Der neue Debattierverband ADDC und was er für unsere Szene bedeutet
Ein neuer Debattierverband, der ADDC ist gegründet worden. Der VDCH-Vorstand möchte in diesem MiFi eine Diskussion anstoßen, was das für unsere Szene bedeutet und wie wir uns zu dem Vorhaben positionieren sollen.
2019 diskutierte unsere Szene groß angelegt, ob sich der VDCH (und damit unser studentisches Debattieren) für Nicht-Studierende bzw. v.a. Berufstätige öffnen soll. Die teilweise sehr emotional geführte Debatte kann u.a. hier und hier nachgelesen werden. Die Befürworter der Öffnung argumentieren mit dem Ideal des Debattierens als gesellschaftliche Diskussionsplattform sowie den praktischen Vorteilen, Berufstätige in unseren Verband zu integrieren, anstatt von ihnen Konkurrenz zu bekommen; die Gegner der Öffnung stellten die Wahrscheinlichkeit dieser Konkurrenzsituation infrage und sorgten sich um Fördergelder für das rein studentische Debattieren sowie den Charakter unserer Turniere, „unter sich“ zu sein. Auf der Mitgliederversammlung wurde die Öffnung in all ihren Anträgen abgelehnt– ausgenommen eine Satzungsänderung, dass wir den VDCH auch für Clubs „die sich überwiegend an junge Menschen richten“ (z.B. den DC Hansenberg) öffnen.
Jetzt ist die Angelegenheit wieder aktuell geworden. Weitgehend unbemerkt blieb, dass der Verband der Wirtschaftsjunioren eine eigene „deutsche Debattiermeisterschaft“ ausrichtete (siehe z.B. hier). Nun hat sich im Dezember offiziell der ADDC, der „Allgemeine Deutsche Debattierclub“ gegründet (siehe hier und hier). Anders als der Name vermuten lässt handelt es sich hierbei um einen Debattierverband. Federführend ist der ehemalige Bayreuther Unidebattierer Steffen Hahn. Der ADDC gleicht in vielerlei Hinsicht dem VDCH, Mitglied können Einzelpersonen wie auch Debattiervereine werden. Zu den Unterschieden aber zählt: Er deckt erstens derzeit nur den Raum Deutschland ab; und er ist zweitens nicht nur für junge Menschen offen, sondern alle Altersgruppen (und auch die Clubs im VDCH). Aktuell entsteht sein Internetauftritt. Es soll bereits Interessenten für Clubgründungen im Raum NRW geben, in Städten ohne Hochschule. Der ADDC möchte auf Dauer auch eine Deutsche Meisterschaft (im OPD-Format) ausrichten.
All das muss erst einmal nicht viel bedeuten; die Angelegenheit ist noch sehr jung. Wie viele Clubs dem ADDC beitreten, wie viele Menschen sich in ihm engagieren, ob er sich dauerhaft und groß etabliert, muss sich zeigen. Man kann skeptisch sein, ob viele Berufstätige viel Zeit für das Debattieren finden (wobei z.B. die Streitkultur Berlin eine andere Sprache spricht). Trotzdem betrifft uns das Thema als Verband und Szene. Das ADDC-Projekt kann scheitern – aber wenn es doch gelingt, eröffnen sich durch den Parallelverband Chancen und Risiken. Wie wir mit dem ADDC (schon jetzt) umgehen, kann folglich langfristig Auswirkungen auf das deutschsprachige Debattieren haben:
Welche Chancen gibt es?
Chancen ergeben sich aus der Prämisse, dass der zweite Verband eher additiv bzw. verstärkend als konkurrierend zu uns wirkt:
- Der ADDC könnte generell für mehr Aufmerksamkeit für den Debattiersport sorgen. Seine Öffentlichkeitsarbeit könnte auch uns bekannter machen.
- In einer Idealwelt würde es eine enge Zusammenarbeit zwischen Schüler-, Hochschul- und Berufstätigendebattieren geben, bei der man nahtlos von einer Debattierwelt in die nächste wechselt und gleichzeitig auch Turniere der gleichen Alters- und Erfahrungsstufe behält sowie die Einzelverbände klein genug bleiben, um sich gut koordinieren zu können.
- Aus dieser Sicht würde es dann auch keine finanzielle Konkurrenz geben, weil finanzielle Förderer entweder gezielt Schüler, Studierende oder Erwachsene unterstützen würden und wir im Gegenteil sogar als Netzwerk agieren könnten.
Welche Risiken gibt es?
Dreht man die Perspektive um und geht davon aus, dass ADDC und VDCH sich nicht in ihrer Wirkung gegenseitig verstärken, sondern schwächen bzw. kannibalisieren, verändert sich das Bild:
- Wir würden um öffentliche Aufmerksamkeit konkurrieren: Nicht so „süß“ wie das Schuldebattieren, nicht mit dem gesamtgesellschaftlichen Anspruch wie der ADDC. Unsere Deutschsprachige Meisterschaft könnte diesen Titel weniger gerechtfertigt beanspruchen wie eine, die wirklich alle Altersgruppen abdeckt (gesetzt der Fall, dass diese ähnlich groß würde).
- Wir würden in Förderkonkurrenz treten.
- Wir würden um Clubs, Personal und Turniere konkurrieren. Im Zweifel wären einige Debattiervereine in beiden Verbänden Mitglied– aber für wen würden sie ihre Turniere ausrichten?
- Es ergäben sich Koordinationsprobleme: Was, wenn die Satzung des ADDC und des VDCHs von ihren Mitgliedern Unterschiedliches verlangen? Kann man künftig für Turniere Mitglieder beider Verbände einladen? Wie geht man mit der Formatfrage um, wo es ja jetzt schon eine Kluft zwischen Schul- und Unidebattieren gibt?
Und jetzt?
- Was bereits passiert ist: Ursprünglich war Steffen Hahn vor einem Monat auf uns zugekommen, weil er einen Berufstätigenclub in Viersen gründen wollte. Wir sind mit ihm sehr freundlich umgegangen, mussten ihm aber kommunizieren, dass wir nach Satzung und MV-Beschluss von 2019 nur Clubs aufnehmen können, die sich an junge Menschen richten. Dies wollte er nicht; stattdessen hat er den ADDC ins Leben gerufen. Er versichert uns, dass er alles tun möchte, um Konkurrenz zu vermeiden. Wir haben ihm zugesagt, uns mit der Szene zu beraten und ansonsten keine festen Zusagen gemacht.
- Was nun passieren soll: Wir als Vorstand können und wollen in dieser Angelegenheit nicht über euren Kopf hinweg entscheiden. Wir haben auch noch keine klare Position in der Sache festgelegt. Natürlich müssen wir am Ende Entscheidungen treffen, bevor dann die MV später im Jahr das Wort hat, aber dafür wollen wir Stimmungen und Argumente einsammeln: Soll der VDCH auf die Entwicklung reagieren, wenn ja, wie? Bringt der ADDC Vorteile oder Risiken? Falls letzteres: Wie könnte man diese Risiken minimieren? Auf welche Vision einer Verbandsstruktur soll sich das deutschsprachige Debattieren hin entwickeln?
Diskutiert darüber gerne in den Kommentaren. Oder schreibt uns. Oder sprecht uns an. Vielleicht werden wir den Prozess der Rückmeldung auch nochmal strukturieren, damit wir nicht nur diejenigen hören, die sich trauen, öffentliche MiFi-Kommentare zu schreiben. Einzige Bitte: Bleibt sachlich bzw. freundlich. Wie immer in der digitalen Kommunikation (zumal unter streitlustigen Debattierenden) schaukeln sich Konflikte und Missverständnisse schnell hoch.
Also: Geht mal mit ein paar Gedanken an die Zukunft des Debattierens in die Zeit zwischen den Jahren. Aber vergesst auch nicht, an Silvester mal abzuschalten 😉
Der Vorstand des VDCH – Sven Jentzsch, Constanze Keck, Georg Maxton, Johannes Meiborg /jgg.
Liebe alle,
die Vision, dass man vom Schuldebattieren über das Unidebattieren in das Debattieren für Berufstätige kommt, finde ich eine sehr schöne Vision.
Ich selbst kam damals aus dem Schuldebattieren erst mit der Zeit im Unidebattieren an. Zu meiner Zeit (2010-2015) sind m.E. viele potentielle Debattierende vom Schuldebattieren nicht in das Unidebattieren übergegangen. Die Kluft der Fomate und die Art diese auszutragen erschien mir wenig für Synergien förderlich. Das gelang zu meiner Zeit z.B. bei Model of United Nations mit der Transition vom SchülerMUN hin zum UniMUN besser. Bei MUN war er geradezu die Perspektive an der Uni dann in das UniMUN zu gehen.
Es mag sicherlich mannigfaltige Gründe geben und es ist auch ein subjektiver Eindruck. Das Unidebattieren habe ich auch nicht als immer sehr trennscharf erlebt, wie lange man ein Studierender ist. Wie ist es mit Doktoranden oder wie ist es mit einem Zweitstudium? Ab wann ist man mehr Berufstätiger und kein Studierender mehr?
Es scheint großes Glück zu sein, dass gegenwärtig jemand den neuen Verband leitet, der eine Konkurrenz vermeiden will. Gleichzeitig ist dies m.E. eine gute Chance zumindest „Kooperationsvereinbarungen“ zu verschriftlichen und Strukturen zu schaffen, welche einen Austausch und Synergien begünstigen. Dies könnte z.B. sein, dass der neue Verband bezüglich der OPD auch Anträge an die Regelkommission stellen darf. Ich glaube, man darf die einende Wirkung eines gemeinsamen Formats nutzen und antizipieren. Auch in der Geschichte des VDCH kann man sehen, dass manche Dinge exzellent liefen, solange entsprechende Personen involviert waren. Mit einer pragmatischen Vorrausleistung kann man Strukturen schaffen, welche auch nach einer Person oder interpersonellen Synergien trag- und zukunftsfähig sind. Natürlich habe ich da kein Patentrezept, ich denke es geht eher um die Haltung. Wenn die Haltung eine offene und wohlwollende ist, kann man als VDCH eine reziproke Resonanz erwarten.
Fehlender Austausch und kategorischer Ausschluss von Partizipationsmöglichkeiten wären m.E. kritisch einzustufen. Vor dem Hintergrund der neuen Tendenzen wäre eine konsequente Benennung als z.B. „Studierendendebattieren“ analog zum Schülerdebattieren (m/w/d) eine zu überlegende Differenzierung um die zunehmende Diversität der Deutschen Debattierlandschaft auch sprachlich anzunehmen und darauf aufmerksam zu machen.
Ich finde es toll, dass Ihr die Debatte transparent führt.
Grüße aus Heidelberg.
Vielleicht ist diese Verbandsgründung am Ende ein Impuls, zu fusionieren?
Oder das der VDCH seine Fokussierung auf junge Menschen aufgeben wird,
Ein Punkt der mich jetzt sehr skeptisch macht, im Artikel oben steht “ Er deckt erstens derzeit nur den Raum Deutschland ab; und er ist zweitens nicht nur für junge Menschen offen…“
In dem Zeitungsartikel (https://www.meine-woche.de/staedte/viersen/allgemeine-deutsche-debattierclub-addc-in-viersen-gegruendet_aid-64292505) steht aber vom Gründer bereits „Auch für Schüler*innen sei der ADDC offen.“ Damit kann ich kaum glauben, dass es zu keiner Konkurrenzsituation kommt.
In der Öffentlichkeitsarbeit wird es mit zwei Meisterschaften auch sehr schwierig werden.
Nach 10 Jahren Debattieren im Club meiner Universitätsstadt wünsche ich mir – mittlerweile im siebten Lebensjahrzehnt angekommen – entweder, daß ich noch solange wie möglich mit Personen zusammen debattieren kann, die im Durchschnitt vierzig Jahre jünger sind als ich, oder, daß sich dort, in Marburg, mehr Berufstätige finden, die zu regelmäßigen Debatten bereit und fähig sind. Aber wer soll ihnen, den Älteren das lehren? Ein Engagement, das von den Jungen hier für Training, Ausrichtung von Turnieren etc. aufgebracht wird, läßt sich nur von PensionärInnen leisten. Ich bin noch ein Jahr berufstätig und könnte den zeitlichen Aufwand, den unsere Vorsandsmitglieder erbringen, nicht leisten. Umsomehr bin ich dankbar, daß ich mit den jungen Menschen zusammensein kann. Kurzum: Ich sehe kein Problem der Konkurenz zwischen den Alten und den Jungen, sondern sehe die Frage, ob es wirklich zu einer nennenswerten Vereinsgründung von Berufstätigen für das Debattieren kommen wird, und wenn ja, in welchem zeitlichen Verlauf. Bis dahin erlebe ich mit großer Freude den geistigen Elan der StudentInnen in der offensten Zeit ihres Lebens.