Leben zwischen politischem Berlin und dem Hansenberg

Datum: 8. Mai 2024
Redakteur:
Kategorie: Mittwochs-Feature

Florian Fabricius debattiert seit rund drei Jahren und hat eine sechsmonatige Amtszeit als Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz hinter sind. Als unsere Autorin den Bekannten im März in den Tagesthemen bei Ingo Zamperoni entdeckte, kam sie auf die Idee, dass sein Engagement auch von breiterem Interesse in der Debattierszene sein könnte. Daher erzählt Flo heute ein wenig über seine Arbeit.

Wer bist du und wo stehst du gerade in deinem Leben? Und wie kamst du von da zum Generalsekretärdasein?

Hi, ich bin Flo, 18 Jahre alt und stehe kurz vor meinem Abi am Hansenberg. Dort habe ich auch den VDCH kennengelernt und habe zwei Jahre lang auch viel auf Turnieren debattiert. Parallel dazu habe ich aber vor jetzt ca. drei Jahren damit begonnen, mich als Schulsprecher zu engagieren. Von der Schülervertretung am Hansenberg hat es mich weiter zur Schülervertretung auf Kreisebene und dann auch auf Landes- und schlussendlich Bundesebene geführt. Letzten Herbst wurde ich von der Bundesschülerkonferenz, die sich aus den jeweiligen Landesschülervertretungen zusammensetzt, zum Chef gewählt. Dadurch war ich für die Vertretung aller 11 Millionen Deutschen Schüler in Berlin verantwortlich. Mittlerweile ist meine Amtszeit vorbei, aber das war schon eine sehr intensive Zeit.

Florian Fabricius, der ehemalige Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz – Foto: privat

Was ist denn der „Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz“ genau für ein Posten?

Das System der Schülervertretung ist quasi pyramidenartig aufgebaut und legitimiert. Die einzelnen Schulen wählen die Amtsträger der Kreisschülervertretung, die dann die Landesschülervertretungen und so weiter. Natürlich gibt es in der Praxis in dieser Legitimationskette auch ein paar Probleme und Lücken. Aber der Generalsekretär ist der oberste Vertreter und, über ein paar Umwege, von den Klassensprechern aller deutschen Schulen gewählt. Meine Aufgaben waren dann vor allem repräsentativer Natur.

Wie sahen diese Aufgaben genau aus?

Das war eine Mischung aus zwei Aufgaben: Die erste war die Repräsentation nach außen. Zwar ist Bildung ja Ländersache, aber mittlerweile wird auch in Berlin viel in Sachen Bildungspolitik entschieden. Insofern ist es wichtig, dass Schülerinnen und Schüler auch dort eine Stimme haben und Gehör finden. Also war es mein Job, in der Presse auf Themen aufmerksam zu machen und mal den Finger in die Wunde zu legen. Darüber hinaus war ich aber auch „Lobbyist“ und habe ganz viele Hintergrundgespräche mit Abgeordneten geführt. Ich war sozusagen der Schnittpunkt zwischen der Schülerschaft einerseits und der Politik und den Medien andererseits. Wegen der erwähnten Zuständigkeit der Länder haben die Landesschülervertretungen aber eigentlich die viel größere Verantwortung als die Bundesebene. Damit diese jedoch an einem Strang ziehen können, Kooperationen entstehen und sie voneinander lernen können, haben wir dafür gesorgt, dass es einen Ort, eine Plattform zum Austausch gibt. Das war die zweite Aufgabe, das zu koordinieren.

Und wie sah dann dein Alltag genau aus?

Der hat an vier bis fünf Tagen in Berlin und an zwei bis drei Tagen am Hansenberg stattgefunden. Einerseits hatte ich natürlich noch schulische Verpflichtungen, denen ich nachkommen musste, andererseits habe ich in Berlin viel mit Organisationen, Verbänden und Journalisten gesprochen, saß auf Podien und hab die verantwortlichen Politiker abgeklappert. Das Ganze war ein ziemliches Doppelleben.

Gibt es messbare Errungenschaften deiner Amtszeit?

Die politische Arbeit ist ja ein Gewusel von Interessen. Das ist immer schwierig zu messen. Eine Interessensvertretung produziert ja nichts Haptisches, was ich jetzt ins Schaufenster stellen könnte. Viel eher handelt es sich um einen kontinuierlichen Prozess, wo immer wieder Interessen in einen Topf geworfen und miteinander abgewogen werden. Es ist aber schwierig, zu messen, welchen Impact unsere Arbeit am Ende des Tages hat. Trotzdem glaube ich, dass wir es geschafft haben, auf bestimmte Themen aufmerksam zu machen, auf blinde Flecken hinzuweisen. Da glaube ich schon, dass wir den Fokus ein wenig in Richtung der Themen mentale Gesundheit, BAföG und soziale Gerechtigkeit lenken konnten. Aber am Ende muss man auf dem Boden der Tatsachen bleiben und damit leben, mit nichts Konkretem vom Platz zu gehen.

Was war das Highlight?

Es gab natürlich immer wieder Momente, an denen ich sehr nah dran an der Politik war. Da sticht zum Beispiel der Neujahrsempfang beim Bundespräsidenten heraus. Mit Abgeordneten und Ministern in der Kneipe zu hocken und Bier zu trinken, fühlt sich als 18-Jähriger schon besonders an. Man muss jedoch immer ein bisschen aufpassen, nicht starstruck zu werden, also sich nicht blenden zu lassen von diesen Begegnungen. Ich war ja nicht als Fanboy oder Autorgrammjäger da, sondern um Interessen durchzusetzen und dann darf man sich auf der Nähe zur Macht nicht ausruhen. Also der Kontakt zu Politikern war schon cool, aber das Distanzwahren zum Job war gleichzeitig auch eine Herausforderung.

Was war das Herausfordernste?

Die ganze Mediensache. Dass Medienarbeit schwierig ist, ist ja common sense. Menschen haben mich davor gewarnt, mit Zeitungen zu sprechen, aber so richtig verstanden habe ich das dann erst im Amt. Direkt am Anfang bin ich dann auch schon in Fettnäpfchen getreten und auf die Schnauze geflogen: In einem Interview mit Springer bin ich völlig misszitiert worden. Wie unkoscher einiger Journalisten arbeiten, um zu polarisieren und wie machtlos man dann ist, ist ziemlich schockierend. Die sind nicht wie Jurierende im Debattieren, die versuchen zu verstehen, was du ihnen sagen möchtest. Mit der Zeit wächst man aber und lehnt bestimmte Interviewanfragen mal ab, oder antwortet anders, als man eigentlich gerne würde, um nicht die nächste BILD-Headline zu produzieren. Das ist natürlich eine schwierige Frage. Denn eigentlich ist gerade Springer ja eine gute Möglichkeit, Menschen zu erreichen, die sonst weniger von Bildungspolitik mitbekommen und die eine weniger ausgeprägte Affinität zu Themen wie mental health haben, zum Beispiel. Da war es schwer abzuwägen, ob ich Interessen vertreten, oder Springer eher meiden soll. Am Ende habe ich dafür entschieden, nicht Teil eines Systems zu sein, dessen Geschäftsmodell das Spalten der Gesellschaft ist.

Haben dir im Debattieren erworbene Fähigkeiten geholfen?

Ganz viel und ganz oft. In vielen Situationen sollte ich Argumente schlüssig rüberbringen. Gerade auch die „linken Kategorien“ waren auf Podien und in Interviews super nützlich. Viele Experten haben viel Ahnung, aber der ganze Bildungsbereich ist komplex und verworren. Um in der Lage zu sein, Dinge für ein Normalo-Publikum verständlich auf den Punkt zu bringen, sind rhetorische Fähigkeiten enorm praktisch. Außerdem bin ich in einige Situationen reingestolpert, wo Kommunikation schieflief und ich z.B. nur 10 Minuten Zeit hatte, spontan ein Grußwort zu schreiben, das ich dann vor 300 Personen halten musste. Das konnte ich aber relativ entspannt angehen – da haben mich DDM-Vorrunden und CAMPUS-Debatten abgehärtet. Also ja, inhaltlich und rhetorisch waren die Skills wertvoll. Gerade das Rhetorische bringen viele in dem Bereich nicht mit und dann geht häufig auch die inhaltliche Kompetenz flöten.

Was hast du in deiner Amtszeit gelernt?

Wie wichtig es ist, konsequent zu sein. Wir mussten uns sehr konkret überlegen, was wir durchsetzen und promoten wollten, was unsere Agenda ist. Sich am Anfang eine realistische Zielvorstellung zu machen, ist super wichtig. Man chillt im Bundestag und denkt man hat Impact, weil die Abgeordneten nicken und zustimmen, wenn man mit ihnen über Bildungspolitik redet. Am Ende ist man aber ja nicht zum Kaffeetratsch da, sondern um Interessen durchzusetzen. Da muss man dann auch echt nochmal konkret werden. „So, ich will 1,2,3“ – also die Gelegenheit echt am Schopf packen und bei konkreten Forderungen nachbohren. Es kann echt frustrierend sein, wenn Abgeordnete immer nett lächeln, am Ende aber nichts dabei rauskommt.

Was gibst du dem nächsten Generalsekretär mit?

Weiter und laut dafür kämpfen, dass Schülerinnen und Schüler eine Stimme bekommen. Das Mitspracherecht von Schülerinnen und Schülern hat sich in den letzten 20 Jahren gut entwickelt. Dafür die Strukturen in Schulgesetzen und Verordnungen war ein wichtiger erster Schritt. Aber es gibt noch keine richtige Beteiligungskultur, diese Strukturen sind noch nicht mit Leben gefüllt. Das ist ein langer Prozess. Und es ist ernüchternd zu sehen, dass das ist Deutschland noch so auf sich warten lässt. Viele Politiker auf allen Ebenen versuchen sich damit zu schmücken, dass sie junge Menschen beteiligen und betonen, wie wichtig das sei. Aber viele haben kein echtes Interesse daran. Ich habe das immer „Youthwashing“ genannt. Da tut es schon weh, nicht ernst genommen zu werden. Wir müssen daher weg von dieser Alibi-Beteiligung hin zu ehrlicher Beteiligung kommen. Das ist genau die Stelle, an der es sich lohnt laut zu sein, sich nicht von 50-Jährigen runterreden lassen. Das ist das Wichtigste. Also viel Beharrlichkeit, Mut und Lautstärke, wünsche ich meiner Nachfolgerin. Darüber hinaus natürlich die nötigen Debattierskills, ein Grußwort auch 10 Minuten vor Showtime aufs Papier bringen zu können 😉

Rückblickend, würdest du was anders machen?

Hmm, ja, die Themensetzung würde ich mir genauer überlegen. Es herrscht eine riesige Kluft zwischen dem, was im bildungspolitischen Berlin besprochen wird und dem, was Schülerinnen und Schüler bewegt. In Berlin sind Digitalisierung und KI ganz oben auf der bildungspolitischen Agenda, aber am Ende des Tages ist das nicht das, was den Schulalltag dominiert. Das sind viel häufiger marode Gebäude, Toiletten, Gewalt, Drogen, Unterrichtsausfall, mentale Gesundheit und vieles mehr. Da würde ich im Nachhinein sagen, dass ich manchmal zu sehr in der Strömung der Berliner Bubble mitgeschwommen bin und mehr Agendasetting hätte betreiben müssen. Ich hätte also mehr Mut haben sollen, auch mal einen Schritt zurückzunehmen und ganz neue, eigene Themen anzubringen.

Wie geht es nun weiter mit der BundesschülerInnenkonferenz?

Spannend! Es gibt viele spannende Themen, die ich an meine Nachfolgerin übergebe. Wir haben zum Beispiel versucht, einen größeren Beteiligungsprozess zu starten und wollten die Basis der vielen Millionen Schüler da draußen mehr einbinden. Bildungspolitiker sollten aus dem Elfenbeinturm im Berliner Regierungsviertel rausschauen. Also mehr Schülerstimmen „von unten“ einbeziehen, über den Tellerrand hinausschauen, vielleicht auch mal selbst an die Schulen gehen. Wir haben da einen Stein ins Rollen gebracht und Aufmerksamkeit drauf gelenkt. Die Nachfolge wird das (hoffentlich) so weitertragen.

Und mit deiner Karriere?

Erstmal werde ich mich dem Abi widmen und mir die Zeit nehmen. Danach ein Studium antreten, wobei die Wahl des Debattierclubs natürlich eine wichtige Rolle spielt 😉 Nein, ansonsten werde ich mich erstmal wieder den schönen Dingen des Lebens (z.B. auch dem Debattieren) widmen und jede Menge Schlaf nachholen. Mal schauen, ob es mich danach in die (Bildungs-)Politik zieht…

Das Mittwochs-Feature: Mittwochs veröffentlicht die Achte Minute ab 10.00 Uhr oftmals ein Mittwochs-Feature, worin eine Idee, Debatte, Buch oder Person in den Mittelpunkt gestellt wird. Wenn du selbst eine Debatte anstoßen möchtest, melde dich mit deinem Themen-Vorschlag per Mail an team [at] achteminute [dot] de.

hb.

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