Die Achte-Minute-Debatte: Brauchen wir Social TV in Zeiten des Wahlkampfs?

Datum: 15. September 2013
Redakteur:
Kategorie: Debattieren in der Öffentlichkeit, Politik und Gesellschaft

Wahlplakate säumen in diesen Wochen die Straßen, eifrige Menschen verteilen Parteiflyer in der Fußgängerzone, im Fernsehen laufen Sendungen mit Politikern und über sie: Es ist mal wieder Bundestagswahlkampf. Zahlreiche Bürger mischen privat per Facebook und Twitter mit. Die Achte Minute stellte jüngst fest, „dass die öffentlich-rechtlichen Sender die Macht der Zuschauerfragen entdecken“. Sie setzen ihre Gäste nicht nur den Fragen des Studiopublikums aus, sondern beziehen auch die Zuschauer vor dem heimischen Fernseher durch Social Media in das Geschehen ein. Insbesondere Sendungen wie „Überzeugt uns!“ (ARD), „Wie geht’s, Deutschland?“ (ZDF), „Wahlarena“ (ARD) und „die debatte“ (ZDF) wollen den Eindruck erwecken, ganz nah bei den Bürgern zu sein.
Dass der Zuschauer auf der Wohnzimmercouch so zu Wort kommen kann, ist eine originelle Idee. Aber ist es für die Sendungen und das Publikum tatsächlich gewinnbringend? Zwei Debattiererinnen, die privat Twitter und Facebook nutzen, sind unterschiedlicher Ansicht. Im Laufe der Woche wurden auf der Achten Minute bereits Aspekte der Publikumsdebatte beleuchtet, nun setzen sich Anna Mattes und Miriam Hauft in der ersten Achte-Minute-Debatte mit der Frage auseinander: Brauchen wir Social TV in Zeiten des Wahlkampfs?

PRO  //  ANNA MATTES: „Social TV bedeutet Konfrontation mit den Anliegen künftiger Entscheidungsträger

Es ist wirklich auffällig: Selbst außerhalb der Wahlkampfzeiten kommt heute kaum noch eine Talkshow ohne Fragen aus Facebook und Twitter aus, kaum ein politisch relevantes Ereignis bleibt im Netz unkommentiert. Auch nicht Banalitäten wie die Kette (https://twitter.com/schlandkette), die Angela Merkel beim Kanzlerduell trug, oder Peer Steinbrücks Finger (https://twitter.com/peersfinger), der in dieser Woche für Aufregung sorgte. Beide hatten innerhalb von Minuten eigene Twitter-Accounts.

#schlandkette und #peersfinger auf Twitter (c) Screenshot

#schlandkette und #peersfinger auf Twitter
(c) Screenshot

Für diejenigen, die mit Social Media wenig am Hut haben, mag das skurril klingen. Auch das Ausmaß, in dem die Fernsehsender versuchen, Social-Media-Kanäle und deren Nutzer in ihre Formate einzubeziehen, scheint auf den ersten Blick übertrieben. Vor allem gemessen an den Nutzerzahlen: Prozentual nutzen viel weniger Menschen in Deutschland die Plattform Facebook als etwa unsere Nachbarn in Frankreich, Italien und Großbritannien, von Twitter ganz zu schweigen. Der „Durchschnittsnutzer“ entspricht auch nicht dem „Durchschnittsdeutschen“, der offensichtlichste Unterschied ist hier das Alter.

Das schmälert aber nicht den Mehrwert des Social TV. Meine persönliche Erfahrung ist, dass gerade die Menschen, die sich an Diskussion im Social TV beteiligen, politisch besonders interessiert, überdurchschnittlich neugierig und zum jeweiligen Thema sehr gut informiert sind. Ich bin überzeugt, dass genau deswegen eine Notwendigkeit besteht, Social TV verstärkt in die Wahlkampfberichterstattung zu integrieren. Die Sendungen, die Politik und die Demokratie profitieren inhaltlich davon. Das Internet und vor allem dessen rechtliche Substanz betrachten viele Politiker in Deutschland immer noch mit Unkenntnis (siehe Merkels „Neuland“). Die politischen Parteien und Entscheidungsträger mit „diesem“ Internet zu konfrontieren, halte ich für eine gute Idee, um dieses Problem zumindest im Ansatz anzugehen. Die Politik muss sich endlich mit dem World Wide Web beschäftigen, nicht zuletzt, um angemessene Lösungen zu Problemen wie dem NSA-Skandal finden zu können.

Auch wenn die sogenannte Netzgemeinde nicht repräsentativ für die deutsche Gesamtbevölkerung steht, sprechen ihre speziellen Charakteristika für eine Öffnung der Berichterstattung hin zu Social Media. Im Internet tummelt sich nämlich genau die junge Generation, die sich eines Tages als Entscheidungsträger von den politischen Parteien und Organisationen repräsentiert fühlen will und repräsentiert werden soll. Wenn sich die Politik den Fragen der Netzgemeinde stellen muss, ist sie gezwungen, sich stärker mit deren Problemen auseinanderzusetze. So können schon jetzt Lösungen für Probleme gefunden werden, die es andernfalls erst in ein paar Jahren auf die Agenda geschafft hätten. Nicht zufällig entstand die erfolgreiche #aufschrei-Bewegung gerade auf Twitter.

Auch die Fernsehkultur kann von dieser „Öffnung nach außen“ nur profitieren. Fernsehen ist traditionell ein einseitiges Medium: Sitzend auf dem Wohnzimmersofa, lässt der Zuschauer die Sendung auf sich wirken. In vielen Talkformaten wird nicht einmal das Studiopublikum in die Diskussion einbezogen. Durch das Integrieren von Fragen und Kommentaren aus den sozialen Medien findet eine vorher nicht dagewesene Form der Debatte und Kontrolle statt. PolitikerInnen kommen weniger oft mit Behauptungen, die nicht den Tatsachen entsprechen, und verbalen Entgleisungen davon. Aussagen wie Jürgen Todenhöfers „In Deutschland lässt man sich ausreden!“, in der ZDF-Sendung „Die Debatte“ gerichtet an den Syrer Sadiqu Al-Mousllie, werden umgehend abgestraft, indem sich solche „Ausrutscher“ im Netz in Windeseile verbreiten. Die direkte Einbindung von Fragen und das Wissen der Studiogäste um dieses zusätzliche Kontrollelement können bewirken, dass die Themen offener und sachlicher diskutiert werden.

Anna Livia Mattes ist Cheforganisatorin der Deutschsprachigen Debattiermeisterschaft 2014 und amtierende Vizepräsidentin der Streitkultur Berlin e.V. Sie war Chefjurorin des Gutenberg-Cups 2010 und des Streitkultur-Cups 2011. In der Amtszeit 2012/13 war sie Vizepräsidentin des Verbandes der Debattierclubs an Hochschulen e.V. (VDCH). Derzeit ist sie als Assistentin der Bundesgeschäftsführerin von TERRE DES FEMMES e.V. tätig. Sie twittert unter dem Namen AnnLivMa.

CONTRA  // MIRIAM HAUFT:  Die soziale Komponente wird nur vorgetäuscht

Social TV braucht kein Mensch. Warum? Weil Fernsehen nun mal nicht „social“ ist. Im Gegenteil: Der Kanal geht nur in eine Richtung. Die soziale Komponente kann dabei höchstens simuliert werden, deshalb ergibt sich kein Mehrwert für den Zuschauer. Trotzdem bringen die Fernsehmacher das Web ins TV, denn schließlich reden jetzt alle von diesem Internet und von Mitbestimmung. Außerdem haben Tweets mit ihren 140 Zeichen den unschlagbaren Vorteil, dass man keinem Zuschauer unelegant das Wort entziehen muss, wenn er/sie einen Laberflash bekommt – perfekt fürs Fernsehen also!

Mit dem Rücken zur Wand: Podiumsdiskussion mit Twitterwall (c) H. Schmidt

Mit dem Rücken zur Wand: Podiumsdiskussion mit Twitterwall
(c) H. Schmidt

Und so kommt es, dass uns heute in jeder zweiten Politiksendung von charmanten jungen Damen Tweets vorgelesen werden, Moderatoren dazu interessiert nicken und sowas sagen wie „Ah ja, die Netzgemeinde ist also sauer/dafür/völlig uninteressiert“ …und dann wird dem Studiogast die nächste Frage gestellt.

In dieser Form verschwendet Social TV leider Sendezeit. Die Idee hinter Facebook und Twitter ist eigentlich, dass jeder mit jedem interagieren kann, dass man eigene Inhalte einbringt und sich mit anderen darüber austauscht. Würde man diesen Gedanken zumindest halbwegs ins Fernsehen transportieren, müsste  man die Fragen, die über Twitter an die Studiogäste gestellt werden, ernst nehmen und angemessene Zeit zur Beantwortung einräumen. Eine richtige Unterhaltung mit Rück- und Gegenfragen, in die sich auch andere einklinken können, kann sich aber auch dann in diesem Format nicht entwickeln. Die Möglichkeit der direkten Interaktion wird einem durch den Moderator aus der Hand genommen, die soziale Komponente des Programms (“jeder kann mitreden”) wird also nur vorgetäuscht. Deshalb bringt Social TV, wie es derzeit umgesetzt wird, niemanden etwas.

Außerdem sind die über soziale Medien eingeholten Meinungsbilder nicht repräsentativ. Mal ganz abgesehen davon, dass es einen Redaktionspraktikanten geben muss, der die Tweets auswählt und filtert, twittert nur eine sehr kleine Bevölkerungsgruppe. Opa Krause beispielsweise twittert meistens nicht, seine Meinung wird also mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht im Netz auftauchen.

Soziale Medien und Fernsehen können sehr gut nebeneinander existieren und sich ergänzen – ohne, dass man beides vermischen müsste. Ich schätze, dass 95% der Menschen Fernsehen schauen, um Nachrichten welcher Art auch immer zu erhalten. Ich beispielsweise will wissen, was Merkel so von sich gibt, darum schalte ich ein. Was KleinerHase89 aus Gütersloh über Merkel von sich gibt, interessiert mich herzlich wenig. Aber wenn ich es wissen wollte, würde ich es problemlos rauskriegen: Indem ich ins Internet gehe und KleinerHase89 direkt bei Twitter folge. Vorgelesene Tweets im TV haben darum nicht den geringsten Mehrwert für die Zuschauer.

Soziale Medien sind eine tolle Ergänzung der bestehenden Medienlandschaft und ich würde nicht darauf verzichten wollen, aktuelle Geschehnisse via “Second Screen”, also dem Smartphone oder Tablet auf der Couch, zu diskutieren. Wenn ich wissen will, was “das Netz” so denkt, dann frage ich das Netz – direkt. Ohne, dass mir ein Moderator die Tweets vorlesen muss.

Miriam Hauft ist Deutsche Debattiermeisterin 2009. Sie war Cheforganisatorin der Nordostdeutschen Meisterschaft 2009 und Chefjurorin der ZEIT DEBATTE Magdeburg 2012. Von 2006 bis 2010 stand sie dem Debattierclub Magdeburg e.V. vor. Nach ihrem Politikstudium absolvierte sie ein PR-Volontariat beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. Derzeit ist sie als PR-Referentin an der Hertie School of Governance tätig. Sie twittert unter dem Namen Miri_Online.

Jetzt seid ihr dran: Ist Social TV sinnvoll oder überflüssig? Entscheidet euch für Pro oder Contra und stimmt ab!

kem/apf/ps

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