Ist die Genderforschung zu wichtig, um sie den Genderforschern zu überlassen? Eine Rezension

Datum: 14. Juni 2013
Redakteur:
Kategorie: VDCH

Kleine Jungs wollen Feuerwehrmänner werden und neigen dann später deutlich eher zum Investmentbanking als Frauen, die eh schon immer lieber was mit Menschen oder Tieren machen wollten.

Die Frage ist nun: Geht das in Ordnung, weil die Biologie es so will, oder werden wir von Kindesbeinen an auf eine willkürliche Linie gebracht und somit zu uns passender Optionen beraubt? Kann ich allein aus der Tatsache, dass an einem bestimmten Ort in einer Gesellschaft (Spielplatz, Aufsichtsrat, Krankenhaus…) extreme Genderhomogenität herrscht, schließen, dass es ungerecht zugeht? Heißt das nämlich, dass wir in Rollenmuster gedrückt wurden – oder wäre es tatsächlich möglich, dass wir alle nur unseren Talenten gefolgt sind und die Glockenkurven unserer genetisch definierten Begabungen entsprechend verschoben sind?

Besondere Relevanz gewinnt diese Frage, weil sie zwei Dimensionen hat: Es geht sowohl um die Branche als auch um die Höhe der Karriereleiter. Angenommen Mädchen interessieren sich mehr für soziale Bindungen und weniger für Zahlen als Jungs. Dann wird der Mann sowohl eher Freude am Tabbing oder der FDL-Koordination haben (Branche) als auch eher den Drive verspüren, auf die Familienfeier zu verzichten, um allein zuhause Themenideen und Rhetoriktricks zu entwickeln (Karriere).

Suche nach Antworten 

Harald Martenstein (ZEITmagazin Nr. 24/2013) begibt sich auf die Suche nach der Antwort auf diese Frage, mit der Nullhypothese „Ist alles sozial konstruiert“ im Kopf. Diese lehnt er nach seinen Recherchen krachend ab.

Über 170 Genderprofessuren gibt es hierzulande, Tendenz steigend. Das ist im Vergleich zu anderen Fächern schon eine ganze Menge. Martenstein unterstellt dieser Disziplin nun pauschal die Prämisse der hundertprozentigen sozialen Konstruktion und die fehlende Bereitschaft, sich mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen auseinanderzusetzen. Er zeichnet die Konfrontation wie die zwischen Kreationisten und Evolutionsbiologen: Die einen haben empirische Befunde, die anderen einen Glauben. Die Naturwissenschaft gelte den Genderforschern als Feindbild und der Autor zitiert eine Forscherin mit dem abwertenden Satz: „Naturwissenschaft ist eine Konstruktion.“ Ebenso wie die Geschwindigkeitsunterschiede beim Marathon.

Wissenschaftliche, also intersubjektiv nachvollziehbare Beweise? Martenstein findet nur Vorurteile, etwa in einer durchgängig negativen Besetzung des Wortes „männlich“. Dagegen seien die Biologen, Psychologen und eben all diese Menschen mit den Zahlen, Daten und Fakten längst weiter. Der Autor zählt einige ihrer Experimente auf – etwa das, in dem kleine Kinder abhängig vom Geschlecht auf Spielsachen unterschiedlich reagieren. Hier herrsche alles in allem aber dennoch die Einigkeit, dass Geschlechterunterschiede zum Teil auch anerzogen sind.

Eine zentrale Aussage destilliert sich heraus: Diejenigen, die das Primat der Sozialisierung betonen, haben keine Beweise und forschen auch nicht wirklich, sondern verbringen ihre Zeit lieber damit, Fotos von der Hirschbrunft in der Eifel verbieten zu lassen. Und diejenigen, die die Rolle der Genetik aufzeigen (ohne den Faktor Sozialisierung zu bestreiten) sind die wahren Wissenschaftler, auf die man hören sollte.

Probleme der Methodik 

Das Problem mit Martensteins Methodik: Wenn ich ein differenziertes Bild vom Klimawandel haben möchte, spreche ich ja auch nicht mit den Verschwörungstheoretikern. Das kann nämlich zur Folge haben, dass eine moderate und empirisch fundierte „Alles nicht ganz so schlimm“-Position, die ich im Kreise der seriösen Wissenschaft finde, mit den Banausen assoziiert und somit diskreditiert wird. So auch hier: Wenn ich annehme, dass sowohl Sozialisierung als auch Genetik eine Rolle spielen, und ich nun den Stand der Forschung abbilden möchte, muss ich mich doch nicht ausgiebig einer Gruppe von Personen widmen, die nach meiner Auffassung gar nicht in diesen Fachbereich gehören. Das hat die am 13. Juni bei 3sat ausgestrahlte Dokumentation „Sex und Geschlecht – alles Kopfsache?“ deutlich besser gemacht.

Daher ist Martensteins ohnehin etwas launig und in der ersten Person geschriebener Beitrag eher eine Abrechnung mit dem „Genderforschung“ genannten Bereich an unseren Universitäten, eine Mahnung zum Rebuttal und eine Kritik an der Politik, die den Boom der Genderprofessuren vorantreibt. Die Genderforschung, so kann man es zusammenfassen, ist zu wichtig, um die Hoheit über sie in die falschen Hände zu legen. Und wir laufen Gefahr, genau dies zu tun.

Text: Manuel J. Adams


2 Kommentare zu “Ist die Genderforschung zu wichtig, um sie den Genderforschern zu überlassen? Eine Rezension”

  1. Andreas Lazar sagt:

    Ohne auf einzelne Behauptungen einzugehen, kann ich in Bezug aufs Debattieren und auch generell nur empfehlen, seine individuelle Wissensbasis zu vergrößern, in diesem Fall über biologisch angelegte und sozial konstruierte Geschlechtsunterschiede. Das und ein kritischer Blick auf die jeweiligen Forschungsmethoden (z.B. n < 15 in vielen neurowissenschaftlichen Studien) erlaubt dann eine verständigere Bewertung von Aussagen z.B. über die Unterschiede zwischen "männlichen" und "weiblichen" Gehirnen und den Einfluss von Hormonen. Ich lese gerade "Delusions of Gender" von Cordelia Fine und kann es nur weiterempfehlen.

Kommentare sind geschlossen.

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