„Die Kunst, mit einfachen Worten und Sprachwitz den Zuhörer zu überzeugen“ / Unsere Debattiermeister über Politik, Horst Köhler und die Kunst der Sprache

Datum: 11. Juni 2010
Redakteur:
Kategorie: Menschen, Turniere, VDCH

Philipp Stiel und Peter Croonenbroeck von der Streitkultur Tübingen sind die neuen Deutschen Debattiermeister. Mit ihrem Sieg krönten sie die Deutsche Debattiermeisterschaft 2010, die der Verband der Debattierclubs an Hochschulen am ersten Juniwochenende veranstaltete. Im Finale setzten sich die beiden durch zum Thema „Dieses Haus glaubt, dass militärische Mittel zur Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen gerechtfertigt sind“. Die Achte Minute hat sich mit den Deutschen Meistern über ihre Eindrücke und Argumente unterhalten – lest hier, was Philipp und Peter über Politik, Horst Köhler und die Kunst der Sprache zu sagen haben.

Beratung während der DDM-Finaldebatte: Peter (l.) und Philipp stecken die Köpfe zusammen. (Foto: Rüdiger Gohr / DIE ZEIT; www.foto-gohr.de)

Achte Minute: Philipp, in Deiner Rede hast Du hervorgehoben, wir seien moralisch berechtigt, militärische Mittel einzusetzen, wenn die Versorgung unserer Bürger grundlegend bedroht sei, weil Piraten Handelswege blockieren. Glaubst Du, dass eine solche Lage überhaupt realistisch ist?

Philipp: Grundsätzlich werden auf der Debattiermeisterschaft die Positionen ja zugelost, ich hatte also in der Debatte die Aufgabe, die Argumente zu finden, die für den Einsatz militärischer Mittel sprechen. Auch wenn dieser auf den ersten Blick sehr unrealistisch und natürlich unpopulär erscheint, gibt es doch Einiges, was dafür spricht, dass sich die Politik einer solchen Möglichkeit nicht grundsätzlich verschließen sollte. Die Abhängigkeit vom Zugang zu Ressourcen und die Bedeutung des Welthandels für Deutschland machen im Prinzip recht deutlich, wie fragil unser Wirtschaftssystem ist und wie abhängig wir im Ernstfall von der Außenwelt sind. Natürlich wird es in Deutschland zu keiner Hungersnot kommen – aber wenn wir uns in Deutschland weiterhin nur mit Benzin fortbewegen und wichtige Grundnahrungsmittel nicht selbst produzieren oder produzieren können, dann wird sich diese starke Abhängigkeit nicht verringern.

Achte Minute: Peter, Deine Aufgabe war es, die Debatte zusammenzufassen. War es schwierig, für Bundeswehreinsätze gegen Piraten zu argumentieren?

Peter: Es ist natürlich immer angenehmer das zu sagen, was das Publikum hören will. Wir standen in der schwierigen Lage, gegen den allgemeinen Konsens anreden zu müssen. Zunächst wäre ich daher natürlich auch lieber auf der anderen Seite gewesen,  aber nachdem wir in der Vorbereitungszeit sehr kritisch geprüft hatten, welche Argumente uns selbst überzeugen würden, solche Einsätze zu befürworten, haben wir uns eine Strategie zurecht gelegt, mit der wir am Ende doch große Teile des Publikums für uns gewinnen konnten.

Die Deutschen Meister 2010: Peter (l.) und Philipp mit ihren Siegestrophäen. (Foto: Rüdiger Gohr / DIE ZEIT; www.foto-gohr.de)

Achte Minute: Ist diese zugeloste Position eine besondere Herausforderung?

Peter: Als Debattant wird man oft gefragt, ob bei diesen zugelosten Positionen nicht die Gefahr besteht, gegen seine eigene Überzeugung reden zu müssen. Ich begreife dies eher als Gelegenheit meine eigene Position auf den Prüfstand zu stellen und mal die andere Seite zu betrachten. Dies kann bisweilen sehr schwierig sein, zeigt mir aber immer wieder, dass fast jede Streitfrage zwei Seiten hat, die beide vertretbar sind. Und auch wenn ich mich am Ende wieder auf eine Meinung festlege, so ist es doch gut, auch die andere Seite verstanden zu haben.

Achte Minute: Philipp, glaubst Du, dass Debattieren Dir hilft, den politischen Diskurs in Deutschland nachzuvollziehen?

Philipp: Im Grundsatz schon – aber häufig findet dieser politische Diskurs leider nicht statt. Das Thema der Finaldebatte der Deutschen Debattiermeisterschaft zeigt das sehr plastisch, schließlich wurde die eigentliche Debatte zur Äußerung von Horst Köhler in der Politik gar nicht erst geführt. Im Gegenteil, häufig ist der politische Diskurs recht konsensorientiert, sodass die Grundpositionen, die für die verschiedenen Seiten sprechen, nicht herausgearbeitet werden. Genau das ist aber die Aufgabe der Debatte: Pro und Contra herausfiltern, sie dem Publikum erklären und es so in die Lage zu versetzen, sich eine eigene Meinung zu bilden.

Achte Minute: Peter, debattieren Politiker zu wenig?

Peter: Leider ja. Oder um es genauer zu sagen: Die Debatten, die stattfinden, kommen bei uns oft nicht an. Die meisten Entscheidungen werden in den Gremien getroffen und wir bekommen nur noch das Ergebnis vorgesetzt. Hier wäre es wünschenswert, den politischen Diskurs wieder mehr in der Öffentlichkeit stattfinden zu lassen und weniger hinter verschlossenen Türen zu reden. Hinzu kommt, dass seit einiger Zeit die Politiker im Bundestag ihre Reden einfach zu Protokoll geben können, ohne sie gehalten zu haben. So lassen sich Gesetzesvorhaben natürlich schnell durchwinken, doch eine öffentliche Debatte findet über viele Themen überhaupt nicht mehr statt.

Deutscher Meister und bester Finalredner: Philipp konnte zwei Trophäen und zwei Titel mitnehmen nach Tübingen. (Foto: Rüdiger Gohr / DIE ZEIT; www.foto-gohr.de)

Achte Minute: Helfen die Fertigkeiten, die Ihr beide beim Debattieren jede Woche aufs Neue schult, auch persönlich weiter?

Philipp: Oh, natürlich. Reden kann man schließlich nur durch reden lernen. Und nirgendwo sonst werden Argumente und das, was man sagt, so ernst genommen und von allen Seiten durchleuchtet. Da lernt man schnell, nichts vorschnell zu behaupten, sondern zu begründen und verständlich darzulegen. Das hilft mir natürlich auch in meinem Alltag!

Achte Minute: Wenn Ihr zehn Sekunden haben, unseren Lesern zusammen zu fassen, was Euch am Debattieren begeistert, wie antwortet Ihr?

Peter: Mich begeistert die Vielseitigkeit der Themen, die mir schon viel beim Verständnis der Tagespolitik geholfen hat. Und natürlich die Kunst, mit einfachen Worten und geschicktem Sprachwitz den Zuhörer überzeugen und mitreißen zu können!

Achte Minute: Vielen Dank Ihnen beiden für das Gespräch und herzlichen Glückwunsch zum Titelgewinn!

Das Gespräch führte VDCH-Präsident Tim Richter, es wurde als Pressemitteilung des VDCH verbreitet. Die vollständige und unveränderte Pressemitteilung des VDCH ist auf der Internetseite des VDCH zu finden.

Hintergrundinformationen

Peter Croonenbroeck (25) studiert in Tübingen Rhetorik, Philosophie und Geschichte. Philipp Stiel (24) studiert Volkswirtschaftslehre. Beide konnten bereits im Vorfeld der Meisterschaft größere Turniere gewinnen, darunter die ZEIT DEBATTE Wien 2010. Für den Tübinger Debattierclub Streitkultur ist dies der erste Gewinn einer Deutschen Meisterschaft.

Beim sportlichen Hochschuldebattieren wird nach festen Regeln gestritten und ein strukturiertes Auseinandersetzen sowie eine genaue Analyse von verschiedenen inhaltlichen Positionen zu kontroversen Themen gefördert. Auf Debattierturnieren werden aktuelle Streitfragen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft debattiert. Diese Turniere werden im Rahmen der jährlich veranstalteten Debattenserie ZEIT DEBATTEN durchgeführt, deren Hauptsponsorin die Wochenzeitung DIE ZEIT und deren Medienpartner das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) ist. Mit der Förderung der öffentlichen Streitkultur und der Auseinandersetzung mit gesellschaftlich relevanten Themen tragen fast 70 Debattierclubs, die im Dachverband, dem Verband der Debattierclubs an Hochschulen e.V. (VDCH), organisiert sind, entscheidend zur Versachlichung von Debatten und zur Analyse von Argumenten bei.

Das Debattieren
Das Debattieren nach präzisen Regeln zu aktuellen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Themen trainiert Rhetorik, Fachkompetenz und Teamplay. Im Zweierteam müssen komplexe Sachverhalte schnell durchdacht, gegliedert und angemessen präsentiert werden. In einer Debatte treten vier Teams gegeneinander an und vertreten die Pro- und Contraseite zu einem vorgegebenen Thema. Welche Seite man vertritt wird ausgelost, das Thema der Debatte wird erst fünfzehn Minuten vor deren Beginn bekanntgegeben. Erfahrene Debattierer bewerten als Juroren die Debatte nach Inhalt, Form und Methode.

Der Verband der Debattierclubs an Hochschulen (VDCH)
Der VDCH ist der Dachverband studentischer Debattierclubs in den deutschsprachigen Ländern und Regionen Mitteleuropas. Momentan vereint der VDCH knapp 70 Vereine aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Italien und den Niederlanden. Der VDCH unterstützt die Mitgliedsvereine und Initiativen zur Gründung neuer Debattierclubs und setzt sich für die Anerkennung des Debattierens im Allgemeinen ein. Der VDCH veranstaltet die bedeutendsten und größten Debattierwettstreite des deutsch-sprachigen Raumes, die Turniere der renommierten ZEIT-DEBATTEN-Serie.

Die ZEIT DEBATTEN
Die Turnierserie ZEIT DEBATTEN wird vom VDCH in Zusammenarbeit mit der Wochenzeitung DIE ZEIT veranstaltet und durch eine Medienpartnerschaft mit dem Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) unterstützt. Seit fast einem Jahrzehnt werden jährlich fünf große Debattierturniere im Rahmen der ZEIT DEBATTEN ausgetragen, darunter die Deutsche Debattiermeisterschaft. Schirmherr der Serie ist der ehemalige deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt. In der ZEIT-DEBATTEN-Saison 2009/2010 fanden die Turniere in Potsdam, Stuttgart, Wien, Tübingen und Münster statt.

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1 Kommentare zu “„Die Kunst, mit einfachen Worten und Sprachwitz den Zuhörer zu überzeugen“ / Unsere Debattiermeister über Politik, Horst Köhler und die Kunst der Sprache”

  1. Gudrun Lux sagt:

    Schonmal ein Teaser: Bald gibt es ein Interview mit dem aktuellen Nachwuchspreisträger der DDG, Florian Umscheid von Wortgefechte Potsdam! Stay tuned!

Kommentare sind geschlossen.

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