Warum sind wir so schlecht im Debattieren? – Eine tiefgreifende Analyse von Jakobus J.
Menschen sind schlecht in vielen Dingen (Stichwort Mängelwesen für die Streber unter euch). Dazu zählt auch das Debattieren. Dies ist kein Alter-Mann-schimpft-auf-die-Jugend-Artikel. Debattieren ist schwer und selbst mit Übung schaffen es die wenigsten von uns, wirklich gut zu werden. Nun ist es natürlich in jeder Disziplin schwierig, Meisterschaft zu erlangen. Im Debattieren muss man viel wissen, schnell und logisch denken können, sprachgewandt sein und zu viele freie Wochenenden haben. Aber das allein erklärt für mich noch nicht, warum ich selbst bei vielen Finalreden denke: War gut, hätte besser sein können. Natürlich spielen die knappe Zeit, die Aufregung, manchmal auch die Erschöpfung eine Rolle dabei. Doch es gibt noch tiefere Ursachen, warum gutes Debattieren so schwierig ist.
Einer der Gründe liegt sicherlich darin, dass Debattieren recht weit von dem entfernt ist, was wir im gewöhnlichen Leben so tun. Von den vielen Gesprächen, die wir an einem Tag führen, beinhalten nur wenige ernsthafte Versuche, jemanden von etwas zu überzeugen. Selbst unsere Diskussionen sind nicht wirklich debattenartig. Wir sind flexibler in unseren Positionen, (hoffentlich) bereit zu Kompromissen, im Idealfall sogar manchmal bereit zuzugestehen, dass wir uns irren oder etwas nicht wissen (zugegebenermaßen eher ein theoretischer Fall, da Debattierende sich eigentlich nie irren und alles wissen). Selbst wenn wir versuchen, jemanden von etwas zu überzeugen, so sind siebenminütige Quasimonologe selten das Mittel der Wahl. Im normalen Leben führen wir insgesamt längere Gespräche mit kürzeren Redebeiträgen. (Nicht, dass es nicht auch Menschen gibt, die in Gesprächen sieben Minuten lang reden. Aber das ist weder normal noch wünschenswert.) Debattieren, wie wir es betreiben, ist etwas ziemlich Künstliches. (Das muss nicht schlecht sein. Kekse z.B. kommen auch nicht in der Wildnis vor.) Deshalb müssen wir, um es effektiv zu betreiben, zu einem gewissen Grad unsere eigenen Instinkte unterdrücken. Dies zu tun ist schwierig, wie jeder weiß, der sich schon mal eine Diät angetan oder Bungee-Jumping gewagt hat. In alltäglichen Diskussionen neigen wir zu Wiederholungen, die im Debattieren schädlich sind. Wir überspringen Argumentationsschritte, weil in einem normalen Gespräch Vollständigkeit durch Nachfragen hergestellt werden kann. Wir suchen in den Gesichtern des Gegenübers nach Feedback, das
Jurierende aber im Idealfall nicht geben. Ich habe häufig den Fehler gemacht, zu denken: „Mh – die Jurierenden sehen nicht überzeugt aus. Ich sollte mir noch spontan etwas zu dem Punkt ausdenken, den ich gerade mache.“ Aus einer solchen Entscheidung folgt dann meist Geschwafel oder Unsinn, was weder dem Redenden noch den Jurierenden Freude bereitet. (Nicht, dass in Debatten nicht auch vorbereiteter und niedergeschriebener Geschwunsinn™ vorgetragen wird. Aber das ist ein anderes Problem.) Wenn man besser im Debattieren werden will, muss man sich bestimmte Reflexe deshalb abtrainieren (und andere antrainieren wie z.B. Redender sagt: „Ich würde eine POI von der Schließenden nehmen.“ → Aufspringen und Hand heben, egal, welche Position man ist.)
Ein besonders tiefsitzender Instinkt, der uns oft im Wege steht, ist der Glaube, dass andere Menschen so ähnlich sind wie wir: ähnlich denken, Ähnliches wissen, ähnliche Werte haben etc. Intellektuell mag uns klar sein, dass dem nicht so ist, doch instinktiv gehen wir trotzdem häufig davon aus. Wenn wir argumentieren, so tun wir das deshalb oft auf einem Weg, der uns selbst überzeugen würde. Doch oft ist das nicht die Weise, die andere überzeugt. Und wenn Jurierende uns dann erklären, warum wir verloren haben, so kommt es gelegentlich vor, dass man den Fehler im Jurierenden und nicht in der eigenen Argumentation sucht. Man fand sich selbst schließlich sehr überzeugend. (Gute alte Eitelkeit mag auch eine gewisse Rolle bei dieser Einschätzung spielen.) Was man aus dem Debattieren ins echte Leben mitnehmen sollte, ist, dass andere Menschen ganz anders als man selbst sein können – vor allem außerhalb der recht homogenen sozialen Blase, in der man sich bewegt.
Neben der Künstlichkeit des Debattierens existiert noch ein weiterer Faktor, der das Debattieren schwierig macht: Wir denken meist nicht besonders viel oder gründlich nach über die Positionen, die wir halten, die Werte, die wir vertreten, die Lehren, denen wir anhängen. Im Debattieren oder im alltäglichen Diskutieren fällt es uns oft schwierig, gekonnt zu argumentieren, weil wir schlicht und ergreifend nicht lange und tief genug darüber nachgedacht haben, warum etwas gut oder wünschenswert sein soll. Es ist einfach nicht notwendig, denn, wenn an etwas kein Mangel in unserer Welt herrscht, dann sind es Meinungen, die man sich mühelos zu eigen machen kann. Das ist einer der Gründe dafür, warum Diskussionen so oft in sich in Kreisen drehenden Schlammschlachten ausarten. Was uns das Debattieren nicht zuletzt lehren kann, ist, dass man sich mit dem Denken mehr Mühe machen sollte. Was es uns allerdings auch lehren sollte, ist, dass man sich irren kann, auch wenn man sich mit dem Denken viel Mühe gemacht hat.
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