Der subjektive Eindruck: Über die OPD-Jurorenbesprechung

Datum: 26. Juni 2013
Redakteur:
Kategorie: Jurieren, Mittwochs-Feature, VDCH

Jeder Juror, der seine Profession schon länger ausübt, wird diese Situation kennen: Beim ersten Vergleich der Punkte in der dritten Vorrunde stellt sich heraus, dass man weiter auseinander liegt als Indien und Amerika. Oder in Breakrunden wird bereits beim ersten Punktevergleich klar, dass ein Präsidentenentscheid in greifbarer Nähe liegt. Und dann fragt man sich: Was jetzt? Einfach ausmitteln? Darüber reden? Und wenn ja, dann wie? Und über was genau? Und bevor man es sich versieht, hat man bereits fünf Minuten kostbarer Zeit mit Diskussionen über die Vorgehensweise verschwendet.

Soweit unstrittig: Aber was passiert, nach dem Rednerin Nummer 8 und 9 geredet haben? (c) DC Heidelberg e.V.

Soweit unstrittig: Aber was passiert, nach dem Rednerin Nummer 8 und 9 geredet haben? (c) DC Heidelberg e.V.

Meiner Meinung nach ergeben sich viele dieser Unsicherheiten daraus, dass zu selten darüber geredet wird, was eigentlich das Ziel der OPD-Jurorenbesprechung sein soll. Während es in BPS aufgrund der relativen Bewertung eindeutig ist, dass am Ende einer Jurorenbesprechung eine möglichst konsensuale Entscheidung über Gewinner und Verlierer der Debatte stehen soll, ergibt sich aus den davon abweichenden Grundlagen der OPD-Bewertung – der absoluten Bewertungsskala und dem Aufrechnen subjektiver  Eindrücke – nicht automatisch ein solcher Arbeitsauftrag. Auch das kommentierte Regelwerk ist in dieser Hinsicht leider nur teilweise aussagekräftig. Das Vorbereiten des Feedbacks und die Besprechung der Teampunktzahlen finden explizite Erwähnung (3.1). Unter welchen Voraussetzungen jedoch intensiver in die Besprechung einzelner Kriterien eingestiegen werden sollte und noch wichtiger, wann eine Korrektur der eigenen Bewertung stattfinden sollte, ist nicht geklärt – die Ausführungen beschränken sich auf den Hinweis, dass beide Dinge „bei Bedarf“ möglich sind. Ausgenommen davon ist ausdrücklich das Finale. Hier soll grundsätzlich nicht über Einzelrednerpunkte diskutiert werden; als Gründe werden der Zeitmangel und die Qualität der Juroren angeführt, jedoch keine systembasierten Kriterien (3.3). Diese Unklarheiten führen dazu, dass die Interpretationen auch unter erfahrenen Debattanten denkbar unterschiedlich ausfallen: Von der Ablehnung jeglicher Aussprache bis zur Diskussion über die ganze Debatte ist fast jede Herangehensweise vertreten.

Ein Vorschlag

Ich möchte hier versuchen, einen Vorschlag über die Anforderungen an eine OPD-Jurorenbesprechung abzugeben und werde versuchen, diese aus dem System herzuleiten. Ich hoffe, damit eine Diskussion anzustoßen, die für Juroren größere Klarheit darüber schafft, was eigentlich der Sinn dieser im Normalfall 15 – 20 Minuten ist, in denen man sich über seine unterschiedlichen Eindrücke zu Einzelrednern und Team unterhält – abgesehen von „schön, dass wir mal drüber geredet haben“.

Zuerst möchte ich kurz klarstellen, was eine OPD-Jurorenbesprechung nicht darf. Die meisten dieser Einschränkungen ergeben sich mehr oder weniger deutlich aus dem bedeutsamsten Bewertungsunterschied zwischen OPD und BPS, dem absoluten anstelle des relativen Bewertungsmaßstabes.

1.) Die Besprechung und mögliche Korrektur der Punkte muss ergebnisoffen erfolgen. Damit ist gemeint, dass  Juroren weder durch die Besprechung entscheiden, wer die Debatte gewonnen hat und dementsprechend ihre Punkte anpassen, noch während der graduellen Änderung der Punkte jeweils die Auswirkungen auf das Ergebnis mitrechnen.

2.) Die Besprechung der Debatte sollte der Bewertung der einzelnen Ergebnisteile folgen. Eine Änderung von Punkten, insbesondere der Einzelrednerpunkte, darf sich nur auf den Verlauf der Debatte und damit den regelkonformen Bewertungszeitpunkt des Kriteriums beziehen.

3.) Eine Änderung der Bewertung hat immer aufgrund der vorgegebenen Kriterien zu erfolgen und nicht im Hinblick darauf, die unliebsame Meinung eines anderen Juroren auszugleichen oder Kompromisse zu erzielen.

Aus diesen Einschränkungen ergibt sich nun natürlich die Frage nach dem positiven Arbeitsauftrag. Und um diese zu klären, muss man allerdings eine vorgeordnete Frage beantworten, die zuerst einmal zusammenhangslos anmutet: Ist ein subjektiver Eindruck so gut wie der andere?

Tatsächlich ist diese Frage von höchster Bedeutung, denn ihre Beantwortung entscheidet darüber, wie wir vorgehen: Sind alle subjektiven Eindrücke gleichwertig, so genügt, regelsichere Juroren vorausgesetzt, das reine Mitteln zur Ergebnisfindung. Sind sie es nicht, so wird eine Aussprache auf einmal wichtig, insbesondere bei sehr knappen oder sehr weit auseinanderliegenden Bewertungen innerhalb des Jurorenpanels.

Gemischte Signale 

Leider gibt das Regelwerk auch zu dieser Frage gemischte Signale. Einerseits ist das Korrigieren der eigenen Punkte erlaubt und auf Turnieren wird seit Jahren eine 8-Punkte-Differenz-Policy für die Jurorendiskussion ausgegeben. Also ist es offensichtlich möglich, seinen eigenen subjektiven Eindruck sowohl nach Einzelreden als auch nach der Debatte als Ganzes zu korrigieren, ihn sozusagen zu „verbessern“. Auch macht das Regelwerk einen eindeutigen qualitativen Unterschied zwischen „Anfängern“ und „qualifizierten Juroren“  (2.2). Dies könnte noch darauf hindeuten, dass lediglich ein Unterschied gemacht werden soll zwischen denen, die punkte- und regelsicher jurieren können und denen, die dazu noch nicht die Erfahrung haben, was an sich nichts mit der Qualität des subjektiven Eindrucks, sondern der Basis einer fairen Bewertung zu tun hätte. Doch weiterhin spricht das Regelwerk von den „besten“ Juroren, was darauf hindeutet, dass es abgesehen von der Regelsicherheit noch weitere Kriterien für die Qualität eines Jurors gibt. Und was anderes soll dieses Kriterium sein, als die größere Validität des subjektiven Eindrucks? Auch in der Realität ist zu beobachten, dass als beste Juroren diejenigen gelten, die ihren subjektiven Eindruck auf sachlichen Kriterien basieren – ihn also objektivieren können. Grundsätzlich scheint also eine Jurorenbesprechung zur Korrektur des eigenen Eindrucks mit dem System OPD durchaus vereinbar.

Gründe und Notwendigkeiten 

Etwas seltsam mutet auf dieser Grundlage die Regelung des OPD-Regelwerks an, in Finals Jurorenbesprechungen über die Rednerpunkte zu untersagen. Der als erster Grund dafür angeführte Zeitdruck ist kein systembasierter Grund, sondern eine Anpassung an Notwendigkeiten, die auf jedem Turnier anders ausfallen können. Als zweites wird angeführt, dass die im Finale gesetzten Juroren üblicherweise die besten des Turniers seien und ihnen zugetraut werden könne, dass jeder für sich einen validen Eindruck von der Debatte erhalten würde. Etwas merkwürdig fühlt sich das schon an, wenn man betrachtet, dass im Halb- oder Viertelfinale selten nominell schwächere Juroren sitzen, für diese Runden aber eine Jurorenbesprechung nicht untersagt ist. Für besonders problematisch halte ich hier jedoch die Implikation dieser Aussage: Irgendwann sei in der Entwicklung des Jurors ein Punkt erreicht, an dem der subjektive Eindruck so valide ist, dass er keiner weiteren Besprechung mehr bedarf.

andrea gau

Andrea Gau verteidigt die Jurorenbesprechung nach der Debatte (c) HM/MA

Ich halte diese Implikation für falsch. Für mich liegt in der Natur des Jurierens, dass der subjektive Eindruck des Jurors von einer Debatte Fehler haben kann, ganz gleich, wie gut der Juror ist. Warum? Wir alle müssen beim Jurieren theoretisch schreiben, hören, denken und sehen. Könnten wir all das gleichzeitig ohne dadurch jeweils etwas von der anderen Kapazität wegzunehmen, hätten wir den perfekten objektiv-subjektiven Eindruck. Auch auf die Gefahr hin, dass ich die einzige mit diesem Problem bin: Während ich die Gestik eines Redners anschaue, kann ich nicht schreiben – jedenfalls unter der Voraussetzung, dass es nicht nur ein allgemeiner Eindruck sondern die Grundlage einer fundierten Bewertung sein soll, wie Jan Papsch letzte Woche an dieser Stelle völlig zu Recht verlangte. Während ich die Conclusio des letzten Arguments mitschreibe, kann ich mich gedanklich nicht völlig dem Beginn des neuen Arguments widmen. Seine vollständige Aufmerksamkeit kann man immer nur einer Sache widmen – und meistens können wir nicht einmal das, weil man seine Aufmerksamkeit, um überhaupt so etwas wie eine faire Bewertung zu ermöglichen, immer mindestens zur Hälfte bei dem haben muss, was vorne gerade gesagt wird. Dazu kommen auch ganz banale Gründe wie schlechte Akustik oder Luft im Raum, Reaktionen aus dem Publikum oder der Gegenseite (die nicht selten in kaum überhörbares Gemurmel ausarten), generelle Müdigkeit  in der ersten oder  vierten Vorrunde des Tages oder angesichts einer langweiligen Debatte – wer behauptet, dass er sich davon noch niemals hat ablenken lassen, hat eine Konzentration, die ich ehrlich bewundere. Natürlich gelingt das Jurieren den meisten Juroren so, dass eine halbwegs faire Bewertung ermöglicht wird. Von dem objektivsten subjektiven Eindruck, den man den Rednern anbieten könnte, ist dies jedoch weit entfernt – wir sind Menschen und unser Eindruck ist nun mal, in subjektiver Hinsicht davon abhängig, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten. Diese Defizite kann man mit zunehmender Erfahrung minimieren, doch eliminieren wird man sie nie. Sie liegen in der Natur des Jurierens.

Eine Frage stellt sich nun unweigerlich: Da die Redner wissen, dass alle Juroren nur Menschen sind – ist es ihre Aufgabe, unsere Aufmerksamkeit zu fangen? Ich glaube ja und nein.

Stellen wir uns eine gute Debatte zu einem schwierigen Thema vor. Allein um den Inhalt und seine Qualität zu bewerten, müssten wir theoretisch die gesamte Zeit aufmerksam zuhören und mitdenken – um die Qualität der gebrachten Argumentes, ihre Relevanz und Verknüpfung innerhalb der Debatte zu entdecken und sie dann absolut bepunkten zu können. Ich will hier nicht vergessen, dass die Verständlichkeit eines Arguments natürlich auch die Bringschuld des Teams ist – aber daraus den Umkehrschluss zu ziehen, dass alles, was einem nicht klar geworden ist, den Teams anzulasten ist, halte ich für falsch. Wie oft passiert es, dass zwei Juroren ein Argument und seine Relevanz klar verstanden haben, während ein Juror damit nichts anfangen kann? Je unkonventioneller oder besser ausgefeilt die Argumente werden, desto besser muss man ihnen nun einmal zuhören, um sie zu verstehen. Man kann nicht die ganze Welt in drei gut verdaulichen Sätzen erklären – zu verlangen, dass jeder, der gerade nur mit einem halben Ohr zuhört, das Argument versteht, hieße Vereinfachung über Komplexität und Polemik über Sachlichkeit zu stellen. Genauso, wie sich in einer Rede beides treffen sollte, müssen sich auch die Bringschuld des Redners und die des Jurors treffen. Wem bei Auseinanderfallen der Jurorenmeinungen das Nichtverstehen des Jurors anzulasten ist – ob der fehlenden Erklärung des Redners oder der mangelnden momentanen Aufmerksamkeit des Juroren, das zu klären, ist für mich der Sinn einer Jurorenbesprechung (die übrigens durchaus auch in die andere Richtung ausschlagen kann – nicht selten stellt sich heraus, dass ein Juror zu viel mitgedacht hat).

Die Aufgabe der Besprechung 

Dies ist, was ich als Hauptaufgabe einer Jurorenbesprechung sehe: Nicht das Verschmelzen der subjektiven Eindrücke zu einem Konsens, nach dem dann die Bewertung entsteht – aber eine Objektivierung des subjektiven Eindrucks, die es uns Juroren möglich macht, unsere subjektive Entscheidung gegenüber den Teams fair zu treffen. Juroren können weiterhin unterschiedlicher Auffassung sein, ob ein Argument gut und relevant erklärt worden ist, auch nach einer Jurorenbesprechung. Doch bevor wir auf einem solchen Dissens eine Entscheidung ausmitteln, sollten wir hinterfragen, ob unsere eigene Sicht eingeschränkt war. Ob es von uns fairerweise hätte verlangt werden können, das zu verstehen, was in diesem Moment gesagt worden ist. Ob wir einen Fehler insgesamt zu schwer gewichtet haben, weil er uns vielleicht in unserer Fachrichtung ganz besonders übel aufgestoßen ist. Ob wir einem Redner links zu viele Punkte gegeben haben, weil wir gewöhnt daran sind, dass er dort fast immer gute Punkte bekommt. Oft kann der Denkanstoß dazu, seine eigene Bewertung zu hinterfragen, nur aus der Jurorendiskussion kommen. Die Implikation des OPD-Regelwerks, wenn alle Juroren gut genug wären, müsste keine Jurorenbesprechung mehr erfolgen, halte ich deshalb für fragwürdig, u.a. auch, weil sie sich nicht auf die relativ kleine Debattengruppe von Finals beschränkt wäre, sondern darüber hinaus aussagt: Ein Juror, der kompetent genug wäre, im Finale zu jurieren, muss sich theoretisch überhaupt nicht mehr auf eine Diskussion über seine Bewertung einlassen, auch in den Runden vor dem Finale nicht. Das müssten in nur noch „unerfahrene“ Juroren – wie soll man dann überprüfen, ob dieser erfahrene Juror in diesem speziellen Fall eine Entscheidung getroffen hat, die seiner eigentlichen Qualität entspricht?

Eine weitere negative Konsequenz, die ich hier nur noch kurz anmerken möchte,  hat eine fehlende oder nur rudimentär vorhandene Jurorenbesprechung übrigens auch im Feedback. Hat man sich nur über sehr vereinzelte Punkte unterhalten, ist es besonders bei Debatten mit unterschiedlicher Bewertung durch die Juroren kaum möglich, den Teams im Anschluss ein Feedback zu geben, dass angemessen die Meinung des Jurorenpanels und nicht nur die des einzelnen Jurors wiedergibt. Die Teams müssen so zu jedem Juror einzeln gehen,  um ein ungefähres Bild davon zu bekommen, warum sie auf eine bestimmte Art und Weise eingestuft worden sind – gerade in Vorrundendebatten, in denen man sich schnell verbessern muss, ist das suboptimal.

Was soll nun die Conclusio dieses Artikels sein? Ich möchte plädieren für eine obligatorische Jurorenbesprechung vor der Mittelung. Diese sollte sich nach Möglichkeit nicht so sehr auf Einzelaspekte beziehen, sondern ein kurzer Durchlauf durch die Debatte sein und bei größeren Unterschieden in der Bewertung versuchen zu klären, ob diese, wie oben erklärt, redner- oder jurorenbasiert sind. Desweiteren sollte versucht werden, dabei eine gemeinsame Lesart der Debatte zu finden – oder sehr unterschiedliche Lesarten zu begründen, damit einheitliches Feedback möglich ist.

Text: Andrea Gau

Mittwochs-Feature

Die Autorin: Andrea Gau studiert Jura in Mainz und ist im Debattierclub Johannes Gutenberg aktiv. Zusammen mit ihrem Teampartner Daniil Pakhomenko gewann sie die ZEIT DEBATTE Aachen 2013 und war als Chefjurorin der ZEIT Debatte Marburg und und der Deutschsprachigen Debattiermeisterschaft 2013 für die Themen verantwortlich.

Das Mittwochs-Feature: jeden Mittwoch ab 9.00 Uhr stellt das Mittwochs-Feature eine Idee, Debatte, Buch oder Person in den Mittelpunkt. Wenn du selbst eine Debatte anstoßen möchtest, melde dich mit deinem Themen-Vorschlag per Mail an team [at] achteminute [dot] de.

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15 Kommentare zu “Der subjektive Eindruck: Über die OPD-Jurorenbesprechung”

  1. Andreas Lazar sagt:

    Vielen Dank für diesen sehr gut argumentierten Artikel Andrea! Ich möchte noch hinzufügen, dass selbst vorausgesetzt, zwei OPD-Jurorinnen haben einen gleich gut begründeten subjektiven Eindruck von der Debatte, sich dann die Hochpunkterin bzw. die Punkterin mit der größeren Spanne gegenüber der mit der kleineren Spanne eher durchsetzt, weil ihre „Ausreißer“ mehr ins Ergebnis schlagen. Egal, ob der subjektive Eindruck übereinstimmt oder nicht. Mit großer Spanne zu punkten ist also eine überlegene Strategie, seine Spur im Tab zu hinterlassen, und sollte daher durch z.B. Eichdebatten und kluge Jurorensetzungen ausgeglichen werden.

  2. Marcus Ewald sagt:

    Ich habe leider den sehr langen und bestimmt hervorragenden Artikel nicht gelesen, möchte mich daher nur auf Andis Kommentar beziehen.

    Was ist schlimm daran, wenn mit großer Spanne zu punkten Standard würde? Ich denke nämlich durchaus, dass es inhärent logisch ist, auf einer deutschen Meisterschaft in einzelnen Kategorien auch „nationale Spitzenleistung“ zu jurieren. Dann gibt’s halt mal 70 Punkte.

  3. Jan L. aus IN sagt:

    Ich habe nichts dagegen, wenn auch in der Finaljurierung kurz geklärt wird, ob nicht ein Versehen oder Missverständnis bei einer großen Punktedifferenz gegeben ist. Es ist aber meiner Ansicht nach unmöglich eine „objektive“ Sicht auf die Debatte zu gewinnen, die „subjektive“ Fehler identifizieren und korrigieren kann. Besser ist hier doch der Durchschnitt einer möglichst großen Anzahl gleichwertiger Juroren. Denn wenn es genug Juroren im Finale sind und sie alle nur Menschen sind, dann mitteln sich die „Fehler“ der einzelnen Juroren doch in der Regel gegenseitig raus. Wenn sechs nicht reichen, nimmt man halt 12. Wenn im Viertel- und Halbfinale ebenso viele gute Juroren sitzen sollten, wäre das doch kein Problem. Das ist dann die Objektivierung des subjektiven Eindrucks. Wenn es hingegen möglich sein soll einzelne Juroren zu überreden, dass sie die Debatte anders hätten verstehen sollen, ist das doch eher eine diskursiv verzerrte „Objektivierung“ eines subjektiven Eindrucks auf der Grundlage eines anderen subjektiven Eindrucks.

  4. Andreas Lazar sagt:

    Wenn alle Juroren mit großer Spanne punkten, beeinflusst ein „Hochpunkter“ das Tab natürlich nicht mehr ungebührlich. Das ist eher ein Problem im Status Quo, in dem manche Juroren nur von „sehr schlecht, 37 Punkte“ bis „hervorragend, 41 Punkte“ zu schwanken scheinen. Ich meine mich zu erinnern, dass die Intention von OPD eher ist, die mögliche Spanne auszuschöpfen – aber wann haben wir zuletzt auch nur eine Rede >65 gesehen?

  5. Andreas Lazar sagt:

    Auch nach unten hin kann ich mich nur schwer erinnern, ohne Abzüge Reden unter 25 Punkten gesehen zu haben. Wahrscheinlich hatte ich Glück.

  6. Marc S aus FR sagt:

    @ Jan: Ich denke nicht, dass in der Besprechung im Falle einer Korrektur durch einen Juroren aufgrund der Diskussion im Panel der anderen ein subjektiver Eindruck übernommen wird. Wie Andrea ja schreibt geht es eher darum, dass ein Juror selbst erkennt, dass er etwas im Eifer des Jurirergefechtes übersehen/überhört/falsch gewichtet hat. Und letztlich kann er ja, wenn die Argumente der anderen Juroren ihn nicht überzeugen, auch stur bei seiner Sichtweise beharren.

  7. Jan L. sagt:

    Ist es nur ein Juror, der abweicht, muss er schon sehr extrem gepunktet haben, damit er überhaupt einen Einfluss hat. Aber gut, geschenkt, da kann man dann drüber reden oder besser: einfach selbst die Skala ausnutzen. Das sollte man ja ohnehin tun, dafür ist sie da.

    Ist es mehr als ein Juror, finde ich es aber schon schwierig, die Bepunktung durch eine Diskussion über die Debatte zu verändern. Wenn mehr als ein Juror eine vergleichbare Abweichung haben, dann ist die Debatte offenbar von mindestens zwei Seiten anders verstanden worden. Auch das sollte sich meiner Meinung nach in dem Ergebnis widerspiegeln. Auch bei BP gibt es schließlich Split-Decisions. Der Unterschied zu OPD ist eben, dass es auch bedeutend ist, wie viel besser ein Team gegenüber einem anderen bewertet wurde. Das ist doch der ganze Charme einer metrischen Punkteskala.

  8. Nicolas sagt:

    Kurz und knapp: Ich schließe mich Jan an.

  9. Daniil sagt:

    ein juror muss nicht extrem abweichen, um einfluss zu haben. ein beispiel:

    in einem guten halbfinale sehen vier von fünf juroren die regierung knapp, aber eindeutig vorn. sagen wir, sie geben folgende punkte im mittel:

    248 zu 246; 250 zu 248; 252 zu 249; 250 zu 247.

    damit die opposition dennoch gewinnt, reicht es, wenn der fünfte juror 248 zu 263 vergibt. das ist an sich keine große abweichung, würde aber die gesamte jurierung maßgeblich beeinflussen.

    es gibt situationen, in denen ein juror ein bestimmtes team klar vorne sieht. das ist absolut legitim. allerdings: bei BPS ist ein mechanismus eingebaut, der davor schützt, dass dieser eine juror die debatte entscheidet. er muss nämlich alle anderen überzeugen. bei OPD gibt es einen solchen mechanismus nicht. nach den buchstaben des regelwerks kann ich eine debatte entscheiden, indem ich einfach „die skala ausnutze“.

    ich persönlich kann das mit meinem verständnis von gerechtigkeit nicht vereinbaren. die jurorenbesprechung vor der mittlung ist hier das notwendige korrektiv.

    nur so nebenbei: dass ein finale oder eine breakrunde bei OPD-turnieren von der minderheit des panels entschieden wurde, ist immer wieder vorgekommen. auch präsidentenentscheide sind gegen die mehrheit der juroren möglich. ob das etwas mit gerechtigkeit zu tun hat, mag jeder für sich entscheiden.

  10. Tobias Kube sagt:

    Vielen Dank, Andrea, für diesen wunderbar hergeleiteten Artikel und die angestoßene Diskussion! Auch von mir ein Plädoyer für die Jurorenbesprechung:

    @ Jan: Die einen nennen es Charme, die anderen große Fehlerquelle. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Vorstellungen davon, in welchem Maße die Punkteskala auszunutzen ist, derzeit massiv auseinander gehen. Natürlich wäre an sich nichts Schlimmes daran und im Sinne der Kategoriekonzeption wäre es sogar wünschenswert, wenn man auf einer Deutschsprachigen Meisterschaft für eine nationale Spitzenleistung auch mal 70 Punkte vergäbe. Darüber müssten sich dann aber alle einig sein. Denn dafür, dass sich „Hoch- und Niedrigpunkter“ gegenseitig rausmitteln und alle Teams die gleichen Chancen auf den Break haben, gibt es auf Turnieren einfach zu wenig Vorrunden. Selbst bei einer DDM redet man in OPD während der Vorrunden nur vier mal im Team und hier können einzelne Ausreißer nach oben oder unten schon einen bedeutenden Einfluss haben.

    Insbesondere dann, wenn unterschiedliche Sichtweisen der Debatte unter den Juroren, darauf zurückzuführen sind, dass Juroren als nicht unfehlbare Menschen manche Aspekte sehr abweichend gewichtet haben (weil sie in einem Moment nicht ganz aufmerksam waren, weil sie durch Fachwissen ihrer eigenen Fachrichtung beeinflusst waren etc.) kann eine Jurorenbesprechung doch nur helfen. Denn „schlimmstenfalls“ stellen die Juroren fest, dass ihre Sichtweisen vollkommen legitim sind und bleiben bei ihrer Bepunktung, nichts ändert sich. Vielleicht stellt der eine oder andere Juror in der Besprechung aber auch fest, dass er Punkt x (der, sagen wir, etwas komplexer, aber sehr gut und relevant war) von Redner y wohl nur deshalb nicht richtig mitbekommen und entsprechend positiv bewertet hat, weil er gerade abgelenkt war oder noch nicht ausreichend darüber nachgedacht hat. In diesem Fall sollte man sich aus Gründen der Fairness gegenüber den Rednern m.E. die Zeit nehmen zu überlegen, ob es von einem als Juror hätte erwartet werden können, diesen Punkt zu verstehen.

  11. Sehr wichtige Frage, sehr guter Artikel! Danke!

    Ich teile nicht alle Ansichten. Ich bin von der Gleichwertigkeit aller subjektiven Meinungen überzeugt, sofern sie gut begründet sind. Etwas anders zu verstehen oder gar nicht zu verstehen, heißt ja nicht automatisch, etwas „falsch“ zu verstehen. Wenn ich merke, mein Ko-Juror kann seine Meinung gut begründen, wer bin ich dann, ihn vom Gegenteil zu überzeugen? Wirklich „falsch“ ist eine Jurierung nur in den seltensten Fällen (falsche Skala benutzt, in falscher Kategorie gepunktet, „Checklisten-Jurierung“ etc.). Diese klären sich aber schnell und sind selten problematisch, vor allem, wenn erfahrene, regelsichere Finaljuroren am Werk sind.

    Ich glaube auch an die Bringschuld der Redner. Natürlich kann es sein, dass ich mal einen Punkt verpasse. Vielleicht bin ich für ein paar Sekunden unaufmerksam oder gerade mit dem Protokollieren eines anderen Punktes beschäftigt. Ist es eh nur eine Kleinigkeit, ein Nebenschauplatz, ist das nicht dramatisch. Ist es aber ein Punkt, der alleine über Sieg und Niederlage, über 10 Extrapunkte oder über eine tolle Teamline entscheiden kann, sollte dieser dann von einem Redner derart versteckt werden, dass ein Juror ihn bei der geringsten Unaufmerksamkeit gleich völlig verpasst? Ich denke, ein Redner hat hier doch die Bringschuld, diesen Punkt dann länger, breiter oder öfter auszuführen, so dass ich ihn dann spätestens in der Zusammenfassung noch einmal serviert bekomme.

    Schließlich verstehe ich die OPD-Regel, bei Finaldebatten auf eine Besprechung der Einzelrednerpunkte zu verzichten, etwas anders. Meiner Meinung nach wird hier nicht unterstellt, dass die hohe Qualität des Finaljurorenpools per se eine „richtige“ Entscheidung herbeiführt. Ich glaube, es wird vielmehr unterstellt, dass die beteiligten Juroren alle in der Lage sind, ihre Meinung auch gut begründen zu können. Eine Aussprache, die in erster Linie klären soll, ob ein Juror seine Punkte aus der Lameng, nach Gusto oder ohne jeden Anlass vergibt, ist in diesem Fall wohl tatsächlich nicht zwingend notwendig.

    Aber sie schadet bestimmt auch nicht! Und wenn es alles „gute“ Juroren sind, wird sich auch sehr zügig herausstellen, ob eine weitere Besprechung notwendig ist, oder ob gut begründete Meinung gegen gut begründete Meinung steht, zusätzliche Klärung also unnötig ist und das Mitteln der Punkte für die Objektivierung sorgt. Diese Besprechung kostet so also kaum Zeit, bleibt aber potenziell das wichtigste Korrektiv der zu fällenden Entscheidung. Wir sollten das mal ausprobieren.

    Grüße,

    DS

  12. Andreas Lazar sagt:

    Vielleicht sollten wir mal zusammenstellen, was uns alles in letzter Zeit an der Turnierpraxis von OPD aufgefallen ist und das dann besprechen, in die Jurorenpräsentation aufnehmen, der Regelkommission schicken usw. Einen hab ich auch noch: Manchmal sind Fraktionsfreie RednerInnen aus dem gleichen Club wie ein Team im Raum und helfen ihm, indem sie z.B. versäumtes Rebuttal nachholen, gute Beispiele liefern o.ä. Das scheint diesem Team manchmal tatsächlich zu helfen. Finden wir das gut und wenn ja, warum, und wenn nein, wie können wir es abstellen?

  13. Jonathan Scholbach sagt:

    @Jan L.: „Denn wenn es genug Juroren im Finale sind und sie alle nur Menschen sind, dann mitteln sich die “Fehler” der einzelnen Juroren doch in der Regel gegenseitig raus.“ Das ist nicht notwendigerweise und meiner Erfahrung nach sogar nur recht selten der Fall. Aufmerksamkeits-„Fehlleistungen“ haben oft einen systematischen Grund. Nimm das Beispiel, das Andreas in Post No.12 anspricht: Es kann sein, dass ein clubeigener FFR die Wahrnehmung der Jury massiv beeinflusst. Eine sehr gute Jury sollte das erkennen, aber es ist schwer, das zu durchschauen. VIelleicht fallen fünf von sechs Jurors darauf herein, ein Juror aber bemerkt die Finesse. Das lässt sich nur mit Reden, nicht mit Mitteln klären. Wie im Film: Die 12 Geschworenen.

  14. Daniel (Heidelberg) sagt:

    @ Jonathan: Ich habe Deinen Kommentar jetzt schon mehrfach gelesen, bin mir aber nicht sicher, ob ich Dich richtig verstehe. Daher einfach die Frage: Wenn Du sagst, das sei „nur recht selten“ der Fall, meinst Du damit, dass die große Mehrzahl der getroffenen Finalentscheidungen „falsch“ ist?

    Grüße,

    DS

  15. Jonathan Scholbach sagt:

    @ Daniel: Sorry für die späte Antwort, ich habe Deinen Post erst jetzt gesehen. Nein, aber dass sich Fehler gerade rausmitteln, ist schon selten. Das Rausmitteln passiert in großen Stichproben. Aber die relativ kleine Stichprobe einer Jury mit sagen wir 9 Mitgliedern sorgt nicht dafür. Auch haben Fehljurierungen in meinen Augen oftmals einen systematischen Grund; etwa weil eine Seite einen Trick angewendet hat, den große Teile der Jury nicht durchschaut haben, Das ist ein Argument dafür, dass jeder Juror sich qualitativ, nicht nur quantitativ einbringen können sollte. Eine vom Juroren-Durchschnitt abweichende Beobachtung kann in der Lage sein, alle anderen Juroren zu überzeugen, nie aber kann sie in der Lage sein, sich im Mittel gegen die anderen Stimmen durchzusetzen.

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