HSE Open Moskau 2013: Der Überblick
Eine der schönsten Sachen am internationalen Debattieren ist, andere Länder aus der Nähe erkunden und fremde Menschen kennenlernen zu können, mit denen einen zumindest schon eins verbindet, meist aber viel mehr. Entsprechend waren Igor Gilitschenski und ich auf das HSE Open 2013 vom 12.-14. April in Moskau gespannt.
Die Kontraste in der russischen Hauptstadt sind sehr augenfällig: Während an vielen Wohngebäuden der Putz abblättert und die Straßen so staubig sind, dass viele Russen ihre Autos nur selten waschen, weil sie eh gleich wieder schmutzig werden, sind vor allem schwarze Geländewagen mit abgedunkelten Fondscheiben immer blitzblank, im Kaufhaus GUM gibt es in vielen Schaufenstern überhaupt keine Preisschilder (wenn man fragen muss, kann man es sich nicht leisten), und die Studierenden der HSE zahlen um die 10.000 Euro Gebühren pro Studienjahr, weit mehr als den russischen Durchschnittsverdienst. Es gibt jedoch viele Stipendien und Förderprogramme, um auch weniger Begüterten ein Studium zu ermöglichen. Alle aber, und auch wir, müssen sich der russischen Bürokratie unterwerfen, die sich im Studierendenwohnheim, in dem wir untergebracht sind, unter anderem in der „Flurältesten“ Tatjana Wassilijewna manifestiert, die mir auch auf Nachfrage keinen Zimmerschlüssel geben will. Mein Zimmergenosse Tom, ein Engländer, der hier seine Masterarbeit über Abchasien schreibt, nimmt es gelassen und lässt seine Tür abends offen. Pragmatismus schlägt Obrigkeit …
Nach zwei Tagen des Sightseeings unter anderem in den sehr schönen Kirchen des Kremls, der aber weniger zugänglich ist, als es scheint, weil er noch zum Regieren benutzt wird (das gleiche gilt für das ehemalige KGB- und jetzige FSB-Hauptquartier an der Lubjanka …), und des Essens etwas kurioserweise in einem amerikanischen Diner und einem ironisch (?) sowjetnostalgischen Restaurant, fängt das Turnier am Freitagabend mit einem Workshop des Chefjurors Michael Shapira an, der wichtige Konzepte in unterhaltsame Worte packt. Am nächsten Tag leitet er zusammen mit Christine Simpson und Alex Rabinovich die ersten vier Vorrunden, und am Tag darauf die letzte Vorrunde und die drei Schlußrunden. Als Social gehen wir in eine coole Blues- und Whiskybar mit Livemusik, in der wir viele Freigetränke erhalten und auch sonst eine gute Zeit haben. Die häufig nur kyrillischen Beschriftungen, vor allem in der sonst beeindruckenden Metro, erschweren es Fremden aber gelegentlich, diesen und andere interessante Orte zu finden.
Am Turnier nehmen vor allem russische Teams teil, aber auch eine Handvoll internationaler Debattiererinnen und Debattierer. Das Turnier läuft organisatorisch problemlos und für uns auch sportlich erfolgreich, da wir als drittes Team breaken und bis ins Finale kommen, nur manchmal mangelt es etwas an erfahrenen Jurorinnen und Juroren, was wohl auch der Lage an der europäischen Debattierperipherie geschuldet ist. Im Finale mühen wir uns als Eröffnende Regierung redlich, glaubhaft Mitglieder der Band „Pussy Riot“ zu verkörpern und zu erklären, warum wir nicht aus dem Gefängnis fliehen, sondern unsere Strafe absitzen sollten, müssen uns schließlich aber der als erstes gebreakten Schließenden Opposition geschlagen geben. Dennoch erhalten wir Finalistenmedaillen für unsere Trophäenschränke und verabschieden uns herzlich von den stets freundlichen Organisatorinnen und Organisatoren rund um Veronika Nikitina. Do swidanja Moskau!
Hier sind die Themen des HSE Open 2013:
Runde 1: THW legally bind children to take care of their parents once the parents reach old age.
Runde 2: This house would erect a memorial statue for President Ronald Reagan in the Red Square.
Runde 3: This house, as a feminist, would marry a closeted homosexual in order to help him keep his sexual identity secret.
Runde 4: This house would, as Russia, offer all Western European millionaires a low tax asylum and full citizenship in the Russian federation.
Runde 5: This house would abolish NATO.
Halbfinale: This house believes that the state should never ever fund the arts or cultural activities.
Finale: You are a member of the Pussy Riots. You are presented with a fail-safe plan to run away from prison and start a relatively comfortable life in the West. This house would stay in prison.
Hier sind das Team- und das Rednertab. Und hier ist das erste von acht Videos des Finales, die weiteren sind leicht zu finden:
Text: Andreas Lazar/ ak