Eine Theorie der Spaßdebatte

Datum: 21. Februar 2018
Redakteur:
Kategorie: Jurieren, Mittwochs-Feature, Themen

Mit dem nächsten Spaßturnier vor der Tür stellen sich manche Debattanten die Frage: Was ist eine Spaßdebatte? Lennart Lokstein, Meister der Späße 2013 und 2015, stellt für all jene im Folgenden eine Theorie der Sonderform „Spaßdebatte“ vor.

Für Spaßdebatten nicht nötig: Verkleidungen. Quelle: pixabay.com

Für Spaßdebatten nicht nötig: Verkleidungen. Quelle: pixabay.com

Immer wenn der Gutenbergcup ansteht, das traditionelle Mainzer Spaßturnier, fragen mich verschiedene Leute: Was ist eigentlich eine Spaßdebatte? Wie soll man reden, wie jurieren? Die Meinungen darüber sind teilweise sehr unterschiedlich. Ich kann daher keinen Anspruch auf Definitionshoheit erheben, wenn ich hier mein Verständnis einer Spaßdebatte darlege – aber ich hatte damit sowohl Spaß als auch Erfolg, und vielleicht hilft es ja dem einen oder anderen.

Zumindest über das Ziel sind sich alle einig: Die Spaßdebatte soll Redner und insbesondere Publikum unterhalten.

Die Bewertung folgt daher dem Ziel: Unterhaltungswert der Reden und Argumentationslinien wird (mit) bewertet. Im OPD-Format geschieht dies üblicherweise dadurch, dass man die Kernfrage aller Bewertung und Kategorien „Hat X [Sprache/Körpersprache/Kontakt zum Publikum und Interaktion/Begründungstiefe und Wissen/Auswahl der Redeinhalte] der Überzeugung gedient?“ erweitert auf „Hat X auf lustige Weise der Überzeugung von etwas Komischem gedient?“ In jeder Bewertungskategorie lässt sich zusätzlich Humoristisches als Selbstwert sehen, statt wie zuvor als Mittel zum Zweck der Überzeugung.

Üblicherweise wird bei Spaßdebatten ein ungewöhnliches und nüchtern betrachtet unsinniges Thema gestellt. Ein Thema, das es der Pro-Seite abverlangt, eine unsinnige Position zu vertreten. In meiner Erfahrung und meinem Verständnis werden Spaßdebatten inhaltlich dann gut, wenn mit hoher Begründungstiefe von falschen, aber plausibilisierten Prämissen ausgegangen wird – und zwar auf beiden Seiten.

Dazu ein Beispiel vom Gutenbergcup 2015. Hier gab es das Thema „Soll die Deutsche Bahn Meckern und Mosern in Zusammenhang mit der Bahn und ihren Produkten erfassen (Suche im Social Network) und entsprechend bestrafen (Fahrverbot, Fahren in der Kinderabteilung etc.)?“ Um diese nüchtern betrachtet stark übergriffige Maßnahme zu rechtfertigen, braucht die Regierungsseite einen Debattenrahmen („Framework“), der sie nachvollziehbarer macht. Also verwendet die Regierung Zeit darauf, zu plausibilisieren, wie stark Bahn-Angestellte unter diesem ständigen Meckern und Mosern leiden, dass sie ihm nicht entkommen können, sozial geächtet werden und eigentlich selbst nichts für die Ursachen können, also Opfer perfiden Mobbings werden – dieses immense Leid rechtfertigt dann die Gegenmaßnahme. Eine zunächst unintuitive, aber plausibilisierbare Prämisse. Die Opposition kann damit auf zweierlei Arten umgehen. Sie kann diese Plausibilisierung angreifen. In einer normalen Debatte würde sie an dieser Stelle die Regierung klar schlagen, es wäre eine schlechte Debatte und alle außer der Opposition gehen unzufrieden nach Hause. Deshalb plädiere ich stark dafür, dass Teams und insbesondere auch Juroren plausibilisierte, absurde Prämissen nicht oder nur in solchen Teilen angreifen, wie sie nicht ausreichend plausibilisiert sind. Ein wesentlich eleganterer Umgang und das Ziel der Spaßdebatte – meiner Meinung nach – ist es, dass die Opposition sich stattdessen eine ebenso absurde Prämisse für ihre Linie überlegt und diese genauso plausibilisiert. Um im Beispiel der Bahn-Debatte zu bleiben: Statt langweilig zu widerlegen, dass Bahn-Angestellte so massiv leiden, dass der Antrag nichts an diesem Verhalten ändert usw., hat die Opposition die Möglichkeit, eine kreative Gegenversion zu zeichnen: Die Bahn kommt heute praktisch immer zu spät. Wegen Gleisarbeiten, vorausfahrenden Zügen, Signalstörungen – diese können zwar gelegentlich vorkommen, aber bei jedem Zug? Es ist deutlich wahrscheinlicher, dass hier ein System dahintersteckt: Die Bahn-Angestellten machen sich alle gemeinsam einen Spaß daraus, ihre Fahrgäste zu trollen, indem sie sich Gründe für Verspätungen ausdenken, im Kontrollraum manuell je nach Jahreszeit Heizungen und Klimaanlagen an- und ausstellen und sich heimlich kaputt lachen. Deshalb müssen wir die Fahrgäste vor den Trollen schützen!

Lennart Lokstein als Redner - © DC Hamburg

Lennart Lokstein als Redner – © DC Hamburg

Doch es gibt ja nicht bloß Inhalt, gerade bei Spaßdebatten ist auch der Stil wichtig! Hier ist vorab zu sagen, dass natürlich verschiedene Herangehensweisen für Unterhaltung sorgen können. Besonders wichtig ist meiner Erfahrung nach, Sympathie zu sammeln: Niemand lacht über Witze eines Unsympathen. Die Grenze zum Unsympathischen verläuft bei jedem an anderer Stelle, tendenziell aber dort, wo Pietät und Rücksicht verloren gehen: Witze über jene, die sich nicht wehren können oder konnten. Es ist tendenziell eher komisch, sich über die Starken und Sieger lustig zu machen, es ist eher pietäts- und rücksichtslos, gegen am Boden Liegende nachzutreten. Situativ gut ankommen können beispielsweise die ironische Verdeutlichung eines Sachverhalts durch Einnahme einer kritisierten Position, die Parodie eines debattenrelevanten Charakters, die gekonnte Übertreibung eines Aspekts. Es muss aber in der Vermittlung auch als Stilmittel erkannt und für lustig befunden werden. Stimmt die eigene Einschätzung, wird die Debatte ein Feuerwerk – liegt man daneben, wird sie unangenehm und peinlich. Diese Einschätzungen korrekt zu treffen ist essenziell. Der Kontext der Debatte ist wichtig.

Zwei Beispiele: Generell sollte von Ad-Hominem-Argumenten gegen Debattenteilnehmer abgesehen werden – aber in der Debatte „Soll Deutschland sich dem UN-Deine-Mudder-Witze-Abkommen anschließen?“ kann eine Rede, die sieben Minuten lang die Mütter der Gegenseite bepöbelt, zu recht gut ankommen (Beste Finalrede GBC 2015). Generell sollte man keine künstlichen Rollen einnehmen – aber in der Debatte „Soll die kleine Raupe Nimmersatt so viel fressen, dass sie am Ende des Buches platzt?“ kann eine in sächsischem Dialekt gesprochene Rede über den „Weg der roten Raupe nach Moskau“ sehr gut ankommen (Beste Finalrede GBC 2014).

Fazit: Die Spaßdebatte hat, in den richtigen Händen, enormes Unterhaltungspotential. Sie hat aber auch enormes Frustrationspotential: Wenn das Thema nur für eine Seite eine gute Spaßlinie zulässt oder nur eine Seite eine solche findet, wenn sich eine oder beide Seiten nicht ein Stück weit auf etwas unsinnige Prämissen einlassen und wenn Redner die Grenzen des Geschmacks falsch einschätzen. In diesem Sinne: Viel Spaß!

lok.

Mittwochs-Feature

Lennart Lokstein ist Chefredakteur der Achten Minute. Er war von 2013 bis 2015 Vorsitzender der Streitkultur e.V. in Tübingen und ist seit 2014 Mitglied der OPD-Regelkommission. Er gewann zahlreiche Turniere, darunter die Deutschsprachige Debattiermeisterschaft 2016 und erhielt auf selbiger sowie bereits der Deutschsprachigen Debattiermeisterschaft 2015 den Preis für die beste Finalrede. Lennart war Chefjuror mehrerer Turniere und erreichte als Juror zahlreiche Breaks, inklusive mehrerer Europa- und Weltmeisterschaften. Seit der Saison 2014/15 unterstützt er den VDCH-Vorstand in wechselnden Beiratstätigkeiten. Im Studium arbeitet er an einer Masterarbeit in Allgemeiner Rhetorik zum Hochschuldebattieren im deutschsprachigen Raum.

Das Mittwochs-Feature: Jeden Mittwoch ab 10.00 Uhr stellt das Mittwochs-Feature eine Idee, Debatte, Buch oder Person in den Mittelpunkt. Wenn du selbst eine Debatte anstoßen möchtest, melde dich mit deinem Themen-Vorschlag per Mail an team [at] achteminute [dot] de.

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2 Kommentare zu “Eine Theorie der Spaßdebatte”

  1. Matthias Winkelmann sagt:

    „Spaßdebatten“ sind traditionell weder Spaß noch Debatte. Die Idee von „Jetzt seid doch mal lustig!“ ist schon im Prinzip hirnrissig, denn Humor lebt (wie jede andere Kunst) von der Einschränkung der Mittel, nicht von der Erlaubnis. Zudem sind CA-bestimmte Spaßmomente eine Einmischung in die Autonomie der Redner ihre eigenen Mittel der Überzeugung zu Wählen.

    Humor kann Teil jeder Debatte sein. Er kann schlechte Beispiele entlarven, oder schlechte Argumente durch Zuspitzung zur Absurdität entblößen. Oftmals erspart Humor der Rednerin viel Zeit, wodurch die Beherrschung dieser Spezialdisziplin bereits in der Bewertung berücksichtigt wird. Darüber hinaus sind Jurorinnen natürlich angehalten, Humor in dem Maße zu berücksichtigen, in dem Humor auch jn der realen Welt auf ein reales Publikum wirkt.

    Auch wenn Lennart davon ausgeht, dass es sowas wie „falsche, aber plausibilisierte Prämissen“ gibt, was eindeutig eine falsche (jedoch kaum „plausibilisierte“) Prämisse ist, zeigt die Erfahrung, dass das Humorpotential von Deine-Mudda-Debatten doch selten über das Niveau von Deine-Mudda-Witzen
    hinausgeht. Empirisch gesehen gibt es genau drei Faktoren, die den Humor einer Rede bestimmen: das Naturell der Rednerin, der Humor der vorherigen Rede(n), sowie die Anwesenheit von Publikum. Plus traditionell noch Alkohol, aber das ist wohl nicht mehr en vogue.

    Gut sichtbar wird der Unterscheid garantiert auch, wenn Ihr Eure Lieblingscomedians durchgeht: Spaßdebatten sind Mario Barth. Ernsthafte Debatten, mit Humor als Mittel der Überzeugung, sind Jon Stewart.

  2. Nicolas (MZ) sagt:

    Recht eindimensionale Sicht auf die Dinge, Matthias 😉

    Ich hatte weder Marcel noch meine Wenigkeit und selbst Lennart nicht für einen Mario-Barth Abklatsch gehalten. Naja. Was soll man sagen 😛 Meiner Erfahrung nach sind sehr gute Spaßdebattenredner einfach sehr gute Redner 😉

Kommentare sind geschlossen.

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