50% Präsentation: Zeit für eine BPS-Diskussion

Datum: 3. Mai 2017
Redakteur:
Kategorie: International, Jurieren, Mittwochs-Feature

Wer auf deutschen BPS-Turnieren mit Stil als Bewertungskriterium ankommt, ehe die inhaltliche Basis voll ausgeschöpft und für sehr ähnlich befunden wurde, wird nicht sehr ernst genommen. Zu recht, denn diese Person würde außerhalb der erwarteten Richtlinien jurieren. So in etwa verhält es sich auch auf internationalen europäischen Turnieren. Nun nahm Madeline Schultz, Präsidentin des WUDC-Councils, Anstoß. Das macht eine Diskussion innerhalb des VDCH nötig.

Das Meme des Anstoßes - © Debate Meme Central

Das Meme des Anstoßes – © Debate Meme Central

Alles begann, als Madeline Schultz auf der Facebookseite „Debate Meme Central“ ein Meme entdeckte (siehe rechts). Schultz, die selbst vor allem in Australien debattiert und mit der europäischen Szene wenig zu tun hat, sah darin eine fragwürdige Fehlentwicklung manifestiert, und verfasste in der Facebookgruppe „WUDC Chat“ einen schnellen Post mit verschiedenen Regelverweisen, in dessen Folgediskussion sie folgende Thesen vertrat und deren unbedingte Einhaltung einforderte:

  • „Manner“ soll 50% des BPS-Rankings ausmachen
  • „Manner“ soll nicht unterbewusst, sondern bewusst beachtet werden
  • „Manner“ soll explizit in der Jurierdiskussion besprochen werden
  • „Manner“ wird im Regelwerk explizit mit Blickkontakt, Gestik, Betonung usw. erklärt
  • Europa ist klar auf dem Holzweg und sollte diesem nicht weiter folgen

Damit stellt sich für Europa, aber auch für die deutsche Szene die wichtige Frage: Wie damit umgehen? Offensichtlich soll, zumindest nach ihr, bei den WUDC Sprache und Körpersprache (bald wieder) 50% des Rankings bestimmen. Zum Vergleich: In OPD sind es, da die Teampunkte Inhalt stärker gewichten, meiner Einschätzung nach etwa 35-40%.

Das dürfte für Europa schwer umzusetzen sein. Es ist aber mit Sicherheit auch niemandem geholfen, wenn auf Turnieren dann ein Drittel, weil sie dem WUDC-Ruf folgen, auf einmal 50% Körpersprache und Sprache juriert, und zwei Drittel nur Inhalt, denn dann sind die Ergebnisse willkürlich und die Redner können schwer einschätzen, worauf sie wie stark achten sollen. Offiziell folgen aber bspw. die EUDC regeltechnisch den WUDC. Genauso gab es in der deutschen Szene viele Rufe für die konsequente Anwendung internationaler BPS-Reden: Zwischenrufverbote, keinerlei Knifing, etc.

Nun ist in der deutschen Szene aber in BPS „Manner“ höchstens noch das Zünglein an der Waage bei sehr ähnlichen sonstigen Leistungen in Bezug auf Inhalt und Interaktion. Manche Mitglieder der Szene gehen sogar so weit, ihren Stuhl mit nach vorne zu nehmen und sich beim Reden zu setzen, oder den Stuhl als höheres Pult auf den Tisch zu stellen, in der Gewissheit, dass es ihnen kaum schaden wird. Ich persönlich finde das im Muttersprachlerkontext nicht gut, halte aber gerade im Fremdsprachenkontext das Ausklammern von „Manner“ für eine sehr sinnvolle Sache und kann auch verstehen, warum manche Leute auch ein Format bevorzugen könnten, in dem diese Aspekte keine Rolle spielen.

Das Problem ist: Es kann so nicht weitergehen, sobald vonseiten der WUDC auf das strikte Einhalten der einst geschriebenen, aber in Europa längst nicht mehr angewandten Regeln gepocht wird. Entweder müssen sich die internationalen Regeln ändern, oder die EUDC eigene, leicht modifizierte aufstellen, oder die deutsche Szene sich von der Adaption „internationalen“ BPS lösen. Denkbar fände ich z.B. auch, international „Manner“ auszuklammern, aber dafür im Muttersprachlerkontext wiedereinzuführen (also gerade die Umkehrung des SQ). Was genau wie davon umsetzen wollen, müssen wir nun diskutieren – und dann gegebenenfalls Anträge an den EUDC- und WUDC-Council stellen, um dort eine Änderung in unserem Sinne anzustreben. Da die EUDC in zwei Monaten stattfinden, sollten VDCH und VDCH-Beirat sich bemühen, dazu schnell Rückmeldungen von der Szene zu bekommen.

lok.

Mittwochs-Feature

Lennart Lokstein ist Chefredakteur der Achten Minute. Er war von 2013 bis 2015 Vorsitzender der Streitkultur e.V. in Tübingen und ist seit 2014 Mitglied der OPD-Regelkommission. Er gewann zahlreiche Turniere, gewann die Deutschsprachige Debattiermeisterschaft 2016 und erhielt auf selbiger sowie bereits der Deutschsprachigen Debattiermeisterschaft 2015 den Preis für die beste Finalrede. Lennart war Chefjuror mehrerer Turniere, in der Saison 2014/15 VDCH-Beirat für Jurierseminare und ist aktuell VDCH-Beirat für Sponsoring und Unterstützung erster Turniere. Im Studium arbeitet er an einer Masterarbeit in Allgemeiner Rhetorik zum Hochschuldebattieren in Europa.

Das Mittwochs-Feature: Jeden Mittwoch ab 10.00 Uhr stellt das Mittwochs-Feature eine Idee, Debatte, Buch oder Person in den Mittelpunkt. Wenn du selbst eine Debatte anstoßen möchtest, melde dich mit deinem Themen-Vorschlag per Mail an team [at] achteminute [dot] de.

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10 Kommentare zu “50% Präsentation: Zeit für eine BPS-Diskussion”

  1. Toni(München/Oxford) sagt:

    Das Hauptproblem einer expliziten Beachtung von „Manner“ in BP wäre doch eigentlich, dass diese 50% im Gegensatz zu OPD (wo ich einfach die Punkte addiere und alles ist hoffentlich gut) schwer zu quantifizieren sind. Da inhaltliche Unterschiede und stilistische Unterschiede doch häufig (wenn Stil nicht nur implizit mit reingenommen wird) schon sehr verschiedenartig sind, wird man, will man in BP Stil explizit bewerten, irgendeine Verabredung finden, wie man das im wahrsten Sinne gegeneinander aufrechnen kann.
    (Oder- ganz böser Gedanke- das ist nur eine Idee, wie man Nichtmuttersprachler aus dem Open Break raushalten kann)

  2. Witthaut sagt:

    Die Frage ist doch erst einmal, wird „manner“ überhaupt heute schon juriert? Ich glaube definitiv ja nur nicht explizit erwähnt. Sprache schafft Realität: Meine Wortwahl, mein Ausdruck, wie ich es vermittle, ob ich die Aufmerksamkeitsspanne eines Jurors / einer Jurorin erhalte, die Reduktion von Wörtern durch kluge Auswahl (und damit mehr Zeit noch andere Dinge zu sagen), zu sprechen, dass der Juror / die Jurorin es mitschreiben will, die Art und Weise wie Relevanz (furchtbares Wort) kontextual zu verstehen ist und und und…

    Kurz: Nur weil wir keine Kategorie für Manner haben (haben wir übrigens in BPS auch nicht für Sachverstand oder vergleichbarem), heißt das nicht, dass Manner keine Rolle spielt. Als „empirischer“ Beweis: Interessanterweise sind es doch am Ende auch gute Rhetoriker die in Finals stehen – egal ob national oder international.

    1. Patric Flommersfeld sagt:

      Ist „manner“ nicht effektiv der sog. „ESL-Bias“?

      Also, dass das sprachlich bessere Team tendenziell besser bewertet wird, weil es eben geschliffener reden kann und Inhalte prägnanter (und somit einprägsamer) auf den Punkt den bringen kann. (eben weil es aus Muttersprachlern besteht).
      Von daher: Ja, es fließt bereits in die Wertung mit ein. Ob bewusst oder unbewusst ist noch einmal eine andere Frage…

      Das Grundproblem wird es aber sein, eine absolute Größe (die individuelle Rhetorik) auf eine relative Größe (die logische Matrix des Raumes) anzurechnen. Das könnte man vermutlich recht einfach bei den Rednerpunkten machen, aber wie soll man bitte logisch stringent eine Wertungsmatrix für die Teams definieren? Bzw. in meiner Vorstellung wäre die Anrechnung der Rhetorik dann ja eine Art Gewichtungsfunktion, welche die Matrix nach belieben verzerrt und somit quasi entwertet.

    2. Lennart Lokstein sagt:

      Mag sein, Willy, dieser Anteil liegt aber sicher nicht bei 50%, wenn die Szene extra versucht, nur den Inhalt zu bewerten und sich davon möglichst wenig beeinflussen zu lassen.

  3. Calyxx Peucker sagt:

    Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie eine Reintegration expliziter Stil-Bewertung von Statten gehen soll ohne die Subjektivität von Ergebnissen zu erhöhen und ESL/EFL Debattierer deutlich zu benachteiligen. Im Moment jurieren wir fast ausschließlich auf Basis des Inhalts (obwohl man argumentieren könnte, dass bei der Bewertung von „Impact“ bzw. Relevanz, Stil häufig ausschlaggebend ist) und entsprechend finden die Jurierdiskussionen auf einer geteilten, nachvollziehbaren, nahezu objektiven Basis statt (dem verstandenen Gesagten). Stil findet außerhalb des Framings und des Impacts nur Relevanz in der Eignung zur Übermittlung der Argumente – je klarer der Stil, desto leichter können Juroren folgen und desto besser werden sie einen verstehen, wenn sie in kurzer Zeit die Debatte rekonstruieren und ein Ergebnis versuchen zu finden. Dies reicht meiner Meinung nach aus als Anreiz für Debattanten nicht zu unterm Tisch sich versteckenden, monotonen zu mutieren. Wenn wir uns erfolgreiche Teams anschauen spiegelt sich das übrigens weitgehend auch wider – obgleich sie schnell sprechen, kann man dem Großteil erfolgreicher Debattanten nun wahrlich keinen Stilmangel vorwerfen. Wenn wir Stil nun wieder explizit werten und dessen Wichtigkeit auch noch betonen, sehe ich die Gefahr, ihn überzubewerten und Raum einzelnen „biased“ Juroren zu geben für ein Team zu argumentieren, dass auf inhaltlicher Ebene auf verlorenem Posten steht. Nehmen wir noch den zeitlichen Druck bei Jurierdiskussionen bei der EUDC/WUDC hinzu, haben wir ein wundervolles Rezept für weniger nachvollziehbare und unfairere Jurorenentscheidungen. – Ich würde mich entsprechend für eine Streichung aus der WUDC-constitution aussprechen. Es sei denn spätere Beiträge vermögen mich zu überzeugen 🙂

    1. Lennart Lokstein sagt:

      Ich sehe das erstmal genauso. 🙂

  4. Patrick G sagt:

    Wir sollten der Eitelkeit eines bestimmten Redners Rechnung tragen und das Stellen von Stühlen auf den Tisch verbieten. Er könnte sich sein ganzes Leben lang darüber freuen für eine obskure Regel im BPS verantwortlich zu sein, deren Existenz jahrzehnte später niemand mehr nachvollziehen kann.

    1. Peter G. sagt:

      Großartige Idee! Zustimmung!

  5. Deniz L. (Halle) sagt:

    Schwierige Sache. Prinzipiell bin ich davon überzeugt, dass auch BPS-Reden in einer Art und Weise vorgetragen werden sollten, die sich der Juror auch „gerne anhören“ würde, wenn er nicht per Regelwerk dazu gezwungen wäre. Und ich glaube, ich bin nicht der einzige, der einem Redner nicht freiwillig zuhören würde, wenn er sich hinter dem Mobiliar versteckt oder es gar nicht erst für nötig hält, überhaupt aufzustehen. Das kann man aber durchaus über das Regelwerk verbieten (klappt ja mit den Zwischenrufen auch). Auf den Turnieren eine Regel aufzustellen, wonach jede Rednerin/jeder Redner, der/dem es zuzumuten ist (logischerweise fallen Menschen, die gelähmt sind, oder solche, die sich gerade das Bein gebrochen haben, nicht darunter), seine Rede stehend und gut sichtbar am Pult zu halten hat, würde ich begrüßen.

    Was den „Stil“/die „Manner“ angeht: Ich finde den Vorschlag nicht so übel. Ginge es bei einem Format lediglich um den Vergleich der rechten OPD-Kriterien, dann könnte man in den 15 min. Vorbereitungszeit auch einfach sein Material abtippen, es schriftlich bei den JurorInnen einreichen und gut ist. „Stil“ spielt also natürlich auch im status quo eine Rolle, nur eben in den meisten Fällen unterbewusst. Dass sich das JurorInnenpanel darüber bewusst auseinandersetzt, dürfte in meinen Augen deshalb keinen größeren Schaden darstellen (außer eben zusätzlicher Zeitnot, aber ich glaube, es geht jetzt erst mal um die „beste“ Lösung und noch nicht um die Praktikabilität).

    Hier ein Vorschlag, der dem BP-Fokus auf Inhalt vielleicht Rechnung trägt: Ändert an der Team-Jurierung einfach gar nichts und gebt der „Manner“ (aufgeschlüsselt nach den o.g. Kriterien) mehr Raum in der EinzelrednerInnenbepunktung. Das schafft einen ersten Anreiz, in den Vorrunden nicht nur gute, sondern auch ein wenig schönere Reden zu halten (in den K.O.-Runden stellt sich ja, wie bereits angeführt, das Problem „unschöner“ Reden gar nicht). Das wäre jetzt keine Revolution, aber nachdem ich selbst schon zweimal das Vergnügen hatte, auf BP-Turnieren wegen 3-4 Speaks nicht zu breaken, würde ich sagen: Einen Effekt hat es durchaus.

  6. Hauke sagt:

    Die Argumentation ist von vornherein irreführend. Während Stil sicher eine Rolle spielt und sowieso häufig unbewusst mitbewertet wird, ist eine 50% Regelung geradezu schwachsinnig. Ich kann eine mathematische Rechenformel (was 50% Gewichtung ja darstellt) nur auf etwas anwenden, was wiederum in Zahlen quantitativ erfasst wird. Das ist in BPS nicht der Fall und somit macht es Sinn, das in den Regeln nur umschreibende Richtlinien von holistischen Argumenten und Arten der Berücksichtigung von Stil niedergeschrieben sind. Wer jetzt an die BP Rednerpunkte denkt, dem wird auffallen, dass diese ja nach dem Ranking nur zurecht massiert werden und nicht direkt Grundlage des Rankings dastellen. Wenn ich eine explizite Bewertung von Stil haben will und mit Verhältnisangaben um mich werfen will, dann brauche ich auch etwas, worauf ich das Konzept eines mathematischen Verhältnisses anwenden kann. Was bei „ich fand es zuerst schwach aber dann hat mich die Handgeste total überzeugt“ schwierig wird. Ich müsste zuerst numerische Werte für einzelne Aspekte vergeben (wie Stil) und diese dann in einem Verhältnis zusammenziehen, wie es letztlich in OPD gemacht wird. Dann muss ich aus diesem Ranking aber auch die Konsequenz von „wie gut war ein Redner oder Team“ ziehen.

    Das wurde in BP ja bewusst NICHT gewählt, also sollte man die Kirche auch mal im Dorf lassen und entweder seine Regeln expliziter ausführen und Details expliziter messen/ bewerten oder eben damit Leben, wie sehr die Variabilität und Interpretation der Regeln regional und persönlich abweicht. Wenn man überhaupt darüber diskuttieren möchte, kann man sicher den Einfluß von Stil im Detail versuchen zu erörtern, aber mit Prozentangaben herumzuwirbeln ist hier komplett sinnlos.

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