Warum wir die durchschnittlich gebildete Zeitungsleserin nicht überzeugen… und warum das okay ist

Datum: 17. April 2024
Redakteur:
Kategorie: Mittwochs-Feature

Wer ist denn eigentlich diese durchschnittlich gebildete Zeitungsleserin von der wir immer reden? Und ergibt es Sinn, dass wir sie im Debattieren überzeugen wollen? Mit dieser Frage hat sich Chiara Throner im heutigen Mittwochs-Feature beschäftigt.

Der Artikel ist aus Gründen der Lesbarkeit und Inklusivität im generischen feminin verfasst.

Sowohl in BPS als auch in OPD versuchen wir (zumindest laut Regelwerk) die durchschnittlich gebildete Zeitungsleserin zu überzeugen. Zuerst einmal muss man sich bewusst machen, dass dieses mythische Wesen nicht existiert. In OPD geht das vielleicht noch, aber spätestens in BPS ist diese Person staatenlos, hat keine Eigeninteressen, keine politische Haltung, ist durchschnittlich gebildet (Durchschnitt wo überhaupt? Im Westen? In der Welt?) und lässt sich offenbar davon überzeugen von acht Leuten in doubletime nacheinander angebrüllt zu werden. Mir ist natürlich bewusst, dass eine grobe und unsachliche Übertreibung ist, aber eine Sache kristallisiert sich dennoch heraus: Die durchschnittlich gebildete Zeitungsleserin ist eine Konstruktion, die wir erschaffen haben, um im Debattiersport faire Bedingungen für den sportlichen Wettbewerb zu schaffen. Das ist auch überhaupt nicht schlimm. Natürlich sind dem Debattiersport Werte wie Meinungsfreiheit, Diskurs und Demokratie übergeordnet, aber auf den Turnieren ist es ehrlicherweise vor allem ein Sport. In diesem Sport haben wir eine Metrik und gewisse Regeln festgelegt und wer nach diesen die beste Leistung erbringt, gewinnt eine Glasplatte, die sie sich (wahlweise schön beleuchtet) ins WG-Zimmer stellen kann.

Chiara während einer Rede auf der Campus-Debatte Göttingen 2023 – Foto: Grace Szonn

Die durchschnittliche Zeitungsleserin ist konservativer und rechter
Trotzdem müssen (oder können) wir uns natürlich Gedanken machen, warum eine durchschnittliche Debattierrede (in BP sowieso), aber eben auch in OPD, ein durchschnittliches Publikum nicht mehr überzeugt. Was ist das Problem mit der durchschnittlich gebildeten Zeitungsleserin? Ich glaube, das Problem ist, dass wir diese Person gar nicht überzeugen wollen oder in vielen Fällen in 7 Minuten Einzelrede (oder 14 – 21 Minuten Teamredezeit) einfach nicht überzeugen können. Die durchschnittlich gebildete Zeitungsleserin ist deutlich rechter als die durchschnittliche Debattiererin, aber das wurde schon in anderen Artikeln diskutiert. Klar ist die durchschnittliche Zeitungsleserin konservativer als wir. Das Problem ist vor allem, dass sie nicht nur konservativ, sondern im Zweifel wirklich rechts(-extrem) ist. Bei der momentanen Sonntagsfrage zur Bundestagswahl steht die AFD bei ca. 18%. In den Bundesländern der ehemaligen DDR steht sie bei 25-36%. Wählerinnen dieser Parteien lassen sich evident von Populismus, Hetze und „Argumenten“ überzeugen, deren Grundlage zutiefst rassistisch, sexistisch, queerphob und antisemitisch ist (und ich wünschte wirklich es wären nur AFDlerinnen und nicht auch so viele „Konservative“, aber anderes Thema… anderer Artikel…) Natürlich wollen wir als Debattiererinnen aber keine „Argumente“ auf dieser Grundlage machen. Wir wollen keine populistischen oder hetzerischen Reden, sondern wir wollen, dass vor allem gute Argumente überzeugen. Jetzt kann man natürlich sagen, dass wir diese Leute nicht aufgeben dürfen bzw. in der Lage sein sollten auch sie zu überzeugen. Ich frage mich aber schon, wie eine Reihe von Studentinnen im 5. Bachelorsemester (na gut, vielleicht auch im 12. Bachelorsemester… wer zählt schon mit?) etwas (in 7/14/21 Minuten) schaffen sollen, worin die Politik, der letzten Jahre weltweit evident versagt.

Die durchschnittliche Zeitungsleserin ist möglicherweise keine Akademikerin
Jetzt kann man natürlich sagen: Na gut, dann überzeugen wir eben eine durchschnittlich gebildete Zeitungsleserin, die keine rechtsextremen Partei wählt. Das ist dann schonmal ein deutlich geringerer Bevölkerungsanteil, den wir „mitteln“, aber na gut. Jetzt frage ich mich natürlich als Nächstes, was durchschnittlich GEBILDET heißt. In Deutschland studieren 56,4% der Bevölkerung, d.h. es ist nicht gegeben, dass unsere fiktive Zeitungsleserin Akademikerin ist. Und an der Stelle ist es ja tatsächlich wünschenswert, dass wir mit einer durchschnittlichen Rede auch eine Nichtakademikerin überzeugen. Kurzer Realitätscheck an dieser Stelle: Ich saß mal circa 2020 in einem Finale einer Campus-Debatte in Göttingen und war vermutlich in meinem 5. oder 6. Bachelorsemester und hatte zumindest mal zeitweise VWL im Nebenfach. Gewonnen hat damals ein Team, das einen Wirtschaftscase zur Dutch-Disease gemacht hat, der vermutlich ökonomisch großartig durchargumentiert war. Ich persönlich habe ehrlich gesagt sehr wenig verstanden und danach ungefähr dreimal den Wikipedia-Artikel gelesen, um auch nur im Ansatz zu verstehen, was in der Debatte passiert ist. Nochmal: Ich glaube wirklich, dass die Argumente hervorragend argumentiert und ökonomisch valide waren. Ich sage nur auch, dass ich als Person mit akademischer Bildung nicht so wirklich eine Peilung hatte, was da gerade passiert ist. Natürlich kann man jetzt die Vermutung anstellen, dass ich vielleicht einfach uniquely zu blöd war, den Case zu verstehen oder zu wenig Schlaf hatte oder nicht gut genug aufgepasst habe. Anekdotische Evidenz meiner Gespräche nach dem Finale suggerieren, dass ich vielleicht nicht klug genug, zu müde und nicht aufmerksam genug war, aber das ich sicher nicht die einzige Person war, die Schwierigkeiten dabei hatte, das Argument rein inhaltlich zu verstehen (Bitte seht davon ab mir in den Kommentaren unter diesem Artikel die Dutch-Disease zu erklären. Falls mich irgendwann nochmal die Neugier überkommt, frage ich gewisse wirtschaftsbewanderte Mitglieder des Debattierclubs Potsdam.)

Manchmal sind unsere Argumente philosophisch korrekt, aber überzeugen die Durchschnittsbürgerin nicht
Das ist jetzt natürlich wieder ein Extrembeispiel, aber ich glaube, wir müssen uns schon eingestehen, dass eine durchschnittliche Bundesbürgerin des Öfteren von unseren Argumenten verwirrt oder klar nicht überzeugt ist. Wenn wir debattieren, ob man die Hälfte der Menschheit auslöschen sollte, ist das philosophisch hochinteressant, aber ich werde in 7 Minuten keinen Menschen von der Straße davon überzeugen, dass das eine klasse Idee ist. Ich kann in einer Debatte, ob ich mein Kind oder zwei fremde Kinder vor dem Tod retten würde, die durchschnittliche Bürgerin nicht davon überzeugen, dass es nun mal utilitaristisch die wahrscheinlich korrekte Entscheidung ist, sein Kind sterben zu lassen und sie es deswegen tun sollte. Ich kann euch auch formal-logisch korrekt erzählen, warum es unmoralisch ist, nicht vegan zu leben, aber der durchschnittliche Mensch, der morgens seine Zeitung aufschlägt, zeigt mir dennoch den Vogel. Ich kann euch auch erklären, warum Queerfeminismus gegenüber Lean-in-Feminismus zu bevorzugen ist, warum man Technokratie gegenüber Demokratie bevorzugen sollte und warum ich als durchschnittlicher Jugendlicher in einer von Drogenkriegen geplagten Stadt in Mexiko einem Kartell beitreten sollte. Ich kann das schon argumentativ und philophisch sauber (meistens utilitaristisch) herleiten, aber fragt euch mal wie viele eurer Verwandten von so einem Argument überzeugt wären.

80% Standardargumente, 20% Elfenbeinturm
Ich finde keines dieser Themen undebattierbar oder schlecht. Manche von ihnen sind hochspannend und ich habe sie gerne debattiert oder Debatten darüber gelauscht, aber ich kann mich schon auch daran erinnern, wie ich auf einem Verwandtschaftstreffen angeguckt wurde als ich versucht habe den philosophischen Zusammenhang zwischen postnataler Abtreibung und Fleischkonsum zu erklären. Plottwist an dieser Stelle: Mein Case ist überhaupt nicht, dass wir solche Themen nicht diskutieren sollten oder nur Argumente machen sollten, die Menschen auf der Straße überzeugen. Ich finde, es täte uns ab und zu gut ein bisschen mehr in der Realität zu debattieren und ein bisschen weniger abgespacete Szenarien zu kreieren, aber ich liebe auch die crazy Philosophiedebatten in denen ich Präferenzutilitarismus gegen klassischen Utilitarismus abwägen kann (möglicherweise auch in Debatten, in denen diese Abwägung nun wirklich nichts zu suchen hat, aber manchmal muss man den Sieg für etwas Spaß opfern). Ich möchte, dass mir irgendjemand in seinem Economics-PHD erklärt, wie Geldpolitik funktioniert und ich inzwischen mit akademischem Abschluss (jaja in Geisteswissenschaften, ich weiß, ich weiß) gerade so mitkomme. Ich möchte Debatten hören in denen mir Personen, die De Beauvoir und Judith Butler atmen erklären, wie Genderkonstruktion in der vierten (?) Welle des Feminismus die aktivistischen Bewegungen beeinflussen. Ich brauche hochphilosophische oder extrem spezifische Feminismusdebatten nicht auf allen Turnieren in allen Vorrunden, sondern bin auch in 80% der Debatten mit einer schnöden Wählerinnengruppenanalyse oder einem „So funktionieren Angebot und Nachfrage“-Argument zufrieden, aber ich möchte die anderen Debatten eben auch nicht missen. Letztendlich überzeugen wir mit unseren Argumenten in vielen Debatten vielleicht diese ominöse Zeitungsleserin, aber oft braucht es beispielsweise auch eine Akademikerin mit Bildung in moralphilosophischen Grundlagen, verschiedenen feministischen Ideen und seltsamerweise Wissen über die Geldpolitik und wirtschaftliche Situation von 20 nordwestafrikanischen Staaten (Nein, ich bin nicht angefressen, dass ich dieses Wissen nicht hatte und die Debatte verloren habe. Die hätte ich auch mit dem Wissen verloren. Zumindest rede ich mir das ein, damit ich nachts besser schlafen kann.)

Ja, wir überzeugen nicht immer durchschnittlich gebildete Zeitungsleserinnen und ja, manchmal chillen wir im Elfenbeinturm, aber viel von meinem heutigen Wissen hätte ich nicht, wenn ich diesen Debatten nicht gelauscht oder sie nicht geführt hätte. Manchmal macht es eben auch Spaß, komplett abstraktes Zeug zu debattieren. Das hier ist kein Plädoyer dafür, die Regelwerke zu ändern und die durchschnittlich gebildete Zeitungsleserin dort als Adressatin zu streichen. Das ist auch kein Plädoyer dafür, unsere Motions und Argumente so zu machen, dass sie wirklich nur noch eine durchschnittlich gebildete Zeitungsleserin überzeugen. Ich glaube die gelebte Realität unserer Jurierungen ist eigentlich ganz gut darin, uns einen Mittelweg aus beidem zu geben. Das sind nur ein paar Gedanken zu, die ich mal mit euch teilen wollte und vielleicht muss ich auch eine 7-stündige Bahnfahrt rumkriegen … wer weiß das schon.

Chiara Throner begann 2017 für die Streitkultur Tübingen zu debattieren und wurde 2019 Deutschsprachige Meisterin. Sie war in verschiedenen Ämtern tätig, wie beispielsweise der Regelkomission, dem Streitkultur- und dem VDCH-Vorstand. Heute debattiert sie für Potsdam und studiert an der Freien Universität Berlin Medien und Politische Kommunikation im Master.

Das Mittwochs-Feature: Mittwochs veröffentlicht die Achte Minute ab 10.00 Uhr oftmals ein Mittwochs-Feature, worin eine Idee, Debatte, Buch oder Person in den Mittelpunkt gestellt wird. Wenn du selbst eine Debatte anstoßen möchtest, melde dich mit deinem Themen-Vorschlag per Mail an team [at] achteminute [dot] de.

Print Friendly, PDF & Email
Schlagworte: , , ,

6 Kommentare zu “Warum wir die durchschnittlich gebildete Zeitungsleserin nicht überzeugen… und warum das okay ist”

  1. Ulf sagt:

    Für mich stellt sich die Frage, in welche Richtung sich der Debattiersport entwickeln soll. Wollen wir eine kleine Nische Verrückter bleiben, deren Debatten nur intern verstanden (oder auch nicht verstanden) werden, oder wollen wir breitere Aufmerksamkeit (damit einhergehend auch bessere Finanzierung) und mehr (nicht nur!) aber mehr Themen, die näher an der Realität sind?
    So hat zum Beispiel das Synchronschwimmen eine ähnliche Frage gehabt. Soll es technisch anspruchsvoll sein, oder soll es auch ein Publikum erreichen. Für Olympia wurde letztere Variante gewählt, so daß die Soli beim Synchronschwimmen (wie geht synchron allein? Synchron zur Musik!) entfallen sind.
    Bei der Campusdebatte Würzburg bestand beim Finale das Publikum ohne Teilnehmer der CD aus weniger als 8 Leuten, das ist nicht gut.
    Ich glaube, daß „crazy Philosophiedebatten“ ihre Berechtigung haben, aber wir müssen dringend mit unseren Reden dichter an die durchschnittliche Zeitungsleserin ran, so daß diese uns, wenn auch nicht überzeugt wird, zumindest versteht. Die wahre Kunst ist es, komplexe Themen so runterzubrechen und zu vereinfachen, daß nahezu jeder Zuhörer es auch versteht, selbst wenn es um DutchDisease geht, ohne dabei populistisch oder plakativ zu werden. Das sollte unser Ziel sein, und dann erreichen wir hoffentlich auch ein größeres Publikum.
    Denn sonst enden wir als Randnotiz im Elfenbeinturm

    1. Chiara (Sk/Potsdam) sagt:

      Ich glaube dein Kommentar geht ein bisschen an meiner Grundargumentation vorbei oder sie ist aus dem Artikel nicht ausreichend klargeworden.
      Der Debattiersport ist für mich unter anderem deswegen interessant, weil er sich (teilweise) auf einem hohen Niveau mit bestimmten Argumenten auseinandersetzt (z.B. Metaethik, Feminismus, Wirtschaft). Das ist die intellektuelle Ausbildung, die wir über das rein „rednerisch überzeugend sein“ hinaus leisten.
      Das ist der Teil des Debattierens, den ich nicht missen möchte, weil er analytisches Denken auf einem hohen Level fördert.
      Das heißt nicht, dass es nicht schön ist, wenn man es schafft davon auch ein großes Publikum zu überzeugen oder das es keinen Spaß macht einfachere Themen zu debattieren. Ich bin auch nicht dagegen Showdebatten zu machen, bei denen man große Sprachbilder, Gestiken und Geschichten auspackt und damit potenziell ein großes Publikum anzusprechen.
      Ich glaube unser Anspruch sollte halt nicht immer nur sein durchschnittliche Zeitungsleser*innen zu überzeugen, sondern durchaus auch manchmal sehr anspruchsvolle (z.B. philosophische) Debatten zu führen.

  2. Konstantin (MZ / Rederei) sagt:

    Ich stimme der Problemanalyse der DIZ zu. Allerdings frage ich mich, ob das man das nicht durch eine normative Beschränkung der DIZ einfangen könnte. Dies so, dass wir weniger annehmen, was die DIZ überzeugen würde, sondern was die DIZ nach den Regeln des vernünftigen Arguments überzeugen SOLLTE. Das genaue Wording dafür habe ich jetzt auch nicht, aber im Kern spricht ja nichts dagegen,
    a) das zugrundezulegende Wissen in der Debatte danach zu optimieren, was eine DIZ wissen würde (was natürlich auch nicht immer präzise ist)
    b) gleichzeitig zu sagen, dass die DIZ sich in der Debatte nicht von Populismus, Rassismus, Sexismus überzeugen lassen sollte –> also Parametern, die einer rationalen demokratischen Debatte gegenläufig sind. Aber eben auch, dass DIZ dem zwanglosen Zwang des besseren Arguments folgen sollten.

    So könnte man gewährleisten,
    a) eine halbwegs praktikable Abgrenzung für Fachwissen in der Debatte und dessen Plausibilisierungsanforderungen
    b) weiter zu incentivieren für DIZ möglichst menschennah zu argumentieren, da sie nach obigen Regeln davon sinnvollerweise überzeugt werden können
    c) dass DIZ nicht von Populismus überzeugt werden.

  3. Jonathan Dollinger sagt:

    Ich hatte den DIZ v.a. als Maßstab für das Wissen verstanden, das wir voraussetzen können/wollen. Gewissermaßen als Botschaft an neue Clubmitglieder: Niemand muss besonderes Fachwissen mitbringen, alle Fachrichtungen sind willkommen, aber du solltest schon ungefähr Ahnung haben, was in der Welt passiert… Die“Elfenbeinturmthemen“ musst du dann auf der Grundlage solchen Wissens erklären. Ich sehe nicht, wie das anders gehen soll, schon weil es immer Jurierende gibt, die zu einem bestimmten Themenbereich auch „nur“ das Wissen eines DIZ haben.

    Ob man sich hinsichtlich der normativen Grundlagen dem „Durchschnittsmenschen“ annähern sollte, ist für mich eine andere Frage. Ich bin sehr dafür, die Basis „akzeptabler“ Argumente hier zu verbreitern (mehr Prinzipienargumente, größere Offenheit gegenüber konservativen Positionen). Dafür spricht schon, dass wir das Publikum in öffentlichen Finals mitnehmen wollen. Außerdem möchten wir politisch neutral sein, d.h. konservativere Menschen sollten sich willkommen fühlen. Problematisch ist dann allerdings, wie man diese „Grundannahmen“ gegeneinander abwägen will. Strategisch ist daher ein utilitaristischer Case meist sinnvoller. Für dieses Problem habe ich auch noch keine Lösung gefunden…

    Eine „normative Korrektur“ (z.B.: Überzeugend sind nur Argumente, die die Wertebasis der freiheitlich-demokratischen Grundordnung) kann man trotzdem vornehmen.

  4. Benedikt R. (HD) sagt:

    Ohne näher auf das Thema insgesamt einzugehen: Habe mal gelesen (!), dass die durchschnittliche Person sowieso nur ein paar Minuten Nachrichten pro Tag (oder gar Woche?) konsumiert — geschweige denn wirklich Zeitung liest. Insofern passt das mit der DIZ irgendwie schon, weil DIZ eben nicht gleich Durchschnittsmensch ist. Wenn man die Abonnenten der großen Zeitungshäuser befragen würde (und davon wiederum diejenigen, die auch wirklich lesen und nicht nur den Kamin mit dem Papier anzünden), würde die Bundestagswahlumfrage womöglich auch anders ausfallen als im Bevölkerungsdurchschnitt…
    Zumindest geht der Selection Bias vermutlich in die gleiche Richtung wie bei der Debattierszene

  5. Johannes K. (HD/WÜ) sagt:

    Lennart Lokstein hat meines Erachtens zutreffend auf der Achten Minute geschrieben („Der durchschnittliche informierte Wähler: Demokrat oder Utilitarist“):

    „Über den Juror heißt es im Regelwerk, dass er im Wesentlichen ein ‚durchschnittlicher informierter Wähler‘ ist (übrigens kein ‚durchschnittlich informierter‘ Wähler, wie es oft fälschlicherweise fehlzitiert wird!). Ich würde diesen Wählern politisch und philosophisch keine Präferenzen unterstellen – diese sind von Land zu Land in der Realität verschieden. Wovon wir aber ausgehen können ist, dass der durchschnittliche informierte Wähler Demokratie gut findet (unter anderem lebt er per Definitionem in einer).“

    Ich stimme Chiara damit zu, was das Allgemeinwissen betrifft, das wir voraussetzen dürfen. Der informierte Zeitungsleser hat einen breiten Wissensschatz, der es den Debattieren erlaubt, von Bekanntem auszugehen. Unser Anspruch an uns muss sein, diesen Wissensschatz auch zu haben. Plakativ: ich finde, dass jedes Panal in allen Runden bei gemeinsamer Anstrengung und jeder Debattierer ab Break-Niveau grob erklären können muss, wie die Europawahl und wie eine Wärmepumpe funktioniert.

    Hinsichtlich der „normativen Korrektur“ würde ich den Schwerpunkt etwas anders setzen.

    Der Begriff des DIZ ist gewiss normativ. Dass der Kanon der Zeitungen, die aus den jeder DIZ mehrere liest, ungefähr aus welt bis taz besteht, ist eine wertende Entscheidung, die ich für richtig halte. Menschen, die nur Telegram oder nur Twitter lesen, schließen wir bewusst aus.

    Im nächsten Schritt können wir aber pseudo-empirisch arbeiten: was überzeugt faktisch solche Menschen? Diese Menschen sind unser demokratisches Publikum.

    Unser Menschenbild ist, dass die Demokratie auch deswegen anderen Staatsformen überlegen ist, weil sie als einzige Staatsform eine freie Presse und eine informierte Öffentlichkeit aushält. Daraus folgt aber auch, dass alle politischen Haltungen, die im ernsthaften, informierten und gewaltfreien Austausch bestehen, für uns relevant sind.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Mit dem Absenden deines Kommentars bestätigst du,
dass du die Kommentier-Regeln gelesen hast.
Erforderliche Felder sind markiert:*

Folge der Achten Minute





RSS Feed Artikel, RSS Feed Kommentare
Hilfe zur Mobilversion

Credits

Powered by WordPress.