Casten und gecastet werden – Professoren und Studenten messen sich bei der Showdebatte in Mainz

Datum: 29. April 2010
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Kategorie: Neues aus den Clubs, Themen

Was wäre eine Welt ohne „Deutschland sucht den Superstar“, „Popstars“, „Stefan-sucht-den-Superstar-der-singen-soll-was-er-möchte-und-gerne-auch-bei-RTL-auftreten-darf“ und „Germany’s next topmodel“?

Eine bessere Welt, so befanden die Mainzer Professoren Gregor Daschmann (Publizistik), Dagmar Kaiser (Zivilrecht) und Kai Arzheimer (Politikwissenschaft). Zumindest behaupteten sie das, nachdem ihnen anlässlich der Showdebatte des Debattierclub Johannes Gutenberg Mainz (DCJG) am Dienstagabend per Los die Rolle der Regierung zugefallen war. Eine Premiere! Nachdem die Studenten jahrelang die meist schwierigere Rolle der Regierung eingenommen hatten, war es dieses Mal an ihnen, den Status Quo zu verteidigen – und sich somit für einen Erhalt der umstrittenen Casting-Shows auszusprechen. Für den DCJG stürzten sich Marcus Ewald, Deutscher Meister 2008, Clemens Fucker, Nachwuchstalent mit sensationeller Frisur (Dreadlocks mit eingeflochtenen Gänseblümchen), und Konrad Grießinger, Westdeutscher Meister 2009, wagemutig in die Schlacht der Argumente.

350 Zuschauer verfolgten im Audimax der Uni Mainz den spannenden Schlagabtausch. „In Wahrheit werden in Castingshows doch keine Stars gesucht, die jugendlichen Teilnehmer sollen hauptsächlich vorgeführt werden. Man muss sie vor sich selbst schützen“, forderte Gregor Daschmann, beliebter Dauergast bei den Mainzer Showdebatten. Nicht einmal die Märchen, die geschaffen würden, seien echt – man denke an Paul Potts, den vermeintlich erfolglosen Handy-Verkäufer, der sich später als Doktor der Philosophie entpuppte. Seine Mitstreiterin Dagmar Kaiser bemängelte den Wertefall, der durch den oberflächlichen Showmarathon vorangetrieben werde: „In England tanzen Mädchen bei öffentlichen Wettbewerben halbnackt in Kneipen an der Stange – schlimm genug. Aber wenn man sie fragt, warum sie das tun, dann antworten sie: Ich will meine Mutter stolz machen!“ Man müsse, so ergänzte ihr Kollege Kai Arzheimer, „dem Unheil ein Ende bereiten“ – wegen der mit den Shows einhergehenden Volksverdummung sei Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit gefährdet.

Marcus, Clemens und Konrad (v.l.), das DCJG-Team bei der Mainzer Showdebatte.

Marcus Ewald hielt dagegen, das Konzept der Castingshows sei weder neu, noch schlimm. „Casting-Shows ziehen sich durch die gesamte Geschichte“, erklärte er. „Der deutsche Kaiser musste vor den Kurfürsten bestehen, wenn er gewählt werden wollte, der Papst vor den Kardinälen. Im täglichen Leben haben wir Castings, etwa bei Bewerbungsgesprächen und WG-Castings. Soziale Evolution ist Casten und gecastet werden. Die Medien widerspiegeln bloß, was schon existiert und die Menschen wollen.“ Clemens Fucker lobte den Unterhaltungswert der Shows, obgleich er einräumte, dass es sich dabei um Trash handele. „Schadenfreude“, führte er aus, „ist aber doch die schönste Freude. Deshalb guckt man diese Sendungen doch vor allem am Anfang am Liebsten, wenn sich die Teilnehmer blamieren.“ Sprach’s und erbrachte gleich darauf den Beweis: Mit Dieter-Bohlen-Sprüchen wie „Wenn ich mir einen Döner ans Ohr halte, höre ich wenigstens das Schweigen der Lämmer, bei dir höre ich nichts“ brachte er das Publikum zum Johlen. Konrad Grießinger schließlich trieb die Debatte auf die Spitze, als er mehr Castings in allen Bereichen des Lebens forderte: „Es wäre doch schön, wenn die Deutschen vor jedem Spiel die Fußballnationalmannschaft casten könnten. Und dann stimmen wir ab, wer soll heute ins Tor – Schweinsteiger oder Klose? Das würde uns in den Augen der Welt zu einem sehr humorvollen Volk machen.“

Die Professoren Arzheimer, Kaiser und Daschmann (erst Reihe, die drei Personen außen v.l.) verfolgen mit Spannung eine Oppositionsrede.

Am Ende der Debatte kürte das Publikum wie üblich per „Applausometer“ den Sieger. Beide Teams ernteten lang anhaltenden Jubel, dennoch wurden die Professoren zum Sieger erklärt. Selbige waren von den Studenten aber so angetan, dass sie ihren Preis -d rei Flaschen Spätburgunder – den Studenten stifteten. Passend dazu (in WG-Küchen gehen ja dann und wann die Gläser aus) gab es eine Mainzelmännchentasse für den besten Einzelredner, der von der Ehrenjury gekürt wurde. Die drei Ehrenjuroren Willy Witthaut, Präsident des Debattierclub Goethes Faust Frankfurt/Main, Marianne Rohde, Stellvertretende Direktorin der Landeszentrale für politische Bildung, und Judith Schneider, Redakteurin bei Campus TV Mainz, wurden sich schnell einig: Der Preis ging an Marcus Ewald, dem damit nach dem Finale in Berlin am vergangenen Sonntag zum zweiten Mal innerhalb von drei Tagen diese Freude zuteil wurde.

Text: Sarah Kempf, DCJG Mainz / glx

Fotos: DCJG Mainz

Update 4. Mai: Die Allgemeine Zeitung Mainz hat einen Bericht über die Showdebatte online veröffentlicht.

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