Totschlagargumente und unrepräsentative Stichproben: Anna Mattes über das Rhetorische Quartett

Datum: 4. Februar 2015
Redakteur:
Kategorie: Mittwochs-Feature, Rezension

„Das rhetorische Quartett – ein Debattierspiel für 2 -6 Spieler ab 14 Jahren“ steht auf dem Titel der kleinen, bunten Box. Im ersten Moment bin ich überrascht, dass ich bislang nichts von diesem Spiel gehört habe. Im zweiten Moment habe ich die Karten schon ausgepackt und vor mir auf dem Tisch ausgebreitet. „Unrepräsentative Stichprobe“ heißt es da beispielsweise. Neben einer Erklärung wird auf der Karte auch gleich ein Beispiel angeführt, in diesem Fall: „Umfragen unter unseren Lesern haben ergeben, dass unser Magazin das Beliebteste in der Region ist“. Außerdem wird auf der Karte das Argument in vier Kategorien bewertet – die unrepräsentative Stichprobe hat in Boshaftigkeit zwei von fünf, in Themenbezug vier von fünf und in Überzeugung und Sachlichkeit fünf von fünf möglichen Punkten bekommen. Über die letzten beiden Einschätzungen könnte vermutlich bereits eine eigene Debatte geführt werden.

Jeweils vier Karten sind Teil einer Argumentationskategorie: Zu Kategorie 10 „Ursache und Wirkung“ gehören die Argumente „Scheinkausalität“, „Umgedrehte Kausalität“, „Inversionsfehler“ und „Zirkelschluss“. Insgesamt 15 Argumentationskategorien mit jeweils vier Argumenten werden ergänzt durch vier Trumpfkarten und vier Meinungsumschwungskarten.

10966918_1025495574130444_1309577091_nDie Idee

Finanziert durch eine Crowdfundingaktion auf Startnext handelt es sich bei dem Rhetorischen Quartett um ein Kommunikationsspiel, welches in erster Linie dabei helfen soll, Argumentationen besser zu verstehen und Schlagfertigkeit zu trainieren. Im Infoheft, welches dem Spiel beiliegt, werben die Macher des Spiels allerdings auch damit, durch eine bestimmte Spielvariante tatsächliche Konflikte, wie beispielsweise die Verteilung der Hausarbeit, zu lösen.

Im November 2013 entwickelten Klaus Hilgenfelder und Niels Lohmann unter Mithilfe von Tim Rehberg die Idee. Seit Juni 2014 vertreibt Wollmilchmedien, namentlich Claudia Rössel, das Quartett.

Die Spielregeln

Zu Beginn der Runde müssen sich alle Spieler zuerst auf ein Thema einigen. Jeder Spieler argumentiert dann für eine bestimmte These zu diesem Thema, welche klar definiert und zu den anderen Thesen möglichst gegensätzlich sein sollte. Nachdem alle Spieler zehn Karten gezogen haben, wird reihum gelegt. Dabei können nur höher bewertete Karten auf die oberste Karte gelegt werden oder aber Karten, die zu der oben liegenden Karte als Gegenargument gekennzeichnet sind. Karten der Kategorie 13 „Beweise“ können beispielsweise durch eine Karte der Kategorie 1 „Ablenkungsmanöver“ entkräftet werden. Jedes Mal, wenn eine Karte gelegt wird, muss der Spieler ein dazu passendes Argument vortragen. Sobald keine Karten mehr gelegt werden können, erhält der Spieler, der das letzte Wort hat, alle offen liegenden Karten.

A2Spezielle Karten sind die Trumpfkarten und die Meinungsumschwungskarten. Durch einen Trumpf, wie beispielsweise die Moralkeule („Schon Hitler hat nichts für hungernde Kinder in Afrika getan“) oder Physische Gewalt („Verlassen der Diskussionsebene durch Anwendung von körperlicher Gewalt“) können Spieler sofort alle auf dem Tisch liegenden Karten bekommen. Durch das Legen eines Meinungsumschwungs werden entweder zwei Thesen getauscht, sodass der Spieler für eine andere These argumentieren muss, oder aber – in einer Variante des Spiels – die These mitsamt den gewonnen Karten. Auf diese Weise gewinnen nicht Spieler das Quartett, sondern eine bestimmte These.

Der Spieler beziehungsweise die These mit den meisten Karten gewinnt das Spiel.

Die Varianten

Die Erfinder des Rhetorischen Quartetts schlagen eine Reihe von Varianten vor: Beim Debattenbingo wird eine öffentliche Debatte oder eine Talkshow verfolgt. Spieler, die ein Argument entdecken, dürfen es umdrehen. Derjenige, der bei einen 5 x 5 Raster zuerst eine Diagonale oder durchgehende Reihe verdeckter Karten hat, gewinnt das Spiel. In der „Fishbowl“-Variante sitzen sich eine festgelegte Anzahl von Spielern der gleichen Anzahl gegenüber. Ähnlich wie in dem uns bekannten Setting einer Debatte wählen die beiden Seiten jeweils einen Standpunkt zu einem Thema. Abwechselnd spielen die Beteiligten nun die Karten – Spieler, die nicht mehr weitermachen wollen, können ihren Platz räumen und andere Personen argumentieren lassen, bis alle Karten gespielt sind. 

Das Rhetorische Quartett – Eine Empfehlung für Debattanten?

Das Rhetorische Quartett ist liebevoll gemacht. Man merkt schnell, dass sich die Entwickler in der Materie auskennen und viel Zeit und Mühe in das Spiel gesteckt haben. Die Argumentationskategorien sind wohl durchdacht – je höher die Kategorie, desto komplexer die ihr zugeordneten Argumente – und die Beziehung zwischen Argumenten und Gegenargumenten sehr sinnvoll. Die Beispiele haben das Potenzial, das ein oder andere debattierfreie Wochenende (und davon wird es noch ein paar geben in den kommenden Wochen) zu versüßen und unterhaltsam zu gestalten. 

Bei den Testrunden wurde allerdings auch klar, dass das Rhetorische Quartett den Schwerpunkt auf das kommunikative Element und weniger auf das spielerische legt: Da meist Trümpfe gelegt werden, um den Kartenstapel zu erhalten, ist es häufig Glückssache, wer am Ende das Spiel gewinnt. Das bedeutet auch, dass nicht immer die besten Debattanten oder strategischsten Spieler gewinnen. Aber vielleicht ist ja gerade das eine ganz gute Übung für das nächste Debattierturnier…

ama/hug

Mittwochs-Feature

Das Mittwochs-Feature: Jeden Mittwoch ab 9.00 Uhr stellt das Mittwochs-Feature eine Idee, Debatte, Buch oder Person in den Mittelpunkt. Wenn du selbst eine Debatte anstoßen möchtest, melde dich mit deinem Themen-Vorschlag per Mail an team [at] achteminute [dot] de.

Anna Mattes ist Chefredakteurin der Achten Minute. Sie war Cheforganisatorin der Deutschsprachigen Debattiermeisterschaft 2014, der ZEIT DEBATTE Tübingen 2010 und der Streitkultur-Cups 2009 und 2010. Sie ist Siegerin der ZEIT DEBATTE Mainz und des Neckarwiesen-Cups 2014. Als Chefjurorin fungierte sie beim Frauenturnier 2014, dem Gutenberg-Cup 2010 und dem Streitkultur-Cup 2011. In der Amtszeit 2012/13 war sie Vizepräsidentin des Verbandes der Debattierclubs an Hochschulen e.V. (VDCH). Derzeit ist sie als Assistentin der Bundesgeschäftsführerin von TERRE DES FEMMES tätig.

 

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1 Kommentare zu “Totschlagargumente und unrepräsentative Stichproben: Anna Mattes über das Rhetorische Quartett”

  1. Sarah Andiel sagt:

    Zu dem Spiel gibt es auch ein Plakat mit einer tollen graphischen Übersicht. Das kommt bei mir über den Schreibtisch 🙂

Kommentare sind geschlossen.

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