BaWü 2010: Geschichten und Gerüchte

Datum: 24. November 2010
Redakteur:
Kategorie: Menschen, Turniere

Eine Handvoll Skurrilitäten der Baden-Württembergischen Meisterschaft 2010 verdienen eine gesonderte Erwähnung. Lest hier von einem Team, das nie ankam, einer ganz besonderen Entscheidungsfindung, fehlgeleiteten Fränkinnen, einem Redner, der bester und schlechtester zugleich war und von Tübingens ganz besonderem Verhältnis zum Ausrichten der BaWü. Exklusiv auf der Achten Minute: Geschichten und Gerüchte aus Heidelberg!

Chefjuror Volker Tjaden wunderte sich über ein Team, das keiner erwartete - das am Ende aber auch gar nicht kam. (Foto: Mathias Hamann)

Informations- und Verkehrsstau: Ein Team kam nie bis Heidelberg – wurde da allerdings auch nicht erwartet. Im Gegenteil: Die Überraschung war groß, als die Nachricht an Chefjuror Volker Tjaden herangetragen wurde, die Berliner kämen leider zu spät, sie stünden im Stau. Von einem Berliner Team wusste in Heidelberg nämlich keiner – es war schlicht nicht angemeldet. Nach ein paar Telefonaten hin und her soll Berlin am Ende in Marburg übernachtet haben, um am Samstag die Rückreise in die Hauptstadt anzutreten.

OPD-Spezialität Präsidentenentscheid: Es kommt ja nicht häufig vor, aber es gibt den Sonderfall des Präsidentenentscheides. Wenn nach allem Punktevergeben, Rechnen und Mitteln am Ende Punktgleichheit auf dem Laufzettel herrscht, dann kommt der Debattenpräsident zum Zuge. In Heidelberg war es Jörn Hahn aus Dortmund, der einen Finalisten bestimmte: München setzte sich durch und ließ das Team, das nach den Vorrunden die Teamrangliste angeführt hatte, hinter sich. In Mainz fühlt man sich verfolgt – falsche Erinnerungen mögen korrigiert werden, aber offenbar wurde der Präsidentenentscheid erfunden, um Mainz auszubremsen: Auch bei der ZEIT DEBATTE in Göttingen 2008 flog ein Mainzer Team per Präsidentenentscheid im Halbfinale raus.

Jenny Holm kann rechts und links nicht unterscheiden. Dafür ist sie eine charmante und brillante Organisatorin. (Foto: Till Kroeger)

Rechts-links-Schwäche: Wer suchet der findet – auch den Ort der Abendveranstaltung. Falls Jenny Holm Euch in Heidelberg den Weg weist, versucht möglichst, in die Gegenrichtung zu gehen. Oder tut es den drei Fränkinnen gleich, die die falsche Wegweisung am Freitagabend dazu nutzten, einen Abendspaziergang zu machen und der heimischen Mundart zu frönen. Nach Rückkehr zur Jugendherberge wurden Anette Purucker und ihre Begleiterinnen galant von VDCH-Präsident Jan Lüken in die richtige Richtung geführt und von Jenny zunächst per SMS, nachher auch persönlich mit Entschuldigungen überhäuft.

An Magnus Schmagolds Freier Rede im Finale scheiden sich die Geister. Er freut sich über Wein und Preis. (Foto: Till Kroeger)

Bester und Schlechtester zugleich: Magnus Schmagold wurde zwar von der Ehrenjury zum besten Redner des Finales gekürt, die professionelle Finaljury sah das jedoch ganz anders: Von dem Jurorenpanel um Volker Tjaden und Yin Cai erhielt Magnus lediglich 19 Punkte – selbst wenn man die 20 Punkte Abzugs (wegen ungerechtfertigter Generalopposition) wieder draufschlägt noch die deutlich niedrigstbepunkteste Rede des Finales. Hintergrund: Magnus war in Generalopposition gegangen und hatte zum Thema „Soll die Präimplantationsdiagnostik in Deutschland verboten werden?“ die völlige Freigabe jeder Art von Selektion gefordert, um den „perfekten Menschen“ zu schaffen. Nach dem Finale wurde heiß diskutiert: Darf man das? Viele waren der Meinung, Magnus habe den Bogen überspannt. Kommentar von Steffen Jenner aus Tübingen: „Ich empfand es erschreckend und interessant zugleich, dass es die sauber vorgetragene, aber auch inhaltlich radikalste Position war, die die Ehrenjury am nachhaltigsten beeindruckte.“

Tübinger BaWüausrichtungsvermeidungsstrategie: Die Teams der Streitkultur Tübingen bestanden in diesem Jahr – vielleicht im Vorgriff auf den SK-Cup 2010 – jeweils aus erfahrenen und ganz niegelnagelneuen Rednern. Gerüchteweise wollte Tübingen so vermeiden, im kommenden Jahr „schon wieder“ die BaWü ausrichten zu „dürfen“. 2008 hatte Tübingen die BaWü kurzerhand gerettet und gewonnen, was zur Turnierveranstaltung 2009 verpflichtete. Da allerdings ließ die Streitkultur eigene Teams gar nicht erst breaken. Skurril: Man munkelt, dass Tübingen selbst es war, das einst die Tradition begründete, dass der Turniersieger die Landesmeisterschaft im Folgejahr veranstaltet. Die erste Meisterschaft nämlich fand 2003 in Stuttgart im (in Tübingen eher ungeliebten) Debattierformat BPS statt – Tübingen siegte und verkündete: Nächstes Jahr dann bei uns. Seit 2004 wurden alle BaWüs im Format OPD ausgetragen, das die Tübinger selbst entwickelt hatten.

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11 Kommentare zu “BaWü 2010: Geschichten und Gerüchte”

  1. Verena Gräf sagt:

    Sehr gute und interessante Lektüre auf meiner langen Zugfahrt, Daumen hoch!

  2. Hallo,

    nur nochmal zur vollständigen Klarstellung: Meine Aussagen in Debatten sind nicht meine persönliche Meinung. Ich bin nicht dafür, dass im Rahmen des NATO Verteidigungsfalles Ziele im Ausland angegriffen werden sollten und sich jeder Internetnutzer registrieren muss, ich bin auch nicht dafür, dass sich Singles durch Anstecker kenntlich machen sollten, oder dass Somalia durch UN Truppen zu besetzen ist. All diese Themen sind nur fiktiv debattiert wurden und nicht reale politische Auseinandersetzung. Wir sollten immer wieder erwähnen, dass in den Debatten nicht die eigenen Meinung vertreten wird.

    Ich habe in meiner Finalrede ganz klar versucht die Ehrenjury zu überzeugen und daher viele Bilder verwandt und mich inhaltlich klar abgegrenzt. Ich habe allerdings – auch in der Rede – nicht die völlige Freigabe jeder Art von Selektion gefordert, sondern hat sich meine Aussage nur auf Erbkrankheiten bezogen welche durch PID verhindert werden sollten.

    Ich bitte bei Veröffentlichungen – wie der oben genannten – immer daran zu denken, dass einer weniger Sachkundigen Leserschaft bspw. außerhalb der Debattierszene (Job, Politik, etc.) der Artikel und insbesondere meine Erwähnung etwas eigenartig vorkommen könnte.

    Vielen Dank,
    beste Grüße

    Magnus Schmagold

  3. Hanna Proner sagt:

    Hallo,

    zur Ehrenrettung des Präsidentenentscheids eine Anekdote aus dem Jahr 2003: Wenn es nicht den Präsidentenentscheid durch Nina Nixdorf im Halbfinale gegeben hätte, wären wir Mainzer damals in Tübingen nicht Deutscher Meister geworden 🙂

    Viele Grüße,
    Hanna

  4. Jörn sagt:

    zum Präsidentenentscheid: Ich möchte an dieser Stelle klarstellen, dass die Entscheidung des Präsidenten im HF zwischen Mainzelmünchen und Münchener Freiheit nicht völlig willkürlich erfolgte, sondern die Opposition insgesamt drei Punkte mehr erreichte, die einzeln beim Runden verloren gingen, und außerdem doppelt so viele Zwischenfragen angeboten hat. Anders als ein Bauchgefühl, das Los oder der FIFA-Koeffizient waren dies also beeinflussbare Kriterien, die man auch direkt in den Regelkatalog aufnehmen könnte, ohne eine Person in die Situation zu bringen, sich bei einem Team beliebt zu machen. Trotz der geringen Häufigkeit eines Präsidentenentscheids hatte ich mir diese Kriterien schon vor der Debatte für den Fall der Fälle überlegt. 🙂

    Im Übrigen möchte ich ich zur Wegbeschreibungsanekdote vermuten, dass Alex J. aus H. nur deswegen nach den drei Fränkinnen ebenfalls in die falsche Richtung gegangen ist, um Jenny noch einmal anrufen und ein weiteres Mal ihre sympathische Stimme hören zu können. – Mit gleicher Sicherheit kann angenommen werden, dass ein gewisser Nicolas E. aus MZ. auch nur deswegen am Sonntagmorgen zu spät zum Transfertreffpunkt erschien, an dem Jenns vergeblich auf uns wartete. 😛

  5. Andi sagt:

    Ist es eigentlich Teil der OPD-Kriterien, zu entscheiden, ob man ein bestimmtes Argument bringen „darf“? Solange man nicht gerade Genozide fordert, sollten in einer intellektuellen Auseinandersetzung keine Denkverbote institutionalisiert werden, zumal Moral höchst subjektiv ist. Ob Eugenik „unerträglich“ ist oder nicht, sollte also nicht Gegenstand der Bewertung sein.

    Davon ab sind Artikel über Klatsch und Tratsch ja ganz nett, aber dann ist hier doch sicher auch Platz für eierköpfige Kolumnen über Debattiertheorie, Analysen von auf Video aufgenommenen Debatten usw. Das würde nicht nur mich interessieren und würde fruchtbare und lehrreiche Diskussionen über das Debattieren als Sport fördern. Die Achte Minute ist in meinen Augen dafür auch der richtige Ort, weil sie als Zentralorgan des deutschsprachigen Debattierens mit Abstand mehr gelesen wird als einzelne Clubblogs. Und wer Theorieartikel nicht lesen will, muß sie ja nicht anklicken. Ich erkläre mich auch gerne bereit, mal was zu schreiben, wenn allgemeines Interesse besteht …

  6. Joachim sagt:

    Hey,

    also die Idee mit Artikeln zu Debattiertheorie auf der Achten Minute finde ich gut. Insbesondere würde die Diskussion darüber uns Neulingen einen Einblick darin denken worauf man als Profi so achtet.

    Gruß, Joachim

  7. Ja, gute Idee! Solche Artikel und Diskussionen würden bestens in die 8. Minute passen!

    Abgesehen davon hat Magnus die Abzüge ja nicht wegen politischer Unkorrektheit oder eines „verbotenen Arguments“ bekommen, sondern wegen einer in den Augen der Finaljury ungerechtfertigten Generalopposition. Mir zumindest hat es großen Respekt abverlangt, wie Magnus es geschafft hat, die Eugenik-Klippe zu umschiffen und eben NICHT in diesen Fettnapf getreten ist.

    Grüße,

    DS

  8. Andi sagt:

    Naja, ohne Abzug 39 Punkte sind für einen Redner wie Magnus, der sonst stabil sehr gut (über 50) bewertet wird, schon ziemlich tief. Wenn er nicht gerade weinend am Pult zusammengebrochen ist, muss die Differenz aus den „rechten“ Kategorien kommen. Und da frage ich mich, ob das in Ordnung ist, selbst wenn er für Eugenik eingetreten wäre.

  9. Nicolas F sagt:

    Hallo,

    erstmal Dank an Magnus, dass er den restlichen Redner ermöglicht hat im Tab aufzurutschen.

    Zu der Rede: Ich bin mir sehr sicher, dass Magnus einer Fehljurierung der Finaljury unterworfen wurde. Jeder der die Rede gehört hat, wäre schon bei den „linken“ Kriterien (Auftreten, Sprachkraft, Kontaktfähigkeit) unproblematisch auf die 39 Punkte gekommen. Das die rechten Kriterien bei null lagen ist offensichtlich der Borniertheit der Jury gegenüber politisch nicht angepassten Argumenten zu verdanken. Im übrigen wurde keine Eugenik gefordert – und selbst wenn – wenn sich eine Chefjury dieses Thema fürs Finale ausdenkt kann man wohl damit rechnen dass es durchaus legitim und möglich ist, dass diese Argumentationsrichtung eingeschlagen wird. Und dass es zu dieser Forderung kommt, vor allem bei einem Wohlfühlfinale wo sich die Teams gegenseitig aus Angst vor der PC-Öffentlichkeit eine ziemlich lahme Debatte geliefert haben, ist aus taktischer Sicht für einen freien Redner jawohl auch ziemlich klug.

    Gottseidank hat die Ehrenjury erkannt dass eine ordentliche Debatte auch einen ordentlichen Streitgegenstand braucht, und den hat Magnus in sprachlicher Brillianz geliefert!

    Daher gegen Langweiler-Debattierer und feige PC-Juroren!

    Gruß Nicolas

    P.S: Die 20 Punkte Abzug sind natürlich in Ordnung, aber die 39 Punkte sind ein Witz – ich möchte so manchen Unerträglichfinder gerne mal sehen wie er Magnus so eine Rede in der Qualität nachmacht – wobei ich daran zweifele dass selbst bei der Bereitschaft so ein streitiges Thema so anzugehen sich bei vielen dieser Oberbedenkenträger die debattiererische Brillianz finden lässt.

  10. Andi sagt:

    Das wäre zum Beispiel ein gutes Thema für eine Theoriekolumne: Was darf man wo wie bzw. wie nicht sagen? 🙂

  11. Pauline sagt:

    Ich wollte hier nochmal Mainz die Angst vorm Präsidentenentscheid nehemen. Aus grauer Vorzeit ist mir zu Ohren gekommen, dass einst das Halbfinale der DDM 2003 durch einen Präsidentinnenentscheid zugunsten des späteren Deutschen Meisters Mainz entschieden wurde. Also steht es nur 2:1 gegen Mainz. Kopf hoch, nächstesmal seid Ihr wieder dran.

Kommentare sind geschlossen.

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