Anträge vorgeben: Ein Vorschlag
Eine der großen Herausforderungen für die Regierung ist es oft, einen guten Antrag zu stellen. Gedanken zu diesem Thema und eine Alternative zum Stellen von Anträgen stellt uns heute Konrad Gütschow vor.
Viele Redner haben Angst vor der Eröffnungsrede, da sie nur wenig Vorbereitungszeit haben um Notizen zu schreiben. Ich bin regelmäßig genervt von Eröffnungsreden, da ich sie für zu glücksabhängig halte. Trifft man in der Vorbereitungszeit schnell genug den von den Chefjuroren intendierten Case oder nicht? Daher plädiere ich für mehr im Thema vorgegebene Definitionen und vorgegebene Anträge.
Das Ziel:
Chefjuroren überlegen sich ein Thema, welches sie für ausgeglichen und interessant halten. Die Teams debattieren die gewünschte Debatte, alle sind glücklich.
Der Status Quo:
Teams kriegen ein mehr oder weniger klar definiertes Thema vorgesetzt. Es gehört zur Rollenbeschreibung der ersten Regierung, unklare Begriffe zu definieren, ein Problem herauszuarbeiten und dieses mit einem Antrag zu lösen. Kurz: Klarheit darüber zu schaffen, worüber wir gerade reden.
Hierbei hat die erste Regierung einen relativ großen Spielraum. Themen können offen oder weit definiert werden. Große harte Prinzipien oder ein kleiner Zero-Harm-Case. Im Zweifel kann über Place Setting oder Reduktion auf einen einzelnen Fall die Debatte verschärft/verkleinert/gelenkt werden.
Das Problem:

Die Vorbereitung des Antrags nimmt oft einen guten Teil der Vorbereitungszeit in Anspruch. © Team Pretty Pictures
Wir vertrauen unseren Chefjuroren, dass sie ausgeglichene Themen mit sinnvollen Argumentationslinien stellen. Ich halte es allerdings für utopisch, dass jede einzelne Variante des Themas genauso eingehend geprüft wurde, wie die von den Chefjuroren erhoffte.
Sehen wir uns jetzt das alternative ZD-Berlin Finalthema an: Dieses Haus begrüßt den Einsatz terroristischer Mittel, um die Politik der restriktiven europäischen Grenzsicherung im Zuge der Flüchtlingskrise zu bekämpfen.
Ich glaube, dass es eine komplett andere Debatte ist, je nachdem ob Bomben in Bussen voller Zivilisten gezündet werden, Grenzsoldaten entführt/bedroht/getötet werden oder Zäune/Nachtsichtgeräte/Fahrzeuge sabotiert/gesprengt werden. Jede dieser Varianten könnte eine Realregierung heutzutage Terror nennen. Wenn wir dazu eine Variation des Akteurs nehmen, also ob europäische Bürger oder Flüchtlinge oder nicht-europäische nicht-Flüchtlinge morden/bomben/sprengen haben wir eine große Vielfalt an möglichen Themen.
Noch viel unklarer ist in vielen Fällen das postulierte Ziel. Geht es darum eine Politikänderung zu erreichen, reicht es wenn 100 Flüchtlinge Asyl in Deutschland bekommen?
Die verschiedenen Varianten sind nicht nur unterschiedlich appetitlich zu debattieren, sie sind auch unterschiedlich ausgeglichen.
Ein Redner kann meist nur einen Teil der möglichen Argumente eines Themas überblicken. Daher ist die Einschätzung welche Definition richtig/fair wäre nur aufgrund einer limitierten Grundlage möglich. Wenn man nun als Redner einzelne zentrale Argumentationen übersieht, hält man eine bestimmte Definition für unmöglich. Wenn man fälschlicherweise das Gefühl hat, die von der Chefjury gewünschte Definition gefunden zu haben, sucht man potentiell Ewigkeiten nach einer plausiblen Linie, die aber gar nicht existiert.
Vor allem in einem Format wie BP, in dem Clashes debattiert werden können, die vor einem Publikum sehr einseitig wären, ist es schwierig sich sicher zu sein, ob man nicht doch mal Unschuldige töten sollte um irgendein abstraktes Recht zu wahren.
Die Erfolgschancen einer ersten Regierung erhöhen sich parallel zur Fähigkeit, das Definitionsrecht voll auszunutzen und die unfairste legitime Debatte zu setzen. Für sehr erfahrene Teams ist das schön, für unerfahrene ist das Horror.
Wenn eine erste Regierung eine unausgewogene Debatte setzt (egal in welche Richtung) ist das offensichtlich schlecht. Aber selbst wenn sie die richtige Definition trifft gibt es Probleme: Teams werden meist nach ihrer argumentativen Leistung bewertet, Rollenerfüllung ist ein kleiner Nebenfaktor. Teams verbrauchen also potentiell einen substantiellen Teil ihrer Vorbereitungszeit um am Ende kaum einen Benefit für sich selbst zu haben.
Die Folgen sind Angstschweiß bei Erstis und die Hoffnung auf ein gutes Los bei Finalteilnehmern. Beides ist unnötig.
Die Lösung:

Konrad Gütschow beim Finale der DDM 2015. © Katharina Koerth
Chefjuroren geben keine abstrakten Begriffsklärungen vor sondern Definitionen wie sie in Debatten funktionieren können sowie Beispiele für die Umsetzung des Antrages. Also im Grunde die ersten Minuten der Debatte. Wenn dies schriftlich allen Teams vorliegt, verbraucht es in der Debatte auch nicht so viel Zeit.
Ich glaube, dass mit diesen genaueren Vorgaben viele spannenden Debatten stattfinden können die sonst der Unsicherheit einer Regierung zum Opfer gefallen wären. Das Vertrauen, dass die eigene Position legitim und vertretbar ist, nimmt viel Angst und setzt Energie für zielgerichtetes Denken frei.
Es gibt einen Grund, warum die meisten von uns keine offenen Themen mögen. Denken wir diesen Gedanken ein Stück weiter und entfernen wir einen weiteren Teil an destruktivem Zufall aus dem Debattieren!
Konrad Gütschow/lok.
Konrad Gütschow debattiert seit Beginn seiner Rednerkarriere in Tübingen. Dort war er im Vereinsjahr 2011/12 stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Streitkultur e.V. Konrad gewann verschiedene Turniere, darunter die Süddeutsche Meisterschaft 2014 und die ZEIT DEBATTE Berlin 2016. Er wurde Vize-Weltmeister in der EFL-Kategorie in Chennai 2014 und war bester Redner des Vorrundentabs sowie Finalteilnehmer der Deutschsprachigen Debattiermeisterschaft 2015. Er war zudem Chefjuror des Frischlingscups 2014 und des Hohenheimer Schloss Cups 2015. Aktuell steht Konrad kurz vor seinem Bachelor-Abschluss in Allgemeiner Rhetorik und Politikwissenschaft an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen.
Das Mittwochs-Feature: Jeden Mittwoch ab 10.00 Uhr stellt das Mittwochs-Feature eine Idee, Debatte, Buch oder Person in den Mittelpunkt. Wenn du selbst eine Debatte anstoßen möchtest, melde dich mit deinem Themen-Vorschlag per Mail an team [at] achteminute [dot] de.
Ich denke, dass diese Frage vor Allem das Problem berührt, ob man bei der Themensetzung eher von starken oder eher von schwachen Teams ausgehen sollte. Das ist zum Teil auch eine normative Frage. Ich tendiere dazu, von den Teams lieber zu viel als zu wenig zu fordern, selbst wenn man damit das Risiko eingeht, sie zu überfordern.
Die Offenheit von Themen kann einer ER auch nützen, denn sie gibt ihr mehr Freiheiten, kreativ zu werden und einen Case zu entwickeln, den sie mit ihren Kenntnissen und Wertungen gut vertreten können. In den von Dir beschriebenen Themen muss man in der ER sehr gut differenzieren, hat dann aber oft gute Chancen, die Debatte auch zu gewinnen. (Die Debatte wird dabei aber auch nicht völlig unvorhersehbar für die folgenden Teams.) Diese Freiheit nützt aber natürlich nur starken ERen was, die wissen, was sie tun (müssen).
Ich glaube, Dein Vorschlag würde der ER vor Allem das strategische Denken abnehmen. Framing und strategisches Denken sind aber Fähigkeiten, die in meinen Augen viel von der Horizonterweiterung ausmachen, die man beim Debattieren erhält.
Mensch Jonathan. Das wollte ich gerade sagen. DebattiererInnen müssen, so mein Credo, gerade auch vor Publikum die Praxisnähe und gesellschaftliche Relevanz ihrer Ideen und Argumente glaubhaft machen können, dazu gehört auch immer und ganz prominent die Frage der Umsetzung und Implementierung. In den Vorrunden haben wir uns davon entfernt. Dem Debattieren diesen Prüfstein zu nehmen, wird die Fähigkeitspalette einer Rednerin oder eines Redner enorm schmälern, weil was beim Debattieren an Taktikwissen nicht gelernt wird, steht auch außerhalb nicht zur Verfügung.
Wenn die Themen das Problem sind: Nehmen wir alle Artikel über gute Themen von allen guten CJ zusammen, die wir bisher im MiFi lesen durften und wir wissen, wie gute Themen aussehen (sollen).
Die Lösung, die du Konrad, suchst lautet, sich zu fragen: Was würde eine vernünftige Regierung in der echten Welt im Parlament beantragen? Wurde es schon einmal irgendwo so gemacht? [Der sog. Fischer-Test] Genau das beantragt man und debattiert es. Kurz gesagt: der Job der Ersten Regierung ist es, aus dem Thema die Debatte zu machen. Wenn das Thema so gestellt ist, dass das Parlament die Regierung hochkant rausschmeißen würde, stimmt was mit dem Thema insgesamt nicht.
#ErsteRegMussSichWiederLohnen #MakeOGgreatAgain
Plus: wenn man Origami-Frösche falten kann (sh. Symbolfoto), kann die Zeitnot nicht so arg sein.