Mehr als Showdebatten und Discordserver – die Vorstandsarbeit im VDCH
Der Dachverband der deutschsprachigen Debattierclubs ist der VDCH, dessen Vorstandsarbeit die Szene zu einem maßgeblichen Teil gestaltet und prägt. Auf welche Weise sie das tut, wie die Arbeit konkret aussieht und was passiert, wenn große Pläne auf harte Realitäten treffen, zeigt ein Blick auf die Erfahrungen des letzten Vorstands.
Die Szene durch Showdebatten einem größeren Publikum öffnen und sichtbarer werden, die Vielfalt im Debattierendenspektrum stärken und Sponsoren- und Förderverträge abschließen – Visionen, die sich der VDCH-Vorstand 2021/22 zu eigen gemacht hatte. Als vollendet sehen die ehemaligen Vorstandsmitglieder ihr Bestreben nicht, was vor allem an den vielen kleinen Vorstandsaktivitäten liegt die nötig sind um das Tagesgeschäft, insbesondere in „Post-Pandemiezeiten“, am Laufen zu halten, aber manchen dieser Ziele sind sie zumindest näher gekommen.
Im August dieses Jahres verabschiedeten sich Sven Jentzsch (Präsident), Constanze Keck (Finanzen), Georg Maxton (Turniere) und Johannes Meiborg (Öffentlichkeitsarbeit) aus ihren Ämtern. Zufrieden mit dem Erreichten sind sie trotzdem. Sven zu Folge stand das Amtsjahr 2021/22 unter der Überschrift „die Szene aus der Pandemie führen“. Nach einer Saison der reinen Onlineturniere wollte der Vorstand ab dem Sommer 2021 trotz bevorstehender nächster Coronawelle die onlinebedingt abgerissenen Fäden der Clubvernetzung wieder aufnehmen und festigen. Dazu zählten Aktivitäten wie Präsenzturniere und -veranstaltungen, aber auch aus dem Fokus gerückte Dinge wie zum Beispiel die Überarbeitung des Debattierwikis und die Beschaffung neuer Förderverträge.
Ex-Vizepräsident Johannes stellt fest, dass sich sein Vorstand dank des Vorgängervorstands viele Projekte betreffend „ins gemachte Nest setzen konnte“. Beispielsweise standen mit Amtsantritt bereits weite Teile der Planung des RWI-Wirtschaftsgesprächs. Dabei handelt es sich um eine Showdebatte, bei der in mehreren Runden je eine Person des VDCH-Landes gegen einen Gast des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung antritt. Eine Neuauflage der Veranstaltung haben die vier Vorstandmitglieder für diesen November zu organisieren begonnen. Weiterhin auf ihrer Agenda standen nach dem Erfolg dieses Formats andere Showdebatten, die in den kommenden Monaten für Aufmerksamkeit sorgen werden.
Ein maßgeblicher Teil des Wiederaufbaus nach Corona war die Besuchstour im Herbst 2021 gewesen, während derer sich der VDCH-Vorstand bei den Clubs via Zoom erkundigt hatte, wie sie die Onlinephase überlebt hatten. Dabei konnte der Vorstand in Erfahrung bringen, dass die Szene zwar geschwächt worden war, es sie aber nicht so hart getroffen hat wie zum Beispiel Sportarten, die nicht so einfach in den Onlinebetrieb wechseln konnten. Im Rahmen ihrer Telefonate stießen Sven und die anderen Vorstandsmitglieder auf eine motivierte neue Generation an DebattiererInnen. Der VDCH-Vorstand machte es sich deshalb in der Folge zur Aufgabe, als Motor für den Austausch zwischen den Generationen zu fungieren.
Neben dieser koordinativen Arbeit, die sich sicherlich vom Vorstandsdasein in einem Club abhebt, sieht Sven zwei grundsätzliche Stränge der Vorstandsarbeit: Verwalten und Gestalten. Ehe ein Vorstand Spielraum hat, die Szene zum Beispiel durch die eingangs erwähnten Projekte aktiv zu gestalten, muss zuerst das Tagesgeschäft erledigt werden – die Verwaltung. Wie im alltäglichen Leben sieht man von außen dabei nur die Spitze des Eisbergs. Diese wird zum Beispiel am eingeführten Discordserver, den VDCH-Clubabenden und überall dort sichtbar, wo das VDCH-Logo auf Dokumenten oder Broschüren prangt. Parallel geschehen aber viele Dinge unter der Oberfläche und bilden das weniger bis gar nicht an die Öffentlichkeit dringende Verwaltungsfundament. Dazu zählen unter anderem die Abrechnungen der Campus-Debatten, Kontakte zu Medienvertreterinnen und -vertretern und anderen Verbänden, sowie die Arbeit an längerfristigen Projekten, deren Früchte erst in einer späteren Saison geerntet werden können.
Entgegen seiner ursprünglichen Planung, aktiv Neues in die Szene zu bringen, war Sven recht bald mit vielen kleinen, aber enorm zeitfressenden Aufgaben beschäftigt. Dazu zählten beispielsweise die Organisation der Vorstandssitzungen, die einer strategischen Planung, sowie Vor- und Nachbereitung bedurften, die Unterstützung von (potentiellen) Neumitgliedern des VDCH und die Repräsentation in der Öffentlichkeit auf Veranstaltungen und Showdebatten.
Besonders herausfordernd für den ehemaligen Präsidenten persönlich war dabei, es nicht allen Menschen recht machen zu können. Je größer die Gruppe an Menschen, über die ein Vorstand die Verantwortung trägt, desto mehr Konflikte gehen mit dem Amt einher. Dieser Aspekt des Präsidentendaseins war eine Herausforderung, mit der Sven im Laufe des Jahres immer besser zurechtkommen musste und auch kam. Auch die ein oder andere ungeplante Presseanfrage oder nicht einkalkulierte Nachricht raubte Sven hin und wieder Schlaf. Außerdem gibt es immer Dinge, die man noch über das Erreichte hinaus hätte anpacken können: „Menschen träumen weiter als sie handeln können, das trifft insbesondere auf mich im Präsidentschaftsamt zu.“
Angenommen es wäre August 2021. In dieser imaginären Zeitreise würde sich Sven wünschen, einige Projekte während seines Zuständigkeitsjahres fertigzustellen. Durch die Verknotung einzelner Projekte untereinander ist beispielsweise die geplante Begrüßungsmail für alle Clubs wegen der noch laufenden Wikiüberarbeitung nicht verschickt worden. „Das wäre natürlich ein cooles Gefühl gewesen, das Projekt fix und fertig an den neuen Vorstand übergeben zu können.“ Auch ein stärkeres Wachstum der Szene durch Förderverträge oder das Stärken von Showdebatten nennt Sven als Dinge, die er gerne angegangen wäre, hätten es die Kapazitäten zugelassen.
Trotz der Selbstkritik nimmt Sven viel aus seiner Amtszeit beim VDCH mit. Erstens das Koordinieren und das zeitgleiche Arbeiten an mehreren Baustellen. Dazu kommt die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen und nicht immer noch eine Schleife anzuhängen, sondern dann im finalen Stadium auch mit Widerständen zu leben. Drittens die Erkenntnis, dass Dinge sich auch ohne ein Top-Down-Eingreifen aus sich heraus entwickeln, und, dass das manchmal besser für alle Beteiligten ist. „Ich habe viele Fehler gemacht und bin einfach dankbar für die daraus resultierten Selbstlernprozesse“, sagt Sven im Rückblick auf die Amtszeit. „Mir fiel es teilweise zudem schwer, hinzunehmen, dass ich keine so eindeutige Aufgabe hatte“, ergänzt er. „Constanze, Georg und Johannes haben in ihren Metiers routiniert, selbstständig und super zuverlässig agiert, da hatte ich schon ein schlechtes Gewissen.“
Den kommenden Vorständen rät der letztjährige Präsident, ihr eigenes Ding zu machen! Persönlich ist ihm weiterhin wichtig, die Vielfalt in der Szene zu stärken und die häufig grün-linke Debattierblase heterogener zu gestalten. Auch nächste Wachstumsschritte hält Sven für realistisch: „Wir werden kein Volkssport werden, aber das Potenzial, sichtbarer zu werden und in breiten Teilen der Gesellschaft ins Bewusstsein zu rücken, ist allemal da.“
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Das Artikel-Vorschaubild zeigt den VDCH-Vorstand 2021/22 und stammt von Sven Jentzsch.
hb./lok.