Vor- und Nachteile des Debattierens

Datum: 28. August 2024
Redakteur:
Kategorie: Mittwochs-Feature

Wie die meisten menschlichen Tätigkeiten, mit denen wir uns auf dem Weg zum Tod die Zeit vertreiben, bringt das Debattieren Vor- und Nachteile mit sich. Ich möchte sie folgend auflisten, damit Menschen informierte Entscheidungen darüber treffen können, wie sie sich von der gähnenden Leere ablenken, die jenseits des Lebens lauert. Und weil ich gerade Hegel gelesen habe (nicht wirklich – so wie alle habe ich nur einen Podcast über einen Aufsatz gehört, der eine Theorie von Hegel erwähnt), wird die Auflistung dialektisch und in sieben Punkten geschehen. (Sieben ist die Ziffer, die am häufigsten in Hegels Geburtsjahr vorkommt. Ich erkläre diesen Bezug nur, weil in der Debattierszene auch Naturwissenschaftler sind.)

Jakobus J. – Foto: Eigenaufnahme

Punkt 1: Wissen.

Das Debattieren führt dazu, dass man sich Wissen über die Welt aneignet, gelegentlich auch gegen den eigenen Willen (beispielsweise weiß ich nun mehr über SPD-Parteipolitik als angesichts meiner begrenzten Hirnkapazität sinnvoll wäre). Trotzdem ist es insgesamt als Vorteil zu werten, denn Wissen ist Macht und mit Macht kann man sich Kekse sichern. (Kekse stehen pars pro toto – meine Freundin hat alte Sprachen gelernt und ich möchte sie beeindrucken – für all die guten Dinge des Lebens.)

Das Debattieren führt leider auch dazu, dass man sich vermeintliches Wissen über die Welt aneignet, nur um später festzustellen, dass man belogen, betrogen und hinters Licht geführt wurde. Nehmt deshalb aus Debatten keine Ratschläge mit bezüglich wirklich wichtiger Themen wie Finanzen, Romanzen oder dem Verschwindenlassen von Leichen. Es ist bedauerlich, aber bevor man mit dem in Debatten erworbenen vermeintlichen Wissen hausieren geht, sollte man kurz sein Factchecker-Hütchen aufsetzen. (Falls man kein solches Hütchen hat, kann man sich sehr einfach eines basteln. Man braucht nur eine Prise Wahrheitsliebe, einen Internetzugang und das 99,90€ Factchecker-Hütchen-Selbstbaukit, das auf Anfrage beim Autor erhältlich ist. Für ein vollautomatisches Factchecker-Hütchen braucht man zsätzlich noch einen unterbeschäftigten Journalisten, der aber nicht schwer aufzutreiben sein sollte.)

Punkt 2: Analysefähigkeit.

Wichtiger vielleicht als Wissen (denken zumindest nicht ganz uneigennützig die Philosophen) ist die Fähigkeit der Analyse. Komplexe Fragestellungen und Probleme in einzelne Schritte zerlegen zu können, ist eine überaus nützliche Fähigkeit – im beruflichen wie privaten Leben. (Ich würde an dieser Stelle äußerst gerne liebevoll in das Wesen der Analyse eintauchen, doch ich strapaziere schon so die Geduld meines nichtphilosophischen Publikums.)

Wichtiger als beides, Wissen und Analysefähigkeit, ist es zu verstehen, wie man diese beiden Instrumente in einer gegebenen Situation gewichten sollte. Das Debattieren vernachlässigt ersteres zugunsten letzterem und kann auf diesem Wege einem Ungleichgewicht Vorschub leisten, das manche Menschen auf gar absonderliche Wege führt. (Und Menschen brauchen wahrlich keinen zusätzlichen Anreiz dazu.) Deshalb sollte man stets Wittgensteins griffige (und für ihn ungewöhnlich verständliche) Mahnung im Hinterkopf behalten: „Denk nicht, sondern schau.“ Nur weil sich etwas analytisch herleiten lässt, heißt es nicht, dass es stimmt (siehe String-Theorie, die allermeiste Evolutionspsychologie, Marxismus, 30 % der Dinge, die ich in Debatten höre, 50 % der Dinge, die ich in Wirtschaftsdebatten höre).

Punkt 3: Die Komplexität der Dinge.

Debattiert man eine Weile mit einem halbwegs offenen Geist, dann wird man eine gesteigerte Wertschätzung für die Komplexität der Dinge gewinnen. Denn jedes Debattierthema hat (zumindest wenn die Chefjury nicht mit Anlauf gegen die Wand gerannt ist, was auch mal vorkommt) mindestens zwei vertretbare Seiten.

Eine Wertschätzung für die Komplexität der Dinge klingt schön und gut und ist, beiläufig bei einem ersten Date erwähnt, auf jeden Fall dazu geeignet, intellektuelle Punkte zu sammeln (Effektivität hängt stark vom Gegenüber ab). Ein zufriedeneres Leben hat man aber häufig, wenn man in einfachen Kategorien denken und leben kann. Ebenso untergräbt eine übermäßige Wertschätzung für die Komplexität der Dinge die Fähigkeit, Dinge tatsächlich zu tun bzw. zu Ende zu bringen.

Punkt 4: Menschen

Debattieren ermöglicht einem – und hier biedere ich mich schamlos meinem Leser*innenkreis an – viele freundliche, intelligente, aufgeschlossene, interessante, teilweise merkwürdige Menschen kennenzulernen. Mit diesen Leuten kann man auch abseits des Debattierens viele freudvolle Aktivitäten ausüben.

Um die Symmetrie zu wahren (und ist nicht Symmetrie die Wurzel der Schönheit und Schönheit die Wurzel des Sinns?), müsste ich an dieser Stelle schreiben, was für Nachteile mit dem Kennenlernen von Debattierern und Debattiererinnen einhergehen. Also sei gesagt, dass auch negative zwischenmenschliche Erfahrungen im Debattieren möglich sind. Doch ich habe glücklicherweise den Eindruck, dass diese im Gleichschritt mit der allgemeinen Sensibilisierung/Verweichlichung (nach politischer Orientierung bitte Unerwünschtes streichen) der Gesellschaft deutlich weniger geworden sind.

Punkt 5: Überzeugungskraft.

Man wird gut darin, andere zu überzeugen. Zumindest haben mir das Leute beim Debattieren eingeredet. Und Überzeugungskraft ist nicht nur eine OPD-Team-Kategorie, sondern eine überaus nützliche Fähigkeit, um andere dazu zu bringen, einem Kekse zu geben.

Man wird allerdings bedauerlicherweise auch gut darin, sich selbst zu überzeugen. Ich kann beispielsweise hervorragend herleiten, warum ich es total verdient habe, mich gelegentlich hemmungslos und ungeniert meine niederen Keksgelüsten hinzugeben. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, dass meine besten Debattierleistungen zu solchen Gelegenheiten stattfinden. (Ich wünschte, es wäre anders.) Das stellt ein Problem insbesondere für meine langfristige Gesundheit dar, was wiederum deshalb problematisch ist, weil ich 2082 noch einen festen Termin im Kalender stehen habe.

Punkt 6: Die Seele.

Debattieren kann Bescheidenheit lehren. Das erfordert natürlich zunächst einmal, dass man lernt, Jurierungen zu akzeptieren, was schonmal die Leute ausschließt, die es am nötigsten hätten. (Das bedeutet freilich nicht, dass jede Jurierung immer korrekt wäre. Man erinnere sich nur an die DDM-Finaljurierungen 2016 und 2018.) Wenn man es richtig anstellt, dann wird einem das Debattieren zeigen, dass die eigene Perspektive eine sehr begrenzte ist – keine brandheiße neue Erkenntnis frisch aus dem Ofen, aber nichtsdestotrotz eine wichtige.

Debattieren kann aber auch den in fast jedem Menschen schlummernden Größenwahn entzünden / befeuern / eine Atombombe ins Feuer gießen. Man tut wohl daran, nicht zu vergessen, dass Debattieren nur ein Spiel ist und dass, so behaupten zumindest manche, es ein Leben außerhalb des Debattierens gibt.

Punkt 7: Das Wichtigste.

Debattieren bereitet eine besondere und seltene Art von Freude: die intellektuelle Freude des Verstehens, Durchdringens, Präsentierens, aber ohne die Verantwortlichkeit und dröge Schufterei, die mit tatsächlicher wissenschaftlicher oder politischer Arbeit einhergeht. (Deshalb eine meiner seltenen felsenfesten Überzeugungen: Mehr Runden am Tag sind besser!) Es ist aus diesem Grund schwer, vom Debattieren zu lassen, wenn man erst mal Geschmack an dieser Art von Freude gefunden hat.

Doch nichts kann ewig währen. Wir werden geboren, wir sterben, wir werden vergessen und das Universum stirbt den Kälte/Hitzetod. Und wie das Leben als Ganzes, zieht auch das Debattierleben viel zu schnell vorüber. Im Herbst meines Debattierlebens stehend trauere ich der Zeit hinterher, als ich noch jung und energetisch war und gerne auf Socials ging (oder es zumindest wohlwollend tolerierte). Man startet in das Debattierleben vielleicht naiv, aber voller Zuversicht. Man beginnt all die Kekse zu essen, die einem das Debattieren bietet. Doch zu rasch ist der letzte Kekskrümel weg und Stille weht durch Räume, wo vorher debattierende Stimmen zu hören waren. Doch besser geliebt und verloren zu haben, als nie geliebt zu haben.

 

Zusammenfassend (oder nach Hegel: die Synthese bildend) kann man sagen, dass Zeit, die man dem Debattieren opfert, sich lohnt – vielleicht nicht so sehr, wie es sich lohnt, sein Studium gut abzuschließen, Proust zu lesen oder einen erfolgreichen Banküberfall durchzuführen, aber immer noch mehr als sich an Model United Nations zu beteiligen, Proust zu lesen oder Tinder zu nutzen. Ich gebe dem Debattieren 7/10 Punkten gemessen an allen Tätigkeiten, denen man im Leben nachgehen kann.

(Es ist im Übrigen unnötig, mir zu erklären, dass ich Hegel nicht richtig verstanden hätte. Ich weiß nicht viel über Hegel, aber was ich weiß, ist, dass er nicht verstanden werden möchte. Ich beuge mich also nur seinem Wunsch.)

Jakobus J. ist ein sehr langjähriger Debattierer aus der Rederei Heidelberg, dessen Präsident er zwischenzeitlich war. 2016 und 2018 brachte er es zum DDM-Vizemeister. Er hat darüber hinaus mehrere Turniere chefjuriert und an noch viel mehr teilgenommen.

Das Mittwochs-Feature: Mittwochs veröffentlicht die Achte Minute ab 10.00 Uhr oftmals ein Mittwochs-Feature, worin eine Idee, Debatte, Buch oder Person in den Mittelpunkt gestellt wird. Wenn du selbst eine Debatte anstoßen möchtest, melde dich mit deinem Themen-Vorschlag bei einer der Chefredakteurinnen Annika Hanraths oder Hannah Bilgenroth.

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1 Kommentare zu “Vor- und Nachteile des Debattierens”

  1. Lennart Lokstein sagt:

    Ein Beitrag, der meinen Tag verschönerte, vielen Dank.

Kommentare sind geschlossen.

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