„Das Finale einer Deutschen Meisterschaft ist kein Ort für Nachwuchsförderung“: DDM-Chefjuror Lukas Haffert im Gespräch

Datum: 7. Juni 2013
Redakteur:
Kategorie: Jurieren, Menschen, Turniere

Vor Beginn der Deutschsprachigen Debattiermeisterschaft (DDM) 2013 in München fand nicht nur die übliche Jurorenschulung statt, sondern auch eine Eichdebatte. Dabei halten Redner vor Beginn des Turniers zu Übungszwecken eine Debatte vor dem gesamten Jurorenpanel ab. Die Bepunktung aller Juroren wird anschließend von den Chefjuroren ausgewertet.
Die Chefjury der DDM 2013 bestand aus Andrea Gau (Mainz), Almut Graebsch (München), Leo Vogel (Karlsruhe) und Lukas Haffert (Köln). Die Achte Minute sprach mit Lukas über Sanktionen für unentschuldigtes Fehlen, störrische Juroren und Nachwuchsförderung. 

AM: Lukas, Eichdebatten sind ziemlich aus der Mode gekommen. Warum habt ihr euch dazu entschlossen, eine für die Juroren verpflichtende Eichdebatte abzuhalten?
Lukas Haffert: Der Wunsch nach einem einheitlichen Maßstab für Juroren auf Turnieren im Format der Offenen Parlamentarischen Debatte (OPD) kam aus der Debattierszene. Diese Forderung fand sich ja auch auf der Achten Minute. Jurieren kann auf einem OPD-Turnier tatsächlich nur funktionieren, wenn die Juroren einen gemeinsamen Maßstab haben. Mein Eindruck war, dass die Eichdebatte ein zweischneidiges Schwert ist: Natürlich ist sie für die Qualität des Turniers hilfreich, bedeutet aber einen enormen Zeitaufwand, der, gemessen am Ertrag, sehr hoch ist.

Lukas Haffert während seiner Finalrede auf der Wartburg. Foto: Manuel Adams

Lukas Haffert während seiner Finalrede auf der Wartburg. Foto: Manuel Adams

AM: Welche Vorteile bringt eine Eichdebatte?
Lukas: Nach der Eichdebatte haben wir per Handzeichen das Panel anzeigen lassen, wer wieviele Punkte vergeben hat: Unter oder über 30, über 40, über 50 Punkte für die Redner oder sogar mehr? So hat jeder Juror bemerkt, ob er sich innerhalb des üblichen Rahmens bewegt oder nicht. Eine Eichdebatte hat eine Autorität, die die Rückmeldung eines einzelnen Jurors in der Vorrunde niemals haben könnte. Gerade für unerfahrene Juroren kann sie ein hilfreiches Korrektiv sein. Wir haben vor der ersten Vorrunde bemerkt, wer bei der Punktevergabe nach oben oder unten ausreißt, und konnten darauf frühzeitig reagieren. Auch hinter einem bekannten Namen kann sich ein sogenannter Hoch- oder Niedrigpunkter verbergen. Allerdings lassen sich sehr erfahrene Juroren auch von einer Eichdebatte wenig beeinflussen.

AM: Das heißt, wer ein schlechter Juror ist, aber schon lange juriert, nimmt auch durch eine Eichdebatte keine Vernunft an?
Lukas: (lacht) Es war sehr spannend für uns, die Punkteverteilung zu sehen. Wir waren insgesamt aber hochzufrieden mit dem Jurorenpanel. 80 Prozent der Juroren lagen mit ihren Punkten sehr nah bei den Ergebnissen, die wir als Maßstab gesetzt hatten.

AM: Würdet ihr Chefjuroren anderer Turniere empfehlen, eine Eichdebatte  abzuhalten?
Lukas: Ich befürchte, für eine ZEIT DEBATTE wäre das zu zeitaufwändig. Aber nach meiner persönlichen Meinung sollte alle zwei Jahre, jeweils bei der Deutschsprachigen Debattiermeisterschaft in OPD, eine Eichung der Juroren stattfinden.  Viele Juroren, die an der DDM teilnehmen, jurieren auch bei späteren Turnieren wieder. Eine Eichdebatte bei der DDM könnte sich deshalb auch positiv auf die Jurierung künftiger OPD-Turniere auswirken.

AM: Auf der DDM gab es unter den Juroren Gerüchte über Sanktionen für das Schwänzen der Eichdebatte, angeblich sogar für Juroren, die sich im Vorfeld bei euch abgemeldet und euer Okay bekommen haben.
Lukas:
Richtig ist, dass Juroren, die unentschuldigt während der Vorrunden gefehlt haben, die Konsequenzen tragen mussten. Wer seinen Einsatz während der Vorrunden verpasst hat, hat den Break in die K.O.-Runden nicht geschafft.

AM: Mir schien, dass viele Teilnehmer der DDM von den Jurorenfeedbackbögen Gebrauch gemacht haben. Wie waren die Rückmeldungen zur Qualität der Jurierung und des Feedbacks?
Lukas: Sie waren überwiegend positiv, was uns sehr gefreut hat. Allerdings haben viele Leute, die Kritik geübt haben, nur die Kästchen angekreuzt und nicht konkret formuliert, was sie gestört hat. Das hilft der Chefjury nicht weiter, weil unklar bleibt, ob sich dahinter nur Frustabbau oder eine konstruktive Kritik verbirgt. Deshalb mein Appell an alle, die Feedbackbögen ausfüllen: Nutzt das Kommentarfeld!

AM: Habt ihr aus den Rückmeldungen auch Konsequenzen gezogen?
Lukas:
Ja. Insbesondere in der dritten und vierten Vorrunde konnten wir Juroren, die wir noch nicht so gut kannten, als Hauptjuroren setzen, weil sie entweder uns oder anderen positiv aufgefallen sind. Sie haben den Rednern Feedback gegeben und konnten ihr Talent unter Beweis stellen. Im selben Raum befanden sich erfahrene Debattierer als Nebenjuroren. Bei der Setzung hatten wir auch den Jurorenbreak ins Achtelfinale im Blick.

AM: In der Finaljury waren ausnahmslos Juroren vertreten, die schon sehr lange im Debattieren aktiv sind. Waren die jüngeren Juroren nicht kompetent genug für den Job?
Lukas: Ich persönlich halte es bei einer Finaljury der Deutschen Meisterschaft für das Wichtigste, dass ihre Kompetenz innerhalb der Debattierszene weithin anerkannt ist. Die Finalteams müssen sicher sein können, dass die Juroren ihr Handwerk verstanden haben, um das Ergebnis akzeptieren zu können – insbesondere das Team, das nicht gewinnt. Grundsätzlich galt bei dieser Meisterschaft: Je höher die K.O.-Runde, desto mehr haben wir bei der Zusammenstellung des Panels auf erfahrene Juroren gesetzt. Das Finale einer Deutschen Meisterschaft ist kein Ort für Nachwuchsförderung.

AM: A propos Nachwuchsförderung: Warum wurde bei der diesjährigen DDM kein Preis an den besten Nachwuchsjuroren vergeben?
Lukas: Auch vergangenes Jahr in Wien wurde dieser Preis nicht mehr vergeben. In meinen Augen gibt es drei Probleme bei einer Vergabe des Nachwuchspreises durch die Chefjuroren. Erstens widerspricht er der typischen Debattiererbiographie: Die meisten Teilnehmer reden ein oder zwei Jahre, bevor sie als Juroren auf ein Turnier fahren, damit sind sie genau genommen kein Nachwuchs mehr. Zweitens geht damit eine hohe Erwartungshaltung einher, obwohl man niemanden darauf festlegen kann, in Zukunft immer Juror zu sein. Drittens ist es uns, anders als den Mitgliedern der Deutschen Debattiergesellschaft beim Nachwuchspreis für Redner, nicht möglich, alle Kandidaten persönlich in Augenschein zu nehmen. Auf diesem Turnier wurden talentierte Nachwuchsjuroren mit Breaks in Ausscheidungsrunden für ihre Leistung belohnt. Auf einer Deutschen Meisterschaft über den Ausgang einer K.O.-Runde mitzuentscheiden, bedeutet eine große Anerkennung.

AM: Nur die wenigsten Turniere verlocken zahlreiche erfahrene Juroren zur Teilnahme. Was rätst du den Chefjuroren der kommenden Saison für solche Fälle?
Lukas: Da hilft wohl nur eins: Persönliche Ansprache im Vorfeld! Am Besten macht man sich eine Liste mit Wunschkandidaten, die man anruft oder anschreibt und sie bittet, zu kommen. Auf dieser DDM war das Jurorenfeld wirklich hochwertig. Auch die Betreuung durch die Organisatoren war erstklassig. Aus Sicht der Chefjuroren kann ich nur sagen: Es war eine absolut gelungene DDM!

AM: Lieber Lukas, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Sarah Kempf.

Lukas Haffert war Chefjuror zahlreicher Turniere, darunter die Deutschsprachige Debattiermeisterschaft 2012 und 2013 sowie die ZEIT DEBATTEN Mainz 2011 und Münster 2012. Als Redner war er unter anderem Deutscher Vizemeister 2008 und bester Finalredner der DDM 2011. In der Amtszeit 2009/10 war er Vizepräsident des Verbandes der Debattierclubs an Hochschulen e.V. Derzeit promoviert er am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln.

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4 Kommentare zu “„Das Finale einer Deutschen Meisterschaft ist kein Ort für Nachwuchsförderung“: DDM-Chefjuror Lukas Haffert im Gespräch”

  1. Philip S. (B/M) sagt:

    Um den zeitlichen Aufwand der Eichdebatte zu reduzieren, wäre im Vorfeld wichtiger Turniere eine Videodebatte eine nette Idee. Man hat zwar keinen direkten Zugriff auf die Juroren, aber jeder der Interesse zeigt, hätte die Möglichkeit sich fortzubilden. Als Qualifikation müsste man dann nur eine Bewertung der Debatte einreichen und die CAs hätten trotzdem einen Eindruck der Jurierqualität. Wahrscheinlich riskiert man sogar das Risiko, dass sich einer durchmogelt.

  2. Philip S. (B/M) sagt:

    Ich meine natürlich, dass das Risiko sinkt…

  3. Lennart Lokstein sagt:

    Ich glaube, gerade im Hinblick auf das teilweise BPeske (ein schöner Begriff) Verständnis einiger Juroren vom OPD-Format und auch auf die bei den einzelnen Juroren stark unterschiedliche Ausschöpfung der Punkteskala sind Eichdebatten ein sehr sinnvolles Instrument und sollten nicht nur bei der DDM sondern wo immer möglich durchgeführt werden. Sie auf der DDM durchzuführen war auf jeden Fall richtig und hat sicher viel geholfen, die Qualität zu sichern – Dank auch an die Chefjuroren hierfür!

  4. Marc sagt:

    Schöner Artikel! Allerdings kann ich Lennert nur beipflichten. Der Aufwand für eine Eichdebatte lohnt sich. Schließlich hat jeder Niedrig- oder Hochpunkter (bzw. auch unterschiedliche Varianzpunkter) einen größeren Einfluss auf das Turnierergebnis als man denken mag…

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