Die Bedeutung des Jurierens im deutschsprachigen Debattieren: Keynote-Rede auf dem 1. Jurier-Think-Tank von Patrick Ehmann

Datum: 31. Juli 2015
Redakteur:
Kategorie: Jurieren, Veranstaltungen

Bei dem folgenden Text handelt es sich um die Kurzversion der Keynote-Rede von Patrick Ehmann auf dem 1. Jurier-Think-Tank, die in leicht veränderter Form verschriftlicht wurde. In seinem Beitrag analysiert Patrick die Situation und die Bedeutung des Jurierens im deutschsprachigen Raum, zeigt Probleme und Ursachen der Probleme auf und plädiert für einen „vorurteilsfreien und nachhaltigen, einen robusten, jedoch keinen verletzenden Diskurs“. Die Langversion kann auf dem Blog für Jurierqualität gelesen oder auf YouTube angesehen werden.

Wo immer und wann immer wir unsere Idee für diesen Jurier-Think-Tank vorgetragen haben, wurden wir begeistert empfangen: Deutsche Debattiergesellschaft, angefragte Referentinnen, der Marburger Debattierclub und Hörer haben sich ohne zu zögern für dieses Projekt begeistern lassen. Dies lässt darauf schließen, dass es eine diffuse Sehnsucht danach gibt, Fragen des Jurierens grundsätzlich zu diskutieren.

In diesem Beitrag werde ich durch sieben Schlaglichter eine programmatische Gesamtkritik am deutschsprachigen Jurieren vornehmen. Die Situationsanalyse und die Veränderungs-Perspektiven beruhen auf Beobachtungen von über einer Dekade intensiver Debattier- und Juriererfahrungen auf vier Kontinenten und in 19 Staaten. So entfalte ich meine Thesen vor dem Hintergrund einer vergleichenden, internationalen Perspektive.

(I) Das Jurieren in Deutschland bewegt sich auf niedrigem Niveau und eine Verbesserung zeichnet sich unter den jetzigen Umständen nicht ab.

Es gibt drei Indikatoren, die mich zu dieser Aussage führen.

(1) In den Vorrunden von Turnieren sehe ich keine Verbesserung des Jurierniveaus. Trotz vieler Jurierseminare ist das Niveau seit 2008 nicht gestiegen. Es ist sicherlich so, dass durch die Jurierseminare eine absolute Regelunkenntnis im Wesentlichen ausgerottet wurde. Wenn Nebenjuroren jedoch keinen nennenswerten Beitrag leisten und einfach nur nicht negativ auffallen, ist dies keine Verbesserung des Jurierniveaus.

Finalteilnehmer des Masters Cup 2013: Ewald, Hesse, Ehmann, Fischer (v.l.n.r.) (c) Henrik Maedler

Finalteilnehmer des Masters Cup 2013. Am Pult: Patrick Ehmann.
(c) Henrik Maedler

(2) Auch in den K.O.-Runden ist das Niveau nicht gestiegen. Wenn ich das Juriertableau auf einem Turnier sehe, dann ist mir sofort klar, wer sicher breaken wird. In der Regel ist die Anzahl der sicher Breakenden niedriger als die Anzahl der zu besetzenden Plätze in den K.O.-Runden. Und dann muss geschaut werden durch wen die übrigen Jurierplätze in den K.O-Runden aufgefüllt werden können. Unter Zähneknirschen werden Panels erwogen, hin- und hergeschoben und wieder verworfen, um letztlich die am wenigsten schlechte Lösung hinzubekommen.

Dies zeigt sich übrigens auch bei der Deutschsprachigen Debattiermeisterschaft (DDM): Wenn die Jurierspitze fehlt, dann ist die zweite Garde nicht zwingend imstande das Niveau aufrecht zu halten. Im vergangenen Jahr bei der DDM in Berlin konnten von denjenigen, die laut Teams bei der Frage „allgemeine Kompetenz des Jurors“ zu den zehn besten Juroren des Turniers zählten, sieben nicht im Finale jurieren, da sie gesperrt waren. Das wäre nicht weiter problematisch, wenn das Gefälle nicht so stark wäre: Die zehn Besten in dieser Frage hatten einen Durchschnitt von 4,62 (aus 5), der Mittelwert der zehn Nächstbesten war 4,04, bei mindestens zehn abgegebenen Bögen. Berücksichtigt man auch Juroren mit weniger Bögen sind die Mittelwerte 4,63 und 4,21.

(3) Noch problematischer sieht es meines Erachtens bei Chefjuroren aus. Mir fällt es schwer, wesentlich mehr als fünf Personen zu nennen, die gegenwärtig alle wichtigen Chefjury-Eigenschaften in sich vereinen. D.h., um ein Turnier wirklich qualitativ chefzujurieren, müsste mindestens eine aus dieser sehr begrenzten Anzahl dabei sein.

Als Indikator für meine Einschätzung nehme ich, dass die Beschwerden über Chefjuroren und Hauptjurorinnen seit 2008 gleich geblieben sind. Dies gilt für den Umfang der Beschwerden, als auch für den Fokus der Beschwerden. Es wird immer nur auf den Themen rumgehackt. Wenn mehr Leute wüssten, was Chefjurieren umfasst, dann würden andere Beschwerden erfolgen.

Die Situation im weltweiten Debattieren ist grundsätzlich ähnlich. Der entscheidende Unterschied im internationalen Bereich ist, dass die Gesamtanzahl an Jurorinnen höher ist, und so absolut mehr gute Jurorinnen vorhanden sind. Auch wenn der Prozentsatz der Guten ähnlich ist, gibt es durch die größere Menge mehr Auswahlmöglichkeiten in der Spitze und es ist somit leichter, zumindest für die K.O-Runden, hinreichend viele gute Juroren zu finden.

Interessant ist, dass auf Europameisterschaftsebene die Jurierspitze anteilig deutlich breiter ist, als bei Weltmeisterschaften. Das hängt möglicherweise mit dem deutlichen Erstarken der Leistungen in der Kategorie „English as a Second Language“ in Europa zusammen. Letztlich zeigt sich, dass die Situation dort gut ist, wo es leicht ist, eine große Menge an guten Juroren aus unterschiedlichen Hintergründen kostengünstig zur Teilnahme zu bewegen. Als Debattierland hat Deutschland eigentlich das strukturelle Potential hier gut zu sein. Es gibt viele Vereine und die Anreisezeiten und -kosten sind überschaubar.

(II) Eine Verbesserung der Lage zeichnet sich unter den jetzigen Umständen nicht ab.

(1) Die Verbesserung in der erweiterten rednerischen Spitze hat sich nicht in einer Verbesserung des Jurierniveaus niedergeschlagen. Womöglich hängt dies mit der mangelnden Anerkennung zusammen, von der Barbara Schunicht in ihrem Beitrag sprach, womöglich ist dies einfach ein Zeichen dafür, dass Jurieren doch nochmals ganz andere Anforderungen als das Reden stellt.

(2) Es heißt, wer auf viele Turniere fährt, wird besser, auch beim Jurieren. Dies geschieht jedoch beim Jurieren des Verbands der Debattierclubs an Hochschulen e.V. (VDCH) gerade nicht. Große Clubs sind in Deutschland typischerweise die Clubs aus denen die besten Juroren kommen. Zugleich stellen sie eine große Anzahl an guten Teams. Dies führt dazu, dass die besten Jurorinnen durch ihre eigenen Teams ausgebremst werden: Sie fehlen in den K.O.-Panels und bei Turnieren im British Parliamentary Style (BPS) in den Top-Räumen

Daneben gibt es bei Turnieren im Format der Offenen Parlamentarischen Debatte (OPD) ein systematisches Problem: Dadurch, dass es kein Power-Pairing gibt, müssen die guten Juroren über alle Räume gestreut werden, da es überall potentiell breakende Teams gibt. So können zum einen die guten Juroren nicht zusammen jurieren und sich gegenseitig fordern, zum anderen können aufstrebende Jurorinnen eher selten eine intensive Auseinandersetzung zwischen den Spitzenleuten sehen.

Diese Probleme habe ich im südlichen Afrika ähnlich erlebt. Darüber hinaus besteht dort das Problem, dass der internationale Austausch erschwert ist – durch die großen Distanzen gibt es sehr wenig gute Leute im näheren Umfeld und wegen der erheblichen Kosten ist ein Austausch über die Region hinaus schwierig. Letztere Probleme haben wir – theoretisch zumindest – in Deutschland nicht: Wir können auf viele Turniere innerhalb Europas fahren.

(3) Bislang wurde kein Fokus auf die Förderung der Spitze gelegt. Wenn der Fokus im Jurieren nicht auf Fortgeschrittene und die Spitze gerichtet wird, wird keine Verbesserung im Jurierniveau stattfinden. Wir brauchen nicht mehr Jurorinnen, wir benötigen mehr gute Jurorinnen!

(4) Es ist kein Diskurs über die Fähigkeiten von Chefjurorinnen vorhanden. Darauf werde ich dann genauer in meiner vierten These eingehen.

(III) Die Ursachen für das geringe Jurierniveau in VDCH-Land sind hausgemacht und bestehen aus einer Kombination von individuellen, strukturellen und meta-diskursiven Schwächen.

(1) Bis auf wenige Ausnahmen mangelt es Individuen an Qualitätsstreben und Arbeitsmoral. Jurieren beginnt beim Individuum. Gute Strukturen können Zwischentiefs in der Qualität der Individuen überbrücken und die Auswirkungen dieser Zwischentiefs reduzieren. Strukturen schaffen jedoch keine sehr guten Individuen, sie führen zu soliden individuellen Leistungen.

Wenn ich sehe, wer alles nicht hier ist, dann ärgere ich mich – auch und gerade über viele Mitglieder meines eigenen Vereins, die es bevorzugen in Magdeburg zu reden. Von nichts kommt nichts, und wer sich nicht bemüht, wird auf seinem Niveau dahin dümpeln!

Es verwundert mich sehr, dass ich in den nunmehr acht Jahren, in denen ich ernsthaft juriere, nur von circa sechs Leuten gefragt wurde, wie ich meine Notizen mache – drei davon sind übrigens hier in diesem Raum anwesend. Wenn jemand nicht in der Lage ist, präzise auf Fragen des Hauptjurors oder auf Nachfragen der Teams zu antworten, dann hat sich die Person offenbar – zum Teil über Jahre hinweg – keine Gedanken zur Selbstverbesserung gemacht.

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Deutschsprachige Debattiermeisterschaft Münster 2015 – Juroren im Viertelfinale. © 2015 Henrik Maedler

(2) Gesamtszenisch ist unklar, welche Bedeutung das Jurieren für die Gesamtentwicklung des Debattierens hat. Wenn jemand schlecht juriert, werden alle davon beeinflusst – daher muss klar werden, dass aus einer Kollektivsicht gut zu jurieren wichtiger ist, als gut zu reden und entsprechend muss ein Fokus darauf gelegt werden.

Die Juroren setzen die Standards. Sie sind diejenigen, die insbesondere neuen Debattiererinnen aufzeigen, was möglich ist, und wie man dort hingelangt. Befriedigende Juroren können erklären, warum eine Bewertung so ausgefallen ist, wie sie ausfiel. Gute Juroren hingegen können erklären, wie die einzelne Leistungen hätten besser werden können. Die geringe Wertschätzung liegt außerdem daran, dass zu wenige Vereine die Bedeutung für die Verbesserung des Redens durch das Jurieren wahrnehmen

(3) Die Strukturen bieten keine Anreize für Vereine, gute Jurorinnen systematisch zu schulen. Es gibt keinen Jurorenwettbewerb, der sich auf die Stellung von Vereinen auswirkt. Wenn es Sanktionen gebe, wenn Clubs schlechte Leute schicken, dann würden sich Clubs gezwungen sehen, Jurorinnen auszubilden. Es gibt andrerseits keine Belohnungen, wenn geschulte Leute auf Turniere geschickt werden. Hier geht es meines Erachtens eben nicht nur um die Menge an Juroren, sondern um die Qualität.

(4) Auf der Ebene des Meta-Diskurses mangelt es an einem grundlegenden Verständnis dafür, dass Jurieren der Versuch ist, eine komplexe Debattensituation durch Komplexitätsreduktion begreifbar zu machen, um diese besser beurteilen zu können. Zu häufig wird Jurieren nur als technische Anwendung eines als vermeintlich allgemeingültigen starren Bewertungsschemas gesehen. Dies gilt im Übrigen für alle Debattierformate gleichermaßen.

Die Bewertung einer jeden komplexen, qualitativen Leistung besteht aus zwei Elementen: (1) dem analytischen Element und (2) dem synthetischen Element. OPD fokussiert auf das analytische Element – häufig wird das synthetische Element vergessen. Die einzelnen Teile einer Debatte, bzw. einer Teamleistung oder einer Rede, werden auseinander genommen, um die Komplexität verständlich zu machen. BPS legt den formalen Fokus auf das Synthetische. Dazu müssen jedoch die Einzelelemente verstanden werden, was bisweilen nicht passiert.

Wenn die getrennten Aspekte eine Rede nicht zusammengeführt werden, dann haben sie keinen Wert – der Komplexität einer Debatte können die Juroren nicht gerecht werden. Die Einzelelemente sind notwendig zum Verständnis, doch entsteht durch das Zusammenführen etwas Neues. Und es ist notwendig, dass Jurorinnen verstehen, dass es genau diese neue, komplexe Gesamtsicht ist, die in der Begründung einer Bewertung transportiert werden muss.

Es hat keine Bedeutung, wenn mir gesagt wird, dass ich in Sachverstand neun Punkte und in Kontaktfähigkeit 13 Punkte habe. Genauso wenig hat es einen Wert, wenn es heißt, dass mein Team eine neue relevante Erweiterung eingebracht hat: Erst wenn mir erklärt wird, welchen Einfluss meine neun oder 13 Punkte, oder meine Erweiterung im Kontext der Gesamtdebatte hatten, dann wird der Komplexität gerecht.

(IV) Notwendige Voraussetzung für eine Verbesserung ist es, eine Situation zu schaffen, in der gezielt über grundlegende Jurier- und Chefjurierfähigkeiten gesprochen wird.

Wir müssen ein Forum schaffen, auf dem gesamtszenisch über notwendige Eigenschaften von Juroren und Chefjurorinnen gesprochen werden kann. Fragen nach Form und Zeitfenster der Themenfindung, Koordination mit Ausrichtern, Mitsprache bei der Auswahl von Tabmastern, Grundlegende Kenntnisse des angewendeten Tab-Programms, Ausbildung der Neuen im Panel, Weiterentwicklung von Jurierleitfäden, Einladung von qualitativen Jurorinnen und Kriterien für den Break von Juroren zu erstellen sind alles Aufgaben der Chefjury. Ohne angeleitet zu werden und Erfahrung zu haben, können diese nur schwer erkannt und bewältigt werden. Insbesondere in kleineren, weniger erfahreneren Vereinen, und bei weniger erfahrenen Vorständen gibt es häufig nur eine beschränkte Vorstellung von der Komplexität der Aufgaben.

In diesem Zusammenhang spielt die medial verkürzende Darstellung, die ein falsches Bild vermittelt, eine entscheidende Rolle. Wenn es z.B. im Vorbericht zum Elbe Open heißt „Für maximal 20 Teams werden die Chefjuroren Felicia Höer und Philip Schröder Themen stellen,“ kann gesamtszenisch kein richtiges Bild über die Aufgaben von Chefjurys entstehen. Wenn die Diskussion nach der ZEIT DEBATTE in Bayreuth ausschließlich die Angemessenheit der Themen behandelt, und zum Beispiel die schwache Besetzung des Jurorenfeldes nicht thematisiert wird, dann verstärkt auch das den falschen Eindruck.

(V) Wenn klar ist, was die grundlegenden Jurier- und Chefjurierfähigkeiten sind, muss öffentlich und kontinuierlich ein vorurteilsfreier und nachhaltiger, ein robuster, jedoch kein verletzender Diskurs über die Ausprägung dieser Fähigkeiten bei konkreten Individuen geführt werden.

Hier muss eine Abwägung zwischen Transparenz und Schutz von Einzelpersonen gefunden werden. Nur über die konkreten Einzelfälle können die grundsätzlichen Probleme diskutiert werden. Wenn wir nicht konkretisieren, bleiben wir in einer Metablase und es bedarf erheblichen geistigen Aufwands das Grundsätzliche mit dem Konkreten in Verbindung zu bringen.

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Patrick Ehmann fordert einen öffentlichen und kontinuierlichen, einen vorurteilsfreien und nachhaltigen, ein robusten, jedoch keinen verletzenden Diskurs. Hier zu sehen: Teilnehmer der DDM 2015 in Gespräch. © 2015 Matthias Carcasona

Es ist ein Problem, dass es keine ordentliche, differenzierte Bewertung von Chefjuroren (CJ) gibt und sich insbesondere kleinere Clubs bei der CJ-Auswahl vom Prestige – d.h. wie häufig haben Leute welche Art von Turnieren chefjuriert – leiten lassen. Oder noch schlimmer: Sie gehen davon aus, dass wer als Redner erfolgreich ist, auch einen guten Chefjuror abgeben wird. So werden Leute Chefjuroren, die noch nie auf einem Turnier zuvor juriert haben.

Es besteht zudem das Problem, dass gewisse Personen als Säulenheilige dastehen und sich selbst perpetuieren, indem es keinen methodischen Ansatz gibt, an ihnen Kritik zu üben.

Insbesondere weniger erfahrene Ausrichter sind bei der Auswahl auf Einzelmeinungen oder die vermeintliche öffentliche Stimmung angewiesen. Wenn ich unerfahren bin, dann frage ich diejenigen Wortführer an, die öffentlich prominent sind, also wiederum diejenigen, die viel chefjurieren oder evtl. den VDCH-Vorstand. Ich unterstelle zunächst einmal keinen bösen Willen; es ist jedoch keine Kernqualität eines Mitglieds des VDCH-Vorstands, sich über Chefjury-Entwicklungen Gedanken zu machen. Aber auch Manipulation haben wir erlebt: Ein intransparentes System birgt neben den fahrlässig entstandenen schlechten Empfehlungen auch die Gefahr, dass diejenigen, die böswillig sind und sich darauf verstehen das System auszunutzen, individuelle Vorteile ergattern können.

(VI) Die gegenwärtigen Schwächen im VDCH-Jurierwesen verstärken sich gegenseitig und befördern ein Äquilibrium des Mittelmaßes.

++ Leute strengen sich nicht an. ++ Neue Jurorinnen haben keine Vorbilder. ++ Die Strukturen führen nicht dazu, dass man als Neuer eine Ahnung bekommt, was gut sein bedeutet. ++ Vereinsverantwortliche wissen nicht, auf was sie bei der Auswahl von Chefjurorinnen schauen müssen. ++ Dadurch, dass Leute zu selten miteinander jurieren und chefjurieren, können die spezifischen Stärken und Schwächen nicht hinreichend erkannt und diskutiert werden. ++

In diesen gordischen Knoten muss geschlagen werden!

(VII) Nur durch ein verändertes Bewusstsein, einen veränderten Willen und veränderte Strukturen kann die Lage verbessert werden. Der Jurier-Think-Tank kann dazu ein erster Schritt sein und sollte als strukturelle Maßnahme verstetigt werden.

Abschließend einige zusammenfassende Vorschläge zur Verbesserung der Juriersituation:

(1) Durch eine Unterscheidung in den Panels zwischen Chefjuroren und stellvertretenden Chefjuroren – und womöglich Azubi-Chefjuroren – werden Verantwortlichkeiten deutlich, und die Ansprüche, die jeweils an die Personen gestellt werden dürfen, werden klarer.

(2) Womöglich sollten auch auf großen und wichtigen Turnieren Jurorinnen Teams aus dem eigenen Verein jurieren dürfen.

(3) Wir benötigen einen Fokus auf Fortgeschrittenenseminare.

(4) Wir müssen allen Jurorinnen abverlangen, dass sie die besten Jurorinnen sein wollen, die sie sein können.

(5) Jurorinnen müssen auf internationale Turniere fahren, um zusätzliche Impulse zu erhalten, die so in Deutschland – zumindest in der Dichte – nicht zu erhalten sind.

(6) Wir müssen öffentlich darüber sprechen, an welche Kriterien wir die Güte von Juroren und Chefjurorinnen festmachen. Und wir müssen einen Diskurs entwickeln, in dem wir öffentlich über die Qualitäten von Individuen sprechen können. So entsteht ein Bewusstsein für die relevanten Eigenschaften und Personen, die diese erfüllen.

(7) Wenn dieser Think-Tank ein Erfolg ist und verstetigt wird, dann haben wir eine erste systematische Maßnahme zur Verbesserung geschaffen!

 Patrick Ehmann/ama

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2 Kommentare zu “Die Bedeutung des Jurierens im deutschsprachigen Debattieren: Keynote-Rede auf dem 1. Jurier-Think-Tank von Patrick Ehmann”

  1. Florian Umscheid sagt:

    Leider konnte ich am Jurier-Think-Tank nicht teilnehmen. Vielleicht sind viele meiner Einwände schon vorgetragen worden. Da ich eine zentrale Grundtendenz des Artikels nicht teile und einige der Beobachtungen für problematisch halte, will ich mich dennoch äußern, auch auf die Gefahr hin, dass nichts neues dabei ist.

    Vorab: ich halte viele der Beobachtungen von einem Verständnis geprägt, das Jurieren nicht mal mehr als ein Kunsthandwerk (Impliziert „Schön, aber irgendwie nicht so richtig praktisch“) sieht, sondern als eine Ikonografie, als eigenes System, aus dem Gelegentlich – wenn denn den hohen Ansprüchen des Systems an seine Elemente genüge getan ist – Erkenntnisse in die Reder*innen Sphäre tropfen dürfen und nur diese Essenzen der Weisheit Reder*innen voranbringen. Dem ist entschieden zu widersprechen. Je artifizieller das Jurieren wird, desto artifizieller wird das Feedback. Das „System“ Jurieren entwickelt einen eigenen Code und ein eigenes Programm, es wird selbst-referentiell. Da es das System „Reden“ dominiert, wird, die Annahme des Feedbacks vorausgesetzt, auch die studentische Rede artifiziell und nicht mehr an das das allgemeine Verständnis guter Rede nicht mehr anschlussfähig. Bestes Beispiel ist der Slang, der Vorrunden gewinnt und in Finals vermieden wird, soviel zum Rebuttal [Sic!].

    Geschenkt müssen CJ gut sein, aber anzunehmen, dass nur die besten und schlausten Juror*innen mit Feeback helfen können, ist m.E. irrig. Indem sie erden und Hinweise geben leisten alle Juroren einen wertvollen Beitrag.
    Weiterhin: es sollte getrennt werden zwischen der Richtigen Entscheidung (Internes Jurieren) und Gutem Feedback (Externes Jurieren). Da viele Äußerungen auf beide Ebene passen, trenne ich da, wo es Not tut.

    Zu den Thesen:
    I.1 Nicht unangenehm auffallen ist – im Vergleich mit unangenehm auffallen – ein enormer Fortschritt. Wer regelsicher ist, traut sich mehr und man baut im Jurorengespräch auf bessere Grundlagen. Wollen wir das, auch wenn es eine kleine Verbesserung ist, bitte nicht zu gering einschätzen.

    II.2 Gerade in den KO-Runden, in denen es kein Feedback gibt, würde mich interessieren, wie die Qualität der Entscheidung gemessen werden soll, da es nur eine Interne Juration gibt. Der Vorteil ist, dass KO-Runden in OPD nur zwei und in BP sechs mögliche Ausgänge (Finale zwei/vier) der Situation gibt. Zu sagen, dass die am besten bewerteten Juroren nicht im Finale juriert haben und die Entscheidung deshalb nicht die Beste ist, bedarf einer Begründung.

    I.3 Life is though, aber es wurden, durch zahllose Forderung nach Casefiles, Feedback-Systemen, AAA+ Themen, Equtiy, auch die Erwartungen an die Halbgötter mit CA-Bagdes und nicht zu niedrig aufgehängt. Kurz gesagt: liegt die Latte zu hoch, kommt halt keiner mehr drüber. Ich habe mir schon überlegt, ob ich mich für den CJ-Posten der DDM bewerben soll. Das erforderte Überzeugungsarbeit und nochmal tue ich mir das nicht an (und ich war nur zwei Tage da). Einen Vorschlag zur Lösung erarbeite ich schemenhaft unter VIII.1

    II.1 Ja. Und zwar sind die: Konzentration durch die Debatte + 15 Minuten Diskussion + 15 Minuten Feedback. Die Belastung für Redner ist m.E. geringer. Sechs Stunden am Tag konzentriert arbeiten bei wenig Toleranz für Fehler ist nicht sonderlich attraktiv, besonders wenn man die Option reden hat.

    II.2 Definition: Ein (aufstrebende*r) Juror*in ist oft ein*e Redner*in ohne Team und/oder Startplatz. Das jemand systematisch jurieren will und sich schulen und fördern lässt ist der Ausnahmefall. Die Nachfragen stellten dir wahrscheinlich sowieso schon gute Juroren.

    II.4 S.U.

    III.1 Jurieren beginnt in der Tat beim Individuum. Aber mit einem anderen Mechanismus: die Grundlegende Isolationsfurcht jedes Menschen zusammen mit der Erwägung, dass gefeedbackte mich auch nochmal jurieren könne, führt dazu, dass Kritik nicht scharf sondern möglichst kontingent formuliert wird, um sich nicht selbst sozial und sportlich zu isolieren. Das führt zu weicher Kritik, die einfach zurückzuweisen ist. Gefühlt wollen immer mehr Redner*innen nach der Debatte das Ergebnis diskutieren („Aber der X im Feedback in Runde Y hat Z gesagt.“). In der Regel, weil sie deutlich besser waren, als die Juroren das zu erkennen in der Lage waren. Konsequenz: die Juror*innen geben immer höhere Punkte (vgl. der steigende DDM-Punkte-Schnitt), gleichzeitig fühlen sich die Redner*innen – Jurorenfeedback sei Dank wissen wir das – in Masse zu niedrig bepunktet. Die Chuzpe, völligen Blendgranaten völlig gerechtfertigte 28 Punkte zu geben, ist geschwunden, auch ich rundete bei der DDM bei schlechten Redner*innen nach oben auf, bei denen ich wusste: hier droht mir ne‘ Diskussion, wenn es zu tief geht punktemäßig.
    Hier eine Randbemerkung: Jurieren ist keine Eigenständige Ikonografie mit eigenen Bewertungsregeln, die den Gefeedbackten außen vor lassen kann. Systemischer Bewertungsmaßstab für gutes Feedback ist: macht es die Reder*innen besser. Da ist aber auch der individuelle Redende angsprochen, er muss es schließlich annehmen und hier fehlt es oft ganz entscheidend an Einsicht, Erkenntnis eigener Fehlbarkeit und Akzeptanz. Machen wir bitten für gelingendes Feedback nicht nur Juror*innen verantwortlich, sondern auch die Redner*innen.

    Verbesserungen dazu (eher als überzogener Denkanstoß zu verstehen):
    1. Nehmt den Redner*innen die Jurorenfeedbackbögen wieder weg. Da beurteilen sie etwas, was sie nicht beurteilen können, bzw. halte ich die Operationalisierung dessen, was da gemessen werden soll, für nicht hinreichend und die Argumente, die mit den gewonnen Daten gestützt werden, für problematisch. Fragt die Co-Juroren und nur die, das ist die Instanz, die sich zu den Jurierungen äußern kann. Zahlen der falschen Befragten (Redner*innen) sind einfach falsche Zahlen.
    2. Feedback wird schweigend entgegen genommen, sobald der Raum verlassen wurde, ist der Jurierende keinerlei Auskunft mehr schuldig.
    3. Jedes Team hat pro Turnier Anrecht auf ein Feedback, es kann den Jurierenden, von dem es dieses Feedback bekommt, frei nach einer Vorrunden-Debatte bestimmen (Der Volkswirt weiß: was im Überfluss vorhanden ist, ist nicht wertvoll. Über die Nachfrager-Seite habe ich schon geredet).
    4. Der Satz „Ihr könnt auf der Party zu euren Juroren gehen“ wird verboten.

    Kurz gesagt: ihr wollt Juroren als kompetente Richter*innen, dann setzt sie wieder auf eine Ebene über die Redner*innen. Dass ich nicht scharf kritisiere, wenn bereits ein „Ist völlig Inkompetent“ von einem Team für einen Juror*innen-Breakausschluss reicht, wirkt logisch. Weiterhin sind hier besonders Juror*innen von großem Wert, die keine aktiven Redner mehr sind. Die haben nämlich a) Erfahrung und b) nichts mehr zu verlieren. Der Antrag der DDM-Startbegrenzung mag, ggf. er wird auf die ZD-Serie übertragen, hier günstig wirken. Plus der Machtfaktor dürfte seinen ganz eigenen Appeal entwickeln, vielleicht wird Jurieren dann wieder attraktiv. Oder man lässt sich jede Feedback-Minute bezahlen …. ich gerate ins Plaudern, Entschuldigung.

    III.2 Juror*innen setzen leider keine Standards mehr, inzwischen sind wir – gefangen zwischen Juror*innen, die keine Instanzen mehr sind wegen aLter oder Können und Juror*innen die keine Instanzen mehr sein wollen (Vgl. Isolationsfurcht) – zu flauschig geworden. Wer noch Chips im Spiel hat, wird es sich nicht verscherzen wollen.

    III.3 Das mag in großen Clubs mit hohem Engagement gehen, überall anders gilt eher die Jurorendefinition aus II.2

    III.4 Stimmt

    IV. Da sind wir m.E. schon. Es ist klar, für was die CJs alles verantwortlich sind. Mittwochsfeature sei Dank!

    V. Interessant, aber redundant. Gute CJs empfehlen sich selbst. Dass wir so wenige gute CJ haben liegt auch daran, dass wir nicht mehr junge, gute Debattierer als „Ausgangsmaterial“ bekommen -> Stichwort Nachwuchs und Wettkampf um die Köpfe.
    Bei der Auswahl sind zum Glück weiter als vor fünf Jahren. Ein Ausschreibung ist Realität und kein revolutionäres Unding.

    VI. To the point. Aber bitte III.1 als weiteren Mechanismus zur Kenntnis nehmen.

    VII.1 Benennt CAs nach Stärken: Themen-CJs, Juroren-CJs, die Setzungen und Feedback machen. Benennt Feedback-Juroren (Die gut und das ganze Turnier Feedbacken) und Punkte-Juroren (Eie machen das Gleiche, nur mit Punkten/Entscheidungen).
    VII.2 Volle Zustimmung.
    VII.3 Das braucht ganz enge Erfolgs-Parameter, sonst kommt man in arge Rechtfertigungsnot.
    VII.4 Tuen wir schon und sie enttäuschen uns/dich. Welche Konsequenz ziehen wir nun?
    VII.5 Ja
    VII.6 Von mir aus…
    VII.7 Nein, keine Ikonographie aus dem Jurieren machen, sondern etwas, das lebt, atmet, die Rhetorik im Feld wiederspiegelt, Redner*innen hilft und nicht Anspruch an sich selbst ist.

  2. Ich bin in vielen Punkten bei Flo, möchte aber noch drei allgemeine Punkte anmerken:

    1.) Die formulierten Ansprüche an Juroren sind zu hoch (I): Nur ein Chair muss in der Lage sein, ein nachvollziehbares Rechtfertigungsfeedback zu geben und ein verständliches und situativ passendes Verbesserungsfeedback zu geben. Für einen Nebenjuroren ist es ausreichend, wenn er die Reden einer Debatte erfassen, qualifiziert wiedergeben und in den Kontext der Debatte einordnen kann. Es ist daher absolut legitim, Juroren mit in die KO-Runden zu nehmen, deren Kompetenz als niedriger wahrgenommen wird, weil ihr Feedback noch nicht vollumfänglich den Ansprüchen der Redner genügt, sofern die Chefjuroren die grundsätzlichen, den Rednern verborgenen Fähigkeiten dieser Juroren im Juriergespräch überprüft haben (womit wir wieder bei den Aufgaben der CAs wären). Ich halte daher die Unterstellung, dass im DDM-Finale in Berlin ungeeignete Juroren saßen, für unredlich, solange keine Beweise vorliegen, dass Juroren wider besseren Wissens der CAs gebreakt sind – zumal die Ergebnisfindung nach den mir zugetragenen Details auch nicht darunter gelitten hat und somit auch bei einem anders zusammengesetzten Panel davon ausgegangen werden kann, dass es zur selben Entscheidung gekommen wäre.

    2.) Die formulierten Ansprüche an Juroren sind zu hoch (II): Der Trend zu immer mehr Vorrunden in der gleichen Zeit ist nicht unbedingt ein Anreiz als Juror auf ein Turnier zu fahren. Jurieren ist aus meiner eigenen Erfahrung deutlich fordernder als Reden, da man die ganze Debatte konzentriert zuhören muss, anschließend ein Juriergespräch führt und dann evtl. noch Feedback geben muss (s.o. bei Flo). Einer der Hauptgründe, warum ich für die Beibehaltung des Präsidenten bei OPD bin, ist die Möglichkeit, eine Runde lang zu regenerieren, da man „nur“ die Zeit nehmen, Strichlisten führen und Fragen mitschreiben muss. Ich kann aus Sicht des Redners verstehen, warum es natürlich besser aussieht, wenn man für sein Geld fünf statt vier Vorrunden bekommt – aber aus Sicht des Jurors geht dies langsam, aber sicher an die Substanz und sorgt nicht unbedingt dafür, die Aufgabe gerne zu übernehmen. Nun bekomme ich dabei ja immerhin noch etwas fürs Ego geboten – ich darf oft chairen und Feedback geben und werde aller Wahrscheinlichkeit nach breaken. Ein Anfänger bekommt das nicht und darf sich zusätzlich noch anhören, dass er scheiße ist. Was mich zum letzten Punkt bringt…

    3.) Die Art und Weise, mit der hier über das Jurieren gesprochen wird, schreckt ab: Wenn man sich so durchliest, was hier und auch an anderer Stelle auf dem Think-Tank über das Jurieren auf Turnieren gejammert wird, muss man sich nicht wundern, dass fähige Leute sich nicht trauen, als Juroren auf ein Turnier zu fahren, solange sie noch nicht den Nimbus des alles überstrahlenden Großjurors haben. Nur maximal 5 Leute in Deutschland erfüllen die Anforderungen an einen CA; es gibt vielleicht 14 gute Juroren in Deutschland; die Jurorensituation ist verheerend, weil die meisten, die als Juroren antreten, nichts taugen… Unabhängig davon, an wen die Autoren solcher leichtfertig dahin geschriebenen Sätze im Konkreten dachten, den meisten Lesern, insbesondere wenn sie noch keinen Namen als Juror haben, dürfte klar sein, dass sie bestimmt nicht zu den Top-Leuten gezählt werden und ihr Beitrag also weder wertgeschätzt noch anerkannt wird. Was umso schwerer wiegt, als dass die beschriebene Situation keineswegs meiner eigenen Erfahrung entspricht: Ich habe in den drei Jahren, in denen ich jetzt auf Turnieren debattiere, wenige absolute Blendgranaten erlebt, die sich immer wieder durchmogeln und (Chef-)Jurorenposten besetzen, die ihnen objektiv nicht zustehen dürften (so dumm sind die meisten Ausrichter dann doch nicht, als dass sie dies nicht durchschauen würden). Stattdessen gab es viele, die sich durch häufiges Jurieren kontinuierlich verbessert haben und immer wieder neue Gesichter, die viel Potenzial zeigen, wenn man sie denn richtig aufbaut (wozu auch gehört, dass man jemanden mit Potenzial an die Hand nimmt und ihm das Nebenjurieren in KO-Runden ermöglicht, damit er dort viel über Jurierpraxis lernt und vielleicht auch einmal an die Grenzen stößt, um sich dieser bewusst zu werden – auch wenn es objektiv vielleicht andere Kandidaten gibt, die durch mehr Erfahrung „besser“ wären. Und wieder sind wir bei den Aufgaben des CAs…).

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