„Es wurde zu wenig über Politik geredet“: Allison Jones gewinnt ZDF-Sendung „Ich kann Kanzler!“

Datum: 16. Mai 2012
Redakteur:
Kategorie: Menschen

„Ich kann Kanzler!“ sollte ganz anders sein als alle anderen deutschen Casting-Shows. Die Sendung sollte Inhalte vermitteln, ein „politisches Nachwuchstalent“ finden und Politikverdrossenheit bekämpfen. Einen Vorwurf mussten sich die Macher jedoch genauso gefallen lassen wie jene, die Topmodels und Superstars suchen: Der Sieger der ersten Staffel von 2009, Jakob Schrot, war bald wieder in der Versenkung verschwunden.

Ich kann Kanzler-Gewinnerin Allison Jones umringt von der Jury: Maybrit Illner, Michael Spreng, Oliver Welke und Jörg Pilawa, Foto: (C) ZDF, Max Kohr

Ich kann Kanzler-Gewinnerin Allison Jones umringt von der Jury: Maybrit Illner, Michael Spreng, Oliver Welke und Jörg Pilawa, Foto: (C) ZDF, Max Kohr

Am 1. Mai 2012 wurde das Finale der Neuauflage von „Ich kann Kanzler!“ ausgestrahlt. „Finale“ ist ein irreführendes Wort, der Vorentscheid wurde nicht im Fernsehen ausgestrahlt. 1000 Kandidaten hatten sich bei der Sendung beworben, 15 von ihnen wurden von der Redaktion vorausgewählt. Sie durften bei der Jury vorsprechen, die Finalmoderator Jörg Pilawa reichlich überschwänglich als „Speerspitze des investigativen Journalismus“ bezeichnete: Maybrit Illner, Moderatorin der gleichnamigen Polit-Talkshow, „heute show“-Anchorman Oliver Welke und der frühere „Bild am Sonntag“-Chefredakteur Michael Spreng, der 2002 Edmund Stoibers Wahlkampf geleitet hatte. Fünf Kandidaten kamen ins Finale, darunter Allison Jones, die dem Mainzer Debattierclub Johannes Gutenberg e.V. (DCJG) angehört.

Die 22-jährige Jurastudentin hatte von Anfang an gute Karten. Mit frühkindlicher Förderung und Vereinbarkeit von Beruf und Familie hatte sie die Themen für sich gepachtet, mit denen man in Zeiten von Kristina Schröders Betreuungsgeld punktet. Damit nahm sie nicht nur die Jury für sich ein, sondern auch das Publikum – und das war entscheidend: Zwar durfte die Jury Fragen stellen, über den Sieger jedoch entschied das Studiopublikum. Bereits nach einer ersten Vorstellung der fünf Kandidaten durfte das Publikum sich „warmwählen“ und kürte Allison zur Favoritin. Sie blieb es die ganze Sendung über.

Maybrit Illner fragte Allison zu Beginn, warum sie Eltern finanziell benachteiligen wolle, die keine Kinder bekommen könnten. Bevor sie zu einem inhaltlichen Rebuttal ausholte, korrigierte Allison die gestandene Journalistin: „Dann sind es ja keine Eltern.“ Die Lacher waren auf ihrer Seite und Pilawa haute begeistert auf den „Phrasenalarm“-Knopf für Illner, der eigentlich die Kandidaten mundtot machen sollte. Spreng brummte wohlwollend, er finde es gut, dass Allison „den Mut und die nötige Respektlosigkeit“ habe, „der Jury gleich einen einzuschenken“.

Die Fragen der Jury zu ihrem Steckenpferd, der Bildungs- und Familienpolitik, beantwortete Allison sicher und riskierte danach nichts, sie hielt sich bei wüsten Diskussionen der Kandidaten untereinander vornehm zurück. Die Studentin musste praktisch nur zuschauen, wie sich die exotische Konkurrenz  selbst demontierte: Ein bayerischer Unternehmensberater, der wohl seine Gesten von Florian Silbereisen und seine Phrasen von Angela Merkel abgeschaut hatte, eine alleinerziehende Tagesmutter, die einen sehr unkonkreten Traum vom bedingungslosen Grundeinkommen träumte, ein Sozialarbeiter, der Deutschland durch eine radikale Erhöhung der Erbschaftssteuer „in 10 Jahren schuldenfrei“ machen wollte, und ein 18-jähriger Fan von Guido Westerwelle, der seine Beziehung zur FDP mit „Liebe auf den ersten Blick“ beschrieb. Dagegen wirkte Allison mit ihren Hobbys Debattieren und Fantasyliteratur nahezu unschlagbar normal. „Ich habe wohl gewonnen, weil mein Schwerpunktthema viele Menschen interessiert und ich es gut dargestellt habe“, erklärt Allison selbstbewusst. Dann räumt sie ein: „Wahrscheinlich wirkte ich auch sympathischer, weil ich nicht so ausgeflippt war wie die anderen vier.“

Ich kann Kanzler: Allison Jones überzeugte durch ihre rhetorische Gewandtheit (C) ZDF, Max Kohr

Ich kann Kanzler: Allison Jones überzeugte durch ihre rhetorische Gewandtheit, Foto: (C) ZDF, Max Kohr

Die Medien schrieben Allisons klaren Sieg unter anderem ihrer rhetorischen Gewandtheit zu. „Ich fand die anderen rhetorisch nicht unbedingt schwächer als mich“, widerspricht sie – vor allem nicht den jungen Konkurrenten von der FDP. „Aber das Debattiertraining habe ich trotzdem gemerkt. Mich hat die ganze Situation nicht nervös gemacht.“
Als sie bei dem aus lediglich drei Fragen bestehenden Kanzler-Quiz kein einziges Mal patzte und die anderen Kandidaten erneut in den Schatten stellte, war ihr der Sieg so gut wie sicher. Das Quiz wirkte allerdings reichlich deplatziert in der Sendung. DIE WELT bemängelte hinterher, es habe sich bei „Ich kann Kanzler!“ um einen „unausgegorenen Show-Mix“ und ein „Rätsel der Programmplanung“ gehandelt, der STERN sprach von einem „erfreulich kurzen Kuschel-Casting“, angereichert mit „etwas gutmenschlichem Voice of Germany-Flair und biederer Quizshow-Romantik“.
Allison kann die Kritik teilweise nachvollziehen. „Ich fand die Sendung nicht so schlimm, wie sie dargestellt wurde“, erklärt sie, „aber es wurde definitiv zu wenig über Politik geredet. Dafür war die Sendung auch zu kurz“.

Sie hat das Finale mit einem Dutzend Mitglieder des DCJG gemeinsam verfolgt. Als Preis für ihren Sieg bekam sie ein steuerfreies Kanzlergehalt, 18. 000 Euro, mit denen sie einen dreimonatigen Sprachurlaub in Japan und das Repetitorium für ihr Erstes Staatsexamen finanzieren will. Sie hat eine Klasse übersprungen, ihr Abitur mit 1,0 abgeschlossen und mit nur 18 Jahren ihr Studium in Mainz aufgenommen.

In Presseberichten nach ihrem Sieg war zu lesen, Allison Jones werde „an der Debattierweltmeisterschaft teilnehmen“. Auf die Frage der Achten Minute, wer denn ihr Teampartner sein werde, reagiert sie verärgert und sagt, es habe sich um ein Missverständnis gehandelt. Ihre sprichwörtlichen 15 Minuten Ruhm hatte sie in einen guten Dienst stellen wollen: Mehr mediale Aufmerksamkeit für die anstehende Debattierweltmeisterschaft in Berlin. „Ich habe deutlich gesagt, dass ich als Helferin die Weltmeisterschaft in Berlin unterstützen werde, in der Hoffnung, dass ich an dem Event Interesse wecken kann“, erklärt sie. Die Journalisten, die den Hinweis aufgriffen, ließen den Austragungsort jedoch unter den Tisch fallen.

Die Berichterstattung nach Allisons Sieg hielt sich insgesamt in Grenzen, ein paar Lokalzeitungen wollten Interviews, Campus TV der Uni Mainz drehte einen Beitrag über sie. Der Rummel wie um Jakob Schrot, der sich in Fernseh-Talkshows und der BILD-Zeitung wiedergefunden hatte, ohne später der neue Stern am Politik-Himmel zu werden, blieb aus. „Ich nehme an, die Öffentlichkeit wird mich in zwei Monaten wieder vergessen haben“, stellt Allison ohne sonderliches Bedauern fest. Vielleicht ist das auch nicht zu ihrem Nachteil: Wer in die Politik will, braucht zunächst nicht unbedingt die Aufmerksamkeit der Medien, sondern vor allem die der anderen Politiker. Eine der rheinland-pfälzischen Landtagsfraktionen hat schon bei ihr angeklopft. Ob daraus tatsächlich eine Politikerkarriere wird, bleibt abzuwarten. „Das Interesse hat mich gefreut“, betont Allison, „aber Gespräche werde ich erst nach meiner Rückkehr aus Japan führen.“

Das Finale von „Ich kann Kanzler!“ kann man nach wie vor in der ZDF Mediathek anschauen.

kem / tr / glx

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