Zum Umgang mit persönlicher Betroffenheit auf Turnieren – ein Denkanstoß

Datum: 9. Mai 2018
Redakteur:
Kategorie: Jurieren, Mittwochs-Feature
Was tun, wenn jemand ein Thema nicht debattieren möchte? Zur Diskussion über diese Frage möchten Anton Leicht und Anna Markus diese Woche mit einigem Input anregen.


In einem Sport, dessen Reiz nicht zuletzt in kontroversen Themen liegt und da auch bleiben sollte, darf man nicht vergessen, dass die Kehrseite von gesellschaftlich relevanten Themen häufig persönliche Betroffenheit Einzelner ist. Die Diskussion darum droht allerdings, wie zuletzt in Facebookdiskussionen erlebt, in verschiedenste Richtungen auszuufern. Dieses Mittwochs-Feature soll den Versuch unternehmen, einen Anstoß und einen Rahmen für eine konstruktive Debatte über den Umgang mit persönlicher Betroffenheit zu gewährleisten. Das Spektrum der potenziellen Probleme, die Menschen mit Themen haben können, reicht von abstrakten politischen Ansichten bis zu individueller, persönlich-biografischer Nähe zum Inhalt der Debatte. Nicht zuletzt deswegen gibt es kein einheitliches Vorgehen, wie mit verschiedenen Fällen umgegangen werden kann, in welchen Menschen bestimmte Debatten nicht führen wollen oder es für deren psychische Stabilität nicht sinnvoll wäre, dies zu tun. In einer Welt, in der solche Situationen aber Teil der traurigen Realität sind, ist es sinnvoll, zumindest ein einheitliches Verständnis von theoretischen Optionen und optimalerweise einen Konsens an Möglichkeiten des Umgangs zu haben, damit sowohl die Entscheidung der Betroffenen erleichtert als auch die sportliche Integrität der Turniere gewährleistet wird. Als mögliche Basis für eine willkommene Diskussion über diese Möglichkeiten schlagen wir in diesem Feature zwei Bewertungsmaßstäbe für Optionen vor.

Anton Leicht - © Matthias Carcasona

Anton Leicht – © Matthias Carcasona

Von was für Themen sprechen wir hierbei? Bestimmte Motions bringen individuelle Traumata aus der Vergangenheit ans Licht, so zum Beispiel aus den Bereichen Sterbehilfe, Suizid, häusliche – und sexualisierte Gewalt. Wenn Debattierende nun Teil einer Debatte zu einem entsprechenden Thema sind, so können die eigene Rede oder die der Gegenseite emotional und psychisch aufwühlend sein. Es ist ebenso absolut verständlich, dass eine Person, welche in ihrem Leben derartige Erfahrungen machen musste, nicht mit undifferenzerten Verallgemeinerungen oder flapsiger Sprache konfrontiert werden möchte, die das eigene Leid oder das nahe stehender Menschen minimiert oder verspottet. Häufig sind diese Betroffenheitsperspektiven bereits im Vorhinein abzusehen, aber in einer großen Anzahl der Fälle sind die Gründe, sich mit einem Thema unwohl zu fühlen so individuell, dass selbst die gründlichsten Chefjurierenden diese nicht absehen können. Auch ist verständlich, dass gerade Motions aus Themenkomplexen wie den oben genannten aus Debattenperspektive spannend sind. Diese ohne eine konkrete und realistisch ohne kompetetiven Nachteil in Anspruch nehmbare Rücktrittsregelung zu stellen ist jedoch betroffenen Individuen gegenüber nicht fair und sollte deshalb gut überlegt sein.

Unabhängig davon, welche Option – sei es eine Rücktrittsregelung, Themen- oder Seitenwechsel – von individuellen CAs als am sinnvollsten erachtet wird, so sollten den Teilnehmenden klar sein, welche Möglichkeiten sie im Fall persönlicher Betroffenheit bei einem Thema haben. So wird gewährleistet, dass jeweils die am besten informierte Entscheidung getroffen werden kann und sich Menschen nicht aus externem Druck oder Unbekanntheit der Alternative dazu entscheiden, eine Debatte zu führen, die sie nicht führen wollen oder sollten. Ein zweiminütiges Statement von Chefjurierenden zu Beginn eines Turniers stellt hier sicherlich keinen allzu großen Aufwand dar, wenn damit eine große Hilfe und Inklusionsleistung gegeben ist. Bei der Herausarbeitung potenzieller Optionen halten wir es für sinnvoll, bestmöglich folgenden Kriterien zu entsprechen: Einerseits muss im Interesse einer möglichst offenen und inklusiven Szene das individuelle Unwohlsein von Debattierenden mit ihnen vorgesetzten Situationen minimiert werden, und zweitens muss die sportliche Integrität und Kompetitivität des Wettkampfs bestmöglich gewährleistet werden.

Das erste Kriterium ergibt sich aus dem von uns als geteilt vorausgesetzten Gedanken, dass es im Interesse des Debattierens ist, möglichst wenig auf Basis von persönlicher Vergangenheit, Familiengeschichte, psychischer und physischer Krankheiten etc. Nachteile für Einzelne erwachsen zu lassen. Eine Szene, in der bestmöglich gewährleistet ist, dass Einzelnen ungeachtet von vom Debattieren unabhängiger Sachverhalte Sicherheit und Möglichkeit zum Wettkampf gewährt wird, ist hier einer Szene gegenüber zu bevorzugen, für die die Relevanz von Einzelschicksalen nach der eröffnenden Hälfte ihr Ende findet. Dafür ist es wichtig, dass es eine valide Möglichkeit für Individuen gibt, einem Szenario zu entgehen, in dem sie Themen debattieren müssen, die ihnen schaden. Diese Möglichkeit muss dabei möglichst zugänglich gestaltet werden, sodass es kein allzu großes Hindernis ist, sie wahrzunehmen (ein Gespräch mit Chefjurierenden sollte als notwendiges Prozedere hinreichend sein) und sie muss als valide Alternative präsentiert und gewertet werden, um den sozialen Druck gegen ihre Wahrnehmung zu minimieren (und sollte demzufolge zu Beginn des Turniers als Möglichkeit angekündigt sein sowie optimalerweise auf nicht allzu großes Unverständnis unter anderen Teilnehmer*innen stoßen). Die Alternative zum letzten Punkt ist ansonsten eine Situation, in der die Abwägung zwischen dem Ruinieren der Erfolgschancen des eigenen Teams und dem im-Stich-lassen der Teampartner*innen  und dem Rücktritt vom gegebenen Thema weniger eine vernünftige Entscheidung ermöglicht als mehr eine theoretisch gute Option durch großen sozialen Druck zu einer Pest-oder-Cholera-Entscheidung zu machen. Selbstverständlich können nicht all diese Kriterien ohne jeweilige Abstriche in anderen Bereichen gewahrt werden, und eine komplette Erfüllung ist in der Realität des Debattierens höchst unrealistisch, aber dennoch lohnt es sich, sie als Maximen für eine optimale Entscheidung im Kopf zu behalten.

Anna Markus - © Matthias Carcasona

Anna Markus – © Matthias Carcasona

Das zweite Kriterium ergibt sich aus der Natur von Debattierturnieren als sportlich-kompetitiven Veranstaltungen. Sowohl für alle im Wettkampf gegeneinander antretenden Teams, in deren Interesse es liegt, das Turnier qua ihrer Debattierqualität und nicht ihrer mangelnden Betroffenheit zu gewinnen, als auch für den individuellen Anspruch der Redner*innen, ihre eigenen Erfolgschancen nicht durch persönliche Betroffenheit oder gar Betroffenheit von Teampartner*innen geschmälert zu sehen, als auch nicht zuletzt für öffentliche Finalveranstaltungen, deren Wirksamkeit durch Einschränkung vom Kompetitivität, Siegchancen oder gar das Ersetzen von Teams durch eine signifikant schwächere oder weniger motivierte Alternative großen Schaden nehmen würde, ist ein Turnier unter der Maxime der Kompetitivität, sprich: Der wettbewerbsbezogenen Qualität der Teams als einziges Kriterium für den letztendlichen Ausgang, ein relevantes Interesse. In diesem Kontext sind drei Ebenen zu betrachten: Zuerst einmal schadet es der kompetitiven Natur eines Turniers, wenn die persönliche Betroffenheit von Debattierenden Einfluss auf ihre persönlichen Erfolgschancen nimmt. Endet eine Maßnahme zur Lösung der oben skizzierten Situationen darin, dass eine persönliche Betroffenheit zu einem signifikanten Hindernis für den eigenen Turniererfolg wird, so ist schnell ein Umfeld gegeben, in dem Resultate zu ungunsten einer ohnehin schützenswerten Gruppe verfälscht werden. Zweitens ist es wichtig, den unmittelbar mit dem betroffenen Team interagierenden Teams ein weiterhin möglichst faires Umfeld bereitzustellen – So wenig wie für Betroffene selber soll für unbeteiligten Turnierteilnehmer*innen ein Schaden entstehen.

Mit Blick auf dieses Kriterium sind hierbei zwei Arten von Maßnahmen nach Möglichkeit zu vermeiden: Erstens diejenigen, die ein betroffenes Team unnötig stark schwächen und damit ein unbetroffenes Team im Komparativ signifikant stärken und so in einer gewissen Entwertung von Siegen resultieren: Beispielhaft für dahingehend problematische Ideen ist es, Springerteams zu stellen (besonders, wenn diese vom Ausrichter gestellte Teams sind und keine Halbfinal-Nachrücker), aber auch in einigen Debatten (besonders in der eröffnenden Hälfte) eine Ironman-Regelung oder ein simpler „nimm teil oder scheide aus“-Anspruch. Zweitens sollten aber Maßnahmen, die unbetroffene Teams schwächen und somit Erfolgschancen Unbeteiligter verringern, vermieden werden. Unter diesem Kriterium sind Maßnahmen wie die schon aus organisatorischer Perspektive utopischen Backup-Themen, ein erneutes Zulosen der Seiten (spezifisch in Themen, auf denen Teams eine Seite signifikant mehr liegt als die andere), aber in anderen Kontexten auch wiederum Ironpersonregelungen bei großen Stärkeungleichgewicht zwischen Teammitgliedern kritisch zu betrachten.. Drittens gilt es auch aus einer holistischen Perspektive, ein möglichst kompetitives Turnier zu gewährleisten – sowohl das debattierszeneninterne Ansehen von Turniersiegen als auch die externe Perspektive auf möglichst ausgeglichene Wettkämpfe wie nicht zuletzt der prinzipielle Anspruch an einen Wettstreit, faire Bedingungen zu liefern, legt nahe, die Integrität der sportlichen Konkurrenz selbst bei gegenseitigem Einverständnis der direkt Betroffenen möglichst geringfügig zu verletzen.

Als letztes Kriterium für eine konstruktive Diskussion ist noch Folgendes einzuführen: In der Abwägung zwischen dem Wahren des individuellen Wohls und der Integrität des Turniers wird die Notwendigkeit einer gewissen Beweislast auf Seiten der Betroffenen klar. Spezifisch dann, wenn das individuelle Wohl im Kontext von Betroffenheit gegen objektive Kriterien abgewogen wird, muss sichergestellt werden, dass eine solche Maßnahme nicht als Möglichkeit oder Vorwand ergriffen wird, den Ausgang von Debatten absichtlich zu beeinflussen. Hierbei ist offensichtlich, dass je größer der Effekt einer Maßnahme auf den Verlauf der Debatte ist, die Beweislast auf Seiten des Betrofenen umso größer wird. Obwohl wir niemandem unterstellen wollen, eine solche Möglichkeit zum eigenen Vorteil auszunutzen, sind ein solcher Mechanismus und seine hinreichende Bekanntheit wichtig, damit ergriffene Maßnahmen nicht retrospektiv von anderen Teilnehmer*innen der Debatte oder anderweitig Informierten nicht als unfair wahrgenommen werden. Ideal wäre also ein Ansprechspartner in der sportlichen Leitung des Turniers (sprich: Der Chefjury), der die Legitimität einer Betroffenheit beurteilen und auf dieser Basis Maßnahmen vorschlagen oder ergreifen kann. Dabei ist mit Blick auf die stark persönliche Natur der Betroffenheit auch bei der allermeistens gegebenen guten Kommunikation zwischen Chefjuries und Teilnehmer*innen die Möglichkeit zum aufschlussreichen Gespräch nicht immer gegeben. Da es aber unrealistisch ist, dieses Problem komplett zu lösen, muss eine gewisse Rechtfertigungsnot auf Seiten der Betroffenen wohl als notwendiges Übel getragen werden. Nichtsdestotrotz halten wir es für wichtig, diese Rechtfertigungsnot so weit wie möglich zu reduzieren.

Persönliche Betroffenheit von Debattierenden durch Themen ist ein schwer vermeidbares Übel, dessen blinde Minimierung zu Ungunsten von Debattenqualität und Motionrelevanz gleichermaßen ausfallen würde. Diese Realisierung verringert aber nicht die individuelle Last, die ein zu nahe gehendes Thema auf die Schultern Einzelner laden kann, und so sollte es, wenn schon keinen Konsens, dann zumindest ein konstruktives Gespräch über die Optionen im Umgang mit solchen Szenarien geben: Für dieses Gespräch, dessen Ausgang wir nicht vorschreiben wollen, hoffen wir hier zumindest einige Anstöße und Rahmenbedingungen gegeben zu haben. In diesem Sinne freuen wir uns über (und erhoffen uns) eine lebhafte Diskussion.

Anna Markus und Anton Leicht/lok.

Mittwochs-Feature

Anton Leicht debattiert seit 2017 im Debattierclub Münster und gewann seitdem die ZEIT DEBATTE Berlin 2017 und erreichte im Rahmen der ZEIT DEBATTEN-Serie mehrere Jurierendenbreaks und – Preise. Er studiert Philosophie, Soziologie und Geschichte in Münster.

 Anna Markus ist seit Beginn ihres Studiums im Jahr 2014 Teil der Rederei Heidelberg, die sie seit 2016 als Vizepräsidentin vertritt. Sie gewann die Adventsdebatten Jena 2016 und stand im Finale der ZEIT DEBATTE Berlin 2017, sowie der Westdeutschen Meisterschaft 2018. Sie studiert in Heidelberg Politikwissenschaft und Soziologie.

Das Mittwochs-Feature: Jeden Mittwoch ab 10.00 Uhr stellt das Mittwochs-Feature eine Idee, Debatte, Buch oder Person in den Mittelpunkt. Wenn du selbst eine Debatte anstoßen möchtest, melde dich mit deinem Themen-Vorschlag per Mail an team [at] achteminute [dot] de.

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17 Kommentare zu “Zum Umgang mit persönlicher Betroffenheit auf Turnieren – ein Denkanstoß”

  1. Robert P aus P sagt:

    Danke für diesen wertschätzenden, respektvollen und emphatischen Artikel zu diesem Thema.

    Der Artikel setzt einen Kontrapunkt zu einem Großteil der Facebook-Diskussion, bei der viele „Sportlichkeit“* als einzig relevantes Kriterium gesetzt haben, egal ob Menschen, die betroffen sind, damit von einem Ereignis ausschließt.

    Ich stimme euren Ansätzen: 1. CAs sollen ein Backup-Thema haben und 2. es in einem persönlichen Gespräch klären, genau richtig.

    Guter Beitrag.

    * Mit „sportlich“ war in der Facebook-Diskussion „Wettbewerb“ eines Hobbys gemeint. Sportliches Verhalten beinhaltet Partnerschaftlichkeit und kein Sieg um jeden Preis.

    1. Allison (MZ) sagt:

      Nur kurz zu den Ansätzen:
      1. klar, wäre cool
      2. geschenkt, aber: Was folgt aus dem Gespräch? Sprich, was meinst du mit „klären“?

  2. Allison (MZ) sagt:

    Wow, eine wirklich umfassende Zusammenfassung des Dilemmas. Allein, eine zufriedenstellende Lösung für alle scheint in weiter Ferne. Vielleicht wäre eine Kombination möglich?

    1. Wenn die CJen möchten, können sie Backup-Themen verfassen und diese im Ernstfall stellen (bei einem kleinen Turnier mit wenig Runden kann es ja durchaus mal vorkommen, dass es 5 coole Themen gab, aber nur 4 Runden debattiert wird). Da wäre der Rechtfertigungsdruck für die betroffenen Leute mE nicht so hoch, weil alle weiterhin unter denselben Bedingungen debattieren, nur eben zu einem anderen Thema.

    2. Da Backup-Themen wohl eher die Ausnahme bleiben werden, könnte man auch zwischen Vor- und K.O.-Runden unterscheiden. In den Vorrunden könnte man je nach Art der Betroffenheit verschiedene Wege anbieten: Seitentausch, Iron(wo)man, Springerteam ohne Anrechnung der Punkte. Das betroffene Team entscheidet gemeinsam mit den CJen, hier entsteht dann natürlich ein gewisser Rechtfertigungsdruck.

    3. Für K.O.-Runden sollten mE eine verbindliche Vorgehensweise festgelegt werden:
    a) Iron(wo)man ODER
    b) das Team scheidet aus und das punkthöchste Team aus der vorherigen Runde (Vorrundentab, Tab nach Viertel- oder Halbfinale) rückt – mit vollen Breackchancen (sonst wäre das bei OPD ja witzlos) – nach.
    Die Möglichkeit des Positions-/Seitenwechsels halte ich für doch recht missbrauchsanfällig, daher würde ich diese Option in K.O.-Runden nicht favorisieren.

    Diese Regelung für K.O.-Runden ist zwar hart, den anderen unbeteiligten Teams gegenüber aber aus meiner Sicht am fairsten. Persönlich favorisiere ich die Iron(wo)man-Regel, weil dann das Team weiterhin Breakchancen hat und den anderen Teams in der Runde ihr eigentlicher Gegner (mehr oder weniger) erhalten bleibt. Das Problem eines Gefälles zwischen einzelnen Teampartnern mag bestehen, dürfte aber außerhalb von Pro/Am-Turnieren im Optimalfall nicht zu groß sein und wäre in dem Fall ein vertretbares Opfer, zumal Iron(wo)man nicht unüblich (= nicht ungewohnt) ist, wenn ein/e Redner/in mal ausfällt.

  3. Martin sagt:

    Der Text scheint mir doch recht lang und verwinkelt geschrieben. Diese Gedanken hat er bei mir angestossen:

    * Individuelle Betroffenheit: Ist bei jedem Thema für jede Person vorhanden. Ausser vielleicht bei japanischen Töpferwaren aus dem 5ten Jahrhundert. Doch auch da entstehen Bezüge, sei es nur zur eigenen Lieblingstasse.

    * Rolle: In der Debatte ist allerseits bekannt, dass die Rede nicht der eigenen Überzeugung entsprechen muss. Die Angriffe sind nicht persöhnlich und Biographisches kann nach eigenem Ermessen genutzt werden.

    * Betroffenheit ist nicht immer negativ: Dank dem eigenen Rucksack hat man sich mit den Stärken und Schwächen der Argumente, den Konsequenzen schon tiefer auseinandergesetzt.

    * Unwohlsein ist nicht immer schlecht: Dank der Themenvielfalt wird das pro Tournier höchstens einmal der Fall sein. Ausserdem lernt man viel über sich selbst. Wenn man sich mit den ‚bösen‘ Argumenten auseinandersetzt, den „undifferenzerten Verallgemeinerungen oder [der] flapsiger Sprache“ begegnet, übt man sich auch darin, diesen zu widerstehen. Neue Blickwinkel entdecken. Emotional und psychisch gefordert werden. Eine Referenz dazu: https://www.nzz.ch/feuilleton/wenn-dus-nicht-schaffst-versuchs-wieder-ld.1359674

    * Massnahme Ausweichthema: Sensible Themen werden umschifft, es findet eine Tabubildung statt. Dem Bösen soll mit guten Argumenten – geschäft durch „Teufelsadvokaten“ – begegnet werden, statt es unter den Teppich zu kehren. Wäre das Ersatzthema kantenlos, damit es sicher niemandem weh tut?

    * Massnahme Sensibilisierung: Eine Triggerwarnung, die sich trotz kurzer Dauer mit der Zeit wie eine Ubahn-Durchsage anhören würde: „Mind the gap“. Einerseits scheinen die Extremfälle doch rar, andererseits sollte es normal sein, sich bei Problemen zu melden.

    * Massnahme Gespräch: Falls es wirklich Härtefälle gibt, ist zu bezweifeln, ob die Verantwortlichen ohne psychiatrische Kompetenzen eine korrekten Beurteilung vornehmen können.

    Grundsätzlich sind die Themen ausgewogen. Wer trotzdem auf Debatten treffen könnte, welche die psychische Stabilität gefährden, hat die Möglichkeit, eine andere Freizeitbeschäftigung wählen, wo nicht die Kontroverse im Vordergrund steht.

    1. Johannes Meiborg sagt:

      @ Martin und Martin Zett:

      Der Kommentarbereich der Achten Minute unterliegt der Klarnamenregel. D.h. die kommentierenden Personen müssen für andere Diskussionsteilnehmer klar identifizierbar sein. Ein einzelner Vorname oder eine Abstraktion des Nachnamens ist hierfür nicht ausreichend. Bitte passt euren Namen entsprechend an.

      Als Alternative zum vollständigen Namen ist auch die Verwendung des Vornamens sowie die Clubzugehörigkeit möglich. Sollten mehrere Personen des Clubs den gleichen Vornamen benutzen, sollte der erste Buchstabe des Nachnamens hinzugefügt werden.

  4. Martin Zett sagt:

    Spitzensport ist immer unangenehm, weil er an die Grenze des individuell Machbaren geht. Und genau das ist es auch, was uns an Sport allgemein gefällt: Wir möchten unsere eigenen Grenzen kennenlernen, und sie überwinden.

    Wenn der Debattiersport „entschärft“ wird, indem eine der wesentlichen Herausforderungen entfernt wird, riskiert er damit, langfristig irrelevant zu werden: Es wird keine kontroversen, öffentlichkeitwirksamen Debatten mehr geben (z.B.: https://en.wikipedia.org/wiki/The_King_and_Country_debate), und potentielle Neuzugänge werden sich für einen anderen Denksport entscheiden.

    1. Robert Pietsch sagt:

      Debattieren ist kein Spitzensport und sorry, hat nicht wirklich eine Öffentlichkeitswirksamkeit.

      Was du hier machst ist Behauptungen aufstellen und ohne Begründung oder Abwägung zu sagen, ist halt so. Was du hier vergisst, ist dass etwa sportliches Verhalten genau das Gegenteil ist, von dem was du sagst.
      Zudem setzt du alle persönlichen Grenzen gleich.

      Übrigens ist deine Behauptung in sofern Schwachsinn, weil wenn etwas nicht „Machbar“ ist, ist es wirklich nicht machbar. Das ist so eine leere Phrase wie „110 % geben“.

      Übrigens haben uns neue DebattierInnen explizit im Club gefragt, wie das mit solchen Themen wäre und sie hätten sich für ein anderes Hobby entschieden, wenn wir so wie du geantwortet hätten. Also auch deine letzte Behauptung hat null Evidenz.

    2. Martin Zett sagt:

      Du verwechselt „sportliches Verhalten“ mit „sportlicher Herausforderung“. Diese beiden Dinge brauchen sich nicht zu wiedersprechen. Ein gutes Beispiel dafür sind verschiedene ostasiatische Kampfkünste, in denen sich die Wettkämpfer aufs Härteste bekämpfen, aber trotzdem vor und nach dem voreinander verbeugen. Warum sollten Debattierer das nicht können?

      Außerdem würde deiner These, dass der Debattier“sport“ auch weiterhin eine Nische ohne Öffentlichkeitswirksamkeit bleiben soll, nicht unbedingt jeder zustimmen. Denn das ist auch genau mein Punkt: Indem man Hausforderungen aus dem Debattieren entfernt, macht man es noch irrelevanter, und für die restliche Bevölkerung uninteressanter.

      Am Ende wird das Debattieren dann nurnoch eine Mischung aus Selbsthilfegruppe und soft skill Seminar sein.

  5. Konstantina (Berlin) sagt:

    Vielen Dank für den Beitrag, es war eine tiefgründige, aber kurz gefasste Darstellung des Themas!

    Nur eine kurze Ergänzung hätte ich noch:

    Mir erscheint das Missbrauchsrisiko nicht so hoch, wie die meisten befürchten würden, uns zwar aus folgendem Grund:

    Wenn ein Team diese „Betroffenheitsregelung“ ausnutzen möchte, dann würde ich vermuten, dass der Hauptgrund dafür wäre, dass es behauptet, keine (oder keine guten) Argumente/ keine Extension zum Thema finden zu können. Es erscheint mir aber unwahrscheinlich, dass man gleich nach Ankündigung der Motion zu diesem Gedanken gelangen wird. Stattdessen braucht man normalerweise 4-6 Minuten, um zu diesem Ergebnis zu kommen. Da ich also für vollkommen legitim halte, zu erwarten, dass die Betroffenheit eines Teams gleich nach Ankündigung geltend gemacht wird, finde ich dass das Missbrauchspotential eher im Hintergrund bleiben kann.

  6. FloMo sagt:

    Als Erstes möchte ich mein Mitgefühl mit Personen, die an einem noch nicht ausreichend bewältigten Trauma leiden, zum Ausdruck bringen. Diese Personen benötigen professionelle Hilfe und in diesem Rahmen kann die Existenz von einem „sicheren Ort“, an dem sie nicht mit dem Trauma konfrontiert werden, sicherlich hilfreich für den Genesungsprozess sein.

    Eine Schule, ein Universitätsseminarraum und natürlich ein Debattierturnier können und dürfen allerdings nicht zu solchen sicheren Orten werden. Gerade in diesen Kontexten ist es notwendig, dass insbesondere auch kontroverse emotional bewegende Themen ohne eine unnötige Tabuisierung angesprochen werden können.

    Für Personen deren persönliche Betroffenheit ausschließt auf deren „abstrakten politischen Ansichten“ beruht gilt:
    „If you can’t stand the heat, get out of the kitchen.“

    1. Johannes Meiborg sagt:

      Hallo Flo, auch an dich der Hinweis, dass wir in unserem Kommentarbereich die Klarnamenregel haben. D.h. die kommentierenden Personen müssen für andere Diskussionsteilnehmer klar identifizierbar sein. Ein einzelner Vorname oder eine Abstraktion des Nachnamens ist hierfür nicht ausreichend. Bitte passe deinen Namen entsprechend an.

      Als Alternative zum vollständigen Namen ist auch die Verwendung des Vornamens sowie die Clubzugehörigkeit möglich. Sollten mehrere Personen des Clubs den gleichen Vornamen benutzen, sollte der erste Buchstabe des Nachnamens hinzugefügt werden.

  7. Peter G. sagt:

    @ Martin, Martin Zett, FloMo, wer auch immer diese Personen sein mögen:

    Ich möchte mit einer grundsätzlichen Inhaltskritik bei euch beginnen:

    Das Debattieren in Turnierform ist ein sportlicher Wettstreit, das ist soweit korrekt. Worin ihr fehl geht ist die Einschätzung, die sportliche Herausforderung sei die Auseinandersetzung mit Themen, welcher Kraft ihrer Komplexität oder Dramatik möglichst schwierig sind. Das Debattieren ist ein Wettstreit zwischen Teams und Positionen, zwischen Ideen und Argumenten. Die Herausforderung ergibt sich durch die Auseinandersetzung mit den Anderen, die Themen bieten lediglich den Rahmen dafür.
    Diese Themen, sollten idealerweise möglichst spannende sein, das steht außer Frage und ich komme noch dazu, aber auf den Wettstreit hat nur ein einziger Aspekt eines jeweiligen Themas einen Einfluss: Die Ausgeglichenheit. Und nur diese Eigenschaft sollte auch einen Einfluss haben. Wird aber ein Thema gestellt, welches durch die persönliche Betroffenheit eines Teilnehmenden für diese Person nicht zu debattieren ist, so entscheidet sich der Ausgang des Wettstreits nicht mehr in der Auseinandersetzung – sondern in der Unausgeglichenheit, die sich durch die Betroffenheit einer Person ergibt. Das das nicht Ziel eines Wettstreits sollten solche Fälle wo immer möglich vermieden werden.
    Warum sollten sich die Betroffenen da nicht „einfach durchbeißen“, wie ihr sagt? Ein einfacher Vergleich:
    Auf einen Tischtennisturnier sollte die Entscheidung im Tischtennis fallen. Die Platte (der Rahmen des Turniers, „das Thema“) wird nun aber dank herrlichem Sonnenschein und guter Aussicht draußen aufgestellt. Leidet aber eine Person an starkem Heuschnupfen, so ist diese in diesem Turnier benachteiligt und die Entscheidung fällt nicht mehr im Tischtennis. Die einfache Lösung: Man stellt die Platte für das Spiel wieder in die Halle, trägt einen sportlich fairen Wettkampf aus – und der/die Bessere gewinnt.
    Warum stellen wir nun aber überhaupt verschiedene Themen? Warum versucht man als Chefjuror „spannende Themen“ zu setzen? Die Antwort lautet nicht: Um den sportlichen Wettstreit besser/fairer/etc. zu machen, sondern schlicht: Um das Turnier für die Teilnehmenden interessanter zu machen!
    Es ist mir auch wichtig als Teilnehmer, dass ein Turnier interessant ist, aber es ist mir als Teilnehmer eines Turniers(!) noch wichtiger, dass ich am Ende einen sportlich fairen Wettkampf gewonnen (oder verloren) habe. Jetzt kann man sagen: Aber wir debattieren doch auch für den Erkenntnisgewinn, die geistige Flexibilität, und was auch immer für tolle Soft-Skills den Leuten immer so einfallen. Stimmt auch. Genauso wie man Tischtennis zur persönlichen Freude, der Reaktionsschnelligkeit und so weiter trainiert. Deswegen geht in die Clubs, stellt in den Clubs spannende, schwierige Themen, sogar unausgeglichene, wenn sie denn spannend sind! Und wenn wir uns auf einen Turnier sehen, dann lasst uns in fairer Art und Weise herausfinden, wer sein Handwerkszeug am Besten beherrscht! Und wenn dabei nun noch ein Erkenntnisgewinn geschieht oder eine Spannung aufgebaut wird: Umso besser, aber das ist nicht das Hauptziel eines Turniers. Deswegen „kann“ man als Chefjuror in einem Zwiespalt stehen, zwischen fairen, debattierbaren Themen, und spannenden, herausfordernden Themen und idealerweise kommt ein Turnier dabei heraus, welches nicht nur fair und ausgeglichen ist, sondern zusätzlich all die positiven Aspekte herausfordernder, komplexer Themen mit sich bringt. Wenn aber, sei es durch persönliche Betroffenheit Einzelner, die Ausgelichenheit nicht mehr ergibt, sollte der Fokus darauf gelegt werden diese wieder herzustellen. Das mögliche Gegenmaßnahmen andere Gleichgewichtsverschiebungen mit sich bringen könnten wurde im Artikel bereits ausgesagt und diese Abwägung, die hier geschehen muss soll nicht Teil dieses Kommentars sein.
    Im Club gelten dabei ganz andere Regeln als auf einem Turnier. Hier ist das Ziel nicht herauszufinden, welche Clubmitglieder die Besten sind, sondern im Gewinn Aller durch die Teilnahme an Debatten zu spannenden vielschichtigen Themen. Und wenn dabei ein Thema gestellt wird, zudem ich mich nicht äußern kann oder mag, dann steht es mir frei das nicht zu tun. Diese Möglichkeit habe ich auf einem Turnier faktisch nicht, denn erstens möchte ich dieses gewinnen und zweitens möchte ich meine Teampartner nicht deiser Möglichkeit berauben.

    tl;dr: Der sportliche Wettkampf beim Turnier(!)-Debattieren ist die Auseinandersetzung mit anderen Teams, nicht die Auseinandersetzung mit Themen.

    Zudem möchte ich noch ein Bisschen was zu einigen Implikationen die eure Kommentare mit sich bringen und die Art und Weise wie diese geäußert werden sagen:

    Die Frage die ihr euch stellen solltet ist nicht (wie ihr es aktuell tut): „Kann ich das Betroffenen zumuten“, da diese Frage für einen Externen nicht zu beantworten ist. Die Frage die man sich als externer nur stellen kann lautet: „Wie können wir mit einer Betroffenheit umgehen?“

    Zuletzt @FloMo: Zu behaupten, eine Person, welche unter einem Trauma leidet gehöre nicht in eine Schule, Uni oder einen Debattierclub ist an Abfälligkeit kaum zu überbieten. Ein Trauma zieht man sich weder freiwillig noch selbstbestimmt zu, sondern eine traumatisierte Person ist Opfer von furchtbaren Umständen geworden. Nun zu sagen Menschen, auf die das zutrifft sollten nicht am öffentlichen Leben teilnehmen ist schlicht eine Frechheit.
    Dazu auch noch zu implizieren, (durch die Formulierung „noch nicht ausreichend bewältigten Trauma“), dass sich Traumata grundsätzlich auflösen lassen zeugt ebenfalls von einer Ignoranz, die aufzeigt dass der Verfasser sich offensichtlich nicht in geringstem Maße mit dieser Thematik auseinander gesetzt hat. Ich würde hier eine grundsätzliche Selbstreflexion dringend Anraten.

    1. Florian (München) [FloMo] sagt:

      Ich habe mit keiner Silbe gesagt, dass Personen, die an einem Trauma leiden nicht an eine Schule, Universität oder in einen Debattierclub gehören. Ich habe nur gesagt, dass diese Lokalitäten kein „sicherer Ort“ seinen können. Ein sicherer Ort ist ein Platz, an dem die traumatisierte Person entweder nicht mit dem traumatischen Erlebnis konfrontiert wird oder eine bewusste Konfrontation in einem therapeutischen Rahmen stattfindet.

      Es grenzt fast schon an Größenwahn zu glauben, dass eine Schule, eine Universität oder ein Debattierturnier dieser Definition eines sicheren Ortes gerecht werden kann. An keiner dieser Institutionen sind die beteiligten Personen auch nur ansatzweise geschult eine für den Betroffenen problematische Situation in einer befriedigenden Art und Weise zu lösen. Im schlimmsten Fall wird z.B. der Debattant bereits durch die Motion und den Fact-Sheet getriggert.

      Es ist eine Frechheit und eine kaum zu überbietende Abfälligkeit den Betroffenen gegenüber, wenn man glaubt, dass man ein Debattierturnier mal eben einfach für psychisch labile Menschen entschärfen oder gar zu einer Traumatherapie umbauen könnte.

      Diese Personen brauchen professionale Hilfe, in deren Rahmen sie lernen mit solchen Triggern möglichst gut umzugehen. Einem traumatisierten Menschen zu suggerieren „Komm auf unser Turnier, da wirst Du mit Deinem Trauma nicht konfrontiert, weil wenn die Motion und der Fact-Sheet raus ist, könnten wir ja vielleicht einfach ein anderes Thema für dich raussuchen“ halte ich für grob fahrlässig.

      Mich erinnert diese ganze Debatte etwas an das Zitat, das Kurt Tucholsky zugeschrieben wird:
      „Das Gegenteil von gut ist nicht böse, sondern gut gemeint.“

    2. Martin Zett sagt:

      Die Frage ist, ob das Defizit eines Debattierers mit bestimmten Themen nicht umzugehen zu können, wirklich mit Heuschnupfen vergleichbar ist, oder vielleicht doch eher mit einer gebrochenen Hand. Im letzteren Fall gibt es einfach keine Möglichkeit, diese Person effektiv an einem Tischtennisturnier teilhabenzulassen, ohne den Sport fundamental zu verfälschen.

      Denn, im Debattieren sind Themen grundsätzlich immer mehr als der bloße Rahmen – sie sind das Schachfeld und die Figuren, die Debattierer verwenden, in Form von Argumenten und intuitiven Aussagen, um das andere Team zu schlagen. Juroren müssen immer dem Team den Vorzug geben, das logischer und intutiver argumentiert. Letzteres ist eng mit dem Thema verknüpft, und auch die Logik dient ausschließlich dazu, Verknüfungen zwischen dem Thema und intuitiven Aussagen herzustellen. Damit ein Argument überhaupt überzeugend wirkt, muss es auf einen Sachverhalt Bezug nehmen, der dem Zuhörer wichtig ist – und nur dann kann das Debattieren interessant sein.

      Themen, die den Debattierern und den Zuhörern persönlich nahe gehen, eigenen sich dadurch grundsätzlich besser, weil dadurch die Argumentationskette vom Thema zu einer intuitiv wichtigen Aussage verkürzt wird. Solche Themen ermöglichen einen tiefergehenden Austausch zwischen den Teams, komplexere Argumente innerhalb der begrenzten Zeit, und das ermöglicht den Rednern auch mehr, ihre Fähigkeiten in interessanter Form zu zeigen.

      All das heißt nicht, dass das ein Debattieren mit weniger kontroversen Themen überhaupt nicht mehr funktionieren kann. Aber, es geht sehr viel mehr verloren, als vielen bewusst zu sein scheint. Und es ist einfach nicht ersichtlich, inwiefern das Konzept „hier reden kluge aber unbekannte Leute über irrelevante Themen“ überhaupt irgendwen für das Debattieren begeistern soll.

  8. Christian (MZ) sagt:

    Die Konsequenz aus dem Kommentar von Peter wäre eigentlich, Themen möglichst so zu stellen, dass niemand von igendwas betroffen sein kann und dass auch niemand in die Situation geraten soll, gegen das eigene Gewissen etc. zu reden, denn letztlich ginge es beim Debattieren ja vor allem um das Erlernen von bestimmten Kompetenzen wie Argumentation, freier Rede vor Publikum und (zumindest in OPD) auch um Rhetorik. Wenn Debattieren das sein soll, spricht nichts gegen Debattieren als safe space und entsprechende Themenwahl. Wahrscheinlich sollten die Themen dann sogar bewusst so gestellt werden, dass es zu keinen Problemen kommt.

    Ich finde diese Ansicht und Konsequenz völlig legitim (auch wenn sie ja übrigens nicht die des Artikels ist, wenn ich das richtig lese). Ich muss aber auch sagen, dass das Debattieren dann für mich persönlich eher uninteressant gewesen wäre. Für mich ging es beim Debattieren immer um die argumentative und rhetorische Auseinandersetzung gerade mit politischen und gesellschaftlichen Themen. Das Debattierhandwerk war für mich dabei nur ein Mittel. Und natürlich ein unterkomplexes. Trotzdem fand ich es immer sehr spannend, gerade über solche Themen zu debattieren, die politisch aktuell waren, die gerade in den Zeitungen diskutiert wurden (ja, ich lese tatsächlich Zeitung; sogar gedruckte) und Teil der politischen Auseinandersetzung waren. Themen, die rein arguementative Gedankenspiele ohne Praxisbezug waren, fand ich persönlich immer eher langweilig, aber ebenfalls legitim, denn ein bisschen reines Gehirnjogging ist ja auch nett und trainiert für die interessanten Debatten. Lange Rede kurzer Sinn: Man kann das Debattieren entpolitisieren, wenn man das möchte. Ich persönlich hätte es dann damals wohl eher langweilig gefunden, aber dafür hätte man wahrscheinlich andere Leute mehr dafür begeistern können. Ist halt die Frage, was das Debattieren eigentlich sein soll.

    Und nochmal konkret ein paar Sachen:
    – Reservethemen vorbereiten ist theoretisch möglich, aber praktisch wird das Chefjurieren dann noch viel unattraktiver, weil es noch mehr Arbeit macht. Und im Zweifel würde man sich dann eher selbst zensieren (wurde ja auch schon gesagt und auch der Artikel will darauf nicht hinaus). Ich persönlich würde dann jedenfalls kein Turnier mehr chefjurieren, weil ich die Zeit für so viele Themen, die ja alle wirklich gut sein sollen, nicht hätte.
    – Seiten tauschen wäre aus meiner Sicht nur dann ok, wenn die andere Seite damit einverstanden ist.
    – Eine Beweislast in einem Gespräch mit CJ…wie soll das aussehen? Was wenn ich mit einem Thema einfach unwohl fühle und eine Seite nicht legitim finde? Nehmen wir das alternative Finalthema der ZD Berlin 2016 (sinngemäß: „Sollte man Terroranschläge gegen die restrikte Flüchtlingspolitik der EU befürworten?“). Das hätte ich als Regierung nicht geredet und ich hätte auch von niemandem erwartet, dass er mir ein neues Thema gibt oder die Seiten mit mir tauscht. Zugegebenermaßen aber auch deshalb, weil ich an eine solche Möglichkeit gar nicht gedacht hätte. Wie soll man den CJ, die ja von ihrem Thema überzeugt sind, klar machen, dass man einen legitimen Grund hat, ein Thema nicht reden zu wollen? Das ist schließlich absolut subjektiv. Und wenn ich ein Thema nicht reden will, kann ich immer einen Grund nennen, den kein CJ der Welt nachprüfen kann. Und wenn meine negative Erfahrung mit einem Thema sehr persönlich und intim ist, dann geht das auch keine Chefjury etwas an.

    Nochmal lange Rede kurzer Sinn: Eine wirklich gute Lösung gibt es nicht. Zumindest nicht allgemein. Wenn man das aber immer in jedem Einzelfall neu aushandeln will, stelle ich mir das für alle Beteiligten äußerst schwierig vor.
    Die einzige Lösung wäre wohl, man entfernt das Politische/Kontroverse (und damit für manche eben auch das Interessante) aus Debatten und macht nur noch rein abstrakte, theoretische Debatten in idealisierten/fiktiven Welten mit möglichst null Ähnlichkeit mit der Realität. Dann kann man das Problem wahrscheinlich umgehen. Ich persönlich fände das schade. Aber ob das die bessere Lösung als der SQ ist, sollte die aktuelle Szene für sich entscheiden.

    1. Martin Zett sagt:

      Die Frage ist, ob das Defizit eines Debattierers mit bestimmten Themen nicht umzugehen zu können, wirklich mit Heuschnupfen vergleichbar ist, oder vielleicht doch eher mit einer gebrochenen Hand. Im letzteren Fall gibt es einfach keine Möglichkeit, diese Person effektiv an einem Tischtennisturnier teilhabenzulassen, ohne den Sport fundamental zu verfälschen.

      Denn, im Debattieren sind Themen grundsätzlich immer mehr als der bloße Rahmen – sie sind das Schachfeld und die Figuren, die Debattierer verwenden, in Form von Argumenten und intuitiven Aussagen, um das andere Team zu schlagen. Juroren müssen immer dem Team den Vorzug geben, das logischer und intutiver argumentiert. Letzteres ist eng mit dem Thema verknüpft, und auch die Logik dient ausschließlich dazu, Verknüfungen zwischen dem Thema und intuitiven Aussagen herzustellen. Damit ein Argument überhaupt überzeugend wirkt, muss es auf einen Sachverhalt Bezug nehmen, der dem Zuhörer wichtig ist – und nur dann kann das Debattieren interessant sein.

      Themen, die den Debattierern und den Zuhörern persönlich nahe gehen, eigenen sich dadurch grundsätzlich besser, weil dadurch die Argumentationskette vom Thema zu einer intuitiv wichtigen Aussage verkürzt wird. Solche Themen ermöglichen einen tiefergehenden Austausch zwischen den Teams, komplexere Argumente innerhalb der begrenzten Zeit, und das ermöglicht den Rednern auch mehr, ihre Fähigkeiten in interessanter Form zu zeigen.

      All das heißt nicht, dass das ein Debattieren mit weniger kontroversen Themen überhaupt nicht mehr funktionieren kann. Aber, es geht sehr viel mehr verloren, als vielen bewusst zu sein scheint. Es ist einfach nicht ersichtlich, inwiefern das Konzept \“hier reden kluge aber unbekannte Leute über irrelevante Themen\“ überhaupt irgendwen für das Debattieren begeistern soll.

  9. Christian (MZ) sagt:

    Noch eine Ergänzung zum Prozedere:

    Auch bei einem Seitentausch (Switch) oder Ähnlichem wird man danach keine faire Debatte haben. Denn die anderen Teams werden in dieser Zeit schon einiges an Vorsprung haben. Schließlich wird es immer so sein, dass betroffene Personen erst einmal selbst mit der Situation umgehen wollen/müssen, dann mit ihren Teampartnern reden und dann die CJ aufsuchen müssen (obwohl das Team bereits schon sonst wo im Gebäude ist, um sich vorzubereiten; man läuft schließlich meist erst einmal los). Dann muss man mit den CJ reden. Dann müssen die auch alle da sein. Dann müssen die entscheiden. Dann kann man ggf. die anderen Teams suchen (wer weiß, wo die sind). Und dann kann man ggf. die Positionen switchen, nachdem man denen das erklärt hat. Selbstverständlich müssen die 15 Minuten dann nochmal von vorne beginnen, da das Team der betroffenen Personen ja keine Vorbereitung hatte. Nur haben sich die anderen Teams dann schon alle vorbereitet. Wer in BPS auf der eigenen Seite bleibt (nach dem switch; kann beim Losen ja vorkommen), hat also eine deutlich längere Vorbereitungszeit. Und wer auf die andere Seite wechselt, hat sich zumindest schon einmal sehr ausführlich mit der anderen Seite auseinander gesetzt (und oft auch schon mit der eigenen). De facto werden die anderen Teams zwar durch das hin und her auch Probleme mit der Konzentration haben, aber rein zeitlich einen großen Vorteil ggü. dem Team haben, in dem die betroffene Person ist. In jedem Fall werden wir gerade keine ausgeglichene Debatte haben, schon wegen der Ausnahmesituation für alle Beteiligten, weil wahrscheinlich alle irgendwo aufgewühlt und durcheinander sind.

    Ein Wechsel der Positionen ist also keine Lösung, wenn Ausgeglichenheit das Ziel sein soll. Thementausch? Kann eine Lösung sein. Bringt aber norm viel Arbeit und auch dann keine Gewähr, das nicht doch irgendwer irgendwie betroffen ist. Das kann ja niemand vorher sehen. Und die Chefjury will ich sehen, die sich z.B. für ein DDL/Anfängerturnier 10 wirklich gute Themen ausdenkt, damit sie auch ja genug Reserven hat.

    Aus meiner Sicht unpraktikabel. Letztlich muss man abwägen zwischen dem Status Quo und den seltenen (aber durchaus vorhandenen Fällen) der Betroffenheit, die man nur verhindern kann, indem man das Debattieren praktisch vollständig entpolitisiert und in ein reines Gedankenspiel ummünzt. Das kann man machen, wenn man das will und ich will das auch gar nicht abwerten. Hier geht es nicht um das Finden der einzig richtigen Lösung, sondern um eine politische Entscheidung. Ich habe da eine klare Position, aber wie schon gesagt, das sollte die heutige Generation für sich entscheiden. Ich kann aber nur raten, das einheitlich zu regeln und es nicht den einzelenn Chefjurys aufzubürden, immer wieder neu ad hoc zu entscheiden…

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