The US Presidential Debates: There’s an old saying in Tennessee that goes „Fool me once, shame on… shame on you!“ / Sönke Senff bewertet die Debattier-Qualität von Präsident und Kandidat

Datum: 10. Oktober 2012
Redakteur:
Kategorie: Turniere

Was ist nur los in Amerika? Der amtierende Präsident will, glaubt man seinen Gegnern, in einer zweiten Amtsperiode die Transformation der Gesellschaft in einen protokommunistischen Bevormundungsstaat vollenden, und sein Herausforderer vermochte sich in den republikanischen Vorwahlen in einem Umfeld von Mitbewerbern, denen es an skurrilen Eigenarten nicht gerade mangelte, nur mit erstaunlicher Mühe als der am wenigsten Mehrheitsunfähige hervorzutun. Kann Barack Ho-Chi-Minh Obama seine Landsleute ein zweites Mal hinters Licht führen, oder werden sich die Wähler eher auf das Wagnis eines Aufbruchs mit dem undurchsichtigen mormonischen Fantastilliardär W. Mitt Romney einlassen?

Die erste Debatte zwischen den beiden ist nun jedenfalls gelaufen, und zwar für den Amtsinhaber nicht besonders gut. Was ist da passiert? Wir wollen einmal die gewohnten Bewertungskriterien aus dem Debattiersport anlegen.

Form/Auftritt

On the debate floor: Mitt Romney (li.) und Barack Obama (re.), Quelle: Kampagnenseite B. Obama, http://www.barackobama.com/live/october-3

On the debate floor: Mitt Romney (li.) und Barack Obama (re.), Quelle: Kampagnenseite B. Obama, http://www.barackobama.com/live/october-3

Obama wurde im Vorfeld von Beratern eingeschärft, unbeteiligtes, professoral wirkendes Dozieren zu vermeiden. Romney war dazu angehalten, nicht herablassend-elitär aufzutreten. So weit, so vergleichbar.

Obamas anfängliche Worte begleitet Romney mit geradezu unterwürfig-nervöser Mimik, dann akklimatisiert er sich jedoch schnell und wird offensiv. Im Gegenzug bleibt Obama defensiv, zieht oft nur angestrengt die Augenbrauen hoch und versucht, inhaltlichen Widerspruch auszudrücken.

Romney setzt auf Plakativität: „[If] you raise taxes, you kill jobs„, „You’ve cut the number of [oil and gas extraction] licences in half, I’ll double them„, „You didn’t pick the winners and the losers, you just picked the losers“ (Thema Subventionen), “The middle class has been crushed” (mehrmals wiederholt). Obama ist meist um Sachlichkeit bemüht; durch kraftvolle und griffige Formulierungen fällt er selten auf. Statt Hope and Change jetzt nur noch chop n’ hang?

Romney scheint ein Président à Grand Vitesse werden zu wollen. Er wirkt begeistert: I will .. I will .. I want .. jobs .. jobs .. jobs .. put people back to work. Teils trägt er etwas dick auf, I’ve got plans .. I‘ve got proposals .., so schiebt er immer wieder ein. And I’ve got ice cream, too! You can haz!

Methode/Strategie
Obamas vorab erklärter Plan, nicht so sehr mit Romney selbst zu diskutieren, sondern zu den Zuschauern zu sprechen, geht wegen Romneys direkter Konfrontation überhaupt nicht auf. Romney attackiert ohne Pause. Grundsätzlich alles will er zurücknehmen und anders machen. Obama ist auf diese Offensivität nicht vorbereitet, scheint keinen Plan B zu haben. Als Romney dann noch die Behauptung wiederholt, dass er gleichwohl sehr auf Kooperation setzen und den politischen Gegner einbinden will, wünscht ihm Obama nur noch etwas entgeistert viel Glück dabei.

Romney stellt von Anfang an die middle class voll ins Zentrum seiner Ausführungen und erschwert damit erheblich eine inhaltliche Konfrontation seitens Obamas. Er illustriert seine Punkte oft konkret an Beispielen – „In Ohio a woman grabbed my arm and said.., I met a a couple in Wisconsin…

Obama gelingen manchmal gute Repliken, aber Romney will immer das letzte Wort behalten („No, I’ve got to respond to that!“). In Sachen inhaltlicher Schärfe scheint Romney zu Kompromissen bereit zu sein, was ihm die Umsetzung seiner Vorgehensweise erleichtert. Auf seinen Mangel an Spezifität direkt angesprochen, ist seine ultimative Rückzugslinie einmal, dass er es sich politisch selbst unnötig schwer machen würde, wenn er seinen zukünftigen Verhandlungspartnern bereits jetzt („My way or the highway!“) konkrete Vorstellungen diktierte. Zu so einer Argumentation gehört natürlich etwas Chuzpe, aber Romneys Kalkulation, dass Obama auch durch das starre zeitliche Korsett der Debatte kein effektiver Umgang mit dieser gelingt, geht auf. Obama bleibt bei indirekten Formulierungen („He won’t tell us!“) , für die notwendige aber natürlich riskante persönliche Konfrontation fehlt es an Angriffslust.

Als Romney gegen Ende der Debatte seine Politik noch einmal auf die ersten Grundsätze der Declaration of Independence bezieht (life, liberty, pursuit of happiness), explodieren die auf dem Bildschirm eingeblendeten Sympathiegraphen einer Kontrollgruppe unentschlossener Wähler förmlich, bei Männern wie bei Frauen. Diese Zusammenfassung ist sehr gelungen. (Ansonsten sind es interessanterweise oft die Frauen unter den Unentschlossenen, bei denen Obamas konkrete Beispiele positiver Veränderungen in Bereichen wie Gesundheitspolitik oder Bildung für gute Stimmung sorgen, während die Männer sich freuen, wenn Romney in der Debatte mit klaren Worten eine Linie vorgibt.) Obama antwortet ebenfalls mit historischem Bezug, dass man einige Dinge nur zusammen schaffen könne.

Inhalt
Da Romney also keinen Vorwurf auf sich sitzen lassen will, verliert man sich zuweilen in semantischen Feinheiten: Dürfen 5 Billionen (trillion) Dollar an kumulierten Steuersenkungen als „nicht gegenfinanziert“ bezeichnet werden, wenn ihnen nur allgemein die Schließung von Schlupflöchern entgegengesetzt und angenommen wird, der Rest würde schon durch Wirtschaftswachstum in die Kassen gespült? Man könne jedenfalls nicht immer wieder einfach so von ungedeckten 5 Billionen sprechen, dadurch werde es auch nicht richtiger, setzt Romney Obama unter Druck und geht damit in dieser Frage geschickt in die Offensive – denn der eigentliche Vorwurf dieser Tage lautet ja genau umgekehrt an Romney: Man kann nicht immer wieder von gedeckten Steuersenkungen sprechen, wenn man die Einnahmeseite quantitativ so weitgehend im Vagen lässt.

Romney bekräftigt mehrere Male seine feste Entschlossenheit, auf jeden Fall nur budgetneutral vorzugehen. „Ja, Du kannst Dir dieses tolle Haus leisten, und es wird Dich am Ende auch gar nichts kosten„, möchte man ergänzen. Insoweit Romneys Argumentation inhaltliche Schwachstellen aufweist, sind diese jedenfalls unter mehreren Lagen von Unklarheiten und persönlichen Zusicherungen verdeckt. Aber Romneys Lippenbekenntnisse bleiben ohne effektive Gegenattacke im Raum stehen. Er hat letztlich seine persönliche Integrität als Verankerung seiner Argumentation ins Feld geführt, und Obama stellt diese wie gesagt nur indirekt und etwas machtlos in Frage. Vorab ist auf Romneys Seite offenbar viel Aufwand getrieben worden, um seine Standpunkte in für das Format dieser Debatte geeigneter Weise möglichst robust zu verpacken.

Es ist aber nicht so, dass Obama gar keine guten inhaltlichen Konter bringen würde:

Als Romney etwa ankündigt, er würde staatliche Programme eliminieren, die keinen Nutzen bringen, scheint die Zeit einen Moment lang stillzustehen – ein solches Versprechen vor einer Wahl hat es seit Geburt der Republik vermutlich noch nie gegeben. Doch Obama antwortet darauf sehr souverän, indem er aufzählt, wie er genau dies in verschiedener Weise in seiner Amtszeit getan hat („$50 billion of waste taken out of the system“).

Oder als Romney Obama erwartbar vorwirft, sich um die Gesundheitsreform statt um die Wirtschaft gekümmert zu haben – Obama antwortet, dass gerade die Zustände in der Gesundheitsversorgung auch für die Wirtschaft sowie natürlich für Einzelne ein großes Problem dargestellt haben. Romneys Behauptung, auch für Menschen mit Vorerkrankungen sei in seinem Alternativplan gesorgt, wird mittlerweise als stark übertrieben angesehen und bisweilen in die Nähe der Lüge gerückt („sick joke“). In der Debatte bleibt der Punkt aber weitgehend stehen, auch hier ist Obama wohl etwas voreilig von einem problemlos zu gewinnenden Argument ausgegangen.

So einige von Romneys Darstellungen werden mittlerweile als inhaltlich ungenau oder falsch bezeichnet – in der Debatte blieben sie aber zu oft unbestritten im Raum stehen, und das ist es ja, was in der hier gewählten Bewertungsweise interessiert. Der gelegentlich erhobene Vorwurf, Romney würde alles und das jeweilige Gegenteil sagen, wenn er dadurch nur Präsident werden könne, kann nach dieser Debatte nicht als grundsätzlich entkräftet gelten. Seine Ambition auf das Amt hat er aber nachdrücklich unterstrichen. Es bleibt spannend.

Text: Sönke Senff / tr

Print Friendly, PDF & Email

Folge der Achten Minute





RSS Feed Artikel, RSS Feed Kommentare
Hilfe zur Mobilversion

Credits

Powered by WordPress.

Unsere Sponsoren

Hauptsponsor
Medienpartner