Jurierqualität 2015/2016 – ein Rückblick von Barbara Schunicht

Datum: 17. August 2016
Redakteur:
Kategorie: Jurieren, Mittwochs-Feature

Es gibt kein gutes Turnier ohne gute Juroren.

Abstrakt stets bekannt, kam dieser Tatsache vor allem in den letzten anderthalb Jahren eine zuvor nicht dagewesene Beachtung zu. Aus vielen Richtungen wurde an einer Verbesserung der Jurierqualität gearbeitet. Zeit für ein kurzes Innehalten und Zurückblicken auf das bisher Erreichte, um zu sehen, wo wir als Debattierszene stehen und wie es von hier weitergehen kann.

Juror*innenförderung auf Turnieren
Turniere sind nicht nur ein Ort für spannende Debatten, anregende Gespräche und tolle Socials, sondern auch ein Ort der Wissensvermittlung. Insbesondere Redner*innen profitieren seit jeher von dem Feedback, das ihnen nach den Runden gegeben wird. In der vergangenen Saison wurden aber konsequenter als je zuvor seit Jahren existierende Ideen zur Juror*innenförderung auf Turnieren umgesetzt:

Jurorenpanel im Finale der ZEIT DEBATTE Hamburg 2016 - © Felix Schledding

JurorInnen im Finale der ZEIT DEBATTE Hamburg 2016 – © Felix Schledding

Insbesondere auf den vier großen ZEIT DEBATTEN gab es institutionalisierte Juror*innenförderung. Zudem merkte man auch auf vielen Turnieren eine besondere Anstrengung aller Beteiligten, insbesondere auch der Organisator*innen, Juror*innen für ihre Arbeit wertzuschätzen, ihnen Anerkennung zu geben und dies mit netten Gesten zu unterstreichen, z.B. mit einem Freigetränk auf der Party. Ferner gab es auf nahezu allen Turnieren schriftliches Juror*innenfeedback, das zum Ende des Turniers an diese ausgehändigt wurde. Über die ganze Saison hinweg wurde zudem Wissen unter den Chefjuror*innen über eine Positivliste weitergegeben, welche (Nachwuchs-)Juror*innen ihnen auf ihren Turnieren besonders positiv aufgefallen sind. Ebenfalls sehr spannend ist der vom DC-Göttingen eingebrachte Antrag für die diesjährige VDCH-MV, Juror*innen in der DDL-Wertung für die Clubs zu berücksichtigen.

Die ZEIT DEBATTE Göttingen 2015 tat sich nicht zuletzt dadurch hervor, dass sie neben einer exzellenten Versorgung aller Teilnehmer für die Juror*innen noch einen „oben drauf“ setzen konnte, indem sie beispielsweise motorisierte Transfers für die Juror*innen des späten Viertelfinales ermöglichte, sowie einen ersten Zugriff der Juror*innen am reichhaltigen Buffet des Samstag-Socials.

Auf der ZEIT DEBATTE Hamburg 2016 gab es zweimal nach einer Runde extra eingeplante 15 Minuten für die Juror*innen, einander gleichberechtigt Feedback zu geben und sich über die Jurierung der Debatte zu unterhalten. Anders als bei einem klassischen Mentoring-Programm sollte so ein allgemeiner Austausch zwischen den Juror*innen gefördert werden und eine Gelegenheit für Fragen geboten werden, die sich vielleicht aus der konkreten Debatte ergeben hatten. Gerade in der ersten der beiden Runden funktionierte dies in vielen Räumen auch sehr gut. Für die zweite Runde zeigte sich aber, dass es helfen könnte, insbesondere den Hauptjuroren zuvor einige Ideen an die Hand zu geben, über was in diesen 15 Minuten gesprochen werden kann, wenn es keine konkreten Fragen gibt. Dies könnte zum Anlass genommen werden, eine Feedbackkultur von Juror*innen untereinander und eines konstruktiven Feedbacks zum Jurieren zu entwickeln.

Jule Biefeld juriert eine Debatte in Berlin. © Anna Mattes

Jurorinnen bei der ZEIT DEBATTE Berlin 2016 – © Anna Mattes

Die ZEIT DEBATTEN Berlin und Leipzig 2016 hatten institutionalisierte Mentoring-Programme für Juror*innen. Juror*innen wurde bei der Anmeldung die Möglichkeit gegeben, sich als Mentee oder Mentor*in zu bewerben. Sodann wurden vor dem Turnier Mentoring-Paare erstellt und je ein Mentee einem erfahrenen Juror oder einer erfahrenen Jurorin zugeteilt. Diese Paare jurierten dann mindestens zwei Runden auf dem Turnier zusammen, soweit dies setzungstechnisch möglich war. Hierdurch entstand eine einfache Möglichkeit, über das Turnier hinweg vertrauensvoll Fragen zum Jurieren zu stellen und ggf. auch ein direktes Feedback über Fortschritte auf dem Turnier zu bekommen. Die Chefjuror*innen der beiden Turniere empfehlen wärmstens, ein Mentoring-Programm auch auf zukünftigen Turnieren anzubieten, da der Aufwand verhältnismäßig gering ist und die Rückmeldungen sehr positiv gewesen sind. Die neueren Tabprogramme erlauben eine automatische gemeinsame Setzung der Mentoring-Paare, so dass sich diese Maßnahme auch insoweit gut umsetzen lässt.

Die ZEIT DEBATTE Leipzig hatte darüber hinaus eine finanzielle Förderungsmöglichkeit für erfahrene Jurorinnen aus hierfür zweckgebundenen Fördermitteln des Gleichstellungsbüros der Universität. Derartige spezielle Förderungstöpfe könnten auch auf anderen Turnieren angefragt werden. Die übrigen Teilnehmer haben hiervon zwar keine finanziellen Vorteile; sie können aber von der Erfahrung und dem Feedback der erfahrenen Juror*innen profitieren. Zudem reduziert sich die Querfinanzierung durch die anderen Teilnehmer, falls Juror*innen günstigere Teilnehmerbeiträge angeboten werden sollen.

Die DDM 2016 hatte zwar kein Mentoring-Programm; über die vielen Runden hinweg wurde aber besonders viel schriftliches Feedback für die Juror*innen gesammelt und später anonymisiert an diese ausgehändigt. Zudem gab es einen umfangreichen Juriertest mit ausführlicher „Lösung“, welcher zusammen mit dem aktualisierten BPS-Jurierleitfaden gerade jüngeren Juror*innen eine Möglichkeit bot, Antworten auf Fragen zum Jurieren zu finden.

Jurierseminare
Jurierseminare haben sich als feste und effektive Institution der Juror*innenförderung etabliert. Verteilt über das Jahr und ganz Deutschland bieten sie eine sehr gute Möglichkeit, Wissen über das Jurieren zu vermitteln. Gerade für kleinere Clubs, die vielleicht noch keine sehr erfahrenen Juror*innen unter ihren Mitgliedern haben, von denen sie lernen können, sind die Seminare eine ideale Anlaufstelle, um ihre Juror*innen zu schulen. Für fortgeschrittene Juror*innen bieten sie zudem gerade im zweiten Halbjahr der Saison vor der DDM regelmäßig eine Gelegenheit zum Austausch auch über kompliziertere praktische Jurierfragen. Es bleibt daher sehr zu hoffen, dass Jurierseminare auch in Zukunft stattfinden und durch den VDCH gefördert werden.

Der Jurier-Think-Tank

Eine Neuerung war 2015 die Etablierung des Jurier-Think-Tanks. Die Idee war, einen Ort zu schaffen, an dem abseits vom Stress eines Turniers jurierinteressierte Personen zusammenkommen können, um gemeinsam das Jurieren voranzubringen. Im Zentrum steht die Sammlung von Wissen und unterschiedlichen Ansichten. Jurieren ist keine exakte Wissenschaft wie die Mathematik – oft geht es um Wertungsfragen, auf die es unterschiedliche Antworten geben kann und deren Antworten sich im Laufe der Zeit ändern können. Umso wichtiger ist es daher, über diese Unterschiede zu sprechen, sowohl um sie überhaupt aufzudecken, als auch um trotzdem eine faire Jurierung auf Turnieren sicherzustellen.

Gruppenarbeit beim Thinktank Barbara Schunicht - © Daniil Pakhomenko

Gruppenarbeit beim ersten Thinktank – © Daniil Pakhomenko

Der erste Jurier-Think-Tank griff diese Komplexität auf und strebte eine allgemeine Bestandsaufnahme an, welche Fragen sich bezüglich des Jurierens an sich stellen. Entsprechend vielfältig waren die diskutierten Beiträge. Alle Vorträge und die dazu veröffentlichten Papers lassen sich auf dem Blog für Jurierqualität aufrufen. Auch hier auf der Achten Minute erschienen viele der Beiträge in leicht verkürzter Form und lassen sich über den Suchbegriff „Jurier-Think-Tank“ finden.

Der zweite Jurier-Think-Tank war deutlich spezieller angelegt und beschäftigte sich explizit mit den Anforderungen an das Chefjurieren. Dieser Schwerpunkt wurde bewusst gesetzt, weil Chefjuror*innen sehr wichtige Multiplikatoren darstellen, um die Jurierqualität auf Turnieren zu sichern und zu fördern. Durch die Setzung von Juror*innen und die gezielte Ansprache von Juror*innen im Vorfeld des Turniers haben sie erhebliche Möglichkeiten, auf die Ausbildung und Förderung von Juror*innen Einfluss zu nehmen. Zusammen mit den Organisator*innen eines Turniers gestalten sie zudem maßgeblich das Juriererlebnis auf einem Turnier, wodurch ihnen eine erhebliche soziale Verantwortung für den Jurorenpool zukommt. In Diskussionen und Arbeitsgruppen auf dem Think-Tank wurden Handreichungen erarbeitet, die in der Folge noch weiter aufbereitet und vertieft wurden. Das Ergebnis sind nunmehr ausführliche und aufschlussreiche Dokumente, die einen Großteil des in der Szene vorhandenen Wissens über das Chefjurieren erstmals bündeln und damit Basis für eine Wissensweitergabe und weitere Diskussion sein können. Während gerade noch letzte redaktionelle Änderungen an diesen Dokumenten vorgenommen werden, werden sie in Kürze allen zur Verfügung gestellt und auf dem Blog für Jurierqualität veröffentlicht werden.

Der dritte Jurier-Think-Tank wird in Hamburg vom 14.-16. Oktober 2016 stattfinden. Anders als bei den Vorherigen wird diesmal die Jurierpraxis im Vordergrund stehen. Es wird sich also um eine Art „Meta-Jurierseminar“ handeln, bei dem es um viele Fragen geht, die klassischerweise auch auf Jurierseminaren unterrichtet werden. Der Think-Tank will aber einen Schritt weitergehen und nicht nur dieses Wissen vermitteln, sondern es vor allem sammeln. Während jede*r Juror*in im Laufe der Zeit beispielsweise eine eigene Art entwickelt, eine Debatte mitzuschreiben, kann es doch sehr vorteilhaft sein, zu erfahren, wie andere diese Herausforderung bewältigen und hiervon etwas für die eigene Methode mitzunehmen. Diesen Austausch soll der dritte Jurier-Think-Tank anstoßen. Die Anmeldung wird in den nächsten Tagen über den VDCH-Verteiler eröffnet und steht allen Interessierten offen!

Fazit

Barbara Schunicht - © privat

Barbara Schunicht – © privat

Dass Jurieren und Jurierqualität wichtig sind, scheint sich von einem bloßen Lippenbekenntnis zur gelebten Realität gewandelt zu haben. Dies ist sehr zu begrüßen und wird in Zukunft hoffentlich nur noch stärker fortgesetzt. Juror*innen leisten auf Turnieren wichtige und teilweise auch harte Arbeit; die eigenen Jurierfähigkeiten zu steigern kostet zudem Zeit und Energie. Wir sollten nicht erwarten, dass Debattier*innen diese Anstrengungen auf sich nehmen, wenn sie hierfür keine Anerkennung und Wertschätzung erfahren und gerade für junge Juror*innen unklar ist, wie sie sich überhaupt verbessern können. Die Steigerung der Jurierqualität ist daher eine Aufgabe, die nur von allen gemeinsam bewältigt werden kann. Umso erfreulicher ist es, zu sehen, an wie vielen Ecken mittlerweile an der Umsetzung genau dieser Aufgabe gearbeitet wird.

Die allgemeine Juriersituation und -qualität im VDCH-Land scheint daher insgesamt auf einem guten Weg zu sein.  Gerade einige kleinere Turniere haben zwar auch in der letzten Saison noch unter einem starken Juror*innenmangel gelitten; dennoch scheint sich auch dieses Problem gegenüber der Vorsaison schon etwas gebessert zu haben. Vor allem aber wird über bestehende Probleme zunehmend gesprochen und Juror*innen immer weniger als selbstverständlich hingenommen. Diese Entwicklung macht Mut für die Zukunft und lässt auf viele gute Jurierungen in der Zukunft hoffen!

 

Barbara Schunicht/jm.

Mittwochs-Feature

Das Mittwochs-Feature: Jeden Mittwoch ab 10.00 Uhr stellt das Mittwochs-Feature eine Idee, Debatte, Buch oder Person in den Mittelpunkt. Wenn du selbst eine Debatte anstoßen möchtest, melde dich mit deinem Themen-Vorschlag per Mail an team [at] achteminute [dot] de.

Barbara Schunicht ist Vorstandsbeirätin des Verbandes der Debattierclubs an Hochschulen e.V. für Jurierqualität. Sie war Chefjurorin der deutschsprachigen Debattiermeisterschaft 2016, sowie zahlreicher anderer Turniere der ZEIT DEBATTEN Serie und der deutschsprachigen Debattierliga. Sie war Deutsche Vizemeisterin im Debattieren 2012 und Finalistin weiterer Turniere, u.a. der ZEIT DEBATTEN Heidelberg 2014 und Göttingen 2015. 2014 gewann sie das Ironmanturnier.

 

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