„Es gibt niemanden, der dich ganz nach oben führt“ – Zu Besuch beim Vorbereitungsseminar der DDM

Datum: 6. Juni 2014
Redakteur:
Kategorie: Turniere, ZEIT DEBATTE

Am Ende geht in Berlin doch noch alles gut. Vielmehr: Am Anfang. Die Deutschsprachige Debattiermeisterschaft (DDM) 2014 startet am Donnerstagnachmittag mit dem Vorbereitungsseminar für Redner und Juroren, und ein Turnier wäre kein richtiges Turnier, wenn nicht kurz vor Start noch allerhand schiefginge. Die geplanten Räumlichkeiten für das Seminar sind geplatzt, das Redner-Seminar für Fortgeschrittene ist überbucht, die eingeplanten Helfer haben sich verfahren. Yannick Lilie, der für die Berlin Debating Union (BDU) den Auftakt organisiert, steht um 15.30 Uhr in der Lobby der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt und lauert auf mögliche Freiwillige, grimmig entschlossen, das Vorbereitungsseminar den Umständen zum Trotz erfolgreich über die Bühne zu bringen. Neue Räume hat er kurzfristig organisieren können, fehlen nur noch die Helfer. Achte Minute-Chefredakteur Jonas Huggins und Teilnehmer Jan-Felix Schneider, beide Mitglieder der BDU,  fassen spontan mit an und ersetzen die vermissten Helfer. Als die ersten Teilnehmer ankommen, die vor dem wichtigsten Turnier der Saison letzte Tipps und Tricks aufschnappen wollen, sind alle Probleme geräuschlos beseitigt.

Teilnehmer des Vorbereitungsseminars bei der DDM 2014 (c) S. Kempf

Teilnehmer des Vorbereitungsseminars bei der DDM 2014
(c) S. Kempf

88 Teams und über 60 Juroren kommen zum prestigeträchtigsten Turnier im deutschsprachigen Raum. Die diesjährige DDM ist mit rund 250 Teilnehmern die größte in der Geschichte des Verbandes der Debattierclubs an Hochschulen e.V. (VDCH). Knapp 50 von ihnen wollen sich in einem Crashkurs auf die DDM einstimmen. Referenten sind die Chefjuroren Andrea Gau, Dessislava Kirova und Michael Saliba, Verstärkung bekommen sie von Vorjahres-DDM-Chefjuror Lukas Haffert. Alle Referenten haben in der Vergangenheit zahlreiche Turniere gewonnen und chefjuriert. Während Andrea die Juroren auf ihre verantwortungsvolle Aufgabe vorbereitet, wollen die Redner von Dessislava, Michael und Lukas wissen, was sie tun müssen, um in Berlin besser zu sein als ihre Konkurrenz.

Entscheidungsprinzipien sind Trumpf

Im 11. Stock hat Lukas deshalb entschieden, schnöde Formatfragen auf später zu verschieben. Er leitet den Workshop für Anfänger und will veranschaulichen, was in Debattiertrainings oft abstrakt bleibt. „Die Kernfrage, die wir hier klären werden, lautet: Wie baut man überhaupt ein Argument?“, erklärt er.  „Am Ende einer Debatte fragen sich die Juroren bei jedem Team, was es geleistet hat.“ Viele Debatten krankten daran, dass  die Redner einander nur an Beispielen überböten, um ihre Behauptungen zu illustrieren. Um eine bessere Leistung zu erbringen als die Gegner, sei deshalb zunächst wichtig, die Beispiele in eine solide Argumentation einzubetten.

Einen Theorie-Block gibt es nicht, die neun Teilnehmer versuchen sich direkt an der Praxis. Sie bekommen das Thema Dieses Haus würde Base-Jumping verbieten und die Aufgabe gestellt, Themen zu finden, die ihnen ähnlich erscheinen. Nach wenigen Minuten tragen sie zusammen: Drogenkonsum, Anschnallpflicht, Bergsteigen, Tempolimit auf Autobahnen. „Ich finde, die Themen sind ähnlich, weil es um die Gefährdung Einzelnen geht“, begründet ein Bayreuther Debattierer seinen Vorschlag. „Der Einzelne will selbst entscheiden, welchem Risiko er sich aussetzt, und der Staat versucht, ihn zu schützen.“
– „Aber eigentlich geht es dabei doch um die Gefährdung Dritter“, widerspricht sein Clubkollege. „Auf der Autobahn zum Beispiel geht es nicht nur um das Leben des einzelnen Fahrers, sondern auch um das aller anderen.“
Lukas hört der Diskussion einige Minuten lang zu, bevor er die Redner unterbricht. „Genau das ist der Punkt“, sagt er, „dass es bei all diesen Fragen keinen gesellschaftlichen Konsens gibt, um was es überhaupt geht.“ In den Debatten müssten die Redner deshalb entscheiden, um was es ihnen gehen soll. „Dann erarbeitet ihr eine Systematik, die beweist, dass eure Beispiele für euch sprechen, und zeigt, warum eure Beispiele darunter fallen.“

Die Teilnehmer diskutieren anhand der Beispielthemen über die Abwägung von gesellschaftlicher Fürsorgepflicht und Eigenverantwortlichkeit, über die Urteilsfähigkeit des Einzelnen und darüber, wann die Fürsorgepflicht die individuelle Freiheit übertrumpft. Soll der Staat auch eingreifen, wenn das Risiko gering und der mögliche Schaden klein ist? Lukas legt den Rednern ans Herz, in Debatten Entscheidungsprinzipien zu formulieren, denn: „Entscheidungsprinzipien gewinnen immer gegen bloße Beispielnennungen.“
Zur Veranschaulichung malt er auf ein Flipchart, was er die „Debattenzwiebel“ nennt: Im innersten Kreis steht das jeweilige Thema. Bei Base-Jumping, überlegt er, käme wohl Risikosport als nächstgrößerer Kreis, dann Freizeitgestaltung. „Und irgendwann“, sagt er und zeigt mit dem Stift auf den äußersten Kreis, „kommt ihr bei der individuellen Freiheit an. Ein gutes Team arbeitet sich von innen nach außen durch und kommt idealerweise am Ende wieder zurück auf das konkrete Thema.“

Michael Saliba und Teilnehmer beim Redner-Seminar für Fortgeschrittene (c) S. Kempf

Michael Saliba und Teilnehmer beim Redner-Seminar für Fortgeschrittene
(c) S. Kempf

Nicht nur SEXI, sondern SEXIER

Auch Michael hat beschlossen, mit den fortgeschrittenen Rednern über Modelle zu sprechen. Er und Dessislava stehen vor der Herausforderung, erfahrenen Debattierern nicht nur zu erklären, wie sie ihre Leistung in Debatten steigern, sondern gleich ein ganzes Turnier gewinnen. Dabei ist ihre Teilnehmergruppe sehr heterogen: Zwischen ehemaligen Turniersiegern und -finalisten, die auf den einen entscheidenden Tipp hoffen, sitzen auch Redner, die erst seit einem Jahr in ihren Heimatclubs debattieren.
Der eine entscheidende Tipp fällt nicht ganz so aus wie erwartet. Michael malt eine logistische Funktion auf sein Flipchart und tippt weit links auf die Kurve. „Für den Anfang einer Rednerkarriere gibt es haufenweise Lehrmaterialien, da man macht auch schnell Fortschritte“, erklärt er. Fortgeschrittene Redner, die über diesen Punkt hinaus seien, machten nur noch langsame Fortschritte. „Da oben“, sagt er mit Blick auf den beinahe höchsten Punkt, „gibt es keine Bücher und Lehrmittel mehr, die euch voranbringen. Es gibt niemanden, der euch zum höchsten Punkt führen kann – außer euch selbst.“
Er fordert die Teilnehmer auf, sich selbst zu überprüfen und zu überlegen, was sie noch verbessern könnten, beispielweise, indem sie sich von anderen Rednern etwas abschauten oder mit ihnen über Debattieren diskutierten. Sie müssten selbst herausfinden, was die letzten paar Prozent auf dem Weg nach oben seien, was bei ihnen klappe und was nicht.

Das klingt pragmatisch, beinahe resigniert. Was sagt man Teilnehmern eines Rednerseminars, nachdem man ihnen erklärt hat, dass sie sich selbst optimieren müssen? „Willkommen im Seminar der Binsenweisheiten“, witzelt Michael. „Ich erzähle euch ein paar Sachen, Anekdoten und so, die man in den üblichen Seminaren nicht hört.“
Dabei bleibt es dann doch nicht. Weil das Fortgeschrittenen-Seminar überbucht war, wurde die Gruppe der Teilnehmer aufgeteilt. Dessislava und Michael leiten jede der beiden Gruppe einmal an, nach der Hälfte der Zeit wechseln sie. Das sogenannte SEXI-Modell für Debatten (State, Explain, Illustrate) erweitert Michael um „Explain relevance“ zum „SEXIER-Modell“ und appelliert an die Teilnehmer, stets die Relevanz dessen zu betonen, was sie sagen. Ihren „inneren Juror“ sollen sie finden, die Debatte geistig mitjurieren, während sie teilnehmen. Das sei schwierig und die Reihenfolge, zu der man komme, oftmals auch falsch. Wichtig sei aber, ein Gefühl für Debatten zu bekommen und dafür, was in ihnen geschieht, während man Teil davon sei. „Wenn ihr mit eurer Einschätzung der Debatte richtig liegt, könnt ihr nämlich die eine entscheidende Frage beantworten: Was muss ich hier tun, um zu gewinnen?“, erklärt er. Dass man dafür einen Preis zahlen muss, verschweigt er nicht. „Eure Reden werden dadurch schlechter, ihre Struktur leidet und die Tiefgründigkeit geht verloren. Aber so könnt ihr die spätere Jurorendiskussion in eurem Sinne beeinflussen, weil ihr das bringt, was die Debatte entscheidet.“

Bewusstsein dafür schärfen, worüber Jurieren diskutieren

Während die Teilnehmergruppen am Donnerstagnachmittag noch getrennt sind, werden sie am Freitagvormittag wieder zusammengeführt. Um sowohl bei Anfängern als auch Fortgeschrittenen ein Bewusstsein für die Jurierung zu schärfen, finden parallel mehrere Übungsdebatten statt. „Der Höhepunkt wird eine offene Jurierung sein“, erläutert Dessislava das Vorgehen. „Die Redner werden nach der Debatte also live dabei sein, wenn die Juroren ihre Leistung diskutieren und ein Ranking aufstellen.“

Insbesondere das Fortgeschrittenen-Seminar war nicht darauf ausgelegt, dass die Referenten eine To-do-Liste präsentieren, sondern vielmehr eine Diskussion unter den erfahrenen Rednern leiten und deren Fragen beantworten. „Neben einem besseren Gefühl für Jurierungen wollten wir alle Redner dazu anregen, stärker miteinander zu interagieren“, beschreibt Michael die Zielsetzung. Das häufigste Manko in Debatten sei, dass die Redner ihre Argumente nicht gegen die der anderen abwägten und die Auseinandersetzung bewusst vermieden. Dessislava ergänzt: „Es sollte nicht so laufen, dass die Redner sich beim Rebuttal die Rosinen rauspicken und die schwächsten Punkte widerlegen. Wer gewinnen will, muss nicht nur in der Lage sein, eine gute eigene Linie aufzubauen, sondern auch, die stärksten Punkte des Gegners zu entkräften.“

kem/apf

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