Themen aus der Perspektive undefinierter Akteure – das „objektive Interesse“ als neuer Operator

Datum: 9. Oktober 2024
Redakteur:
Kategorie: Das Thema, Mittwochs-Feature

tl;dr: Leute mögen first-person-Akteursthemen mit unbestimmten Akteuren nicht, weil niemand weiß, was diese Akteure wollen. Der Autor hält viele der in diesen Debatten behandelten Themen aber für interessant und besonders zugänglich. Jedoch existieren für diese derzeit kaum / keine brauchbaren Operatoren. Daher wird vorgeschlagen sich des Begriffs des „objektiven Interesses“ als neuem Operator zu bedienen. Themen würden hierbei etwa mit Formulierungen „Sollte man als Einzelperson objektiv X tun / sich objektiv für X entscheiden?“ oder „Ist Y im objektiven Interesse von X“ gestellt werden.

Im Übrigen wird ein wenig Themenkritik geübt, allerdings nur an vom Autor mitverantworteten Themen und Themen anderer Turniere mit dem neuen Operator abgewandelt, wobei hierin ausdrücklich keine Themenkritik gesehen werden soll.

Der Autor des Mittwochsfeatures: Konstantin Krüger – Bild: Wasserturnier Mannheim / MDU

Was ist eigentlich das Problem?

Debatten mit Akteursthemen (DH als X würde; Sollte man als Y; Ist es im Interesse von Z), die den Akteur unbestimmt lassen, erfahren in der Debattierszene berechtige Kritik. Mit den Maßstäben, mit denen wir an sogenannte „first-person-motions“ herangehen, ist es erforderlich, zu charakterisieren, welche Präferenzen die Person in dieser Situation realistischerweise hätte. Denn es ist für die Entscheidung der Debattenfrage maßgeblich, was die subjektiven Umstände und Präferenzen des Akteurs sind, um zu entscheiden, ob man als X etwas tun sollte.

Positiv-Beispiel: (Hannah-Arendt-Debatten Marburg 2024 Finale)

In der Debatte DH als die chinesische Regierung bereut die Grey-Zone-Tactics im südchinesischen Meer) ist ein relevanter Teil der Debatte zu erklären, was das subjektive Interesse der chinesischen Regierung ist.

In dem vorgenannten Beispiel ist der Akteur (meiner Meinung nach) bezüglich seiner Interessen hinreichend konkretisierbar (daher hier auch keine Themenkritik). Themen, die auf Kritik stoßen, arbeiten unter der gleichen Mechanik, d.h. ein Teil der Debatte läuft auf eine Analyse der Interessen der Akteure hinaus. Da diese Akteure dann teilweise nicht hinreichend bestimmt sind, wird die Debatte kompliziert, spekulativ und geht an der eigentlich intendierten Streitfrage vorbei. In der Folge werde ich dies mit einem Themenbeispiel versuchen darzulegen, dass ich in der Vergangenheit selbst gestellt habe und nach berechtigter Themenkritik in dieser Form wohl nicht mehr so stellen würde. Sich selbst kann man nämlich am besten in die Pfanne hauen.

Negativ-Beispiel: (Halbfinale CD Hamburg 2021)

Infoslide: Du bist eine talentierte Person in ihren Zwanzigern, die kurz vor dem Beginn ihrer Karriere steht. Du hast die Wahl zwischen einem Job, bei dem du viel Geld verdienst, aber für den du keine große Leidenschaft hast (Zum Beispiel: Anwält:in in einer Großkanzlei, Banker:in, Manager:in, Unternehmensberater:in) und einem Job, bei dem du deutlich weniger Geld verdienst, aber für den du eine große Leidenschaft hast. (Zum Beispiel: Künstler:in, Arbeit in einer Hilfsorganisation, Wissenschaftler:in, Köch:in)

Sollte man sich als die Person für ihre große Leidenschaft anstatt für die bessere Bezahlung entscheiden?

Dieses Thema stieß auf berechtigte Kritik, die ich teile. Die talentierte Person in ihren Zwanzigern, die kurz vor dem Beginn ihrer Karriere steht, ist unter dem derzeit gültigen Debattenmaßstab nicht hinreichend konkretisiert. Wir wissen nicht, ob es dieser Person subjektiv sehr wichtig ist, irgendwann Wohneigentum zu haben. Auch wissen wir nicht, wie sich die Leidenschaft bei dieser Person äußert. Wir kennen ihre vorherigen Lebensumstände nicht, die prägend für ihre Präferenzen sein können. Wir wissen also noch weniger über diese Person als über Wirtschaftsdebatten (falls ihr euch von diesem Vergleich nicht angesprochen fühlt, good for you!).

Da diese Themenart also nicht nur die beiden Optionen vergleicht, sondern hinsichtlich ihrer Auswirkung und Abwägung Herleitungen aus den subjektiven Umständen der Person macht, ist es nötig, diese hinreichend zu definieren und zu erläutern. Dies bedeutet auch, dass ein relevanter Teil der Debatte sich zwangsläufig mit der Diskussion dieser subjektiven Umstände (zB Möchte diese Person sehr wahrscheinlich Wohneigentum haben?) auseinandersetzen wird und sollte.

Also verbrennen wir solche Themen am besten für immer und definieren alle unsere Akteure in Zukunft so eindeutig wie möglich?

Für allgemeine Akteursthemen ohne hinreichend klare Bestimmung des Akteurs trifft dieses Statement zu. Dies lässt jedoch eine thematische Lücke. Wir debattieren über die Schaden-Nutzen-Auswirkungen allgemeiner Phänomene in der Gesellschaft und wir debattieren über die subjektiven Interessen von Akteuren in Bezug auf Schäden und Nutzen bestimmter Phänomene. Gewisse Themenkomplexe erhalten aber einen neuen spin, werden erst eröffnet oder die Clashes verschieben sich, abhängig davon, ob wir über die Auswirkungen oder Entscheidungen von Einzelpersonen debattieren oder über die gesamte Gesellschaft. Im Ergebnis fehlt also die Möglichkeit, die Schaden-Nutzen-Auswirkungen allgemeiner Phänomene bezogen auf eine Einzelperson oder eine begrenzte Menge an Einzelpersonen zu debattieren.

Beispiel: (CD Berlin 2024 Runde 5)

Ist eine Welt, in der die überwiegende Mehrheit der Menschen eine optimistische Weltsicht hat, einer Welt vorzuziehen, in der sie eine pessimistische Weltsicht hat?

Dieses Thema funktioniert meiner Meinung nach als Debattierthema (sonst hätte ich es nicht als Chefjury mitgestellt, das wäre unklug). Die Lesenden können dem gerne nicht zustimmen, dies tut erst einmal nichts zur Sache. Es ist aber jedenfalls eine andere Debatte wie sich dies auf ein hypothetisches Individuum auswirkt, bzw. ob es als ein hypothetisches unbestimmtes Individuum zu präferieren wäre, eine optimistische/pessimistische Weltsicht zu haben. Diese würde das Thema auf einen individuellen Clash konzentrieren/fokussieren. Dieser ist zudem meines Erachtens hier auch besonders zugänglich für viele Debattierende. Wie sich das Thema auf ein Individuum auswirkt, wird für die meisten zugänglicher sein als ein hypothetischer Weltenvergleich (der auch interessant ist!). Auch kann der Clash in einem Setting der realen Welt geführt werde, in dem man in verschiedenen Situationen auf pessimistische oder optimistische Menschen trifft. Wie und unter welchen Umständen die Interaktion mit anderen pessimistischen und optimistischen Menschen abläuft kann ohne Weiteres mit dieser Abwandlung anhand der Realität verglichen werden und muss nicht für eine hypothetische Welt hergeleitet werden. Das macht die Analyse zugänglicher. In der realen Welt haben Gesellschaften nämlich gar nicht so oft überwiegende Weltsichten, wie Chefjurierende sich das wünschen. Die Entscheidung zwischen Optimismus und Pessimismus hat auch für die meisten Menschen (mich zumindest) intuitiv zunächst eine subjektive Grundlage. Einfach formuliert: ich denke bei Optimismus und Pessimismus zunächst eher daran, ob ich eigentlich optimistischer oder pessimistischer sein sollte als an einen hypothetischen Weltenvergleich. Meine Intuition ist, dass es den meisten Menschen, die sich nicht viel zu oft mit Debattierthementheorie beschäftigen, auch so geht.

Jedoch findet sich unter den derzeitigen Operatoren kein Weg, eine solche Debatte sinnvoll herzustellen. Die Frage, ob man sich als Einzelperson für den Pessimismus entscheiden sollte, birgt oben genannte Unklarheiten. Soweit man die Einzelperson hinreichend definiert bekäme, wäre dies aber auch eine Debatte, die sich maßgeblich auf deren subjektive Umstände fokussieren würde und nicht auf den inhaltlichen Clash zwischen Optimismus und Pessimismus, der hergestellt werden soll.

In anderen Fällen verschieben sich Streitpunkte der Debatte strategisch in die eine oder andere Richtung. Dies hat Auswirkungen auf die Ausbalancierung von Themen. Betrachtet man beispielsweise den Bereich Klimawandel, sind viele gesellschaftlich relevante Debatten, was Menschen diesbezüglich in ihrem Privatleben unternehmen sollten, mit den derzeitigen Operatoren nicht ausgeglichen. Dies ist der Fall, weil es oft eine gute Idee wäre, wenn viele Leute diese Dinge tun würden (man füge seine Lieblings- oder Hassdebatte über Inlandsflüge, Fleischkonsum, Lieferketten, usw. ein). Meine These ist, dass einige dieser Debatten sich in ihrer Unausgeglichenheit bei einer Entscheidung lediglich des Individuums vermindern (außer Debattierende könnten sauber einen kategorischen Imperativ herleiten und begründen und dann haben sie auch meinetwegen verdient zu gewinnen, aber das ist wohl nicht eines dieser „hinreichend zugänglichen Argumente“). In einer Welt, in der man als Einzelperson im Dickicht klimaschädlicher Entscheidungen die sinnvollen finden muss, bietet eine Debatte, die sich auf die Einzelentscheidungen fokussiert teils ausgeglichenere aber auch hier für Leute besonders zugängliche Debatten.

Nimmt man etwa das Thema der jungen, talentierten Person in ihren Zwanzigern, so ist die Debatte, die das Chefjuryteam wohl interessant fand (ist auch schon drei Jahre her, fragt mich nichts Genaues!) eine, die man im Alltag oder aus Rom-Coms als Pro-Contra Liste, für die eine oder andere Lebensentscheidung kennt. Die zugrundeliegende Streitfrage schien dabei besonders lebensnah und damit zugänglich für viele der Teilnehmenden und eine für viele relevante Fragestellung. Diese Debatte ist kategorisch anders, wenn man gesamtgesellschaftlich debattiert, ob es gut wäre, wenn wir alle unserem Leidenschaftsberuf folgen würden und sie ist auch limitiert, wenn wir diese Debatte für eine spezifische, definierte Einzelperson führen. Möglicherweise wäre es aber gerade interessant, sich zu fragen, was eigentlich die Vor- und Nachteile dieser Lebensentscheidungen für Personen sein könnten.

Die beschriebene Themenart ist also aus den oben beschriebenen Gründen derzeit schwer zu stellen, da es wenig bis keine vernünftigen Operatoren dafür gibt, zu debattieren was man als Einzelperson tun sollte / was im Interesse eines als Einzelperson handelnden Menschen ist. Natürlich kann man diese Debatten teils über moralische Pflichten von Einzelpersonen setzen, dies hat jedoch eigene Probleme und deckt auch nur einen Teil der Debatten als realistische Option ab. Ich finde zumindest eine moralische Pflicht beispielsweise zum Pessimismus eher abwegig. Auch die Formulierungen „Sollte man“ oder „DH glaubt, man sollte“ werden derzeit eher als allgemeine Aussagen über jedenfalls eine Mehrzahl der Menschen in der Gesellschaft verstanden (quasi als allgemeines Handlungsprinzip).

Im Rahmen der Vorbereitung habe ich für diese Art der Debatte auch in Erwägung gezogen, Themen wie folgt zu stellen: DH glaubt, dass Phänomen X einem Akteur Y mehr schadet als nützt.

Dies umfasst jedoch nicht alle dieser Themen (zB was ein Akteur tun sollte) und macht in seiner Formulierung die Abgrenzung zur subjektiven Akteursanalyse nicht hinreichend klar, sodass ähnliche Probleme auch hier auftreten.

Gleichzeitig bieten diese Themen mit unbestimmten Einzelpersonen aber eine weitere derzeit ungenutzte Spielart von Debattierthemen, die häufig Themen ausbalancieren kann und oft sehr interessante, zugängliche Streitfragen beinhaltet. Dass wir sie derzeit nicht sinnvoll setzen können, ist also schade.

Wie lösen wir das?

Diese Themen funktionieren also nur dann, wenn das subjektive Interesse (Was würden diese Leute aufgrund ihrer subjektiven Umstände und Prägungen präferieren / Was wäre aufgrund dieser subjektiven Umstände besser?) aus diesen Debatten weitgehend eliminiert werden würde. Die Prämisse, unter der das Beispiel der jungen Person funktionieren würde, wäre dass sich die Debatte nicht daran entscheidet, welche subjektiven Präferenzen diese Art von Personen wahrscheinlich hat, sondern welche objektiven Gründe für oder gegen diese Entscheidung, die von einer Einzelperson getroffen wird, sprechen würden. Natürlich könnte sich eine Person mit starken subjektiven Präferenzen dann immer noch nach Anhören der Debatte dagegen entscheiden (manche müssen ja auch Banker werden). Für Leute mit besonderen subjektiven Präferenzen und Entscheidungen wäre dies auch aufgrund dieser gegebenenfalls die richtige Entscheidung. Diese Abwägung wäre dann Kern einer DH als X-Debatte, jedoch nicht der herzustellenden Debatte.

Hier soll jedoch im Kern das Phänomen oder die Handlung debattiert werden, allerdings in ihrem Bezug auf die Einzelperson. Dies wäre dann nicht anders als die Debatte über ein Antragsthema, die sich auch nicht daran entscheidet, ob die Wahlbevölkerung sowas tatsächlich wollen würde, sondern ob es objektiv wertungsmäßig eine gute oder eine schlechte Idee wäre. Da die derzeitigen Operatoren die umschriebene Themenart nicht abdecken, bedarf es hierfür eines neuen Operators.

Wäre so ein Operator nicht artifiziell und deshalb schlecht?

Nein. Ich bin der Auffassung, dass die Frage, was bei der Entscheidung einer Einzelperson objektiv für oder gegen eine Entscheidung spricht, eine Frage ist, die für viele Menschen relevant als Vorfrage dafür ist, wie sie sich am Ende aufgrund ihrer subjektiven Präferenzen entscheiden. Ich sage auch nicht, dass wir das mit allen Akteursthemen machen sollten. Beide Arten von Akteursthemen haben ihre jeweiligen Anwendungsfälle oder Berechtigungen.

Im Übrigen würde ich anmerken, dass alle unsere Operatoren artifiziell sind. Sämtliche ihrer Bedeutungen oder normativen Erwägungen haben sich irgendwelche (für das OPD-Format von der Streitkultur-Mitgliederversammlung bestimmten) Menschen ausgedacht. Es gibt keinen inhärenten Grund, warum sich eine Regierung bei einem Antragsthema (würde) einen Antrag ausdenken darf, während sie in einem Glaubemsthema (glaubt) darüber redet, wie etwas in der Realität wahrscheinlich eingeführt werden würde. Der einzige Grund ist, dass wir entschieden haben, dass das die Spielregeln sind, weil wir beide Themenarten interessant und debattierwürdig finden.

Wie könnte so etwas aussehen?

Mein Vorschlag hierfür ist der Folgende. Akteursthemen werden nicht verändert. Beim Thema DH als X würde / DH glaubt es ist im Interesse von X bleibt alles so wie es ist. Dort ist weiterhin das subjektive Interesse der Person zu erläutern und X sollte von Chefjurys klar genug umrissen werden. Ebenso wird am derzeit gültigen Verständnis von „Sollte man X tun“ nicht herumgetüftelt. Ich glaube es ist präferabel, wenn möglichst viel Klarheit in der Abgrenzung der Operatoren und ihrer Erwartungen herrscht.

Vorschlag: Wir führen einen weiteren Operator ein:

DH glaubt Y ist im objektiven Interesse von X / Sollte man sich als X objektiv für Y entscheiden? usw.

Ich möchte anmerken, dass der Begriff des objektiven Interesses der Rechtswissenschaft aus der sogenannten Geschäftsführung ohne Auftrag entnommen ist. Das ist aus zwei Gründen relevant. Einerseits, damit die juristischen Lesenden nicht denken, ich würde juristische Fachbegriffe als meine eigenen Erfindungen ausgeben. Andererseits zur Erkenntnis, dass das Konzept einer auseinanderfallenden Prüfung des objektiven Interesses und des subjektiven Willens nicht neu ist und in anderen Bereichen angewendet wird. Meine These: Wenn das Jurist:innen können, können das Debattierende auch.

Natürlich könnte man sich auch für irgendwelche anderen Operatoren entscheiden, die entsprechend definiert werden. Diese sind wie gesagt artifiziell. Ich halte den hier vorgeschlagenen aber für besonders intuitiv, klar und auch neuen Debattierenden gut vermittelbar.

Was genau bedeutet dann der Operator?

Ob etwas im objektiven Interesse der Person liegt oder man als X etwas objektiv tun sollte, richtet sich danach, ob nach einer gesellschaftlichen Wertung von Vor- und Nachteilen für eine Einzelperson mehr für die Entscheidung spricht oder eben nicht. Maßgeblich ist also nicht die subjektive Präferenz oder wahrscheinliche subjektive Umstände der Person, sondern wie unter der Annahme üblicher allgemeingültiger Wertungen die Entscheidung von der Person zu treffen wäre.

Auch ist das kein vollständig neues Konzept. In anderen Debatten stellen wir zum Beispiel Freiheit und Sicherheit allgemeingültig für die allermeisten Menschen als relevante Werte ein und debattieren dann über deren Kollision. Dabei sind die Abwägungen danach ausgerichtet, wie wichtig diese Werte generell sind, wie groß der Eingriff in diese ist, etc. Diese Art des Debattensettings kann ohne Weiteres auf die Einzelperson übertragen werden. Maßgeblich ist also nicht, was die  Person subjektiv präferieren würde und welche besonderen Prägungen oder Gegebenheiten die eine oder andere Seite relevanter machen würden, sondern wie sich die Einzelperson nach allgemein gesellschaftlicher Wertung entscheiden sollte.

Da dies alles wesentlich komplizierter klingt, als es eigentlich ist, hier ein

Beispiel: Sollte man sich als Einzelperson objektiv für eine pessimistische Weltsicht statt einer optimistischen entscheiden?

Debattenentscheidend ist wohl, wie sich Pessimismus allgemein auf das Individuum auswirkt und ob dies positiv oder negativ ist und wie so eine Entscheidung mit den Verbindungen des Individuums zur Restgesellschaft interagiert.

Zulässig ist es insbesondere darüber zu reden, dass Pessimismus zu weniger Enttäuschungen führt (Reg) aber auch, dass weniger Vorfreude existiert (Opp), wobei man objektiv herleiten oder ab einem gewissen Punkt voraussetzen kann / sich darauf einigen kann, dass Freude gut und Enttäuschung für Einzelpersonen objektiv im Sinne dieser Debatte schlecht sind. Zulässig ist es insbesondere auch, darüber zu reden, dass man mit anderen pessimistischen und optimistischen Personen interagiert und welche Auswirkungen hieraus für die Einzelperson entstehen. Auch dass einen Leute mögen oder nicht / man Konflikte mit Menschen gut löst, kann in der Debatte nach den allgemeinen Maßstäben, die wir in Debatten verwenden hergeleitet oder sich darauf geeinigt werden. Hierbei kann man sich auf die Realität beziehen, in der wir alle leben, da Einzelpersonen dies auch tun. Wir betrachten also Vorteile und Nachteile, die wir gesellschaftlich als solche erachten als „objektive“ Vorteile und Nachteile im Sinne dieser Debatte. Der gleiche Maßstab und die gleichen Anforderungen (Burden of Proof) an Debattierende wie bei allgemeinen Vor- und Nachteilen für die Gesellschaft gelten auch hier.

Unzulässig als Argument ist es jedoch herzuleiten, welche besonderen subjektiven Präferenzen eine Person in der Gesellschaft wahrscheinlich haben oder nicht haben würde, weil die Gesellschaft in einer bestimmten Weise existiert und warum dies dazu führt, dass die Person mit der einen oder anderen Entscheidung unglücklich wäre.

Hierfür folgendes Beispiel: Die meisten Menschen erziehen ihre Kinder zum Optimismus, weil Naivität aufrechterhalten wird, um Kinder nicht zu verstören. Deshalb ist es wesentlicher weniger unkomfortabel, weil weniger Umstellung aufgrund der wahrscheinlich internalisierten Naivität, eine optimistische Weltsicht zu wählen.

Dieses Argument ist im Setting deshalb unzulässig, da es sich nicht darauf bezieht, ob nach gesellschaftlichen Wertmaßstäben, etwas für die Person eine objektiv gute Idee ist, sondern bestimmte subjektive Eigenschaften der Person herleitet, die die Entscheidung beeinflussen, ob etwas für die Person eine gute Idee ist. Vielmehr erfordert der Operator zu begründen, warum nach gesellschaftlichen Wertmaßstäben Optimismus oder Pessimismus komparative Vorteile oder Nachteile für die Person haben, die in ihrer Wirkung begründet sind. So wäre es vergleichbar zulässig für die Optimismus – Pessimismus – Frage auf allgemeine Situationen abzustellen, die allen Leuten widerfahren, zB der Verlust von nahestehenden Personen und warum Optimismus oder Pessimismus in diesen Situationen helfen können. Unzulässig wäre dagegen, daraus, dass Menschen diese Situationen erleben, subjektive Präferenzen dieser Menschen herzuleiten, aus denen heraus sie wahrscheinlich Optimismus oder Pessimismus präferieren würden („weil alle Leute diese Verluste erleben, liegt für sie Pessimismus näher“). Die Debatte fokussiert sich also auf das Phänomen und nicht auf die Präferenzen der Einzelperson.

Unklarheiten und Probleme

Selbstverständlich ist diese Abgrenzung im Einzelfall nicht immer einfach. Diese ist die Aufgabe der Teams und Jurierenden. Es kann und wird Abgrenzungsschwierigkeiten geben. Allerdings bin ich der Auffassung, dass wie bei unseren anderen Themenoperatoren, diese sich mit der Zeit immer weiter vermindern, da die Szene mit einigen dieser Themen ein Gefühl hierfür entwickeln wird. Ich glaube sogar, dass die Unklarheiten eher bei Leuten auftreten, die diese Themen „zerdenken“ (sehr erfahrene Debattierende. Gerade für neuere Debattierende scheint mir das Konzept „wenn man sich zwischen X und Y entscheiden muss, erst mal unabhängig von deinen subjektiven Umständen für und gegen X und Y“ eher intuitiv.

Diese Unklarheiten sind auch kategorisch nicht anders als bei anderen Operatoren, die wir anwenden. In einem Thema mit dem Operator „bereuen“ soll der Fokus nicht lediglich auf den schädlichen Auswirkungen eines Phänomens der Gegenwart liegen, sondern charakterisiert werden, wie eine Welt retrospektiv ohne dieses Phänomen aussehen würde. Manchen Stimmen fordern hierzu sogar noch Differenzierung für den Operator „bedauern“. Dagegen soll bei einer „Schaden vs. Nutzen“ Debatte die Auswirkung eines Phänomens in der Gegenwart debattiert werden. Es gibt keinen inhärenten Grund, warum ein Schaden nicht auch daraus konstruiert werden kann, dass weil etwas existiert, sich ein anderes Phänomen nicht gebildet hat.

Beispiel: Runde 2 CD Berlin 2024

Infoslide: Soziale Individualisierung im Sinne dieser Debatte beschreibt die abnehmende Bedeutung und Festigkeit traditioneller sozialer Gemeinschaften wie Familien und Gemeinden zugunsten zunehmender Selbstbestimmung.

Schadet soziale Individualisierung in westlichen Gesellschaften mehr als sie nützt?

Hier könnte man theoretisch argumentieren, dass ein Nutzen daraus herzuleiten wäre, dass sich sonst ein anderes soziales Phänomen hinsichtlich der Bedeutung und Festigkeit sozialer Gemeinschaften entwickelt hätte, das nicht soziale Individualisierung ist. Dies wird wohl in der Regel kein relevantes Argument in der Debatte sein, da wir den Operator (so zumindest mein Verständnis der derzeitigen Praxis) so verstehen, dass ein existierendes Phänomen ohne retrospektive Charakterisierung einer Alternativwelt auf seine Schäden und Nutzen geprüft werden soll. Vergleichsmaßstab soll hier also bezüglich der Schäden und Nutzen die Welt sein, in der die Effekte der sozialen Individualisierung nicht eintreten, nicht aber eine Welt, in der Bedeutung und Festigkeit sozialer Gemeinschaften in anderer Art und Weise abgeändert worden wäre.

Das Ziel des Artikels ist hier ausdrücklich nicht, eine finale Abgrenzung aller dieser Themenoperatoren vorzunehmen. Viele davon haben ebenfalls in der Anwendung schwierige Grenzfälle. Jedoch stellen wir sie, weil wir bestimmte Argumentationsarten als Themenregeln voraussetzen. Dies machen wir, weil wir eine bestimmte Debatte erzeugen wollen. Das Gleiche kann demnach meines Erachtens auch für den hier vorgeschlagenen Themenoperator gelten, weshalb ich die leichten fortbestehenden Abgrenzungsschwierigkeiten hinnehmbar finde. Selbstverständlich ist es für Chefjurys empfehlenswert zu prüfen, ob in ihrem Thema in diesem Fall besonders große oder eher kleine Unklarheiten bei diesem Thementyp auftreten. Auch ist zu prüfen, ob vielleicht eine andere Art von Debatte (klassisches Akteursthema, Antragsdebatte, Weltenvergleich, …) besser für die zu erreichende Debatte geeignet ist. Der Operator kann nicht alle Unklarheiten von Themen als Wunderwaffe beseitigen. In meiner Intuition wird es, je subjektiver der Akteur wird, also je mehr es um dessen Lage gehen soll, die klassische Antragsdebatte unter klarer Definition des Akteurs empfehlenswert sein. Soll dagegen im Fokus eher allgemein ein Phänomen in seinen Auswirkungen auf Einzelpersonen debattiert werden, liegt der hier vorgeschlagene Operator nahe.

Ich glaube im Ergebnis, dass es für den hier beschriebenen Thementyp Anwendungsfälle gibt und es deswegen empfehlenswert ist, diesen als anerkannten Operator einzubeziehen und zu verwenden.

Beispiele  

In der Folge sind beispielhaft einige Themen vergangener Turniere aufgelistet. Diese sind in Varianten formuliert, die den hier vorgeschlagenen Operator verwenden. Dies soll weder eine Aussage darüber sein, dass diese Themen in der Originalversion nicht oder schlechter funktionieren. Auch wird keine Aussage darüber getroffen, dass die neuen Themen tolle, ausgeglichene Themen sind. Es soll vielmehr der Unterschied skizziert werden. Dies sind nicht nur direkte Umformulierungen, sondern auch inhaltliche Abwandlungen mit dem Ziel aufzuzeigen, welche anderen Varianten in dem Themenkomplex mit dem neuen Operator eröffnet werden könnten. Diese Varianten sind selbstverständlich in ihrer Ausgeglichenheit / Formulierung nicht auf dem Niveau von Turnierthemen ausgearbeitet.

Beispiel 1: (VR 2 SOG Cup Karlsruhe) – auf das Infoslide wird hier verzichtet

Sollten politische Stellungnahmen bei sportlichen Großveranstaltungen zugelassen werden?

Abwandlung: Ist es im objektiven Interesse von Sportlern, politische Stellungnahmen bei sportlichen Großveranstaltungen zuzulassen?

Effekt: Die Debatte richtet sich eher auf den sonst wohl in vielen Debatten weniger wichtigen Clash der Sportlerperspektive

Beispiel 2: (Finale CD HD 2024)

DH bevorzugt eine Welt, in der das Konzept des Lebens nach dem Tod nicht existiert?

Abwandlung: Ist es im objektiven Interesse einer Einzelperson, nicht an ein Leben nach dem Tod zu glauben?

Effekt: eliminiert gesamtgesellschaftliche Auswirkungen von Religion in Form des Glaubens an Leben nach dem Tod und des Weltenvergleichs – welche Auswirkungen hat das auf einzelne Gläubigen als Fokus der Debatte.

Beispiel 3: (Finale Regio HD 2022) – auf das Infoslide wird hier verzichtet

DH begrüßt die Social Media Bewegung Antiwork.

Abwandlung: Ist die Social Media Bewegung Antiwork im objektiven Interesse der Arbeitnehmenden?

Effekt: hier eine Variante des Operators auf eine beschränkte Gruppe

Beispiel 4: (Finale Regio Potsdam 2022)

Du bist eine junge Person, die den Klimawandel bekämpfen möchte. Du könntest dich in deiner Freizeit entweder bei Extinction Rebellion (einer radikalen Klima-NGO) oder bei den örtlichen Grünen engagieren. DH als diese Person würde sich bei den Grünen engagieren.

Abwandlung: DH glaubt, als die Person sollte man sich objektiv dafür entscheiden, sich bei den Grünen zu engagieren

Effekt: Variante des Operators in der Entscheidungsvariante – möglich wäre auch „DH als die Person würde sich objektiv dafür entscheiden, (…). OPD Variante wäre: Sollte man sich als die Person objektiv dafür entscheiden, (…).

Beispiel 5: (VR 1 Regio Potsdam 2022) – auf das Infoslide wird hier verzichtet

DHG, unsere Welt würde durch das Erscheinen der Zauberei besser werden.

Abwandlung: Hogwarts-Thema ohne einen speziellen Charakter zu verwenden, mit der Frage, die sich unsere Generation schon vielfach gestellt hat: Sollte man objektiv, wenn man als muggelstämmige Person einen Hogwarts-Brief erhält, Zauberei erlernen oder als Muggel weiterleben?

Effekt: Individualisierung des Themenkomplexes auf eine für viele besonders nahbare Fragestellungen – okay, vor allem für Millennials.

Intuitiv hat der Themenoperator also nach den im Artikel erläuterten Beispielen vor allem dann einen Anwendungsfall, wenn auf eine bestimmte Gruppe / Einzelperson einer Gruppe fokussiert werden soll. Ebenso für Fälle von individuellen Entscheidungen, die debattiert werden sollen, jedoch nicht solche eines spezifischen Individuums.

Praxisanwendung und Ausblick

Da es bei den meisten Turnieren inzwischen (sinnvollerweise) Praxis ist, für unerfahrene Teilnehmende vor der Runde kurz den Operator zu erläutern, hilft ggf. eine kurze Zusammenfassung. Da es unerfahrenen Turnierteilnehmenden nicht zumutbar ist, thementheoretische Achte-Minute Artikel zum Teil ihrer Abendlektüre zu machen, hier also ein Vorschlag für die Operatoransage bei Turnieren. Hinweis: meistens werden diese Ansagen unverständlicher desto komplexer sie werden, die Ansage ist also bewusst vereinfachend.

„Das folgende Thema wird fragen, ob etwas im objektiven Interesse eines Akteurs ist / ob man als Akteur objektiv etwas tun sollte. Das bedeutet: es geht nicht darum, zu erklären warum das Phänomen generell für alle gut oder schlecht ist, sondern für einen einzelnen Akteur. Allerdings sollen hier objektiv die Schäden und Nutzen für diesen Akteur erläutert werden. Es geht also nicht darum, welche subjektiven Präferenzen dieser Akteur wahrscheinlich hat, die seine Entscheidung in die eine oder andere Richtung prägen würden, sondern was objektiv in seinem Interesse wäre.“

Abschließend soll dieser Artikel weniger als abschließende Dogmatik des Thementyps verstanden werden, sondern als Anstoß an Chefjuryteams, sich mit diesem Thementyp auseinanderzusetzen, um diesen gegebenenfalls fortzuentwickeln. Ich hoffe daher, dass wir gegebenenfalls einige dieser Themen sehen werden und sie in der Praxis testen können.

Weiterentwicklungen oder Gedanken hierzu können auch gerne in der Kommentarspalte unter diesem Artikel weiter diskutiert werden. Dies stellt dann auch direkt die Generalopposition zu den Optionen dar, mit denen sich junge Menschen in ihren Zwanzigern laut dem verwendeten Themenbeispiel beschäftigen sollten.

 

Konstantin debattierte seit 2016 in der Rederei und seit 2023 in Mainz. Als Redner gewann er einige Turniere und chefjurierte viele, unter Anderem die DDM 2023.

Das Mittwochs-Feature: Mittwochs veröffentlicht die Achte Minute ab 10.00 Uhr oftmals ein Mittwochs-Feature, worin eine Idee, Debatte, Buch oder Person in den Mittelpunkt gestellt wird. Wenn du selbst eine Debatte anstoßen möchtest, melde dich mit deinem Themen-Vorschlag per Mail an team [at] achteminute [dot] de.

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4 Kommentare zu “Themen aus der Perspektive undefinierter Akteure – das „objektive Interesse“ als neuer Operator”

  1. Anne W. (Hannover) sagt:

    Hallo Konsti,

    Vielen Dank für dein MiFi und deine Gedanken zu dem Thema. Es freut mich, ein debattentheoretisches Mifi zu einem Thema zu lesen, das mir mir auch am Herzen liegt. Gerade weil POV Themen in letzter Zeit häufiger werden, ist es sinnvoll, sich Gedanken zu ihnen zu machen.

    Ich verstehe deinen Ansatz, POV Themen semantisch genauer zu fassen. Nur glaube ich, dass die Fallstricke von POV-Themen durch deinen Vorschlag unberührt bleiben. Ich würde es eher begrüßen, CAs für diese Fallstricke zu sensibilisieren, anstatt suboptimale Themen hinter einem neuen Operator zu verstecken.

    Erstens scheitern POV Themen häufig daran, dass der Akteur überhaupt kein einheitliches objektives Interesse hat. Das Problem tritt auf, wenn der Akteur nicht eine einzelne Person sondern eine Organisation (z.B. eine politische Partei) ist. Nicht selten gibt es dann Sub-Gruppen innerhalb des Akteurs (z.B. Parteivorsitzende, die Parteibasis, der Parteivorstand) mit heterogenen Interessen. Das wird immer dann zum Problem, wenn die Teams einen Incentive haben unterschiedliche Interessen zu postulieren. Die Debatten werden dann zu einer Definitionsschlacht darum, welche Subgruppen zum Akteur gezählt werden und welche Subgruppen eine wie große Rolle im Akteur einnehmen.

    Der neue Operators verändert nichts daran, dass solche Akteure kein einheitliches objektives Interesse haben (weil es nicht exsistiert). Er ändert auch nichts daran, dass Teams Incentives dazu haben unterschiedliche Interessen zu postulieren.

    Zweitens scheitern POV Themen oft daran, dass die interne Abwägung unterschiedlicher Interessen eines Akteurs in Debatten schwer möglich ist.

    Es ist für Teams sehr einfach zu postulieren, dass irgendetwas im Interesse eines Akteurs liegt. Dass es allerdings wichtiger als alle anderen Dinge ist, die auch im Interesse des Akteurs liegen, ist oft nur schwer zu argumentieren. Das liegt daran, dass meistens sehr unklar ist, wie ein spezifischer Akteur unterschiedliche Werte intern abwägt. Z.B. bei dem Thema „DH als europäischer Spitzenfußballer würde die WM in Katar boykottieren“ ist klar dass dem Fußballer sowohl seine Karriere als auch sein reines Gewissen wichtig sind. Was von beidem ihm wichtiger ist, entscheiden individuelle Faktoren, die im Rahmen einer Debatte nicht zu ermessen sind. Auch dieses Problem löst der neue Operator nicht, weil diese Abwägung subjektiv ist.

    Sobald die Definition der Interessen des Akteurs zum Debattengegenstand sind, degenerieren die Debatten zu Definitiosschlachten. Nicht nur machen diese vielen Debattierern weniger Spaß, sie sind in BPS schwerer zu jurieren und somit anfälliger für Fehljurierungen. Meiner Erfahrung nach funktionieren POV Themen dann gut, wenn die Möglichkeit einer Definitionsschlacht gar nicht besteht, weil es für alle Teams eine günstige Position in der Debatte darstellt, sich auf ein Interesse des Akteurs zu einigen.

  2. Ruben H (Hamburg/Hannover) sagt:

    Zusätzlich zu Annes Punkten glaube ich nicht, dass diese Trennung in objektive und subjektive Interessen funktioniert. Mir ist völlig unklar, welche Interessen nicht objektiv sind. Lebenserhalt und Geldverdienen werden wohl objektiv sein, aber bereits bei Zielen, nach denen viele (aber nicht alle) Menschen streben wie Kinder kriegen oder religiöse Erfüllung, ist es unklar ob diese Ziele subjektiv oder objektiv sind. Damit wird die Wertung der Argumente zu einer Intuitionsfrage der Jurierenden und einem Glücksspiel für Teams.
    Insbesondere bei den im Artikel häufig erwähnten unspezifischen Akteuren stellt sich die Frage, welche objektiven Interessen man bei diesen annehmen darf. Beide Seiten in der Debatte haben in der Regel ein strategisches Interesse, dem Akteur unterschiedliche Interessen zu unterstellen. Gleichzeitig gibt es kaum einen Anhaltspunkt, welche Interessen bei der sehr abstrakten und fiktiven Person am Ende tatsächlich überwiegen, sodass wir wieder eine Behauptungsschlacht erhalten, deren Wertung eine Intuitionsfrage ist.

  3. Konstantin (Mainz / Rederei) sagt:

    Danke euch beiden für die konstruktiven Kommentare. Ich teile im Kern die Kritik daran, dass bei unbestimmten Akteuren, die subjektiven Gewichtungspräferenzen unklar sind. Deshalb soll es hierbei um diese auch nicht gehen, sondern gerade die objektiven. Was solche sind, ist natürlich nicht unbedingt immer sofort für alle Interessen klar. Ich glaube aber, dass das nicht anders ist als alle anderen Arten von Debatten, bei denen wir zB „Einflüsse auf Individuen“ und „Einflüsse auf die Gesellschaft“ unterscheiden. Der zentrale Unterschied ist hier, dass in vielen dieser Debatten ersteres enorm unterbeleuchtet wird (da es in der Abwägung idR qua Masse verliert), gerade dieser Clash aber oft ein interessanter ist. Was ein objektives Interesse ist, ist idR schon für die meisten Leute entweder klar (Geld, Glücklichkeit, Liebe irgendeiner Art, usw.) oder die Debatte einigt sich darauf. Wenn man das unbedingt möchte, kann man natürlich auch aufwändig versuchen streitig zu beweisen, dass Kinderkriegen ein universeller objektiver Glücksgrund ist). Das unterscheidet sich strukturell nicht von jeder anderen Art von Interessen, die wir Debatten zugrunde legen. Wenn wir das nicht intersubjektivieren können, scheidet dann nicht auch jede andere Art von Debatte die diese Axiome annimmt aus? Relativierend kann es dann in Grenzfällen natürlich sein, dass es diese Art von Clash in der Debatte gibt, ich glaube, dass mit dem Operator (wie mit allen Operatoren, siehe Artikel) aber auch ein gewisser nudge verbunden ist, zu welchen Argumenten Teams in der Debatte geschoben werden. Dass es Differenzen darüber gibt, welche Argumente von welchen Jurierenden für wie überzeugend in ihren Prämissen gehalten werden, scheint mir aber in diesen Grenzfällen debattierimmanent und auch ein Teil der Überzeugungsleistung.

    Im Übrigen glaube ich, dass die Beschränkung bei Einzelpersonendebatten zwar bestimmte Abwägungen (subjektive) rausnimmt, das aber nicht heißt, dass Abwägungen generell nicht mehr möglich sind. Vielmehr verschieben sie sich. Es geht dann mehr um Tiefe des Eingriffs in ein bestimmtes Interesse, Wahrscheinlichkeit des Eingriffs, Exklusivität des Eingriffs, usw. Zuletzt würde ich einschränkend anmerken, dass natürlich nicht alle Themen geeignet sind, diese Art von Debatte zu bedienen (siehe Artikel), dies insbesondere wenn ein bestimmter subjektiver Akteur naheliegt, der definiert werden könnte. Dies würde dann ggf. den „nudge“ des Themas so verschieben, dass es Teams naheliegt trotz des Nichterfüllens solcher Ausführungen für ihre burdens, anhand subjektiver Gewichtungspräferenzen Argumentationen zu versuchen. Solche Themen sind dann eher zu vermeiden, bzw. Themen sind hierauf abzuklopfen. Ich nehme in Kauf, dass es in der Anfangsphase hier zu zusätzlichen Gewöhnungsschwierigkeiten kommen könnte, die sich iÜ aber auch bei anderen Operatoren mit der Zeit gelegt haben.

    1. Ruben H (Hamburg/Hannover) sagt:

      Danke für deine Antwort! Ich fürchte ja, dass sich das Thema nicht endgültig in einer Kommentarspalte behandeln lässt, möchte trotzdem gerne noch einmal einen Kernpunkt hervorheben:
      Es geht bei Akteursthemen mit unspezifischen Alteuren ja darum, was für eine zufällige Person aus einer bestimmten Gruppe von vielen Personen am besten wäre. Wenn jetzt wie du schreibst Glücklichkeit ein zentrales Ziel ist, auf das sich die Teams im Best Case sogar einigen: wie erklärst du dann, wie dieser Mensch glücklich wird, ohne auf seine subjektiven Vorlieben einzugehen?
      Oder konkret am Beispiel gefragt: Wie erklärst du ob für einen zufälligen jungen Menschen Zeit mit Kindern oder viel Geld wichtiger ist um glücklich zu werden, ohne auf die subjektiven Prägungen und Vorlieben dieses Menschen einzugehen? Am Ende kommt es doch genau auf diese an und dafür gibt es leider keine objektive Herleitung.
      Ich fürchte daher, dass sich weiterhin viele Debatten darum kreisen werden wie dieser zufällige junge Mensch charakterisiert wird, ohne das Teams und Jury irgendeine Möglichkeit hätten, diese Charakterisierungsschlacht objektiv abwägen zu können.

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