Mechanismen aushebeln – die Berliner Vize-Europameister Jonas Werner und Niels Schröter im Gespräch

Datum: 20. August 2012
Redakteur:
Kategorie: Turniere

„Mir persönlich macht es auch immer viel Spaß vor Publikum zu reden““, erzählt Jonas Werner im Interview mit der Achten Minute. Gemeinsam mit seinem Teampartner Niels Schröter stand er kürzlich im ESL-Finale der European Universities Debating Championship (EUDC oder Euros), bei der in Belgrad 212 Teams um den Titel stritten. Damit sind die beiden Redner von der Berlin Debating Union (BDU) Vize-Europameister 2012. Unser Belgrad-Korrespondent Willy Witthaut sprach für die Achte Minute mit über Mechanismen, Argumentationsweisen und den „utilitarian calculus“ der internationalen Debattierszene.

Achte Minute: Ihr seid gerade Vize-Europameister geworden – was ist das für ein Gefühl?

Jonas Werner und Niels Schröter (im Bild von hinten) von der BDU haben es als Team ins ESL-Finale bei den Euros in Belgrad geschafft. In der Kategorie

Jonas Werner und Niels Schröter (im Bild von hinten) von der BDU haben es als Team ins ESL-Finale bei den Euros in Belgrad geschafft. In der Kategorie „English as a Second Language (ESL) dürfen die Redner antreten, deren Muttersprache nicht Englisch ist. (Foto: Henrik Maedler)

Niels: Zwölf Debattierrunden rädern einen ganz schön, da nimmt man dieses Erlebnis gar nicht richtig wahr. Im Nachhinein war ich dann aber schon sehr glücklich, insbesondere weil sich die Vorbereitung gelohnt hat und unsere Finalleistung auch im VDCH-Land so gut angekommen ist. Am Ende hat Leiden sehr verdient gewonnen. Im Viertelfinale konnten wir gegen sie noch die Oberhand behalten, über den Titel wird aber leider erst im Finale entschieden. (lacht)
Jonas: Die letzten zwei Tage der Europameisterschaften waren ziemlich spannend und ich hätte vorher nie damit gerechnet, dass wir jedes mal weiter kommen. Die KO-Runden haben eine ganz eigene Atmosphäre, mir persönlich macht es auch immer viel Spaß vor Publikum zu reden. Am schönsten fand ich die Halbfinalsdebatte im serbischen Parlament, gleichzeitig waren wir danach ziemlich unsicher, ob wir es ins Finale schaffen würden. Umso größer die Freude, dass es dann doch geklappt hat. Auch wenn wir im Finale nicht erfolgreich waren, war es ein tolles Erlebnis. Herzlichen Glückwunsch an das Team aus Leiden, welches am Ende verdient gewonnen hat.

Achte Minute: In allen KO-Runden war sich das Publikum einig über Eure Klasse. Habt Ihr Euch speziell für die Euros vorbereitet?
Jonas: Die Idee zusammen auf die Euros zu fahren entstand, nachdem wir beim Cambridge IV zusammen recht gut als Team funktioniert haben.
Danach waren wir dann noch zusammen auf zwei weiteren internationalen Turnieren. Die inhaltliche Vorbereitung habe ich ehrlich gestanden etwas vernachlässigt, aber Niels hatte bei einigen Runden beeindruckendes Wissen auf Lager.
Niels: Wir hatten neben den Vorbereitungsturnieren noch mehr inhaltliche Vorbereitung geplant. Ich wollte alle Economist-Ausgaben seit September 2011 in einem Schub durcharbeiten und mir das Buch von Joseph Nye „Understanding International Conflicts“ durchlesen. Am Ende habe ich nur stichprobenartig die wichtigsten Economist-Artikel gelesen (über China, den Palestinakonflikt , die Eurokrise, den Amerikanischen Wahlkampf, Russland, Syrien und viele mehr), einige Kapitel des besagten Buches (es ist klasse!) und noch ein paar „Backgrounder“-Artikel des Council on Foreign Relations, insbesondere etwa über die Eurokrise oder den Internationalen Strafgerichtshof. Am Ende hat das nur in zwei, drei Runden geholfen, dort konnten wir dann aber teilweise richtig absahnen. Leider ist mir aus irgendwelchen Gründen der Artikel über Amnestien durch die Lappen gegangen.  Und fürs nächste mal sollte ich auch mehr über „Celebrity Culture“ wissen, das heißt mehr Gossip über Chris Brown!

Achte Minute: In den Endrunden ward Ihr immer auf den schließenden Positionen. Wie habt Ihr eine Extension entwickelt und wie habt Ihr dafür eure Vorbereitungszeit genutzt?
Jonas: Wir hatten in allen Endrunden schnell relativ viel Material, da uns beiden jeweils direkt recht unterschiedliche Punkte einfielen. So konnten wir nach zirka fünf Minuten schon anfangen, über die Gewichtung und Präsentation zu streiten. Da ich auf schließenden Positionen immer vorne geredet habe, hatte ich dann die Verantwortung, eine für uns beide zufriedenstellende Erweiterung zu bringen.
Niels: Gerade in der schließenden Hälfte ist es wichtig, einen Partner zu haben, dessen Inhalten man vertrauen kann und der die eigenen Ideen in der Vorbereitungszeit schnell und vollständig versteht. Ich hatte mit Jonas das große Glück einen solchen Partner zu haben. Am Ende hatte er die Verantwortung die Extension zu präsentieren, ich habe dann versucht die Extension in meiner Schlussrede zu kontextualisieren, das heißt die Debatte so zusammenzufassen, dass alle wichtigen Argumente der Gegenseite auf unsere Extension zulaufen.

Achte Minute: In Deutschland gibt es noch nicht so viele Clubs, die regelmäßig auf internationale Turniere fahren. Welche Erfahrungen habt ihr gemacht, die man im deutschsprachigen Debattieren vermisst?
Niels: Die analytische Schärfe ist im Durchschnitt viel höher, auch die Auseinandersetzung mit der Gegenseite. Viele der internationalen Top-Debattierer haben oft in der Schule schon viel Erfahrung gesammelt, wenn man dann gegen ein „Freshers“-Team verliert (in unserem Fall Cambridge B), dann muss man schon erstmal schlucken. Ein paar Stunden später habe ich das dann meist verarbeitet und versuche mich dann auch von ihren Ideen inspirieren zu lassen. Das passiert im deutschsprachigen Debattieren nicht so oft.
Jonas: Irgendwann hat man in der deutschen Szene alle wirklich guten Debattierer schon mal gesehen, natürlich kommen immer wieder neue Leute dazu, aber auf einem Turnier plötzlich ganz viele unbekannte Teams zu sehen, die mindestens genauso gut debattieren, wie man selbst, das ist schon eine spannende Sache. Der Stil ist im internationalen Debattieren oft aggressiv, aber meist höflich, mir gefällt das sehr gut. Und endlich muss man nicht mehr befürchten, dass jemand anfängt aus dem Grundgesetz zu zitieren.

Achte Minute: Habt Ihr einen Tipp für Neulinge im internationalen Debattieren?
Niels: Das internationale Debattieren ist oft sehr stark von einem utilitaristischen Argumentationskalkül geprägt, das heißt, oft gewinnt das Team, welches mehr „Schäden“ durch die Haltung der Gegenseite erklären kann und mehr Schäden auf der eigenen Seite lösen kann. Es ist also besonders wichtig, die Mechanismen der Debatte möglichst detailliert darzustellen und zu erklären, wie die eigene oder die andere Maßnahme diese Mechanismen verändert. Dafür bedarf es manchmal ein wenig Kreativität, insbesondere wenn man nicht so genau über das Thema Bescheid weiß. Oft hilft dann eine Akteuranalyse: Wie werden sich die Handlungsanreize für welche Gruppen ändern, welche Auswirkung wird ihre veränderte Handlungsweise haben, warum ist der entstandene Schaden der wichtigste Schaden. Der internationalen Szene fehlt es leider ein wenig an nicht-utilitaristischer Argumentation, wir haben diese trotzdem in unserem Viertelfinale gebracht und sind damit ganz gut gefahren. Dabei geht es oft darum, gewisse Individualrechte als so fundamental für unsere Menschheit und Würde darzustellen, dass sie nicht Teil eines „utlilitarian calculus“ werden dürfen.
Jonas: Keine Angst vorm Radebrechen! Die Juroren und Mitdebattierer waren immer sehr tolerant, wenn ich mich in den Grenzbereichen der englischen Sprache aufgehalten habe. Die Leute hören auch dann noch zu und beachten die Argumente, wenn diese etwas unelegant präsentiert sind.

Achte Minute: Die Euros wurden von der Organisation „Open Communication“ gestemmt. Wie habt Ihr die Organisatoren, Helfer und überhaupt das Turnier  wahrgenommen?
Jonas: Die Helfer waren unheimlich präsent, wir wurden ständig informiert und bei Laune gehalten, wenn irgend etwas mal nicht lief. Aber letztlich hat alles immer super geklappt. Ein sehr gut organisiertes Turnier!
Niels: Alle Helfer waren immer genuin interessiert am Wohlergehen der Teilnehmer, aber auch an den Debatten und unserer Sicht auf Serbien. Insgesamt habe ich unsere Gastgeber als erstaunlich weltoffen wahrgenommen, davon war ich positiv überrascht. Wahrscheinlich ist der Eindruck jedoch etwas unrepräsentativ: Wir haben uns den Großteil der Zeit in einer Art „gated community“ bewegt, weil alle sozialen Events ausschließlich für die Teilnehmer, Helfer und Ehrengäste organisiert waren. Das lässt sich organisatorisch sicherlich nicht anders bewerkstelligen, dadurch hatten wir aber kaum Kontakt zu den nicht-studentischen Bewohnern Belgrads (höchstens zu Taxifahrern). Auf meiner anschließenden Reise nach Sarajevo habe ich die ein oder andere Perspektive von Menschen kennen lernen können, die ich auf den Euros nicht getroffen habe.

Achte Minute: Was hat Euch an den Euros besonders gut gefallen?
Jonas: Mir gefällt die Stadt Belgrad sehr. Sie kommt mir sehr offen und lebhaft, aber gleichzeitig immer ziemlich entspannt vor. Sicherlich ein Eindruck aus der Perspektive eines rundum betreuten Touristen, aber doch so deutlich, dass es mich nicht betrüben würde, hier einmal für ein oder zwei Monate zu leben.
Niels: Die bewegende jüngere Geschichte der Region, in der die Euros stattfanden.

Achte Minute: Letzte Frage: Werdet Ihr nächstes Jahr Europameister?
Jonas: Da ich plane, in der nächsten Zeit etwas weniger zu debattieren, rechne ich erst einmal nicht damit, dass es mich nächstes Jahr wieder als Redner auf die Euros zieht.
Niels: (lacht) Schaun wir mal, was die Zukunft noch bereithält…

Achte Minute: Vielen Dank für das Interview!

Interview: Willy Witthaut / apf

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3 Kommentare zu “Mechanismen aushebeln – die Berliner Vize-Europameister Jonas Werner und Niels Schröter im Gespräch”

  1. Daniel (Heidelberg) sagt:

    Prima Interview! Dank für die Einsichten, die Tipps und die Anregungen. Und natürlich Glückwunsch an Jonas und Niels!

    DS

Kommentare sind geschlossen.

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