Facebook vs. real life – Christopher Sanchez über die World Schools Debating Championships 2011

Datum: 28. August 2011
Redakteur:
Kategorie: Themen, Turniere

Ahhhh, Sommerferien! Endlich! Lange hat’s gedauert, jetzt ist es möglich: Ausschlafen, ausgiebig frühstücken, schön in den sommerlichen Tag hineinleben und sich von den Strapazen der Schule erholen. Ein gutes Buch konkurriert seit langem mal wieder mit der schnellen Onlinewelt.

Die deutsche Delegation der World Schools Debating Championship (WSDC oder World Schools) 2011 in Dundee hat es aber wohl auf das genaue Gegenteil abgesehen: Lange Anreise, morgens früh raus, schnell schottisch-deftiges Frühstück rein, raus ins schottische Wetter, rein in die Debatte, raus aus der Debatte und sich gleich durch Onlinerecherchen wieder bis tief in die Nacht auf die nächste vorbereiten. Man ist müde, ausgezehrt, enttäuscht von Niederlagen, euphorisch bei Siegen und ständig bemüht, von einem Venue zum anderen hin- und herzuhetzen, um es dann in 90-minütigen Runden kräftezehrenderweise im kampfbetonten Schlagabtausch der Argumente mit der ganzen Welt aufzunehmen. Warum wollen Menschen so ihre Sommerferien verbringen?

Die Deutsche Delegation nach dem "formal dinner" am Finalabend der WSDC 2011 in Dundee. (Foto: Privat)

Diese Frage können die schools debater Felix Jiang, Kai Ohmstedt, Dilek Sevinc, Karoline Schlotthauer, Viola Schramm sowie ihr Coach Jana Gilke vielleicht besser beantworten als ich, aber was alle Debater wohl besonders daran lieben, ist die Tatsache, dass man sich “in the age of Facebook“ gerne auch mal in der physischen Realität trifft und miteinander das Befreundetsein auslebt, in diesem Fall mit Teilnehmern der Delegationen aus 48 Ländern, die in das beschauliche Dundee gereist und bei den WSDC 2011 gegeneinander angetreten sind – in aller Freundschaft.

Die Gegner Deutschlands in der Vorrunde hießen: Wales, Nepal, Kroatien, Südafrika, Argentinien, Philippinen, Hong Kong und Tschechische Republik. Vom Ergebnis her hatte man sich aus deutscher Sicht viel erhofft, zumal der Break im letzen Jahr in Doha, Katar zum Greifen nah war. Dieses Jahr gab es drei „wins“, denen fünf „losses“ gegenüberstanden, von denen aber drei „split decisions“ waren – eine sehr knappe Angelegenheit also, aber leider zu wenig. Das macht zusammen zehn Punktrichter-Ballots und stellt bei dieser internationalen Konkurrenz und den höchstmöglichen Ansprüchen im internationalen Debating für ein EFL-Land einen beachtlichen Erfolg dar. [Anm. d. Red.: Anders als im Hochschuldebattieren werden die Ergebnisse der Juroren einzeln gewertet.] Insgesamt belegte Deutschland Platz 28. Sieger im Turnierfinale wurde Singapur aus der Opposition heraus gegen Australien in der “proposition“. Das Finalthema lautete: “This house believes that autocracy is doomed in the age of Facebook.“

Der verpasste Break trübte die Stimmung des Teams aber nur kurz, denn erst die Berücksichtigung der Socialising-Komponente ergibt den wahren Charakter eines Turniers, und da kann man getrost davon ausgehen, dass es in Schottland besonders schwierig ist, sich zu irgendeinem Zeitpunkt niedergeschlagen zu fühlen. Dies liegt zum einen am Charakter einer der freundlichsten Nationen der Welt, zum anderen aber auch am sehr umfangreichen Rahmenprogramm: Stadttour durch Dundee, Fahrt nach St. Andrews, hervorragend amüsante “show debate“ mit den besten BP-Rednern der Welt, “Whisky tasting“ sowie ein kompletter Tag in Edinburgh zur Zeit des weltberühmten Fringe-Festivals mit hunderten von Liveshows inmitten der Hauptstadt bei bestem Wetter.

Das DUSA-Gebäude (Dundee Student Association) auf dem Campus der Uni, auf dem auch alle Teilnehmer einquartiert wurden, bot mit einer Kneipe, einem Spielsalon, einer Sportsbar und einer Disko den idealen Treffpunkt und Gelegenheit für sehr heitere und erinnerungswürdige Begegnungen. Wer Fußballfan ist, konnte sich auf gefühlte 24-Stunden-TV-Berieselung freuen, zum Frühstück liefen System of a Down und Rage against the Machine – das half besonders gut bei der Verdauung der ganzen Sausages, Bacon, Baked Beans und Scrambled Eggs und sonstigen Dickmachern. Angeblich haben Leute sogar abgenommen, aber Gerüchte gibt’s bei solchen Turnieren ja immer.

Außer Sausages hat aber eben alles andere ein Ende, und so ging’s nach zehn Mal Bacon essen wieder zurück ins nicht minder beschauliche Stuttgart, das gleich mit ungewohnten 34 Grad einheizte. Es waren für alle erfahrungsreiche Tage mit Dudelsäcken, Highland Dancing, einer besonders engagierten Präsentation zur Umgestaltung der Dundee Waterfront, netten Menschen und einfach allem, was es braucht, um zwar erschöpft aber glücklich und reich an neuen Eindrücken wieder nach Hause zu kommen – eigentlich wie nach jedem anderen “Erlebnis“-Urlaub auch.

Und so kehrt jetzt vielleicht doch ein bisschen Ruhe ein bei den Debatern, mit lange Schlafen, Buch lesen und sich um überhaupt nichts kümmern müssen, außer um die ganzen Freundschaftsanfragen. Ein bisschen Ferien bleiben ja noch, die ganzen schönen Erinnerungen an ein tolles Turnier auch – selbst ohne Facebook.

Die Themen

Anders als beim Hochschuldebattieren sind hier ein Teil der Debattenthemen bereits vor dem Turnierbeginn bekannt und werden von den Teams vorbereitet. Diese „prepared rounds“ wechseln sich ab mit Runden, in denen nur eine kurze Vorbereitungszeit im Turnierablauf zur Verfügung steht („imrpomptu“).

  • Runde 1: This house would offer dictators immunity in return for leaving power. (prepared)
  • Runde 2: This house would allow free distribution of music on the internet. (impromptu)
  • Runde 3: This house believes that Universal Primary Education is a misallocation of resources for the developing world. (prepared)
  • Runde 4: This house would make voting in National Elections compulsory. (impromptu)
  • Runde 5: This house would legalise the sale of human organs. (prepared)
  • Runde 6: This house would stop sending humans into Space. (impromptu)
  • Runde 7: This house believes that women can only achieve equality under a secular system of government. (prepared)
  • Runde 8: This house would penalize sporting teams for the behaviour of their fans. (impromptu)
  • Octos: This house would abandon nuclear energy.
  • Quarters: This house supports free immigration.
  • Semis: This house believes that any state should have the right to secede if the majority of the population wishes.
  • Grand Final: This house believes that autocracy is doomed in the age of Facebook.

Die WSDC Dundee 2011 im Überblick

Eine kurze Geschichte der WSDC

Ihren Anfang nahmen die World Schools Debating Championships (WSDC) in Australien: 1988 wurden dort zunächst die World Universities Debating Championships (WUDC) ausgetragen, was den zündenden Funken für die WSDC gab. Denn einen weltweiten Wettstreit für Schülerdebattierer gab es noch nicht. So wurde 1988 in Australien ein Wettbewerb ins Leben gerufen mit dem Namen Bicentennial International School Students Debating Championships. Schülerteams aus Australien, Kanada, England, Hongkong, Neuseeland und den USA stellten sich dem Debattierwettstreit.

Das Format war damals an das Format der australischen Schools Debating Championships angelehnt. Das bedeutete neun Minuten Redezeit pro Redner plus drei Minuten Gegenreden (“reply speeches“). Während über die Jahre das Format immer wieder mit dem Austragungsort und den jeweiligen Gepflogenheiten wechselte, hat sich inzwischen ein “World Schools Style“ herauskristallisiert, nach dem inzwischen alle Weltmeisterschaften ausgetragen werden. Demnach redet jeder Debater acht Minuten lang, am Ende gibt jedes Team eine “reply speech“ von vier Minuten. Das Turnier ist mit den Jahren immens gewachsen: 1988 nahmen Teams aus sechs Ländern teil, 1999 bereits 31 Länder. Austragungsorte waren in den vergangenen Jahren etwa Seoul, Washington DC, Athen und Katar. Zuletzt wurden die Schülerweltmeisterschaften von 16. bis 26. August im schottischen Dundee ausgetragen. Teams aus 48 Ländern stritten hier um den Titel als Weltmeister, den schließlich im Finale gegen Australien Singapur holte.

Christopher Sanchez /apf

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