzie nicht nur einen langfristigen Partner für die „Vienna IV“ Serie (Englisch, BPS) gewinnen zu können, sondern auch mit „Baker & McKenzie Debate Club“ ein Turnier aus der Taufe heben konnten, das nächste Woche bereits zum zweiten Mal statt findet.
    Bei dem Turnier, das sich an österreichische Wirtschaftsrechtsstudenten richtet wird aus einem großen Bewerberpool ein Debattant ermittelt welcher im Sommer ein Praktikum bei einer der Kanzleien von Baker &McKenzie absolvieren kann.

Kommentare sind geschlossen.

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