Na, schon mal eine Debatte gemisreaded? – Daniil Pakhomenko über die Sprachveränderung im Debattieren
Eine Impression aus der vierten Vorrunde der ZEIT DEBATTE in Frankfurt, die vor eineinhalb Wochen stattfand. Zwischenfrage: „Und was ist mit dem tangible benefit?“. Und der Redner so: „Hä?!“ Hier noch ein paar Eindrücke:
– „Wir müssen die Leute incentivieren..“
– „Aber das wird zu einer tragedy of commons führen..!“
– „Ihr wollt hier alles über den top down-approach machen..!“
– „Ihr sagt, es gäbe hier einen best practice-Mechanismus..“
– „Wir in closing haben die Debatte richtig geframed!“
– „Wir hatten voll den coolen point!“
– „Von der Prop kam ja schon der Punkt..“/ „Opening hat klar gemacht..“
Es ist offensichtlich, worauf ich hier aufmerksam machen will: Die Sprache des internationalen Debattierens hat sich in die deutschsprachigen Debatten geschlichen. Und das finde ich zwar nicht tragic, aber doch zumindest etwas unfortunate, zumal es keine imperative necessity dafür gibt, englische Satzteile überall einzubauen.
Ich sehe das alles nicht dogmatisch. In der Jurorenbesprechung habe ich selbst gern mal einen call, in dem ich zu einem opp-sweep tendiere, weil die einen coolen case hatten. Und ich habe mich sehr amüsiert, als sich nach dem Halbfinale folgende Unterhaltung abspielte: „Ach, die kaufen uns unseren winning point nicht ab!“ – „Quatsch, du hast doch häufiger schon Debatten gemisreaded!“
Ich sehe es nur so, dass feststehende englische Ausdrücke wie „tangible benefits“, die explizit nicht Teil des deutschen Wortschatzes sind, in unseren Reden und Zwischenfragen nichts zu suchen haben – jedenfalls dann nicht, wenn sie ohne Erläuterung verwendet werden.

Die ZEIT DEBATTE Frankfurt: Von englischen Begriffen geprägt? Das Finale immerhin blieb frei von Anglizismen
(c) DCGF
Denn natürlich gibt es Begriffe, die aus dem Englischen ins Deutsche übernommen wurden. Zum Beispiel gibt es für Begriffe wie „brain drain“, „trickle down“ oder „moral hazard“, soweit ich weiß, gar keine deutsche Entsprechung. Und ja, manchmal ist Englisch viel präziser als Deutsch. Aber in Frankfurt habe ich die Erfahrung gemacht, dass Teams feststehende Ausdrücke aus dem internationalen Debattieren auch dann verwenden, wenn es dafür keine Notwendigkeit gibt. „Nutzen“ ist genauso präzise wie „benefit“, und wir brauchen nicht zu „incentivieren“, weil wir „Anreize setzen“ können.
Ich schätze den Einfluss, den das internationale Debattieren auf die deutsche Szene hat, sehr. Vor allem macht es unseren kleinen Debattierkosmos um einiges reicher am Ideen (was kann man dazu sagen?) und Methoden (wie gehe ich an dieses Thema dran? Wie führe ich den Punkt aus?). Ich finde aber, dass sich das nicht in der Weise sprachlich widerspiegeln darf, wie oben dargestellt. Das ist aus mindestens drei Gründen der Fall.
Erstens eine ganz pragmatische Frage. Wie bewerte ich es, wenn ein Redner einen tollen Punkt bringt, den er aber als point formuliert? Dies wird vor allem dann schwierig, wenn offensichtlich ist, dass die Gegenseite die entsprechende Ausführung nicht versteht. Meiner Ansicht nach darf ich als Juror in dieser Situation nicht so tun, als hätte der Redner seinen Punkt in allgemeinverständlichem Deutsch formuliert.
Zweitens ein Ausblick in die Zukunft. Es gibt gerade im British Parliamentary Style (BPS) eine gewisse Tendenz dazu, Inhalt nach dem Baukasten-Prinzip zu generieren. Man nimmt ein paar bereits bekannte, gut passende Mechanismen oder Argumente, und voilá, die Rede ist fertig. Das an sich ist schon nicht wünschenswert, weil wir dadurch das Herz des Debattierens – das kreative Entwickeln immer neuer Ideen – zum Stehen bringen. Andererseits wird sich das nicht ändern lassen, weil sich Streitfragen nun mal häufig ähneln. Aber wenn entsprechende Bausteine aus dem internationalen Debattieren samt den dazugehörigen Formulierungen oder Begrifflichkeiten übernommen werden, dann haben wir nicht nur Herzstillstand, sondern Hirntod. Das Übertragen von Konzepten aus der Quellsprache in die Zielsprache kann nämlich sehr ergiebig sein, weil Sprachen auch ihre eigene Vorstellungswelt mit sich bringen, in der jedes Wort seine eigenen ungeschriebenen Konnotationen und Bedeutungen mit sich bringt. Wir können also durch das Übersetzen von Begriffen und das Übertragen von Konzepten tatsächlich neue Gedanken entwickeln. Verzichten wir aber auf die Übertragung, verzichten wir auf das Denken.
Drittens eine kleine Rückbesinnung. Wir sollten als Redner und Juroren nicht vergessen, dass zum Debattieren auch die Fähigkeit gehört, die eigenen Gedanken in der Turniersprache präzise und eloquent vorzubringen. Wir betreiben ja nicht zuletzt einen sprachästhetischen Denksport. In der Offenen Parlamentarischen Debatte (OPD) ist das offensichtlich, gilt aber in BPS im Grunde nicht minder. Und Deutsch ist eine wunderbar reichhaltige und präzise Sprache – ich als russischer Deutscher darf das sagen. Deutsch eignet sich hervorragend dazu, die Welt in Worte zu fassen. Und was machen wir beim Debattieren schon anderes als das.
Also: Besser auf Deutsch, daraus ergibt sich dann auch der tangible … äh, ein handfester, unmittelbarer Nutzen!
Daniil Pakhomenko/kem
Das Mittwochs-Feature: jeden Mittwoch ab 9.00 Uhr stellt das Mittwochs-Feature eine Idee, Debatte, Buch oder Person in den Mittelpunkt. Wenn du selbst eine Debatte anstoßen möchtest, melde dich mit deinem Themen-Vorschlag per Mail an team [at] achteminute [dot] de.
Daniil Pakhomenko ist Mitteldeutscher Meister 2012 sowie Sieger der ZEIT DEBATTEN Magdeburg 2012 und Aachen 2013. Er gewann die Baden-Württembergischen Meisterschaft 2012, den Brüder-Grimm-Cup 2013 und den Bodden-Cup 2013. 2009 war er Cheforganisator der Deutschen Debattiermeisterschaft, 2012 Chefjuror des Bodden-Cups. Von 2008 bis 2010 war er Vorstandsmitglied des Debattierclubs Johannes Gutenberg e.V. Mainz, davon 2009/10 als Präsident. Derzeit ist er als Lehramtsanwärter an einem Gymnasium in Wiesbaden tätig.
Und das als „Mittwochs-Feature“!
Ich second Manuel
einfach nicht mehr Michael S (aus Ox) für Stuttgart antreten lassen, dann fallen schon 50% der obigen Schoten weg. Ja, „gemisreaded“ hat er wirklich zu mir gesagt 😉 Aber jetzt mal ernsthaft:
Wie gehen wir mit Konzepten um, für die es tatsächlich keine deutsche sprachliche Übersetzung gibt? Moral Hazard finde ich dabei am schwerwiegendsten.
Die beiden großen Grundpfeiler des Debattierens sind demokratische Streitkultur und schöne Sprache. Dass wir uns erfolgreich darin schulen, verantwortungsvolle Entscheidungen in einem rationalen demokratischen Diskurs zu finden, beweisen wir jährlich auf der VDCH-MV. Hinter die dort gesetzten Maßsstäbe darf unser sprachlicher Ausdruck in Debatten natürlich nicht mehr zurückfallen. Ich stimme Daniil deshalb darin zu, dass wir beim Debattieren mehr auf sprachliche Schönheit achten sollten. Das korrekte Partzip des Verbs *misread* ist im Deutschen natürlich *misgereadet*.
Das schreit nach einer Sprachwächter-Komission, die verbindliche Übersetzung erarbeitet…
Ich denke die Juroren sollten sich immer die folgende Frage stellen. Ist dieses Wort dem durchschnittlich interessierten Zeitungsleser bekannt oder nicht?
Moral Hazard ist z.B. ein Konzept, dass man erklären muss, weil es der normale Zeitungsleser nicht kennt.
Was ein top-down approach ist sollte jedoch meiner Ansicht nach bekannt sein.
Aber natürlich sind die Grenzen fließend und hier gibt es deswegen viel Spielraum für Streitigkeiten 🙂
Im Grunde hat Daniil recht. Sprachliche Praezision ist eine wichtige Faehigkeit, die den Inhalt verstaendlicher macht.
Wie man das ahnden kann, ist mir unklar, weil meistens der Hauptteil des Arguments in korrekter Sprache ausgefuehrt wird. Hoffentlich reicht es, dass wir es ansprechen und sich die Leute in Zukunft staerker konzentrieren, angemessener zu sprechen.
Diese Entwicklung korreliert bei den meisten Debattieren vor allem mit ihren Auslandsaufenthalten. Sich sprachlich zu akklimatisieren dauert dann eine gewisse Zeit und so ein Wochenende in Frankfurt ist einfach nicht enough 🙂
Als Nebenpunkt: Es ist auch interessant, dass bei permanenter Vernachlaessigung selbst die Muttersprache Schaden nehmen kann, was viele Erstsprachler schmerzhaft erfahren muessen.
http://www.let.rug.nl/languageattrition/Papers/Schmid%20&%20Kopke%202008.pdf
Vielen Dank, Daniil! Die Problemfrage muss aber vielleicht noch einmal genauer unter die Lupe genommen werden. Einige deiner Beispiele („closing“, „opening“…) sind Beispiele für „Fachsprache“ unserer Sportart. Ähnlich wie bei Fußballübertragungen drückt sich hier einfach der Hang zu englischen Begriffen aus (weil man Liebhaber dieser Sprache ist oder „cool“ sein will oder sich als Experte darstellen möchte). Ich persönliche finde diesen Gebrauch einfach nur nervend, sowohl beim Debattieren als auch bei Fußballübertragungen (z.B. „box“ statt „Strafraum“), aber dies ist eine Frage der sprachlichen Ästhetik. „Moral hazard“ ist ein sehr schönes Beispiel für die andere Problemfrage, aus meiner Sicht das eigentliche Problem: „Moral hazard“ zu Beginn eines Arguments zu verwenden, ist unschön im Sinne des Argumentierens. Dieses liegt weniger darin, dass es keine mindestens so präzise deutsche Übersetzung gäbe. Wird der Begriff eingeworfen, macht sich der Redner häufig zu Nutzen, dass der Begriff völlig unpräzise ist. Dahinter steckt die Vorstellung, dass durch den Begriff bereits alles wichtige gesagt ist, weitere Erklärungen ausgespart bleiben können. Nennt der Redner den Begriff, sagt er indirekt, dass es sich hier genauso verhält wie im Fall, als der Begriff ebenfalls benutzt wurde. Die Verwendung dieses Begriffs ist daher ein Symbol für ein Übertragen einer Argumentation auf eine andere Situation, und zwar derart holzschnittartig, dass man sich als Redner gar nicht die Mühe machen muss zu prüfen, ob die Fälle denn tatsächlich so vergleichbar gelagert sind.
Was ist denn die korrekte deutsche Uebersetzung fuer „moral hazard“, das im Englischen wohldefiniert ist und eben keine klare deutsche Entsprechung hat?
Ich schlage „moralische Schieflage“ vor, aber bin mir unsicher inwieweit das im deutschen Sprachraum verstanden wird, weswegen ich der Meinung bin, dass „moral hazard“ als Fachterminus durchaus verwendet werden sollte. Ich denke, es ist nur eine Frage der Zeit bis auch im Deutschen die Nennung des Begriffs reicht, um die eigentliche Information zu transportieren.
Es geschieht oft genug, dass sich der oeffentliche Diskurs auf wenige, sehr bedeutungsschwangere Schlagworte verknappt wie beispielsweise “Zeitgeist”, “Weltschmerz”, “Realpolitik”, etc.
Bis dahin muss man abwaegen, ob das der normalgebildete Buerger verstehen kann oder nicht.
Das Problem von Sprachkritik ist meißtens, dass sie sich nur dann wirklich legitimieren (besser: rechtfertigen) lässt, wenn Sprache ansonsten schwere Missstände hervorruft, d.h. z.B. ihren Zweck (Kommunikation/Verständnis) verfehlt oder Ungleichheit fördert (Wissens-, Machtgefälle etc.). Daniils Kritik sieht wohl eher die Sprachästhetik im Mittelpunkt, allein deshalb, da das Baukastenprinzip doch sowieso schon im Debattieren Verwendung findet: die Herleitung von Menschenwürde bleibt in allen Fällen ähnlich bis gleich und wird dann nur noch in die Leerstelle: [hier etwas über Menschenwürde] hineingesetzt. Ansonsten sind Verkürzungen durch Fachtermini (ähm Fachbegriffe) aus Jurorensicht ja sowieso wie generelles Name-Dropping (oha) zu behandeln: wird die Anspielung nicht weiter erklärt, bleibt sie als leeres Wort im Raum stehen und hat nicht sonderlich viel Aussagekraft. Nur zu behaupten, xy wäre ein „splippery slope“ war ja bisher auch nicht ausreichend um wirklich etwas beweisen zu können.
Was also bleibt ist die Kritik der „Reinheit der Sprache“, welche aber in ihrer Subjektivität alleine nicht haltbar ist, denn während der eine bei incentivieren aufspringt, wird dies der andere schon bei „Revolution“ oder „Partizipation“ tun (denn wozu besitzen wir Wörter wie „Umwälzung“ und „Teilnahme“)? Dem Sprachpuristen rollen sich womöglich auch die Fußnägel, wenn man von „Teams“ spricht und würde am liebsten sogar deutsche Wörter wie Handy durch Mobiltelefon ersetzen (ohne natürlich genau darüber nachzudenken, woher das Wortteil „mobil“ nochmal genau herkommt).
Bleibt noch das Unvertständnis der Gegenteams, welches Durchaus ein Problem sein kann – aber auch da sehe ich Fragen wie „Aber ist das nicht ein moral hazard“ und/oder „Und was ist mit dem tangible benefit?“ sowieso schon als relativ schwache Frage, alleine schon deshalb, weil die Verkürzung der Fragestellung die Frage ungenauer macht, als sie sein müsste um wirklich konkret darauf einzugehen. Alles in allem sehe ich kein wirklich Verständigungs- oder Missstandsproblem welches nicht schon durch das Format selbst abgedeckt wäre und ästhethische Kritikpunkte weise ich generell schon deshalb zurück, da sie zu uneinheitliche Schmerzgrenzen haben und der generelle Missmut gegenüber Anglizismen inkonsequent erscheint, wenn man bedenkt wieviele Fremdwörter innerhalb des Debattierens generell benutzt werden.
So long
Ich bin aus der Werbeszene, die sich auch gerne mit diesen Anglizismen wichtig macht. Ich versuche mich dabei auch immer wieder zu ertappen und gegenzusteuern – ich liebe Germanisms *-)
Michael Marheine
Autor Michael Marheine bloggt auf diversen eigenen Plattformen zu den Themen Social Media und Online-Marketing sowie E-Mail-, Video-, Affiliate- und Mobile Marketing etc., durchlebte alle Stufen vom Angestellten. http://www.social-media-online-marketing.com
Danke für den Artikel! Ich bin auch kein Freund der übermäßigen Verwendung solcher Begriffe. Einerseits finde ich das rein sprachlich nicht sonderlich ästethisch („geframed“ etc.), aber das ist ja eher Geschmacksache. Andererseits, und das gebe ich hier gerne zu, finde ich die Sprache auch nicht immer verständlich. Und genau das sollte Sprache ja in erster Linie sein, auch und gerade beim Debattieren. Ich hatte nie ein Auslandssemester und war auch noch auf keinem internationalen Debattierturnier und bin auch erst seit einem Jahr überhaupt dabei. Dementsprechend sind mir viele dieser Begriffe schlicht fremd. Und man möge mir jetzt bitte nicht damit kommen, dass das ja alles Allgemeinwissen sei. Ich entspreche der Debattierzielgruppe vielleicht wie wenig andere: ich lese jeden Tag (und das seit über 10 Jahren) eine überregionale Tageszeitung. Und nein, da stößt man eben nicht ständig auf diese englischen Begriffe bzw. die eingedeutschten Varianten. Aus meiner Sicht bringen die englischen Begriffe keinen Vorteil sondern viel mehr einen Nachteil, wenn es auch nur einen Redner im Raum gibt, der sie nicht versteht. Klar, auch bei „deutschen“ Fachbegriffen kann das mal passieren. Doch einerseits ist da meiner Ansicht nach die Wahrscheinlichkeit eines Missverständnisses geringer und andererseits kann man eben von einem deutschen Debattierer, der ja angeblich fleißig Zeitung liest, hier eher ein Verständnis der Begriffe erwarten. Wie gesagt, über Ästethik lässt sich streiten, aber wenn die Nutzung solcher Begriffe dazu führt, dass man in einer Debatte an einander vorbei redet, dann sollte man eher darauf verzichten
Also ich als Redner kenne zumeist wenig englisches Fachvokabular und als Juror gehe ich einfach danach ob ich den Begriff verstehe oder nicht. Ich würde meinen Rednern aus GÖ immer empfehlen so einfach und klar wie möglich zu sprechen da die meisten Juroren müde, hungrig oder gelangweilt sind und daher selten einen Nerv haben umständliches Ausdrücken der Redner in ihrem Kopf wieder verständlich zusammenzusetzen… Ich denke als Redner sollte man sich daran halten sich den Juror anzuschauen und dann zu entscheiden ob er bestimmte Begriffe checkt… (Indizien: Erfahrung, International engagiert, allgemeine Smartness) Und immer schön an dem dümmsten Juror im Panel die Rede ausrichten (vor allem wenn es der Chair/Präsident/Hauptjuror ist). Ansonsten für Juroren würde ich genauso vorgehen: Check ich den Begriff gut, wenn nicht hat der Redner halt Pech!
Im übrigen habe ich auch ein bisschen englisches Debattiervokabular verwendet in der Erwartung dass dieser Level von geneigten Achte Minute Leser verstanden wird…
Das ist eben die Frage: Redet man so, dass einen die Juroren verstehen oder so, dass einen jeder im Raum und eben auch alle Debattenteilnehmer verstehen? Wie gesagt, ich bin noch relativ neu im Geschäft und lasse mich da gerne belehren.
Englisches Fachvokabular führt automatisch zu einer Verständnisasymmetrie zwischen den Personen im Raum. Bei Jurorinnen ist das das Problem der jeweiligen Rednerin: Wenn ich nicht verstanden werde, werde ich schlechter bewertet. Bei den anderen Rednerinnen jedoch ist es jedoch deren Problem: Wenn diese die aktuelle Rednerin nicht verstehen, können sie nicht auf deren Punkte eingehen und die aktuelle Rednerin hat einen strategischen Vorteil.
Diese Verständnisasymmetrie ist jedoch nicht inherent mit englischem Fachvokabular verbunden. Sie entsteht bei allem, was eine Rednerin von sich gibt. Sie führt zu einer Risikoabwägung, die jede Rednerin in jeder Debatte trifft: Je komplexer die Sprache, die man verwendet, desto höher ist das Risiko von den Jurorinnen nicht mehr verstanden zu werden, aber desto höher ist auch die Chance, dass andere Teams die Rede nicht verstehen und somit nicht auf sie eingehen können.
Diese Risikoabwägung ist inherent mit den jeweiligen Jurorinnen verbunden. Wir beschränken diese Risikoabwägung aktuell dadurch, dass keine Jurorin ihr persönliches Fachwissen in eine Debatte mit einbringen darf. Bei Sprache sind die Grenzen jedoch sehr viel fließender. Was kann als englischer Fachterminus des Debattierens angesehen werden und was kennt der durchschnittliche Zeitungsleser noch? Diese Grenzen zu definieren halte ich für überaus schwierig, und daher sollte man dies der persönlichen Risikoabwägung der Rednerin überlassen. Sie muss einfach mit dem Risiko, aber auch der Chance, leben, nicht verstanden zu werden.
Die Frage ist eben, was die Folge ist, wenn die Rednerin nicht verstanden wird: Wenn eine Jurorin sie nicht versteht, ist die Folge relativ klar. Aber was ist, wenn die Gegenseite die Rede nicht versteht? Dann kann sie die Punkte eventuell schlechter widerlegen oder führt eine ganz andere Debatte, weil es zu Missverständnissen gekommen ist. Dadurch wäre die Gegenseite klar im Nachteil, ohne das sie einen Fehler begangen hätte und das ist aus meiner Sicht ein Problem. Ansonsten könnte ich mich ja auch als Redner mit jeder Menge persönlicher Anekdoten durch die Debatte hangeln: Wenn ich die Juroren gut kenne und sie auch die Hintergründe meiner Anekdoten, bin ich für die Juroren verständlich aber für die Gegenseite nicht. Und gibt es ernsthaft jemanden, der behaupten würde, dass dies noch fair wäre?
Exklusiv von Teampartner und Jury verstanden werden >> strategischer heiliger Gral.
@Manuel: Das stelle ich in frage: So eine Debatte, in der ein Team von den/dem anderen nicht verstanden wird, neigt zu wenig Attraktivität. Außerdem erschwert dies auch, dieser Seite eine gute Kontaktfähigkeit zu attestieren, denn sie redet ja offensichtlich an den offiziellen Adressaten vorbei.
Nun in einer Debatte möchte jedes Team gewinnen. Daher ist Manuels „heiliger Gral“ zwar ein attraktives, aber in der Praxis eher selten zu erreichendes Ziel, da es schwierig ist die eigenen Inhalte am Gegner vorbei zu schleusen und sie exklusiv dem Juror zu vermitteln.
Apropos Attraktivität: Da jeder gewinnen möchte, sehe ich die Attraktivität nicht als das relevanteste Ziel der Debatte an. Viel wichtiger ist es doch, den Juroren zu zeigen warum die eigenen Argumente die relevantesten und besten sind.
Der offizielle Adressat sind dabei die Juroren und ggf. noch die Fraktionsfreien Redner. Ob dabei eine gute Kontaktfähigkeit besteht, ist mMn im Allgemeinen wenig und selbst wenn dann lediglich bei OPD ausschlaggebend.
Christian- Nein, sich mit Anekdoten durch eine Debatte hangeln ist nicht mehr fair, da dies das persönliche Wissen des Jurors ist und eben nicht das eines normalen Zeitungslesers. Das gleiche passiert auch, wenn ein Team versucht Analyse durch Buzzwörter zu ersetzen. Der Juror mag das verstehen (weil er die Analyse hinter dem Buzzwort kennt), ist aber trotzdem kompetent dies nicht zu werten.
Sprache ist hier jedoch anders. Sie steht unter stetigem Wandel und wird daher von ihren Sprechern definiert. Ferner ist der Umgang mit Sprache gerade Teil der strategischen Leistung eines Teams. Im englischsprachigen Debattieren fordert ja auch keiner die muttersprachlichen Teams auf, langsamer zu reden, damit sie von allen verstanden werden. Oder ihren Wortschatz auf Simple English zu beschränken. Und wir zwingen Teams aus Singapur auch nicht Englisch anstatt von Singlish zu sprechen. Der Erfolg hängt jeweils vom Juror ab. Daher wird das ganze Problem durch wechselnde Panels sowieso wieder relativiert.
Und kurz zu Attraktivität: Debattieren ist Wettkampf.
Xenia, Matthias, die Kontaktfähigkeit sollte bei OPD nicht nur ausnahmsweise ausschlaggebend sein. Wer wiederholt Vokabular in seiner Rede verwendet, das offenkundig bei überdurchschnittlich gebildetem Publikum von der Mehrheit der Zuhörer/den freien Rednern nicht VOLLSTÄNDIG verstanden wird, der erreicht das Hauptziel einer OPD-Rede eben nicht. Aber auch für BPS gilt m.E.: Debattieren ist Wettkampf, aber auch Kommunikationssport. Wenn der Wettkampf durch gezielte Nichtkommunikation gewonnen werden kann ist (Disclaimer: dies ist keine OPD/BPS-Debatte) das System kaputt.
Das gilt auch für so praktische und scheinbar exakte Begriffe wie moral hazard. Allein die Tatsache, dass wir uns mit ihrer Übersetzung schwer tun zeigt, dass sie ohne weitere Erläuterung eben nicht aus sich heraus eindeutig und verständlich sind. Jedenfalls bei OPD würde ich hier dem Redner raten, z.B. wie folgt zu formulieren: „Die Regierung schafft mit ihrem Antrag das Risiko, falsche Anreize zu setzen, da Banken sich im Krisenfall auf die Rettung durch den Staat verlassen können und daher höhere Risiken einzugehen bereit sind, als volkswirtschaftlich sinnvoll ist. Dieses Problem der gesteigerten Risiken infolge verzerrter Anreizstruktur wird auch als „moral hazard“ bezeichnet.“ Weder „moral hazard“ noch „moralische Schieflage“ sind für das Publikum aus sich heraus verständlich – dieses Verständnis muss man daher sprachunabhängig schaffen.
Bei BP ist das Verständnis des Publikums sicherlich weniger wichtig, der Inhalt tritt in den Vordergrund (auch wenn er dort nicht alleine stehen sollte!). Dementsprechend mag es dort sinnvoll sein, bei verständigen Juroren bekannte Fachtermini ohne weitere Erläuterung einzusetzen. Das gilt dann m.E. aber nur für solche Begriffe, die entweder eingedeutscht (Team) sind oder keine gebräuchliche deutsche Entsprechung haben (moral hazard ja, misgereadet nein).