Der politische Bias unserer Szene – eine (kleine) Abrechnung

Datum: 10. Januar 2024
Redakteur:
Kategorie: Mittwochs-Feature

Ist die deutsche Debattierszene zu links-grün geworden? Kann angesichts von politischen Biases noch angemessen debattiert werden und werden konservative Menschen genauso in der Szene willkommen geheißen wie die Mehrheit, die eher aus links-grünen Kreisen kommt? Diesen Fragen widmet sich Sven Jentzsch in seinem heutigen Mittwochs-Feature.

Einleitung: Ein Gedankenexperiment

Ist unsere Hochschul-Debattierszene politisch parteiisch? Ist sie (zu) links?

Fragen, die wahrscheinlich erst einmal Ablehnung hervorrufen.

Ich möchte euch zu einem kleinen Gedankenexperiment einladen. Da man manche Dinge besser nachvollziehen kann, wenn man sie auch nachfühlt. Stellt euch eine Debattierszene vor, die fast genauso ist wie die unsrige. Mit einem entscheidenden Unterschied in diesem Paralleluniversum: Dass dort keine links-progressive, sondern eine konservative* Mehrheit herrscht.

(*Politikwissenschaftler mögen mir die simple links-rechts-Dichotomie zu Veranschauungszwecken verzeihen, sowie, dass ich den stark negativ besetzten Begriff „rechts“ eher vermeide.)

Sven Jentzsch, Sven Jentzsch (v.l.n.r.) © Streitkultur e.V. 2020

Teil I: Erstiphase

Ihr selbst seid in diesem Gedankenexperiment ein junger linker Student oder eine junge linke Studentin. Nicht einmal „links“ im strengeren Sinne, bei der LINKEN, der Wagenknecht-Partei oder den Kommunisten. Nein, ihr fühlt euch der SPD oder den GRÜNEN (österreichische oder schweizerische Pendants bitte hier einsetzen) verbunden, seid bei letzteren sogar Parteimitglied. Und natürlich diskutiert ihr gerne über Politik. Weshalb euch auch die Vorstellung eures lokalen Debattierclubs sofort imponiert und ihr sehr motiviert in die Einstiegsphase startet.

Rückblickend gibt es in dieser Einstiegsphase Irritationsfaktoren: Während euch selbst Gendern sehr wichtig ist, sind alle Vorstandsmitglieder des Debattierclubs in ihrer Vorstellung sorgfältig darauf bedacht, das generische Maskulinum zu verwenden. Alle Flyer sind ebenfalls entsprechend gestaltet. Bei eurem ersten Einstiegsabend wird ganz selbstverständlich als Thema „Sollte die Cannabislegalisierung rückgängig gemacht werden?“ debattiert – als wäre die umgekehrte Debatte einer noch weiteren Legalisierung der Drogenpolitik völlig undenkbar. Wenn einige wenige Anfänger (meist aus dem Jura-Studium) anders als ihr sehr offensiv linke Parolen in ihren ersten Reden raushauen, wird getuschelt, Augen werden verdreht und im Feedback wird ihnen freundlich, aber bestimmt klargestellt, dass sie mit ihren Aussagen ein neutrales Publikum nicht überzeugen würden und nur weil solche Werte im Grundgesetz stehen, sie im Debattieren nicht festgemeißelt dastehen. Sie kommen dann nach ein paar Wochen nicht mehr wieder.

Ihr hingegen agiert wochenlang ohne euch politisch „zu outen“, findet Anschluss, Freunde und Gefallen am Debattieren. Bis dann doch irgendwann – im Pub, auf der Ersti-Hütte oder dem Nachhauseweg – die obligatorische Frage nach der politischen Affiliation aufkommt. Ihr – inzwischen schon in dem Wissen, dass ihr damit in der Uni und in diesem Debattierclub in der Unterzahl seid – druckst herum: „Nun ja,,… ich bin bei den Grünen. …also eigentlich bin ich da auch Mitglied.“ Darauf gibt es zwei Reaktionen. Erstens: „Oha, das hätte ich VON DIR gar nicht gedacht.“ Zweitens: Nur aus Interesse: Könntest du mir mal erklären, wie man dazu kommt?“ Einerseits fühlen sich diese Fragen immer anklagend an, als stünde eure politische Überzeugung (die ja nicht einmal sonderlich ungewöhnlich ist) einer Freundschaft im Weg und mache euch auf Anhieb unsympathisch. Andererseits: Vielleicht ist es auch nur nettes Interesse? Kann man gegen solche neutralen Fragen etwas einwenden? Jedenfalls seid ihr künftig vorsichtiger, meidet das Thema. Aber jetzt ist es zu spät, längst hat sich herumgesprochen, dass ihr „die/der Grüne“ seid, es wird zu eurem Markenzeichen, eurem „Meme. Irgendwann verliert ihr mal eure Geldbörse im Pub, eure Freunde bringen sie euch zurück – und meinen dazu, sie hätten überlegt, euren Parteiausweis darin durch einen Stasi- oder Sowjet-Ausweis zu ersetzen:Nur als kleiner Scherz!“. Und wieder fragt ihr euch: Ist das wirklich ein Scherz unter Freunden und ihr solltet drüber lachen – oder ist es einfach geschmackslos?

Teil II: Themen und Debatten

Aber ihr bleibt dabei, vieles am Debattieren macht euch auch Spaß. Ihr fahrt auf Turniere, ihr juriert, und irgendwann seid ihr sogar selbst einer dieser Dinos, die die Ehre haben, zum Chefjurieren eingeladen zu werden.

Trotzdem verfolgt euch dabei hartnäckig die Frage: Liegt es an eurem eigenen, linken Bias, oder haben die Themen, die ihr redet und juriert eine gewisse Schlagseite? Im Kleinen: Warum werden eigentlich Gendersprachen-Verbote debattiert, aber nie umgekehrt Gendersprachen-Vorschriften an Universitäten? Warum wird eigentlich der Verfall der Religiosität bedauert oder eine stärkere Rolle der Kirchen in der Politik abgewogen – aber nie umgekehrt die Religionen selbst bedauert oder der Laizismus gefordert? Und liegt es wirklich nur an der Sensibilität des Themas, dass „heiße(linke) Eisen“ wie Luxussteuern oder ein neuer Gesellschaftsvertrag nie angefasst werden? Im Großen: Klar, dass es sich aus der Logik des Parlaments ergibt, dass die Regierung oft den Status quo verteidigt und damit konservative Positionen einnimmt. Aber warum gibt es häufig Debatten, bei denen Regierung UND Opposition konservative Positionen unterschiedlicher Stärke einnehmen – also eigentlich eine konservative Blasendebatte geführt wird? Und warum gibt es quasi nie umgekehrt Debatten, wo zwei dezidiert linke Positionen gegeneinander abgewogen werden?

Wenn ihr selbst mal ein linkeres Thema vorschlagt (und meist macht ihr dabei schon selber viele Zugeständnisse und stellt „weichere“ Versionen als ihr wollt), stößt es in Chefjurier-Panels schnell mal auf Ablehnung. Falls nicht, dann spätestens bei den Debattierern, die es reden müssen: „Was soll ich da auf der Opposition sagen? Da gibt es doch GAR KEINE Argumente! Das Thema ist super reg-lastig! Sie versuchen dann in der Debatte, ihre konservative Position möglichst umzudeuten und aufzuweichen, machen eine Persiflage oder noch besser, sie bringen ihr Lieblingsargument in diesen Fällen: Den Backlash bei den Linken. Mit anderen Worten: Die Maßnahme ist eigentlich nicht schlecht (das wäre ja undenkbar), aber sie regt leider diese primitiven, links-progressiven Bevölkerungsteile auf und sollte daher noch zurückgestellt werden. Und wieder hinterfragt ihr euch selbst: War euer Thema einfach schlecht? Oder liegt es daran, dass die anderen Panelmitglieder oder Debattierer einen konservativen Bias haben (genauso, wie ihr selber einen linken Bias habt)? Ist es gemein, sowas zu unterstellen? Jedenfalls beschleicht euch das Gefühl, dass während ihr andauernd Kirschen schlucken und in Debatten konservative Positionen einnehmen müsst (worin ihr eigentlich auch den positiven Lerneffekt des Debattierens seht), einige eurer Mitdebattanten wesentlich weniger bereit sind, es in umgekehrter Richtung gleich zu tun.

Teil III: Miteinander und Engagement

Je länger ihr in die Szene aktiv seid, je mehr ihr euch dort selbst ehrenamtlich engagiert, desto mehr fallen euch andere Dinge auf:

Erstens: Eure Eindrücke aus eurem eigenen Club bezüglich der politischen Demografie scheinen nicht aus der Luft gegriffen zu sein. Dies legen halb-seriöse, anonyme Wahlumfragen auf Turnieren (Link) nahe genauso wie seriösere, größere Erhebungen unter internationalen Debattierern, in denen das rechtsliberale Lager dominiert (Link).

Zweitens: Auch die nicht-gegenderten Flyer eures Clubs waren kein Einzelfall, sondern entsprechen sogar den offiziellen Sprachempfehlungen (z.B.: Link) eines Verbandsgremiums. Gegen ein solches Gremium und seine Werte wie „sportliche Fairness“, „Freiheit“ oder „Gleichbehandlung“ ist nichts einzuwenden. Doch verträgt es sich eigentlich mit dem Freiheits– und Fairnessbegriff des Gremiums, alle Mitglieder zum generischen Maskulinum aufzufordern?

Sven Jentzsch, Sven Jentzsch (v.l.n.r.) – © DC Heidelberg 2022

Allerdings steht diese Festlegung drittens in einer Linie mit der generellen Verbandspolitik: Für die Arbeit des Verbandes stand eine Zeit lang im Raum, den Vorstandsmitgliedern das generische Maskulinum vorzuschreiben – später wurde das zu einer Aufforderung herabgestuft (Link). Als ihr euch selbst für ein VDCH-Amt bewerbt und von der Achten Minute mit Fragen aus der Szene interviewt werdet, ist die erste eingesendete Frage an euch: „Bist du bereit, in deiner Funktion als Präsident das generische Maskulinum zu verwenden, anders als in deinem Bewerbungsschreiben?(Link, 21:40min.) Und ist es unter diesen Vorzeichen eigentlich reiner Zufall, dass in der Vergangenheit öffentliche Finals im Konrad-Adenauer-Haus der CDU stattgefunden haben (Link), die DDM-Finals seit Jahren von einer der Konrad-Adenauer-Stiftung nahestehenden Organisation übertragen (Link), eines sogar auf dem KAS-YouTube-Kanal mit deren Logo versehen hochgeladen wurde (Link)? Und dass Frankfurter Allgemeine, Neue Züricher und Welt die langjährigen Großförderer waren (Link)? Oder ist hier (selbst wenn in Einzelfällen auch der SPD oder Grünen nahestehende Stiftungen Sponsorings übernommen haben, es linke Ehrenjuroren und sogar eine linke Schirmherrin gibt) ein politisches Muster zu erkennen?

ABSCHLIESSEND:

Geht am Ende vor eurem inneren Auge noch einmal das ganze Gedankenesxperiment durch: eure Eindrücke aus der Erstiphase, dem Reden und Jurieren, aus dem Verband. Dann fragt euch, ehrlich:

Wie würdet ihr euch in einer solchen, alternativen Szene und in einer solchen Konstellation fühlen? Findet ihr sie gerecht? Würdet ihr ihr die Treue halten?

Und jetzt? Eine Reihe von Vorschlägen

Genug Empörung, genug Sarkasmus, genug Gedankenexperiment. Ein paar Einordnungen:

Das soll keine Generalabrechnung sein – unsere Szene ist in vielen Dingen wunderbar und der Bias, den ich ihr unterstelle, kleiner als in vielen anderen Gruppen (wobei er im dezidiert neutralen Debattieren besonders schmerzt). Ich habe hier sehr viele tolle, aufgeschlossene, tolerante Freunde aus allen politischen Richtungen gefunden. Das Ideal des „unvoreingenommenen Publikums“ bzw. des „durchschnittlichen Zeitungslesers“ bei der Bewertung und Themenstellung besteht weiterhin; Ehrenjurys sind politisch durchmischt.
Fast alle Schilderungen im Gedankenexperiment sind indirekt (=umgekehrt) autobiografisch. Was nicht einer gewissen Ironie entbehrt, weil ich zwar konservativer bin als die Mehrheit der Debattierszene, aber gesamtgesellschaftlich betrachtet in vielen politischen Fragen sehr mittig stehe und rund 35-40% der Bevölkerung konservativer/rechter einschätze als mich. Das macht mich auch nur bedingt für einen guten Advokaten für konservative Stimmen im Debattieren.
Es stimmt, dass sich die Unterrepräsentation von Konservativen in unserer Szene natürlicher aus der normalen jungen, studentischen Demografie ergibt (siehe Wahlverhalten nach Alter, Link) als beispielsweise die Unterrepräsentation von Frauen.
Daneben gibt es, wie im Text angesprochen, auch andere Erklärungen für die Phänomene: Dass als Themen häufig eine Devianz vom (konservativen) Status quo behandelt wird, folglich progressive Vorschläge gemacht werden; dass in bestimmten Fällen eine Festlegung (gendern wir den Flyer oder nicht?) unvermeidlich ist; dass sich Werte wie Tradition, Loyalität, Ordnung usw. vielleicht etwas weniger gut konsequentialistisch und somit geeignet für Jurierungen ausmalen lassen; dass es in sieben Minuten und ohne Statistiken vielleicht leichter ist, staatliche Eingriffe oder marxistische Revolutionen (zufällig eine der berühmtesten Debattenreden, Link) als die Selbstregulation von Märkten plausibel zu machen. Wobei ich glaube, dass man es sich zu einfach macht, sich auf solchen Argumenten auszuruhen. Sie erklären nicht die Häufung der einen und die Unterrepräsentation von anderen Themen; sie erklären nicht, warum Juroren ein Verstaatlichungs- pauschal eher als ein Freiheitsargument für plausibel befinden.

Also zusammengefasst: Die Lage ist differenziert, aber in meinen Augen besteht ein Missstand. Und der kann uns nicht zufriedenstellen, wenn uns nur annähernd etwas am Ideal vom politisch unparteiischen, den Horizont erweiternden Debattieren, offen für alle demokratischen Strömungen, liegt.

Was also tun? Folgende Vorschläge:

Insgesamt: Ich fordere NICHT, dass wir stark gegen die politische Demografie an Hochschulen kämpfen, um ein komplett ausgeglichenes Links-Rechts-Verhältnis zu erhalten. ABER: Ich erwarte, dass sich Vereine, Verband und sportlich Verantwortliche selbst bei einem Übergewicht links-progressiver Menschen in der Szene politisch neutral (allerhöchstens prodemokratisch) verhalten – von der Themenstellung bis zur Vereins- und Verbandskommunikation.
Sponsoring: Ich möchte NICHT Kooperationen oder Förderungen mit politisch positionierten Trägern vermeiden, das ist wahrscheinlich nicht möglich. Aber ähnlich wie bei Ehrenjurys sollte Ausgewogenheit mitbedacht werden, zumindest Finals an neutralen Orten abgehalten und online hochgeladen werden. Wo sich ein „parteiischer“ Partner nicht verhindern lässt, sollte kommuniziert werden, dass man sich dessen politische Haltung nicht zu eigen macht.
Themen und Debatten: Ich fordere NICHT politische Quoten in Chefjurys. ABER: Die politische Einstellung (bzw. Ausgewogenheit) des Panels sollte zumindest ein wichtiges Kriterium bei der Zusammenstellung (gerade auf der Deutschsprachigen Meisterschaft) sein. Wenn das Panel doch nur aus linken Studenten besteht (wie aufgrund der Demografie der Szene statistisch wahrscheinlich und auch nicht schlimm), sollten diese ihre politische Haltung mitreflektieren. Wähle ich Themen außerhalb meiner eigenen Blase aus? Bewerte ich die Ausgeglichenheit des Themas aus der Sicht eines politisch neutralen Publikums oder aus meiner persönlichen (gefärbten) Meinung? Gibt es in unseren den Themen konservative und linke Positionen? Oder gibt es genauso viele Themen mit zwei linken wie Themen mit zwei konservativen Positionen? Die gleiche Offenheit sollten anschließend Redner und Juroren an den Tag legen.
Miteinander: Ich stelle NICHT die Aufgabe und Arbeit der Gleichstellung-und-Fairness-Beauftragten als Ganzes infrage oder fordere das generische Maskulinum in allen euren Clubflyern. ABER: Ich würde mir nur wünschen, wenn neben dem bisherigen Fokus in Sachen Gleichstellung (z.B.: Link) auch politische Gleichstellung ganz selbstverständlich als Teil der eigenen Aufgabe gesehen wird (vielleicht habe ich entsprechende Bemühungen auch übersehen, dann tut es mir leid). Mit politischer Gleichstellung meine ich: Wie sorgen wir – bei allem notwendigen Streit und allen notwendigen Festlegungen – dafür, dass sich Menschen unabhängig von ihrer politischen Positionierung im Debattieren wohlfühlen? Anders gesagt: Wenn ihr selber gendert oder euch progressiv äußert, toleriert es auch, wenn andere Debattierer oder Vorstandsmitglieder das generische Maskulinum verwenden und konservative Positionen vertreten, und bestärkt sie (selbst, wenn ihr ihnen widersprecht) in dem Gefühl, diese Freiheit zu haben.

Sven Jentzsch debattiert seit 2015 und war in dieser Zeit als Redner, (Chef-)Juror, Mitglied der OPD-Regelkommission, Streitkultur- und VDCH-Präsident aktiv. Er promoviert in Allgemeiner Rhetorik in Tübingen.

Das Mittwochs-Feature: Mittwochs veröffentlicht die Achte Minute ab 10.00 Uhr oftmals ein Mittwochs-Feature, worin eine Idee, Debatte, Buch oder Person in den Mittelpunkt gestellt wird. Wenn du selbst eine Debatte anstoßen möchtest, melde dich mit deinem Themen-Vorschlag per Mail an team [at] achteminute [dot] de.

hb.

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25 Kommentare zu “Der politische Bias unserer Szene – eine (kleine) Abrechnung”

  1. Johannes (Wü/HD) sagt:

    Danke. gut getroffen.

    Ich möchte mich dahingehend anschließen, dass ich den Eindruck habe, dass enorm gesellschaftlich relevante Fragen gibt, auf die es innerhalb unserer Verfassung durchaus unterschiedliche Ansichten geben kann, die sehr selten als Thema gesetzt werden. Häufig werden zu diesen Themen nicht etwa die Grundfragen diskutiert, sondern nur einzelne Maßnahmen, die dann an den „gemeinsamen“ links-liberalen Maßstäben geprüft werden müssen.

    Z.B. die Frage „DHW eine restriktivere Migrationspolitik in Deutschland und Europa einführen.“ Diese wurde so nie (?) gestellt. Zum Thema „Flüchtlinge“ oder „Geflüchtete“ finde ich auf der 8m ganze 5 Themen, eher bei kleineren Turnieren, die mit viel guten Willen so verstanden werden können, dass sie diese Frage stellen. (ZEIT DEBATTE Oberfranken 2015, Bayreuther Sommerturnier 2018, Brüder Grimm Cup 2016, Schwarzwald-Cup 2016, Hochhausdebatten 2021). Wenn wir wirklich daran glauben, dass Reden in der Demokratie hilft, Positionen zusammenzuführen, dann ist das ein ziemlich schwaches Ergebnis.

    Ich denke, ohne es geprüft zu haben, dass man ähnliche Befunde zu den Grundfragen „Soll Deutschland international Vorreiter oder Nachzüglicher beim Klimaschutz sein?“, „Soll Deutschland die Ukraine mit Waffenlieferungen unterstützen?“, „Waren die im europäischen Vergleich restriktiven Corona-Maßnahmen in Deutschland zu bedauern?“, „DH begrüßt, wenn Privatpersonen und Unternehmen ein Genderkennzeichen in ihren Texten verwenden“ erhalten würde.

    Nochmal: Bei _keiner_ dieser Fragen weiche ich in der persönlichen Meinung inhaltlich vom Konsens in unserem Milieu ab. Trotzdem sollte man diese Fragen in der offenen Gesllschaft debattieren. Wenn 1933 unter den wachsenden Spannungen in Europa es in England möglich war „This House will under no circumstances fight for its King and country“ zu debattieren, können wir auch solche heißen Themen debattieren.

    1. Jonathan Krapp sagt:

      Ich bin hier etwas skeptisch:

      Der Themenbereich „Asyl/Flucht“ wird durchaus in Debatten und Themen beleuchtet, sehr direkt auch beispielsweise erst beim Nikolausturnier im Dezember mit „Dieses Haus begrüßt die geplante Asylrechtsreform der EU.“, oder „Sollten Boote mit Asylsuchenden an den EU-Außengrenzen generell nicht mehr zur Umkehr bewegt werden dürfen?“ auf der Regio 2021 (beides mit die größten Turniere in diesen Jahren).

      Ich glaube nicht, dass es sich bei der Frage nach Debattenthemen über Grundsätzliche Politikfragen per se um ein starkes politisches Biasproblem bei der Themensetzung handelt. Ich glaube eher, dass sich Debattierthemen zum einen allgemein nicht so sehr am aktuellen politischen Diskurs bedienen wie man vielleicht erwarten würde. Das liegt vermutlich auch daran, dass diese Debatten eben so viel in der Öffentlichkeit geführt werden. Dann fühlt es sich in der Debatte so an, als müssten die Debattierenden einfach die Argumente, die sie in der Tagesschau hören herunterrattern. (Nicht, dass das tatsächlich eine gute Taktik wäre, aber ich glaube, dass genau dieser Eindruck nicht zu guten oder spannenden Debatten führt).

      Zweitens sind Debatten über tiefe Grundsatzfragen einfach weniger zugänglich, da es weniger geteilte Metriken gibt. Das bedeutet nicht, dass solche Themen nicht funktionieren, aber das sie nicht so gut in Einstiegsturnieren oder Vorrunden funktionieren. Ich sage nicht, dass ich diese Themen nicht gerne auch mehr auf Turnieren hätte, ich glaube aber das es eine Grundproblematik des Debattierens und nicht ein Bias unserer Szene ist.

  2. Marina (DK Wien) sagt:

    1. **Historische Dominanz und der Umgang mit Frauenrechten:**
    Es ist korrekt dargestellt, dass Debatten oft Diskussionen über die Zukunft sind. Historisch gesehen, waren es hauptsächlich weiße Männer, die die Geschicke der letzten Jahrhunderte bestimmten. Daher ist es von besonderer Bedeutung, wie wir heute mit der Vergangenheit umgehen, in der Frauen systematisch unterdrückt, misshandelt und vom Wahlrecht ausgeschlossen waren.
    D.h. es wird vermutlich eher um Fragen der Machtverteilung zu Frauen gehen als z.B. die Motivation von Frauen im Haushalt zu bleiben. Dies hat mit der Natur des Sports zu tun.

    2. **Sprache und Gendern:**

    Der Artikel scheint verschiedene Themen zu vermischen, insbesondere in Bezug auf das Gendern und die Verbindung zur politischen Linken. Gendern ist nicht nur eine progressive Meinung, sondern spiegelt auch wider, wie Sprache sich auf Basis sozialer und gesellschaftlicher Entwicklungen verändert. Frauen und Trans-Identitäten hatten kaum geltenden Einfluss auf die Sprachentwicklung und waren in akademischen Kreisen kaum bis gar nicht repräsentiert. Sprache ändert sich genauso wie Gesellschaft. Es ist halt das erste mal, dass Frauen mitbestimmen, wie sich diese verändert.

    3. **Konservative und rechte Politik in Bezug auf Frauen und Transidentitäten:**

    Oft basieren konservative und rechte Argumente im Bezug auf Frauen oder Transidentitäten auf schwachen Begründungen. Diese Argumente beruhen häufig auf der Negation der Realität oder der Lebensweise von Individuen. Im Debattieren geht es um Metriken und Beweise. Es ist argumentativ oft einfacher, zu begründen, warum es sinnvoll ist, Menschen, die bis vor einigen Jahrzehnten nicht wählen durften, mehr Stimmrecht zu geben, als traditionelle Ansichten aus sentimentalen Gründen beizubehalten.

    4. Themensetzung
    Ich denke es ist enorm wichtig bei Themensetzung auch heiße Themen zu diskutieren und dabei ein ausgeglichenes Panel zu haben.
    Dabei geht es nicht nur darum „ist dies ein ausgeglichenes Thema“ sondern auch, wie wird diese Debatte in den jeweiligen Räumen geführt – vom Bin-Room bis zum Top-Room.
    Solche „heißen“ Themen können (gerade bei unerfahrenen Debattierern) dazu verleiten schlechte und/oder aktiv verletzende Reden zu halten. Deshalb gibt es ja auch eine Unterscheidung zu In- und Outrounds.
    Ich denke der Nutzen ist bei solchen „heißen Themen“ dann erreicht, wenn Menschen eine Debatte hinkriegen, wo beide Seiten fair vertreten werden. Wenn eine Seite ein hohes Debattierniveau benötigt um im Stress gute Argumentation zu bringen, dann ist es nicht sinnvoll dieses Thema zu setzten bzw. Vielleicht in den Outrounds.

    4. **Gute Argumente sind gute Argumente:**

    Wenn konservative Argumente gut und schlüssig gemacht werden, sollen und werden diese belohnt – dies ist bei guten Juror:innen der Fall.
    Es ist z.B. nicht unüblich, eine konservative Fiskalpolitik zu argumentieren.

    5. **Deutschsprachige Szene vs. internationale Szene:**
    Die deutschsprachige Debatte ist im Vergleich zur internationalen Szene sehr konservativ. Beispielsweise war die Präsenz von Equity-Beauftragten bis vor einigen Jahren unüblich. Außerdem werden Clashes nicht standardisiert behandelt und es kam immer wieder vor, dass mit Clashes nicht vorsichtig umgegangen wurde. Es wird vielleicht Inhaltlich (in Debatten) viel über Feminismus diskutiert, jedoch wird über die Struktur des Debattierens wenig reflektiert – dies ist international sehr anders. Hier gibt es aktive Gruppen und Beauftragte die sich mit Themen der Inklusion beschäftigen.
    Ich denke, dass dies vielleicht ein wenig Perspektive zeigt.

    6. **Schaffung politisch neutraler Räume:**
    Ich befürworte die Schaffung politisch neutraler Räume und würde gerne gute konservative Argumentationen hören.
    Ich bin da ganz bei dir, dass politische Biases und Affiliation zu vermeiden sind.

    Das Ausmaß des Bias hängt stark von der Referenzgruppe ab. Ich denke, dass politisch neutrale Debatten oft möglich sind.

    7. **Persönliche Beobachtung:**
    Es tut mir leid zu hören, dass du oder jemand anderes abwertende Kommentare oder Herabwürdigungen erlebt hast.
    Die Tatsache, dass es eine Reihe erfolgreicher konservativer Chefjuror:innen und Redner:innen gibt, zeigt, dass es durchaus möglich und relativ (zu anderen Faktoren) kein Hindernis ist, erfolgreich und konservativ zu sein. Der Vergleich mit der jährlichen Minderheit an weiblichen Chefjuror:innen und keine:r einzige:n Österreicher:in (trotz qualifizierter Personen) bei großen Debattiermeisterschaften und Turnieren zeigt jedoch, dass hier vielleicht ein größeres Problem besteht.

    1. Matthias (Ms) sagt:

      Sehr viel Zustimmung, aber eine kleine Anmerkung zu qualifizierten CA Kandidat:innen aus Österreich: Deine Aussage, es gäbe mehrere qualifizierte Kandidat:innen deckt sich in meinen Augen leider nicht mit den Daten zur letzten Saison. Soweit ich das gerade überflogen habe (ich kann mich irren, korregiert mich dann bitte) sind auf den VDCH Turnieren exakt zwei Wiener Jurierende in den letzten Turnieren überhaupt als Jurierende gebreackt, davon eine Juror:in nur auf den Regios. Es wurde keine einzige KO-Runde bei diesen Turnieren von einer Wiener Juror:in gechairt. Ich komme also auf maximal eine qualifizierte Person.

      Meine Erfahrung ist, dass gute Jurierperformance zu CA Einladungen führt. Und vielleicht könnte es sein, dass zumindest ein Teil der von dir angesprochenden mangelnden CA Repräsentation von Österreicher:innen auch ein Jurierbereitschafts- oder Leistungsproblem ist.

    2. Marina sagt:

      @Matias:

      Gerade in der BP-Saison ist es relevant auch generell BP anzusehen und nicht nur deutschsprachige Turniere 🙂
      Einige unserer Debattierer haben Turbiete mit 10-30 Räumen Chefjuriert und sind regelmäßig Chairs in Outrounds.
      Gerne kann ich die Daten dazu bereitstellen!

    3. Matthias (Ms) sagt:

      @marlima es gibt schon einen Unterschied zwischen deutschsprachigen und internationalen BPS. Ich halte es für wenig zielführend einen Jurierleitfaden zu schreiben, der an der Realität der deutschsprachigen Szene vorbei geht. Dazu ist mit der wichtigste Teil von Chefjurieren Jurierendenmanagement und dafür muss man die deutsche Szene kennen.(Und die im Panel Perspektive ist eine andere als die Redendenperspektive) 🙂

  3. Marina sagt:

    @Matthias::
    Zwei DDM Chefjurorinen in den letzten Jahren wurden mit kaum/keinen breaks in der deutschsprachigen Szene gesetzt. Die Unterschiede sind meistens gut durch das Panel abgedeckt 🙂
    Ebenfalls sind ja unsere Debattierer gut und erfolgreich als Redner:innen dabei. Also kennen wir uns ganz gut in der Szene aus. Und umgekehrt, können wir auch gut die Trends aus der internationalen Szene einschätzen.

    1. Matthias (Ms) sagt:

      Ich hab nie behauptet, dass ich alte DDM Konstellation für perfekt halte.

      Aber stimmt, keines dieser Panel hat je einen verwirrenden und extrem diskutierten Jurierleitfaden geschrieben 😉

      Ich finde es eigentlich relativ einfach: wenn du internationale Turniere CAen willst tauche da als JurorIn auf, wenn du (insbesondere große, um die scheint es dir ja besonders zu gehen) im VDCH Land CAen willst tauche halt auch da Mal als JurorIn auf. Und dann werden auch die CA Chancen hier kommen, gerade wenn die Wiener:innen von denen du redest so gut sind wie sie es zu sein scheinen.

      Finde es ein wenig lächerlich von VDCH Ausrichtenden zu erwarten, dass sie die internationale BP Szene beobachten um da CAs zu finden.

      Und damit würde ich die Off Topic Diskussion beenden wollen, wir können gerne weiter über Svens interessanten Text reden.

  4. René G. (Rederei/DCAC) sagt:

    Ich will mich gar nicht groß inhaltlich zu diesem Thema äußern, da ich glaube, dass Online-Kommentarspalten dafür das falsche Medium sind.

    Stattdessen will ich einfach nur Danke sagen. Danke, dass du diesen Artikel geschrieben hast! Das Thema ging mir auch schon häufiger durch den Kopf. Und ich habe es immer wieder weggeschoben, weil ich glaubte, dass es a) sehr /zu schwierig ist da produktiv etwas zu verbessern und es b) Mut braucht sich dem auszusetzen, da es sehr schnell passiert, dass man dabei auf eine bestimmte (negative) Weise abgestempelt wird.

    Trotzdem ist es ein wichtiges Thema, im Debattieren, aber auch gesamtgesellschaftlich. Mindestens wir im Debattiersport müssten es doch irgendwie schaffen verschiedene politische Lager konstruktiv zusammen zu bekommen…

  5. Chiara (Sk/Potsdam) sagt:

    Eine Anmerkung, die sich mit einem Teilbereich deiner Argumentation auseinandersetzt. Ich glaube „konservative“ Wirtschaftspolitik wird durchaus oft als sehr gutes Argument gewichtet. Einige der besten Cases und besten Debattierer, die ich kenne waren regelmäßig mit solchen Cases erfolgreich.
    Kurz zum Thema konservative Werte. Ich glaube wir debattieren zumeist eine konsequentialistische, utilitaristische Metrik. Das liegt nicht zwingend daran, dass wir alle Utilitarist*innen sind (auch wenn der Anzeil zur Normalbevölkerung potenziell höher ist). Es liegt daran, dass es schlicht einfacher ist Schaden/Leid gegen Nutzen/Glück abzuwägen. Abstrakte Prinzipien sind super schwer zu machen. Die Meisten wissen gar nicht wie es geht und Juror*innen struggeln damit das abzuwägen. Außerdem impacten die meisten Leute Prinzipien dann wieder utilitaristisch, was das ganze Konzept Prinzip ja wieder zunichte macht (Ja, ich weiß, Utilitarismus ist auch ein Prinzip. Mimimi, ihr wisst, was ich meine). Konservative Prinzipien wie z.B. Tradition sind einfach nicht besonders utilitaristisch. Genauso finden Leute es übrigens auch schwer Freiheitsprinzipien zu machen. Behelfsmäßig wird dann eben sowas gesagt, wie du es bereits kritisiert hast „Dummen (Zitat) Konservativen Menschen ist das halt wichtig, deshalb müssen wir es beachten.“. Das kann man natürlich schlecht finden.
    Ich sag nicht, dass es keinen emotional begründeten Bias im Debattieren gibt. Ich denke aber halt, dass nicht alles davon letztendlich auf einer rationalen Ebene lösbar.
    Mal abgesehen davon, dass einige Konservative Argumente leider oft die Lebensqualität bspw. queeren Menschen negieren oder nicht beachten und ich gut verstehen kann, dass Leute nicht so viel Lust haben solche Argumente zu machen, besonders wenn wir ein safe space für queere Personen sein wollen.

  6. Andreas (Debattierer i.R.) sagt:

    Dass Debattierer:innen auf einem Turnier zu über 30% die FDP wählen würden, ist doch wohl nicht Ausdruck besonders „linksgrüner“ (ein sehr unpräzises Wort, da Linke und Grüne nur wenige Schnittmengen haben), sondern eher neoliberaler Einstellungen, vielleicht noch mit sozial progressivem Anstrich. In Wahrheit bewegt sich das deutschsprachige Debattieren, ob nun „links“ oder „rechts“ angehaucht, m.E. seit jeher innerhalb eines relativ engen Haltungskorridors, der durch die Meinungsseiten der Zeit schon gut abgebildet wird: zentristisch, Status-Quo-orientiert, häufig moralisch händeringend. Man sollte also nicht Radlib-Rhetorik mit einer wirklich linken Szene verwechseln.

  7. Constanze (SK/Rederei) sagt:

    Einleitungen sind was für OPD Reden und da ich eine Präferenz für BP habe, spare ich mir den Teil mit der Einleitung. Es gibt drei Punkte, bei denen ich gerne meine Ansicht äußern würde:

    – Themen: Konservative Meinungen sind, allein wenn man sich die Bedeutung des Wortes „konservativ“ vor Augen führt, eher bewahrend und wollen keine Veränderung. Entsprechend kommt die Forderung nach einer Veränderung, und wir brauchen in Debatten das berühmte Delta, eher aus dem „links-grün-progressiven“ Spektrum. Wenn wir die Debattenthemen also in ihrem Ursprung nehmen wollen, kommt aus der „links-grün-progressiven“ Ecke eine Forderung und im Verlauf der gesellschaftlichen Debatte kommt dann später eine gegenteilige Forderung aus dem “konservativen” Lager. Das scheint mir ein Stück weit in der Natur der Sache zu liegen, dass die eine Ecke fordert und die andere dagegen ist. Will man aber die ursprüngliche Debatte aufgreifen, werden Forderungen aus dem „links-grün-progressiven“ Spektrum debattiert. Die Reg vertritt dann die “links-grün-progressive” Seite, die Opp vertritt in diesen Themen die eher “konservative” Seite. Natürlich kann man durch eine Themenformulierung bis zu einem gewissen Maß setzen, was welche Seite vertritt. Allerdings kann man sich auf beiden Seiten immer auch bis zu einem gewissen Grad aussuchen, wie groß/klein man die Debatte macht. Nehmen wir als Beispiel die Rolle von Kirchen: Wenn ich die abnehmende Rolle der Kirche in einer Debatte auf Reg begrüße, kann ich auf Opp einen sehr moderaten Case machen („Die Welt ist besser, wenn Religionen einen gewissen Einfluss haben wie im SQ“) oder ich kann deutlich „konservativer“ auftreten und einen Case aufmachen, der sich stärker die Religiosität in der Gesellschaft zurückwünscht („Religionen sind wichtig, wir brauchen einen starken Einfluss der Religion in der Gesellschaft, Menschen sollten sonntags regelmäßig in die Kirche gehen“). Sicherlich gibt es die Tendenz, Themen so zu stellen, dass auf der Regierung eher „links-grün-progressive“ Forderungen gestellt werden, aber man hat auf Opp auch die Möglichkeit, „konservativer“ zu agieren, als nur den SQ zu vertreten, wenn einem der SQ nicht ausreicht oder das Delta zu gering ist. Gleichzeitig frage ich mich, was bei einer umgekehrten Formulierung passieren würde. Die Debatte „DH bedauert den Verfall der Religionen“ dreht Reg und Opp um, die Reg will jetzt in einem stärker “konservativen” Case zu der Zeit zurück, in der Menschen noch regelmäßig sonntags in die Kirche gingen oder in einem moderatoren Case den Einfluss nicht noch weiter schrumpfen sehen und die Opp kann in unterschiedlich starkem Ausmaß dafür einstehen, dass es besser ist, wenn Religionen auf dem Rückzug sind. Wie ausgeprägt dieser Rückzug ist und wie weit man gehen will, bleibt der jeweiligen Opp überlassen. Man kann also in vielen Fällen recht problemlos eine „links-grün-progressive“ Meinung gegen einen „konservative“ Meinung abwägen. Man muss sich vor allem trauen, Debatten groß zu machen und nicht immer eine möglichst kleine und wenig spannende Debatte zu führen.

    – Das nie endende Thema Gendern: Beim Gendern vermute ich (persönliche und nicht unbedingt qualifizierte Meinung), dass wir da noch einige Zeit in der Gesellschaft einen Diskurs darüber haben werden. Ob und wenn ja, in welcher Form gegendert werden soll, ob es irgendwann eine Pflicht gibt, und falls ja, wen diese Pflicht trifft (nur den öffentlichen Dienst, Arbeitgeber*innen generell,…?). Und das spiegelt sich in der Szene wider. Erst wurde eine Vorschrift diskutiert, dann wurde das abgeschwächt. Ich erinnere mich, dass es dazu im Vorstand lange Diskussionen gab und wir letztlich beschlossen haben, dass jedes Individuum im Vorstand selbst wählt, ob er/sie gendert oder nicht, um abzubilden, dass es dazu verschiedene Meinung gibt (und geben darf). Einen Zwang gab es also zu keinem Zeitpunkt, es wurde lediglich diskutiert, ob man etwas vorschreiben will oder nicht. Natürlich wird man, gerade wenn man sich auf das Amt mit der maximalen Außenwirkung bewirbt, auf so ein Thema angesprochen. Aber ich finde, das muss man aushalten und wenn das Thema der Szene wichtig ist, ist das eine legitime Frage. Wir werden wahrscheinlich als Szene auch noch Diskussionen um Opt-Out Regelungen oder um Bewerbungsprozesse für die DDM aushalten müssen, denn auch hier gibt es unterschiedliche Perspektiven und das ist nachvollziehbar und gut so. Das wird dann potenziell andere Menschen treffen, die in der Minderheitenmeinung sind. Wichtig ist doch vor allem, dass ein wertschätzender Diskurs stattfindet und dass wir diesen Diskurs haben. Den brauchen wir, sonst entwickeln wir uns als Szene auch nicht weiter.

    – Thema Sponsoring: Es ist richtig, dass es da eine gewisse Schlagseite ins „links-grün-progressive“ Spektrum gibt. Allerdings finde ich die ausformulierte Kritik schwierig, das hat folgende Ursache: Wir sind im Debattieren eine extrem privilegierte Gruppe. Ja, viele sagen, sie haben wenig Geld und können deswegen nicht auf so viele Turniere fahren, wie sie wollen. Aber ganz ehrlich, ein Hobby, bei dem man an mehreren Wochenenden quer durch Deutschland fährt, ist ein Rich Kid Hobby. Die Geldprobleme entstehen ja auch dadurch, dass schon Geld in die Turnierfahrten geflossen ist und genug andere Studis können sich das gar nicht leisten. Viele andere junge Menschen studieren nicht an einer Uni, sondern machen ein duales Studium aus finanziellen Gründen oder sie studieren gar nicht. Und das wissen potentielle Förderer. Das führt dazu, dass das Debattieren als Nischensport mit nach wie vor begrenzter Reichweite nicht dafür prädestiniert ist, Sponsoringoptionen wie Sand am Meer finden zu können. Sponsoring eintreiben ist ein echt hartes Brot. Daher sind persönliche Kontakte dabei auch umso wichtiger, denn das erleichtert häufig das Zustandekommen eines Vertrags. Wenn man schonmal den Fuß in der Tür hat, jemanden kennt oder bei Veranstaltungen einer Stiftung war, wird das leichter. Wie bereits richtig analysiert, gibt es in der Studierendenschaft generell (auch außerhalb des Debattierens) eine Schlagseite ins „links-grün-progressive“ Spektrum, es haben also auch tendenziell mehr Menschen bei potentiellen Sponsoringpartnern aus diesem Bereich den Fuß in der Tür aufgrund eines Stipendiums oder anderen besuchten Veranstaltungen und daraus resultierenden Kontakten. Das kann, wie beispielsweise bei der Übertragung des DDM-Finals mit einer einmaligen Förderung beginnen, die dann zu einer Art Serie ausgebaut wird. Es kann aber auch einfach sein, dass man wen kennt und dadurch leichter eine geeignete Location für ein öffentliches Finale organisieren kann. Übrigens sei hier noch erwähnt, dass es (abgesehen vielleicht von Uniräumen) auch kaum möglich ist, politisch neutrale Orte zu finden. Auch Finals, die in Kirchen stattgefunden haben (wie beispielsweise die CD Hannover) sind für mich nicht an einem politisch neutralen Ort, die Kirche positioniert sich bei genug Themen und greift an verschiedenen Stellen noch immer in die Politik ein. Aber zurück zum Kern: Beim Thema Sponsoring muss man einfach auch schauen, was man kriegen kann, und kann sich nicht beliebig aussuchen, von wem man denn gefördert werden möchte. Hier auch nur im Ansatz zu unterstellen, dass das ja alles bewusst „links-grün-progressiv“ wäre und man dadurch die „konservative“ Seite außen vor lassen würde, geht meiner Erfahrung nach einfach krass an der Realität vorbei. Insbesondere wenn es um die Suche nach Großförderern geht, was mit der schwerste Teil des Sponsoring ist. Gleichzeitig habe ich in all den Jahren, die ich jetzt in der Szene aktiv bin, nur diese Kritik gehört, dass ja alles Sponsoring aus dem „links-grün-progressiven“ Lager käme. Wenn es so wichtig ist, dass auch aus dem “konservativen” Lager Sponsoring existiert, dann nutzt eure Kontakte und helft dem VDCH, Sponsoringverträge dort zu kriegen. Aber wenn ihr eure Möglichkeiten dahingehend nicht ausreizt, werft bitte nicht anderen vor, dass sie das tun, um der gesamten Szene erschwingliche Turniere zu ermöglichen. Ich freue mich aber auf Turniere, bei denen Menschen, die sich selbst dem „konservativen“ Lager zuordnen, Sponsoring, eine Finallocation oder prominente Ehrengäste organisieren, die die Durchmischung in diesen Bereichen steigern.

  8. Jannis Limperg sagt:

    Ich habe hier mal die Themen der letzten vier CDs zusammengefasst. Der Konkretheit halber fände ich es interessant, zu wissen, welche (und wie viele) dieser Themen als politisch unausgewogen wahrgenommen werden. Außerdem wäre es glaube ich sehr hilfreich, einige Beispiele für konservative Themen zu haben, die technisch gut sind, aber nicht gestellt werden.

    Jena:

    – Unabhängigkeit Schottlands von Großbritannien

    – Söldner zur Bekämpfung von Piraterie

    – Newcastle United verkaufen

    – Private DNA-Test-Anbieter

    – Westbalkan-Regelung

    – Schöff*innen zufällig auswählen

    – Muss das Leben einen tieferen Sinn haben?

    Heidelberg:

    – Befristung in der Wissenschaft

    – Ehe für Niemanden

    – Preisregulierung für Arzneimittel

    – Polyzentrische Struktur in Thailand

    – Präkoloniale Kultur vs anti-kolonialer Widerstand in ehemaligen Kolonien

    – Verlagerung strategischer US-Produktionsstätten von China nach Lateinamerika

    – Soll SPD in Berlin Rot-Rot-Grün fortsetzen?

    Göttingen:

    – Keine Verjährung für Straftaten gegen die körperliche Integrität

    – Asyl für russische Kriegsdienstverweigerern

    – Schönheitswettbewerbe für Transfrauen

    – Steuervorteile für nachhaltige Investitionen

    – Vorherrschende Lokalsprache als Unterrichtssprache in postkolonialen Ländern

    – Nobelpreis für Fritz Haber

    – Emotionale vs emotionslose politische Kommunikation

    Heidelberg:

    – Erhalt der Pavee-Kultur („Irish Traveller“)

    – Heterogener vs homogener Freundeskreis

    – DFB gründet FIFA-Alternative

    – Mental Health-Themen bei Influencer*innen

    – Solarindustrie verstaatlichen

    – Gefangenenaustausch Griner-Bout

    – Erststimme abschaffen

    1. Ruben (Hannover/Hamburg) sagt:

      Dann mache ich mal einen Aufschlag. Ich würde die Themen wie folgt klassifizieren:
      Themen mit konservativer Maßnahme ggü. Status Quo/Opp-Position:
      – Söldner zur Bekämpfung von Piraterie
      – Westbalkan-Regelung
      – ggf. Steuervorteile für nachhaltige Investitionen vs. entsprechende Subventionen

      Themen mit linksliberaler Maßnahme ggü. Status Quo:
      – Ehe für Niemanden
      – Soll SPD in Berlin Rot-Rot-Grün fortsetzen?
      – Solarindustrie verstaatlichen
      – Erststimme abschaffen

      Daraus ergibt sich tatsächlich eine gewisse, nicht wirklich signifikante, Mehrheit an linksliberalen Maßnahmen ggü. konservativen. Keines dieser Themen würde ich als politisch unausgegelichen bezeichnen, da ja immer die andere Position – dann mehrheitlich die konservative – auf Opp debattiert wird.
      Die ganz überwiegende Mehrheit der Themen entzieht sich dieser Einordnung im Übrigen vollständig.

  9. Lukas Hambüchen sagt:

    Ich möchte mich spezifisch zum Teilaspekt der konservativen Themen äußern.

    Ich möchte vorab die Frage stellen, was inhaltlich eine konservative Position ist.
    Ist jede CDU Position eine konservative Position? Muss ich bei Wahlumfragen von über 30 % auch AfD Positionen abbilden, soweit sie nicht eindeutig rechtsextrem sind? Wo ist dort die Grenze, wenn CDU-Politiker in den Ost-Verbänden sich schon seit Jahren rhetorisch kaum von der AfD unterscheiden? Wenn wir uns die aktuelle CDU angucken, die sich mit Friedrich Merz an der Spitze von den strapaziösen Zeiten der “linksversifften” Merkel Führung erholt, stellt sich mir die Frage, ob diese Inhalte Teil unserer Debattenkultur sein sollen.

    Ich möchte nicht über “kleine Paschas” diskutieren. Ich habe kein Interesse zu acht 32 Minuten über den Song Layla zu referieren. Ich finde es sinnlos, über genderneutrale Toiletten zu streiten. So lustig das Thema Transmänner im Frauensport sein kann, weiß ich wirklich nicht, was ich in Closing da noch machen soll.
    Der All-Time Favorit der letzten Jahre -das Selbstbestimmungs-Gesetz- ist ebenfall substanzlos. Möchten wir wirklich, dass Teams in ihrer Extension darüber sprechen, dass Frauen jetzt “perverse Transfrauen” und Sexualstraftäter fürchten müssen, weil ihre Umkleiden nicht mehr sicher sind?
    Wollen wir Floskeln, die von CDU Politikern in ganz Deutschland gebraucht werden, wie Genderwahn, Kulturkampf oder “rote Socken” wirklich normalisieren?
    Fast alle CDU Positionen zur inneren Sicherheit sind von der kriminologischen Forschung so unerreichbar weit weg wie der Mars für Elon Musk.
    In wessen Interesse ist es, wenn es für Aussagen wie “wir müssen die Flut krimineller Ausländer stoppen” kein negatives Feedback gibt?
    Es ist eine durchaus legitime Forderung weiter Teile der konservativen Landschaft, dass die CDU zu ihren konservativen Wurzeln (Kohl-Ära und davor) zurückkehren möchte. Der ein oder andere Wahlkampf-Slogan findet sich auch heute noch auf Parteiplakaten wieder. Die Farbe dieser Plakate ist idR blau.
    Bezeichnend ist, dass sich in dem “Gedankenexperiment” sich das Thema “Gendern-Böse” als einziges markantes Beispiel durch den Text zieht.
    Diese Einfallslosigkeit spiegelt das gesellschaftspolitische Nirvana wider, in dem sich die Konservativen im Status Quo befinden.
    Die letzten 8 Jahre Wahlkampf war lediglich Culture War auf Wish bestellt. Diese Themen sind geeignet konservative Wähler zu mobilisieren, indem sie Angst schüren und Leute in Rage versetzen. Das ist schlicht das Gegenteil von dem, was wir beim Debattieren versuchen.

    Ich stelle jetzt den Strohmann in die Ecke. Die Frage ist, ob konservative Positionen wirklich so unterrepräsentiert sind.
    Tatsächlich ist das nicht der Fall. In Wirtschaftsdebatten werden regelmäßig konservative Positionen vertreten. Auch bei IR Themen gibt es keine Berührungsängste mit Positionen der Nato Falken. Die Position der CDU zu Europa findet regelmäßig Einzug in die Reden diverser Teams.
    In Themen zur Kriminalität finden sich immer Argumente zur harten Kante ( negative Generalprävention), wie sie von Konservativen seit der Zeit gefordert wurde, in der man Dieben die Hand abschnitt. In Debatten über Sozialleistungen taucht das “Leistung muss sich Lohnen” Narrativ so sicher auf wie das Amen in der Kirche.

    Fazit

    Scheinbar gibt es konservative Positionen, die für das rechte Gummipunkt-Konto “zählen” und solche, die es nicht tun.
    Warum diese Selektion stattfindet und woher dieser Bias kommt, muss jeder mit sich selbst ausmachen.

    Grüße gehen raus

  10. Troll sagt:

    Ich will eigentlich nur kurz darauf hinweisen, dass über einem Artikel, der behauptet, dass praktisch überall im Debattieren gegendert wird „Redakteur Hannah …“ steht.

  11. Julius (Rederei/Dino) sagt:

    Ich finde es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass für einige Teile unserer Szene der erste Reflex auf einen Artikel, der primär ein persönliches Gefühl des Abgelehnt-Werdens wiedergibt, ist, die Frage zu stellen, ob diese Ablehnung nicht vielleicht nur im Kopf des Autors existiert. Honorable mention hierbei für das Rebuttal: ‚Hast du schonmal darüber nachgedacht, dass wir konservative Positionen nicht debattieren, weil sie dumm sind?‘. Ich bin mir sicher, dass Svens Bedenken über politisches Ungleichgewicht sich durch diese Einsicht nicht nur in Luft aufgelöst haben, sondern er sogar instantan dazu verleitet wurde, seine politische Positionen mit dem fiktiven Individuum im Text zu tauschen.
    Spaß beiseite, obwohl der Text mich alles andere als überzeugt, legt die Lektüre dieser Kommentarspalte mir nahe, dass das Problem, das Sven beschreibt, tatsächlich real ist.

    Vorab, der Fokus auf Themensetzung erweist dem grundlegenden Anliegen einen Bärendienst.
    Der einzige Bereich, in dem konservative Positionen in meiner extrem subjektiven Wahrnehmung tatsächlich untervertreten sind, sind vermutlich gesellschaftspolitische Themen und das scheint mir, wie schon in anderen Kommentaren erläutert, eher ein Problem dessen zu sein, dass konservative Positionen einen naturgemäß sehr spezifischen (nicht immer erfreulichen) Status-Quo verteidigen, während es grob geschätzt eine Millionen progressive Bewegungen gibt, die sich untereinander meist mindestens ebenso unversöhnlich gegenüberstehen, wie der konservativen Position. Da gibt es einfach mehr Matchups für neue Themen.
    Ich will auch nicht völlig in Abrede stellen, dass es ab und an vorkommt, dass Chefjurierende in den Klüften verloren gehen, die sich zwischen ihren politischen Überzeugungen und der Realität spannen, aber das ist kein Privileg von politisch sehr linken Menschen. Bei letzteren fällt es nur mehr auf, weil ihre Ideen meistens aus der Fantasie, statt der Vergangenheit stammen. Abgesehen von der Genderfrage ist daneben der einzige “politische“ Zwischenfall, an den ich mich in zehn Jahren Debattieren erinnern kann, dass sehr vereinzelte Personen ein Problem damit hatten, dass auf einer ZD [sic, für die absurd jungen Menschen unter euch] ein Foto von Siegerinnen mit Julia Klöckner entstanden ist. Das ist zwar meiner Meinung nach tatsächlich eine kritikwürdige Position, aber diese hat nicht nur damals schon zur Genüge Gegenwind erhalten, um nicht als szeneweites Problem dazustehen.

    Trotzdem finde ich, dass die Szene gut daran täte, Svens Bedenken anzunehmen statt sie zu wegzureden und wir uns ernsthaft fragen sollten, wie seine Wahrnehmung zustanden kommt, statt ihr ihre Validität abzuerkennen. Das Thema scheint ja, siehe zumindest zwei weitere Kommentare, nicht nur Sven wichtig zu sein.
    Ich setze hierbei einfach mal voraus, dass wir uns alle darin einig sind, dass Menschen, die wie Sven konservative, demokratische Ansichten haben, in unsere Szene gehören. Es scheint mir nicht ernsthaft wahrscheinlich, dass irgendjemand, der diese Seite liest, eine gegenläufige Meinung hat, aber für den Fall der Fälle fühlt euch von mir im schärfsten Maße als Personen abgelehnt. Eure Mutter hat einen schlechten Demokraten geboren.

    Das Problem an emotionaler Wahrnehmung von Akzeptanz ist nun allerdings, dass sie sich selten auf objektive Daten und Fakten stützen kann. Ich möchte stattdessen ein paar subjektive Beobachtungen beitragen, von denen ich denke, dass sie vielleicht für ein besserer gegenseitiges Verständnis sorgen können.

    1. Die CDU ist ein hervorragendes Ziel für (dumme) Witze.
    Es gibt, zumindest in meiner Erfahrung, kaum eine Partei, über die Witze im Debattieren besser landen, als über die CDU.
    Ich selbst habe vermutlich mehr Witze und Seitenhiebe auf die CDU und ihre Positionen in Debatten untergebracht, als über alle anderen Parteien.
    Das liegt sicherlich in großen Teilen daran, dass die meisten Menschen im Debattieren (Autoren dieses Artikels mutmaßlich ausgeschlossen) das witzig finden und mir Kontaktfähigkeitspunkte dafür geben.
    Es gibt also tatsächlich ein Humorungleichgewicht und ich kann mir vorstellen, dass das Leben als Mitglied einer Witzzielscheibe auf Dauer anstrengend sein kann.
    Allerdings denke ich auch, dass man das auch als jemand, der diesen Humor weniger zugänglich findet, ertragen muss.
    Es ist einfach eine altes Humorgesetz: Witze über Unternehmer sind besser, als solche über Arbeitssuchende. Es ist im Privatjet einfacher, über den Dingen zu stehen.
    Problematischer wird es jedoch in Kombination mit der folgenden Beobachtung:

    2. Es gelingt nicht immer, Kritik an einzelnen Positionen einer Person, von Kritik an der Person selbst zu trennen
    Es passiert in meiner Beobachtung sowohl in, als auch zwischen Debatten von Zeit zu Zeit, dass sehr herablassend über konservative Parteien und ihre Wähler und Anhänger gesprochen wird. Das reicht von der Reduktion ihres Personals auf die gute alte Kampffloskel „alte weiße Männer“, über eine, oft vermutlich unbeabsichtigte, moralische Herabsetzung der entgegengesetzten Position, wie beispielsweise in der Genderdebatte, bis hin zur Kollektivbetitelung von bestimmten Wählergruppen und ihren Ansichten als dumm.
    Das Debattieren ist hier im gesamtgesellschaftlichen Vergleich der Umgangsformen natürlich eher ein Waisenknabe, hat aber in seinem Selbstverständnis als demokratische Plattform für offenen Austausch von Argumenten, eine besonderen Schaden davon. Grundlage jedweder Debatte ist die Bereitschaft, den Gegner unabhängig von seiner Position zu respektieren und alles, was das untergräbt, unterminiert nicht nur den Debattiersport.
    Die Grenze zwischen den im ersten Punkt beschriebenen legitimen Frotzeleien gegen konservativen Positionen, legitimer Kritik an konservativen Inhalten, und echter Ablehnung von Menschen als Person auf Grund ihrer politischen (demokratischen) Ansichten ist im übrigen für die betreffende Person nicht immer nachvollziehbar.

    Bevor jetzt jemand um die Ecke geschest kommt und mir als Rebuttal den moralischen und inhaltlichen Verfall der CDU erklären möchte: Es ist jedem Menschen unbenommen, die Anhänger jeder beliebigen Partei kollektiv für moralisch verkommene Volldeppen zu halten. Der Punkt ist, dass es einem Umfeld, das demokratische Debattenkultur fördern will, gut zu Gesicht steht, diese Ansicht unerwähnt zu lassen und Kritik auf Inhalte zu beschränken.

    3. (Manche) Teams umschiffen nur allzu gerne ‚konservative‘ Postionen
    Es lässt sich schwer abstreiten, dass Svens Beispiel zum Thema Backlash-Argumente nicht aus der Fantasie kommt. Es gibt tatsächlich eine, unter manchen Debattierenden verbreitete, Angewohnheit, auch mechanisch sinnvolle ‚konservative‘ Argumentationslinien zu meiden, als wäre sie Debattiersocials, die den Raum nicht exklusiv gemietet haben. Das beste Beispiel dafür ist das oft zu beobachtende pathologische Bedürfnis, sich bei besagten Backlashargumenten möglichst hart von den zurückschlagenden Wählerinnen und Wählern zu distanzieren, um ja nicht mit ihnen in einen Korb geworfen zu werden. (Ich gestehe, auch ich mache das von Zeit zu Zeit. Auch, weil es oft witzig ist, s. 1.) Andersherum haben Menschen in meiner Erfahrung kein sehr großes Problem, vor der Heimfahrt zur heimischen Universität im gemütlichen ICE, in der Debatte als Marxisten zu LARPen. (Einer Jugendsünde, der ich auch von Zeit zu Zeit anheim gefallen bin).
    Ob diese Diskrepanz ein Resultat von inhaltlichen Unterschieden, oder Indikator für mangelnde Offenheit gegenüber alternativen Weltanschauungen ist, muss jeder für sich selbst klären, aber es ist nachvollziehbar, dass es Sven übel aufstößt.

    Kurzum, Sven hat sicherlich nicht in allen seinen Punkten recht, aber was sich nicht wegdiskutieren lässt ist seine Wahrnehmung. Die schafft natürlich keine Realität, aber wer das Debattieren als demokratische und gesellschaftlich möglichst breit gefächerte Plattform sehen möchte, muss sich fragen, wie sich das mit diesem Anspruch verträgt. Ein Schritt, den ich mir wünschen würde wäre, reflexhafte Ablehnung durch mehr Reflexion zu ersetzen. Vielleicht findet ein Dialog ja Ideen, wie wir zumindest etwas dieses Gefühls der Unwillkommenheit reduzieren können, ohne andere Gruppen zu verschrecken. Dem Debattieren kann das nur nutzen.

    1. Lennart Lokstein sagt:

      Vielen Dank, Julius! Ich hatte beim Lesen insbesondere der Kommentare einen sehr ähnlichen Eindruck.

      Um es mal anders auszudrücken: Hält es niemand hier für problematisch, dass jemand uns sehr direkt (und auf eine elegant umgesetzte Weise, schön geschrieben!) sagt, dass Menschen wie er sich in der Szene nicht (oder deutlich weniger) wohlfühlen, weil sie aufgrund ihrer Werte und Parteizugehörigkeit regelmäßig verspottet werden? Für eine Szene, die mittlerweile auf jeder Ebene Equity-Beauftragte hat, sind Kommentare, die das nicht ernstnehmen und gleichzeitig ankreiden, es gebe derer zu wenige, wirklich bitter.

      Die Schlussfolgerung aus dem Artikel muss doch wohl sein: Wir (und ich war da sicherlich in der Vergangenheit nicht unschuldig, CDU-Bashing kann mich durchaus erheitern) sollten uns dringend abgewöhnen, in Debatten konstantes CDU-/FDP- oder CDU-/FDP-Wähler-Bashing zu betreiben oder, wie Julius korrekt erkennt, das als positiv/humorvoll/wünschenswert zu betrachten. Und wenn jemand nicht leben kann, ohne die in seinen Reden zu bashen, gibt es halt weniger Punkte bis Abzug (OPD) oder zumindest ein entsprechendes Gespräch mit der Equity.

      Es muss ja wohl möglich sein, eine in alle demokratischen Richtungen inklusive Szene zu haben, das demokratische Spektrum endet nicht rechts der SPD.

    2. Tim R. (Rederei HD) sagt:

      Also deine Folgerung geht in ihrer Absolutheit denke ich deutlich zu weit Lennart. Vorallem beim Thema humorvoll.

      Warum sollte ich mich in einer Debatte nicht darüber lustig machen dürfen, dass anscheinend Friedrich Merz zum Thema Asyl nichts besseres einfällt, als sich Märchen über Flüchtlinge beim Zahnarzt auszudenken.
      Ich hoffe, dass es im Debattieren niemanden gibt, der der CDU nahe steht, weil er/sie wirklich denkt das Flüchtlinge nach Deutschland kommen um sich hier alle die Zähne zu machen.
      Vermutlich können wir uns bei diesem Beispiel alle darauf einigen, dass das lächerlicher Populismus ist.
      Ich finde daher es ist in Ordnung, mich über spezifische Positionen oder auch einzelne Politiker lustig zu machen. Die meisten von uns empfinden einen Markus Söder Witz ja hoffentlich auch nicht als Gotteslästerung.
      Genauso sollte ich einen Witz über eine bestimmte FDP/SPD/Grünen Position machen können, ohne das jemand Punktabzug oder Equity fordert.

      Allgemeines Bashing von CDU Wählern ist etwas anderes. Auch falls ich es im allgemeinen Überzeugend fände, wenn mir jemand erzählt, dass eine Maßnahme gut ist, weil dann weniger Menschen die CDU wählen, sollte ich das in einer Debatte nicht als positiven Impact werten. (Außer vielleicht die Person kann mir zusätzlich überzeugend erklären, warum die Menschen hier gegen ihre Interessen wählen, aber wer kann das schon.)

    3. Lennart Lokstein sagt:

      Ich denke, es besteht ein gewisser Unterschied zwischen meiner Aussage zu „konstantem CDU-Bashing“ und konkreter, aussagenbezogener Kritik an Friedrich Merz. Ich sehe zwar die genaue Ursache des Missverständnisses nicht, hoffe aber, es hiermit aufgeklärt zu haben. 🙂

  12. Jonathan (Freiburg/Stuttgart) sagt:

    1. Bitte „konservative Positionen“ nicht mit der CDU oder gar der AfD gleichsetzen. Auch für „linksliberale“ Argumente liest der ambitionierte Debattant keine Reden grüner Politiker, sondern den Economist oder die Zeit. Entsprechend müssten konservative Argumente dem Niveau von FAZ, NZZ o.ä. entsprechen. Optimalerweise sollten Debattanten, v.a. (Chef)juroren, also auch anspruchsvolle konservative Medien konsumieren.

    2. Vielleicht können konservative oder einfach neugierige Debattanten in ihren Clubs inhaltlichen Input zu den Grundlagen konservativen Denkens anbieten und dafür entsprechende Quellen konsultieren? Ich nehme an, dass man so etwas z.B. im politikwissenschaftlichen Studium durchaus liest…

    1. Andreas (Debattierer i.R.) sagt:

      Die NZZ war mal die vielleicht seriöseste deutschsprachige Zeitung, eine Bastion schweizerisch-freisinnigen liberal-konservativen Denkens, die einen guten Außenblick auf die doch oft um den eigenen Nabel kreisenden deutschen Debatten bot. Aber das ist schon lange nicht mehr so profitabel, wie reaktionär vulgärlibertäres „Westfernsehen“ für Anti-Woke-Kreuzzügler, besorgte Bürger, Querschwurbler und dergleichen zu spielen. Der vielleicht bedauerlichste Niedergang eines Periodikums in unserer Sprache. Analog kann man auch bei der FAZ je nach Autor:in Glück haben, noch halbwegs nicht nur in „Das haben wir schon immer so gemacht“ fundierte konservative Argumentationen zu lesen, oder aber man gerät auch an „Männer in Frauentoiletten“-Krakeeler:innen. Das könnte für den neutralen Beobachter auf eine generelle Krise in den Prinzipien und Argumenten zentristisch-konservativen Denkens hindeuten, was dieses für das Debattieren weniger geeignet machen würde …

  13. Ruben und Anne (Hannover) sagt:

    Es ist sicherlich Konsens, das Mobbing/Ausgrenzung etc. aufgrund von politischen Einstellungen absolut inakzeptabel ist. Darüber hinaus ist uns aber sehr unklar, was der Artikel eigentlich fordern möchte. Viele geschilderte Aspekte lassen sich unter „Gleich und gleich gesellt sich gerne“ zusammenfasssen: Es ist nicht überraschend, dass sich linksliberale Menschen in einer linksliberalen Mehrheit wohler fühlen als konservative Menschen und deshalb eher geneigt sind in dieser Mehrheit zu bleiben. Natürlich muss untereinander ein wertschätzender Umgang stattfinden, aber es gibt eben auch kein Anrecht auf Zustimmung zu persönlichen Meinungen – ganz egal welcher Richtung.
    Es werden in dem Artikel auch keine Anzeichen für eine strukturelle Benachteiligung deutlich, die beispielsweise dazu führt, dass überzeugende konservative Postionen in Debatten schlechter bepunktet werden oder bspw. Equitybeauftragte oder andere Amtsträger konservative Personen aufgrund deren Meinung diskriminieren.
    Von daher direkt die Frage an Sven und alle anderen die sich angesprochenen fühlen: Welchen strukturellen Änderungsbedarf seht ihr? Oder geht es dem Artikel „nur“ darum Awareness für konservative Positionen zu schaffen?

    Am konkretesten wird der Artikel noch hinsichtlich Debattierthemen, hier müssen wir den impliziten Prämissen des Artikels aber doch entscheidend widersprechen. Es sollte unserer Meinung nach nicht der Anspruch von Chefjurys und der Themenauswahl sein, den politischen Diskurs akkurat anteilig zu repräsentieren, sondern es geht zu aller erst darum ein sportlich faires Turnier zu gestalten. Das führt notwendigerweise dazu, dass viele Themen aus dem Diskurs nicht als Debattierthemen gestellt werden, wenn sie nicht ausgewogen, nicht ausgewogen zugänglich oder nicht hinreichend konkret abwägbar sind.
    Es ist auch nicht Anspruch in der Bewertung von Debatten, zu bewerten wie überzeugend die Redeleistung für eine durchschnittliche Person der deutschen Bevölkerung ist: Weite Teile der Bevölkerung (ja auch der gebildeten zeitungslesenden Bevölkerung) finden zum Beispiel naturalistische Fehlschlüsse, Dammbrüche und Apelle an nicht herzuleitende Werte erstaunlich überzeugend, übrigens auch im linken politischen Spektrum. Aus gutem Grund ist dies keine überzeugende Redeleistung im Debattieren. Daher kann es bei einzelnen Themen eben durchaus der Fall sein, dass sich mit manchen Argumenten aus dem öffentlichen Diskurs kein Blumentopf gewinnen lässt.
    Dies trifft insbesondere auf die im Artikel erwähnten Kulturkampf-Themen zu, die deswegen im Debattieren auch kaum vorkommen. Und in wirtschafts- , sozial- und sicherheitspolitischer Hinsicht wurde ja bereits in den vorhergehenden Kommentaren dargelegt, dass meistens auch konservative Positionen debattiert und von Juries goutiert werden.

  14. Anna sagt:

    Sehr guter Beitrag!

  15. Victor (DK Wien) sagt:

    In der internationalen Szene wird das auch regelmäßig heiß diskutiert. Besonders im Kontext von – welche Argumente gelten als intuitiv, welche „progressiven“ Standpunkte werden oft als „wahr“, „korrekt“ oder einfach „unterstützenswert“ in Debatten vorausgesetzt und welche Rolle Equity dabei spielt.

    Heute wieder ein längerer Beitrag mit Diskussion:

    https://www.facebook.com/groups/communistcasefile/permalink/7273248682762172/

    (Ist in einer Facebook Gruppe „Debating Seriousposting“ mit 15.000+ internationalen Debattierenden, eigentlich privat, also kann sein, dass man zuerst eine Mitgliedsanfrage stellen muss wenn’s einen interessiert)

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