Viele Menschen, viele Meinungen, wenig Zeit: Jule Biefeld über den Women‘s Council auf den Worlds
Es ist die Mittagspause am dritten Vorrundentag der World Universities Debating Championships (WUDC) 2016 in Thessaloniki: Ungefähr 70 Frauen und Männer versammeln sich in einem weit abgelegenen Gebäude zum Women’s Council, das sich mit Fragen der Genderdiskriminierung im internationalen Debattieren auseinandersetzen möchte. Jeder hebt den Arm, viele haben 20 Meinungen, doch keiner wird zu Ende gehört. Denn der Zeitplan ist denkbar eng – in nur 45 Minuten versucht das Council eine Agenda zu bewältigen, gegen die eine Mitgliederversammlung des Verband der Debattierclubs an Hochschulen blass erscheint.
Gender-Pronouns
Wie schon zuvor bei den Europameisterschaften bestanden die Chefjuroren der WUDC darauf, dass Hauptjuroren die Redner fragen müssen, mit welchem Pronomen sie bezeichnet werden möchten. Bei der Aufnahme der Rednerreihenfolge müssen die Redner eine der folgenden Möglichkeiten angeben: he, she, they oder keine Antwort.
Schon die Frage nach den Gender-Pronouns warf Bedenken auf. Den von der Chefjury vorgegebenen Satz „Please make sure we know your preferred gender pronoun“ fanden einige Delegierte zu schwach. Ihr Antrag, stattdessen nach „correct pronoun“ zu fragen, wurde jedoch abgelehnt. Geschlechter könnten sich verändern und ein korrekt oder inkorrekt gebe es da nicht. Andere bemängelten, dass Hauptjuroren häufig zu unhöflich fragen. Darum sollte den Chefjuroren ans Herz gelegt
werden, öffentlich um eine freundlichere Formulierung zu bitten.
Größere Diskussionen entfachte der Vorwurf, dass es viele Redner gebe, die ihr Pronomen im Laufe des Turniers zu häufig veränderten. Letzten Endes setzte sich dabei die Sicht durch, dass es jederzeit möglich ist, sein Pronomen zu ändern.
Diskriminierung der Nebenjuroren
Der nächste große Punkt auf der Tagesordnung war die Diskriminierung weiblicher Nebenjuroren durch männliche Hauptjuroren. Eine große Anzahl an Jurorinnen gab an, in der Jurierdiskussion durch ihren männlichen Hauptjuror unhöflich und rüde behandelt und im Wort unterbrochen worden zu sein.
Nachdem sehr viele ihre Erlebnisse geschildert hatten, schlug ein Delegierter vor, im Feedback eine Checkbox einzubauen, mit der man auf eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts aufmerksam machen kann. In einer kurzen Abstimmung wurde dieser Vorschlag jedoch abgelehnt. Ein Mann könne diese Möglichkeit ausnutzen, indem er damit als Nebenjuror einer weiblichen Hauptjurorin zu schaden versuchen könnte.
Abbruch der Versammlung
Die Diskussionen wurden kurze Zeit später abrupt unterbrochen. Ein Helfer kam herein und verkündete, die Setzung für die nächste Runde würde sofort beginnen. Alle waren empört. Es gab noch zwei wichtige Punkte auf der Tagesordnung. Doch auch nach Rücksprache mit den Chefjuroren konnte die Vorsitzende des Council, Madeline Schultz, den sofortigen Abbruch der Versammlung nicht verhindern.
Von einem zweiten Treffen nach der nächsten Vorrunde erfuhr nur ein Teil der Teilnehmenden. Diese Teilnehmer wählten den neuen Vorsitz des Councils. Der Posten wurde auf zwei Personen aufgeteilt, um dem gestiegenen Arbeitsaufwand Rechnung zu tragen. Unter vier Bewerberinnen konnten sich Sharada Srinivasan aus Bangalore und Bethany Garry aus Glasgow durchsetzen.
Nach der Sitzung blieb noch etwas Zeit der scheidenden Vorsitzenden Madeline Schultz einige Fragen zu stellen. Das Interview wurde aus dem Englischen übersetzt.
Achte Minute: Warum ist der Women‘s Council wichtig?
Madeline Schultz: Weil wir die Position der Frau im Debattieren stärken wollen und darauf aufmerksam machen wollen, wo wir Dinge verbessern können. Wir haben viele Missstände aufgedeckt und konnten Frauen dazu animieren, mehr über ihre Rolle im Debattieren, aber auch in der Gesellschaft, nachzudenken.
Achte Minute: Sieht man denn wirkliche Verbesserungen?
Schultz: Natürlich! Alleine schon an der Zahl der Teilnehmer am Council. Beim ersten Treffen der Frauen auf den Worlds – das ist nun schon einige Jahre her – saßen nur neun Frauen in dem Raum. Heute sind wir etwa 70. Das alleine zeigt, dass Frauen, aber auch Männer, über die Rolle der Frau nachdenken.
Achte Minute: Was möchte der Women’s Council erreichen?
Schultz: Wir versuchen Frauen zu unterstützen, indem wir ihnen eine Stimme geben und sie darin bestärken, Dinge für sich im Debattieren zu ändern.
Achte Minute: Ja, aber kann es das auch wirklich?
Schultz: Natürlich, aber wir sind auch nicht frei von Fehlern. Jedes Mal, wenn unser Fokus nur auf einem Thema liegt und wir uns im Kreis bewegen, könnte ich mir in den Hintern beißen. Aber so ist das nun mal, wenn viele Menschen mit vielen Meinungen in einem Raum sind. Und Debattierer sind da eher noch schlimmer.
Achte Minute: Was willst du als Person in Sachen Frauenrechte im Debattieren und der Welt erreichen?
Schultz: Da gibt es viel, das ich gerne antworten würde. Zwei Dinge würden die Welt für Frauen aber entscheidend verbessern: Erstens sollten alle wirklich immer die ausdrückliche Zustimmung der anderen Partei einholen, wenn sie etwa mit ihr romantisch interagieren. Zweitens möchte ich, dass die Menschen endlich wieder verantwortungsbewusster werden. Dass sie sich klar machen, welche Konsequenzen ihre Worte und Taten haben können. Und wie andere unter Dingen leiden können, die sie als Lappalie abtun.
Achte Minute: Hast du einen Rat, den du den deutschen Debattierern und Debattiererinnen auf den Weg geben möchtest?
Schultz: Mischt euch ein. Macht mit und habt die Augen offen. Und habt Spaß am Debattieren. Ich hoffe euch alle nächstes Jahr in den Niederlanden zu sehen!
Achte Minute: Vielen Dank für das Gespräch!
Jule Biefeld/hug/hoe
Jule Biefeld war von 2014 bis 2015 Vorsitzende der BiTS Debating Society. Als Jurorin breakte sie auf zahlreichen nationalen und internationalen Turnieren, etwa auf dem Budapest Open 2015 und auf den ZEIT DEBATTEN Oberfranken und Göttingen. Sie studiert an der Martin Luther Universität Halle an der Saale und debattiert im Club Klartext Halle e.V.
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Es scheint auch wenig Zeit zum Korrekturlesen übrig geblieben zu sein: hier ein paar Stellen, die sich vielleicht noch ändern lassen – dann ist der interessante Artikel auch angenehmer zu lesen 🙂
– 4. Zeile: auseinandersetzen, darauf folgender Satz ist wegen Tippfehler etwas unverständlich
– 15. Z.: gelegt
– 23. Z.: sein Pronomen