OPD-Regelwerk V13 veröffentlicht

Datum: 19. August 2022
Redakteur:
Kategorie: Jurieren

Die Regelkommission der Offenen Parlamentarischen Debatte hat – als letzte Amtshandlung vor ihrer Neuwahl – eine neue Ausgabe des OPD-Regelwerks veröffentlicht. Im Folgenden werden die Änderungen von der Kommission selbst vorgestellt.

Jurierung auf der OPD Campus Debatte Heidelberg 2022 – © Rederei Heidelberg

Wann beginnt eigentlich die Redezeit und kann man diesen Beginn unendlich hinauszögern? Gibt es Regeln im OPD-Regelwerk, die von der Realität überholt wurden– und wenn ja, sollen sich die Regeln an die Praxis angleichen oder die Praxis sich lieber wieder an die Regeln? Mit solchen und ähnlichen Fragen und Anliegen aus der Szene haben wir uns über das Geschäftsjahr Punkt für Punkt beschäftigt. Nun, wo unsere Amtszeit als OPD-Regelkommission endet, wollen wir unsere beschlossenen Änderungen gesammelt in einer neuen Version des Regelwerks präsentieren:

https://www.streitkultur.net/wp-content/uploads/2022/08/Regelwerk-V13.pdf

Um das Wichtigste vorweg zu nehmen: V13 ist einmal mehr eher Evolution als Revolution; wahrscheinlich wird nur die erste hier beschriebene Änderung die Redepraxis sehr sichtbar ändern. Im Folgenden sind die Änderungen annähernd absteigend nach wahrgenommener Wichtigkeit geordnet aufgelistet:

Möglichkeit, die Redezeit vor Beginn des ersten Wortes laufen zu lassen

Was hat sich geändert? A.3.1.e) “Präsident*innen erteilen das Wort, doch über den Beginn der Rede entscheiden grundsätzlich die Redner*innen, damit sie die Ansprache des Publikums nach eigenem Gespür gestalten können. Haben Präsident*innen jedoch den Eindruck, dass der Beginn der Rede hinausgezögert wird, um einen unfairen Vorteil zu erlangen, sollen sie die Redner*innen zum Beginn der Rede mahnen und von fünf Sekunden herunterzählen. Spätestens nach diesen fünf Sekunden beginnt die Redezeit zu laufen, unabhängig von einem tatsächlichen Beginn der Rede.”

Hintergrund der Änderung: In jüngerer Zeit hat sich zunehmend eine Praxis etabliert, dass Rednerinnen und Redner die Regel, dass die Redezeit erst ab dem ersten Wort beginnt, zu ihren Gunsten ausgenutzt haben, um vor ihrer Rede bzw. am Pult noch mehrere Minuten “Vorbereitungszeit” herauszuholen. Diese Praxis ließ sich (außerhalb vielleicht der Kategorie Überzeugungskraft) nicht unterbinden, fiel dem Publikum beispielsweise auch in öffentlichen Finaldebatten negativ auf und lief so dem Charakter von OPD entgegen, überzeugende Rede zu bewerten. Dem soll nun diese Regeländerung entgegenwirken – ohne dabei die “sinnvollen” Möglichkeiten (z.B. für unerfahrene Rednerinnen und Redner, sich zu sammeln) einzuschränken, die Rede mit kurzer Verzögerung zu beginnen.

Reihenfolge Fraktionsfreier Reden wird – auch in KO-Runden – gelost.

Was hat sich geändert? C1.2.a) “Die Fraktionen wählen die Aufteilung ihrer Rederollen selbst, die Reihenfolge der Fraktionsfreien Redner*innen wird von der Organisation im Voraus festgelegt. Dabei entscheidet in der Regel das Los, wobei darauf geachtet wird, dass ein Team optimalerweise alle Positionen der Freien Rede im Laufe des Turnieres gleichmäßig bekleidet.” Sowie C.2.3.b) “[…] Die punktbesten Redner*innen eines Raumes, die nicht über ihre Fraktion weitergekommen sind, qualifizieren sich als Fraktionsfreier Redner*innen für die nächste Runde (bei Gleichstand entscheiden die Redepunkte in der aktuellen Redepunkte-Tabelle). Die übrigen Fraktionsfreien Redner*innen der nächsten Runde konstituieren sich aus den besten noch nicht weitergekommenen Redner*innen laut aktueller Redepunkte-Tabelle. Die Reihenfolge der Freien Reden in den Ausscheidungsrunden wird gelost.”

Hintergrund der Änderung: Auf jüngeren Turnieren war aufgefallen, dass es keine explizite Regel gibt, die festlegt, wie Fraktionsfreie Reden in KO-Runden aufgeteilt werden– sprich beispielsweise, auf welcher FFR-Position im Finale die punktbeste übrige Person aus Halbfinale 1, die punktbeste übrige Person aus Halbfinale 2 und die punktbeste übrige Person aus dem Tab reden. Entschieden wurde so entweder chronologisch (HF1, HF2, Tab) oder per Zufall. Wir haben diesen Umstand besprochen und sind mehrheitlich zu dem Schluss bekommen: Weder ist es so, dass eine Position der Freien Rede “besser” als die anderen sein soll (die 1. FFR beispielsweise hat mehr argumentatives Material zur Verfügung, aber auch weniger Vorbereitungszeit), noch hätten unter den Fraktionsfreien Rednerinnen und Rednern in den KO-Runden die einen eine etwaige “bessere” Position mehr verdient als die anderen. Daher halten wir den Losentscheid für die fairste Methode.

Kleinere Anpassungen bei Abzügen:

Was hat sich geändert? B.1.5.e) “[…]Wenn ein Antrag nicht eindeutig falsch war, kann von einem Abzug abgesehen werden, auch wenn Hauptjuror*innen dem Antrag der Opposition gemäß A.3.3.d) stattgeben.[…]”; f) “[…] Kleiner Abzug: Dauerhaft fehlende oder unsportlich falsche Positionierung in Freien Reden; das schauspielerische Annehmen einer simulierten Rolle oder unangemessene Reflexion der eigenen Debattier-Rolle in der Rede (Metabemerkungen). Großer Abzug: grobe Beleidigungen, nachhaltige Missachtung entweder der Anweisungen von Präsident*innen oder Hauptjuror*innen oder von Zwischenrufverboten. 

Hintergrund der Änderung: Auf eigenen Wunsch sowie auf Wunsch aus der Szene haben wir uns noch einmal sehr ausführlich die Abzugsregeln angeschaut. Abzüge sind für Verhalten gedacht, das nicht nur schlecht ist, sondern – wie ein Foul in anderen Sportarten – den anderen Teilnehmenden und der Debatte als solches schadet. Aktuell werden in der Praxis fast nur der Zeit- und selten noch der Metaabzug angewandt. Wir sind aber am Ende zu dem Schluss gekommen, dass wir an den Regeln keine großen Änderungen vornehmen wollen. Für sinnvoll hielten wir nur folgende Anpassungen: (i) Es gibt bisweilen Graubereiche, ob ein Antrag ein Thema zu weit einschränkt oder nicht, ob definierte Ausnahmen zu groß sind oder nicht. Hier wollen wir ein kleines Schlupfloch schaffen, solche Anträge im Graubereich als falsch zu bewerten (gerade wenn sie von der Opposition beanstandet wurden), ohne sie zusätzlich noch mit einem Abzug zu bestrafen. (ii) Eine fehlende oder falsche (zum Beispiel auf Seite der Regierung stehen, aber den Antrag ablehnen) Positionierung von Freien Reden sehen wir vom Schweregrad her – bezüglich der Absicht und der Auswirkungen auf die restliche Debatte – eher auf einer Ebene mit dem Einnehmen von simulierten Rollen oder Metabemerkungen und nicht mit klaren Beleidigungen: Es irritiert die anderen Debattenteilnehmenden, bringt sie im schlimmsten Fall ein wenig aus dem Konzept, aber “foult” sie nicht grob und nachhaltig. (iii) Problematisch an diesem Fall fänden wir es eher, wenn beispielsweise eine Präsidentin die Positionierung einer Freien Rede anmahnt, aber sich der Redner weiterhin einfach weigert, dies zu tun. Solches Verhalten (“nachhaltiges Missachten von Anweisungen”) sollte dann einen großen Abzug bekommen. (iv) Last but not least haben wir dank der aufmerksamen Alena ein kleines Artefakt beseitigt: Am Anfang der Abzugsregeln war noch von einem “Publikumsabzug” die Rede, den es aber schon lange nicht mehr gibt.

Zwischenüberschriften zur leichteren Lesbarkeit

Was hat sich geändert? Alle Unterpunkte aller OPD-Regeln haben nun kursive Zwischenüberschriften. Die Untergliederung der Regeln wurde dafür bisweilen angepasst.

Hintergrund der Änderung: Keine Regeländerung, nur eine sehr umfassende formale Überarbeitung. Sie soll das Lesen des Regelwerks und das Auffinden spezifischer Regeln erleichtern.

Nicht-praktische Streitfragen nicht mehr als absolute Ausnahme

Was hat sich geändert? A.1.1.c) “Grundsätzlich ist es wünschenswert, praktische und/oder relevante Fragen zu stellen. Es ist jedoch auch möglich, eine nichtpraktische oder weniger relevante Streitfrage zu stellen. In Fällen nicht-praktischer Streitfragen (sogenannter „Prinzipienthemen“) ist die Regierung explizit von der Stellung eines Antrags zu befreien. Solche Themen sind vor allem sinnvoll, wenn eine Formulierung als Antragsthema das Thema deutlich verzerren oder unverständlich machen würde („Sollten sexualisierte Performances als Triumph des Feminismus gefeiert werden?“).”

Hintergrund der Änderung: OPD versteht sich stark als Antragsformat; sogenannte Analyse- oder Prinzipienthemen sah es bislang nur als absolute Ausnahme vor. Die Praxis auf OPD-Turnieren hat sich hingegen schon länger gegenteilig entwickelt; dort wurden (wie in BPS) zunehmend weniger Antrags- und mehr Analysethemen gestellt. Wir haben diese Diskrepanz ausführlich besprochen und sind zu dem Schluss gekommen, dass Theorie und Praxis sich hier gleichermaßen aufeinander zubewegen sollten: Wir verstehen die Philosophie von OPD durchaus darin, primär gesellschaftlich relevante Fragestellungen und praktische politische Entscheidungen zu debattieren; dies sollte von Chefjurys auch bedacht werden. Gleichzeitig würde es den Themenpool künstlich einschränken, wenn Analyse-/Prinzipienthemen nur als absolute Ausnahme vorkommen würden. Insofern haben wir die ursprüngliche Regel etwas aufgeweicht.

Glocke und Hammer als Utensilien nicht mehr vorgeschrieben

Was hat sich geändert? A.2.2.b) “Präsident*innen leiten die Debatte neutral. Insbesondere wachen sie über die Einhaltung der Regeln, entscheiden über ihre Auslegung in Zweifelsfällen und ergreifen alle erforderlichen Maßnahmen zu ihrer Durchsetzung. Sie sind neben einer Uhr mit einer Glocke und einen Hammer oder solchen Utensilien ausgestattet, mit der sie vergleichbare akustische (Glockenläuten/Hammerschlag) und optische (Heben von Hammer und Glocke, Umlegen der Glocke) Signale geben können.”

Hintergrund der Änderung: Seit Jahren werden 99,9% der OPD-Debatten mit Zeitsignalen per Hand und/oder per Zeitnahme-App juriert. Das OPD-Regelwerk sah aber immer noch – im- oder explizit – Hammer und Glocke aus Utensilien vor. Wir finden diese Utensilien zwar stilvoll, weswegen wir sie zu repräsentativen Anlässen weiterhin begrüßenswert finden– sie vorzuschreiben ist aber realitätsfern. Selbst aus der Anlehnung des Debattierens an ein Parlament sind diese Utensilien nicht zweifelsfrei abzuleiten. In Zukunft muss sich diese Szene zwar noch auf ein optisches Äquivalent zum “Umlegen der Glocke zum Verbitten von Zwischenrufen” (A.4.4.c, eine fast vergessene OPD-Regel!) einigen, aber ansonsten wird sich an der Praxis nichts ändern.

Explikation, dass Fachwissen zur Falsifizierung von Falschaussagen genutzt werden kann

Was hat sich geändert? B.1.1.b) “Da meist nicht das gesamte Publikum mitjurieren kann (und manchmal kaum Publikum vorhanden ist), sollten Jurierende versuchen, über größere Abweichungen ihrer selbst im Vergleich zu fiktiven, interessierten und allgemeingebildeten Zuschauenden zu reflektieren…. […] Allerdings darf Fachwissen der Jurierenden genutzt werden, um objektiv falsche Tatsachenbehauptungen der Debattierenden als solche zu bewerten.”

Hintergrund der Änderung: OPD-Regelkommissionen vor uns hatten bereits etabliert, dass faktische Falschaussagen (nicht zu verwechseln mit Theorien, die man als Juror oder Jurorin mit dem eigenen Studienhintergrund ablehnt!) als solche negativ bewertet werden können, selbst wenn dies über das Allgemeinwissen des “durchschnittlichen Publikums” hinausgeht. Damit soll die Verbreitung von Falschinformationen und der strategische Einsatz von Lügen unterbunden werden. Diese Auslegung wurde aber noch nicht hinreichend explizit im Regelwerk reflektiert; dies haben wir nun nachgeholt.

Diskutierte Themen ohne Änderungen

Neben diesen Dingen haben wir innerhalb unserer Amtszeit noch über weitere Punkte diskutiert/gesprochen, ohne dass wir dabei Regeländerungen vorgenommen hätten. Darunter fallen u.a.:

  • Die Rolle von Präsident*innen: Wir haben auch die Diskrepanz diskutiert, dass die Präsident*innen-Rolle eine sehr prominente Funktion im OPD-Regelwerk einnimmt, auf vielen Turnieren aber nicht vergeben wird. Wir halten diese dezidierte Rolle – mit der Ausnahme, dass sie bei Jurierendenmangel eingespart wird – aber weiterhin für so sinnvoll, dass wir sie im Regelwerk beibehalten möchten, aus mehreren Gründen: Sie entlastet Hauptjurierende bei der Arbeit / dem Multitasking der Debatte; sie bietet eine Möglichkeit, dass Nachwuchs Jurierungen und Jurierdiskussionen kennenlernt, ohne gleich selber Punkte vergeben zu müssen; sie bietet bei Punktegleichstand eine Instanz, die ohne das Mitschreiben / das Denken in Punkten vielleicht noch besser den Eindruck des Publikums repräsentieren kann (“Präsident*innenentscheid”).
  • Eichung und Ausbildung von Jurierenden: Wir danken den Jurierbeiräten für das OPD-Jurierseminar und den vielen Nachwuchsjurierkräften aus der Szene. Es gab nicht viele OPD-Turniere diese Saison; entsprechend lassen sich auch schwer Trends zur Eichung ableiten, wenngleich es Kritik gab, dass bisweilen wieder eine Stauchung der Punkteskala (eine “Angst”, besonders hohe oder niedrigen Punkte zu vergeben) zu beobachten gewesen wäre. Das müsste dann vor allem im kommenden Jahr mit einer OPD-DDM beobachtet werden.
  • Die Nähe/Diskrepanz zwischen Jurierperson und “normalem” Publikum: Unter anderem Marion hatte in ihrem Essaybeitrag im OPD-Jubiläumsband 2021 auf den interessanten Umstand hingewiesen, dass OPD einerseits auf eine Repräsentation des “normalen Publikums” durch Jurierende hinwirkt, andererseits aber in der Ausbildung auch eine Distanz von diesem erwartet wird (z.B., dass Jurierende Zirkelschlüsse, reine Behauptungen, Stereotype weniger als vielleicht die Durchschnittsbevölkerung akzeptieren sollen). Wir haben über diese Diskrepanz diskutiert, von Regeländerungen aber vorerst abgesehen; wir glauben, dass das Regelwerk im Status quo diesen Spagat bereits abbildet.
  • Hilfs- und Informationsmaterialien zum Erlernen von OPD: Wir haben Vorarbeit geleistet, damit künftige OPD-Regelkommissionen wieder mehr Hilfsmaterialien zum Format auf der Webseite zur Verfügung stellen können.

 

Die OPD-Regelkommission  ist verantwortlich für das Regelwerk des Formats der Offenen Parlamentarischen Debatte. Sie wird jährlich von der Mitgliederversammlung des Tübinger Debattierclubs Streitkultur e.V. gewählt. 2021/22 bestand sie aus Sabrina Effenberger (Rederei e.V. / Heidelberg), Sven Jentzsch (Streitkultur e.V.), Chiara Throner (Streitkultur e.V.), Constanze Keck (Streitkultur e.V.) und Robert Wiebalck (Debattierclub Freiburg e.V.). Am 18. Juni wurde die Kommission auf der Mitgliederversammlung der Streitkultur e.V. neu gewählt, wobei Sabrina Effenberger und Constanze Keck aus der Kommission ausschieden und Lennart Lokstein (Streitkultur e.V. und Debattierclub Saar e.V.) und Sven Bake (Debattierclub Würzburg e.V.) wieder bzw. neu hinzukamen. Die Regelkommission ist per E-Mail unter opd [at] streitkultur [dot] net erreichbar.

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